mehr
zog sich dieser aus dem
Staatsdienst zurück und wirkte fortan als Privatmann weiter für seine große
Idee. 1806 ging er auf
Einladung des
Kaisers
Alexander 1. nach
Petersburg,
[* 2] um dort ein öffentliches Blind
eninstitut einzurichten. Nach der
Restauration
wurde (1816) die
Pariser Blind
enanstalt vom
Hospital wieder getrennt. Sie erhielt 80 Freistellen und als
Direktor den berühmten
Arzt Guillié. Außer
Paris
[* 3] besitzt
Frankreich in mehreren Provinzialstädten, z. B. in
Bordeaux,
[* 4]
Nancy,
[* 5] Lille,
[* 6]
Marseille,
[* 7]
Arras,
[* 8]
Caen,
Soissons,
Lyon,
[* 9]
St.-Hippolyte du
Fort (protestantisch); im ganzen 16 Anstalten.
Nach dem Vorgang
Frankreichs entstanden Blind
enanstalten zunächst in
England durch Privatwohlthätigkeit und anfangs mehr zum
Unterricht
in
Handarbeiten und im
Kirchengesang, mit Ausschluß des geistbildenden
Unterrichts, den man dort erst in
neuerer Zeit angenommen hat. Jetzt bestehen in
Großbritannien
[* 10] mit
Irland 24 öffentliche und 23 private Blind
enanstalten. Im übrigen
Europa
[* 11] hat sich die Zahl der Blind
enanstalten seit Beginn des
Jahrhunderts so weit verbreitet, daß kein Land mehr ganz derselben
entbehrt, wenn auch kaum irgendwo dem
Bedürfnis völlig genügt wird.
Amerika
[* 12] zählt gegenwärtig gegen 40 Blind
enanstalten, wovon 30 auf die
Vereinigten Staaten
[* 13] von
Nordamerika
[* 14] entfallen. In
Deutschland
[* 15] wurde
die erste öffentliche Blind
enanstalt zu
Berlin
[* 16] bei
Hauys Durchreise 1806 durch die Unterstützung des
Königs gegründet und
Zeune (s. d.) zum
Direktor derselben ernannt, der sich seitdem um diese Anstalt und um die Verbesserung
und Vereinfachung des Blind
enunterrichts überhaupt große
Verdienste erworben hat. Im J. 1883 waren im
Deutschen
Reich 24 öffentliche
Blind
enanstalten vorhanden, nämlich in
Preußen
[* 17] 13,
Bayern
[* 18] und
Sachsen
[* 19] je 3,
Baden,
[* 20]
Hessen,
[* 21]
Mecklenburg-Schwerin,
Sachsen-Weimar und
Hamburg
[* 22] je
eine.
In den 13 preußischen Anstalten wurden 1880 zusammen 803
Kinder (502
Knaben, 201 Mädchen) von 117
Lehrern unterrichtet.
Diesen
stand noch immer eine bedeutende Zahl blinder
Kinder im schulpflichtigen
Alter ohne
Unterricht gegenüber. 1875
gab es im
Staat 1050 blinde
Kinder im
Alter von 8 bis 16
Jahren, von denen 356 in Blindenanstalten, 259 in Ortsschulen und 435 nicht unterrichtet
wurden. Es ist anzunehmen, daß das
Verhältnis seither sich wesentlich gebessert hat. Als Musteranstalt und zur
Ausbildung
von Blindenlehrern dient die königliche Blindenanstalt in
Steglitz bei
Berlin. In
Berlin ist außerdem für ortsangehörige
blinde
Kinder eine Blindenschule (ohne
Internat) begründet worden. In
Österreich-Ungarn
[* 23] ist die älteste
Blindenanstalt die zu
Wien.
[* 24]
Hier stellte schon seit 1804 der damalige Armendirektor und spätere Direktor der Blindenanstalt, Klein, glückliche Versuche mit dem Unterricht zweier blinder Knaben an; 1808 errichtete derselbe mit Genehmigung und Unterstützung des Staats eine Anstalt, welche 1816 zu einer öffentlichen erhoben wurde; auch Klein hat sich durch Verbesserung und Verbreitung des Blindenunterrichts bleibenden Ruhm erworben. Jetzt weist die Monarchie 8 Blindenanstalten aus. In der Schweiz [* 25] gibt es 4 private Blindenanstalten.
In den jetzigen Blindeninstituten erfahren besonders der Leseunterricht, der Schreibunterricht und der Unterricht in der Geographie eine eigentümliche Behandlung, wogegen sich die Behandlungsweise der übrigen Lehrgegenstände der bei vollsinnigen Kindern angewendeten nähert. Das Lesen wird von den Blinden entweder an der Stachel- oder an der Reliefschrift geübt (s. Blindendruck). Durch den internationalen Kongreß der Blindenlehrer zu Berlin 1879 wurde der Punktierschrift des blinden Blindenlehrers L. Braille (s. d.) vor allen andern Schriftsystemen der Vorzug gegeben.
Die Blinden erhalten bald eine ungemeine Fertigkeit im Lesen und im Hervorbringen dieser Schrift; alle Bücher, welche die Blinden gebrauchen, sind auf diese Weise gedruckt. Das Schreiben der gewöhnlichen Schrift wird daneben geübt, weil es für den Blinden im Verkehr mit Vollsinnigen von Wert ist. Der Unterricht in der Erdkunde [* 26] hat viel von seiner Schwierigkeit für Blinde verloren, seitdem man sich nach Zeunes Vorgang der Reliefkarten dabei bedient. Die Blindenlehrer schreiten bei diesem Unterricht von engern zu weitern Kreisen fort.
Der Rechenunterricht beschränkt sich in den Blindeninstituten auf das Kopfrechnen, veranschaulicht durch 100 kleine Würfel. Alle Lösungen geschehen durch einfache Verstandesoperationen. Die Zöglinge erreichen hierin gewöhnlich eine ungemeine Fertigkeit. Besondere Aufmerksamkeit wird dem Musikunterricht gewidmet. Man will hierdurch einzelnen Blinden, die musikalische Anlage besitzen, ein Mittel verschaffen, sich später ihren eignen Unterhalt zu suchen; dann will man aber auch dem Blinden durch Musik sein nächtliches Dasein erheben und erheitern, und es gelingt dies, da die Blinden meist Gefühlsmenschen sind, recht oft.
Wichtig für die Ausbildung der Blinden ist auch der Unterricht in Handarbeiten, ihre gewerblich-technische Ausbildung. Gewöhnlich erstrecken sich die Arbeiten der Blinden aus Spinnen, [* 27] Stricken, Teppichmachen aus Tuchenden und Stroh, Schuhmachen aus Tuchenden, Korbflechten, Flechten [* 28] von Schnüren, Bandweben, Seiler-, Drechsler-, Böttcher- und Tischlerarbeiten etc. Merkwürdig ist die außerordentliche Ausbildung, die mancher Blinde in mechanischen Arbeiten, selbst den feinsten, erlangt hat.
Die wunderbare Vervollkommnung des Tastsinnes ersetzt ihm den Gesichtssinn fast vollkommen. Aber auch auf geistigem Gebiete haben sich viele Blinde ausgezeichnet. Der schon erwähnte blinde Saunderson wirkte als Professor der Mathematik in Cambridge, Thomas Blacklock war Doktor der Theologie und gern gehörter Prediger in Edinburg, [* 29] John Metcalf in Manchester [* 30] beaufsichtigte den Straßenbau und legte nach selbständigen Plänen und Berechnungen mehrere neue Straßen an. Johann Knie unternahm ohne Begleiter eine Reise durch Deutschland, ein andrer Blinder besuchte alle fünf Weltteile, umschiffte die Erde und gab eine Beschreibung seiner Reise heraus.
Die Verbindung der Blinden- mit Taubstummenanstalten wird jetzt allgemein verworfen, da beiden Anstalten ganz verschiedene Aufgaben gestellt sind. Nur für die gottlob! seltenen Unglücklichen, denen beide Sinne versagt sind, bleibt die Verbindung beider Arten des Unterrichts notwendig. Versorgungsanstalten haben nur für kranke und hilflose Blinde Berechtigung. Der arbeitsfähige Blinde soll eben durch die Erziehung in der Blindenanstalt für das Leben mit Vollsinnigen erzogen und zum selbständigen Erwerben seines Unterhalts befähigt werden Seit 1873 tritt alle zwei Jahre ein internationaler Blindenlehrerkongreß zusammen.
Vgl. Hauy, Essai sur l'education des aveugles (Par. 1786);
Zeune, Belisar, über den Unterricht der Blinden (4. Aufl., Berl. 1834);
Derselbe, Über Blinde und Blindenanstalten (das. 1817);
Klein, Lehrbuch zum Unterricht der Blinden (Wien 1812);
Mad. Nieboquet, Des aveugles et de leur éducation (Par. 1837);
Knie, Anleitung zur zweckmäßigen Behandlung blinder Kinder (3. Aufl., Berl. 1839);
Georgi, Anleitung zur zweckmäßigen Behandlung blinder Kinder im Kreis [* 31] ¶
mehr
St. Marie, Der Blinde und seine Bildung (Leipz. 1868);
Pablasek, Die Blindenanstalten, deren Bau, Einrichtung und Thätigkeit (Wien 1875);
Rösner, Unterricht der Blinden (in Diesterwegs »Wegweiser«, 5. Aufl., Essen [* 33] 1877, Bd. 3, S. 487 ff.);
Guttstadt, Verbreitung der Blinden und Taubstummen (in »Zeitschrift des königl. preuß. Statistischen Büreaus« 1883, Heft 1 u. 2, S. 191 ff.);
»Organ der Taubstummen- und Blindenanstalten« (Frankf., seit 1853, begründet von Matthias, jetzt hrsg. von Vetter);
»Zentralblatt für das gesamte Unterrichtswesen in Preußen« 1881, S. 262.