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Justizminister Levin Friedrich v. Bismarck, geb. 1703, gest. 1774, und dessen Sohn, der Finanzminister August Wilhelm v. Bismarck, geb. 1750, gest.
1783) hervor. Bismarcks Vater Karl Wilhelm Ferdinand v. Bismarck (geb. gest. 1845) nahm als Rittmeister seine Entlassung aus der preußischen Armee, um seine Güter Schönhausen sowie Kniephof, Külz und Jarchelin in Pommern [* 2] zu bewirtschaften; er vermählte sich 1806 mit Luise Wilhelmine Mencken, der Tochter des Kabinettsrats Mencken, einer schönen, geistig bedeutenden Frau (gest. 1839), welcher Ehe sechs Kinder entsprossen, von denen Bismarck das vierte war, und von denen außer diesem nur noch ein älterer Bruder, Bernhard, Landrat in Naugard, und eine jüngere Schwester, Malwine, Gemahlin des Kammerherrn v. Arnim-Kröchelndorf, am Leben sind.
Otto v. Bismarck besuchte zuerst 1821-27 die Plamannsche Erziehungsanstalt, 1827-30 das Friedrich-Wilhelms-Gymnasium und 1830-32 das Graue Kloster in Berlin [* 3] und bezog Ostern 1832 die Universität Göttingen, [* 4] wo er drei Semester zwar das Studentenleben gründlich genoß und dem juristischen Fachstudium wenig Zeit widmete, aber doch mit lebhaftem Geist seine Kenntnisse und seine Anschauungen bereicherte. Nachdem er in Berlin eifrigen Privatstudien obgelegen, bestand er Ostern 1835 das Auskultatorexamen und arbeitete am Berliner [* 5] Stadtgericht, bis er 1836 zur Verwaltung überging und nach Aachen [* 6] versetzt wurde. Nachdem er das zweite juristische Examen gemacht, ward er 1837 als Referendar bei der Potsdamer Regierung beschäftigt und trat Ostern 1838 bei dem Gardejägerbataillon als Einjährig-Freiwilliger ein, ließ sich aber im Herbst zum 2. Jägerbataillon nach Greifswald [* 7] versetzen, um zugleich in Eldena Landwirtschaft zu studieren. Denn da sich sein Vater nach dem Tode der Mutter nach Schönhausen zurückzog, sollte er mit seinem Bruder Bernhard gemeinschaftlich die Verwaltung der etwas in Verfall geratenen und verschuldeten pommerschen Güter übernehmen.
Als der Vater starb, erhielt Bismarck Kniephof und das durch den Verkauf der größern Hälfte sehr verkleinerte Gut Schönhausen, wo er fortan seinen Wohnsitz nahm und zum Deichhauptmann und zum Abgeordneten in den sächsischen Provinziallandtag gewählt wurde. In dieser letztern Eigenschaft ward er auch 1847 Mitglied des Vereinigten [* 8] Landtags.
Auch Bismarck erkannte, daß Preußen [* 9] den wichtigen Schritt, sich eine freiere politische Verfassung zu geben, thun müsse. Indes war bei ihm der altpreußische Patriotismus doch das vorherrschende Gefühl, und dem gab er 17. Mai bei seinem ersten Auftreten in einer parlamentarischen Versammlung entschiedenen Ausdruck, indem er gegen die liberale Behauptung, daß politische Freiheit das Ziel der Befreiungskriege 1813-1815 gewesen sei, Einspruch erhob und unter dem Murren der Versammelten nur die Befreiung von der Fremdherrschaft als Beweggrund des Volkes gelten lassen wollte.
Auch bei andern Gelegenheiten trat er den landläufigen liberalen Ansichten und Forderungen mit keckem Übermut entgegen, indem er die unabhängige Stellung des Königtums und die Freiwilligkeit seiner Zugeständnisse wahrte, sich gegen die Zulassung von Juden zu öffentlichen Ämtern erklärte und dabei bekannte, daß er allerdings der von den Liberalen als finster und mittelalterlich bezeichneten Richtung angehöre, dem großen Haufen, der noch an Vorurteilen klebe.
Den hierdurch erworbenen Ruf eines ultrakonservativen Junkers befestigte er noch durch sein Auftreten in der zweiten Session des Vereinigten Landtags im April 1848, wo er, die Niederlage des preußischen Königtums und der bisher herrschenden Stände beklagend, gegen die vom Landtag beschlossene Dankadresse stimmte, und durch manche Äußerungen seines Ingrimms gegen das damalige Treiben in Berlin, wie die, »daß die großen Städte als Herde der Revolutionen vom Erdboden vertilgt werden müßten«. Er ward daher auch erst nach dem politischen Umschwung Ende 1848 in die Zweite Kammer gewählt, welche 1849 zusammentrat.
Auch hier opponierte er sowohl den demokratischen als den nationaldeutschen Tendenzen. Die 1849 beschlossene Reichsverfassung ließ nach seiner Meinung der Monarchie zu geringe Macht; wenn es sich nicht selbst gefährden wollte, müßte Preußen den Deutschen befehlen, welches ihre Verfassung sein solle, und dazu sich erst durch Wiederherstellung eines starken Königtums, innerer Eintracht und kräftiger Wehrfähigkeit tüchtig machen, bis dahin aber mit Österreich [* 10] in Gemeinschaft handeln. Er bekämpfte daher auch die Radowitzsche Unionspolitik im Erfurter Parlament und verteidigte in der preußischen Zweiten Kammer sogar die Olmützer Übereinkunft. Die Bildung einer starken königstreuen Partei war sein Hauptziel, welches er auch durch Beteiligung an der »Kreuzzeitung« zu fördern bemüht war.
König Friedrich Wilhelm IV., der Bismarck persönlich schätzte und seine politischen Verdienste würdigte, ernannte ihn im Mai 1851 zum Legationsrat bei der Bundestagsgesandtschaft in Frankfurt [* 11] a. M. und 18. Aug. zum Bundestagsgesandten. Hier lernte Bismarck die Kläglichkeit und Unverbesserlichkeit des Deutschen Bundes kennen, die kleinliche Engherzigkeit, die Eifersucht, die Angst und Feigheit der Mittel- und Kleinstaaten und die ränkevolle, hinterlistige Politik des Österreich, wie es Fürst Felix Schwarzenberg wiederhergestellt hatte, und erkannte, daß Preußen bei ihnen nie auf treue, aufrichtige Freundschaft rechnen könne, daß es seine deutschen Bundesgenossen aber auch nicht zu fürchten habe.
In der That bewies die Achtung, die der junge, unerfahrene Diplomat sich selbst bei dem hochmütigen österreichischen Präsidialgesandten erzwang, daß Preußen eine ganz andre Stellung in Deutschland [* 12] einnehmen könne, wenn es wolle, und Bismarck faßte in Frankfurt zuerst den Gedanken eines Zollvereinsparlaments und der Wiederaufnahme von Preußens [* 13] hegemonischen Bestrebungen. Im J. 1859 schien ihm der Augenblick gekommen, um Preußen von der Bevormundung Österreichs zu befreien und ihm eine gebietendere Stellung in Deutschland zu verschaffen. Er sprach es offen aus, daß Preußen Österreich nicht Vasallendienste leisten, nicht ihm den Krieg ohne Gegenleistung abnehmen solle. Indes das neue Ministerium Hohenzollern-Schleinitz wollte sich den Bundespflichten nicht ohne weiteres entziehen, und Bismarck ward daher von Frankfurt abberufen und als Gesandter nach Petersburg [* 14] versetzt. Der achtjährige Aufenthalt in der Bundeshauptstadt, der von vielen Reisen in das Ausland unterbrochen war, bezeichnete einen wichtigen Abschnitt in Bismarcks staatsmännischer Entwickelung.
In Petersburg blieb Bismarck drei Jahre, erwarb sich durch sein offenes, sicheres Wesen die Gunst des Kaisers und der Gesellschaft, auch die Gortschakows, als dessen Schüler er sich, um dem eitlen Mann zu schmeicheln, bezeichnete. Während er seinen Amtsgeschäften, der Erziehung seiner Kinder und dem Vergnügen der Jagd seine Zeit und Kraft [* 15] widmete, beobachtete er die Entwickelung der Dinge in Preußen und Deutschland mit scharfem Blick und überreichte 1861 in Baden-Baden [* 16] dem König Wilhelm I. eine Denkschrift ¶
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über die deutsche Verfassungsfrage, welche denselben im Frühjahr 1862 nach Entlassung des Ministeriums der neuen Ära bewog,
Bismarck nach Berlin kommen zu lassen. Indes trug er doch Bedenken, einem Mann von so ausgeprägter Parteirichtung, wie Bismarck zu sein
schien, die Leitung des Ministeriums zu übertragen, das sich mit dem Landtag verständigen sollte, und
ernannte ihn zum Gesandten in Paris.
[* 18] Indes da das neue Ministerium Hohenlohe-Heydt seine Aufgabe nicht nur nicht löste,
sondern nach dem entschieden fortschritt
lichen Ausfall der Wahlen im Sommer 1862 der Militärkonflikt sich noch verschärfte,
so ward Bismarck schon im September von Biarritz nach Berlin berufen und als Staatsminister mit dem
interimistischen Vorsitz im Ministerium beauftragt.
Die Lage in Preußen war eine schwierige, denn der König wollte die Reorganisation der Armee nicht rückgängig machen, das Abgeordnetenhaus protestierte gegen die definitive Durchführung derselben ohne Bewilligung der Mittel und wahrte sein Budgetrecht durch Absetzung der Mehrkosten im Militärbudget. Bismarck übernahm die Aufgabe, die Reorganisation zu sichern, und er hoffte es bei dem Abgeordnetenhaus dadurch zu erreichen, daß er in der Sitzung der Budgetkommission 30. Sept. sehr versöhnlich auftrat und auf die Notwendigkeit einer starken Rüstung [* 19] Preußens hinwies, da Deutschland nicht auf dessen Liberalismus, sondern auf seine Macht sehe und die großen Fragen der Zeit nicht durch Reden und Majoritätsbeschlüsse, sondern durch Blut und Eisen [* 20] entschieden würden.
Indessen diese »Blut- und Eisenpolitik« begegnete nur spöttischem Mißtrauen. Man sah in Bismarck nur den beschränkten Junker von 1848 und das gefügige Werkzeug der Reaktion, welche die konstitutionelle Verfassung vernichten und im Bund mit Österreich Deutschland knechten wolle. Die Erinnerung an die schwächliche deutsche Politik Friedrich Wilhelms IV. und auch Schleinitz' und Bernstorffs sowie der von der noch nicht überwundenen politischen Unreife des preußischen Volkes zeugende unüberwindliche Argwohn gegen alle Maßnahmen und Worte der Regierung ließen den Gedanken in der Opposition gar nicht aufkommen, daß Preußen sein Schwert wirklich einmal für die Einigung Deutschlands [* 21] ziehen werde; die überwiegende Mehrheit des Hauses wollte daher von der Anerkennung der Heeresreorganisation und ihrer Mehrkosten nichts wissen und nahm 7. Okt. einen Antrag an, welcher das Budgetrecht des Landtags voll und ganz wahren sollte.
Bismarck, der 8. Okt. zum Ministerpräsidenten und auswärtigen Minister ernannt wurde, verzichtete unter diesen Umständen auf jeden weitern Versöhnungsversuch und beschloß, nachdem das Herrenhaus das Budget des Abgeordnetenhauses verworfen hatte, ohne Budget zu regieren, den Widerstand des Landes aber dadurch zu überwinden, daß er die angekündigte deutsche Politik auch ohne Unterstützung der Volksvertretung verwirklichte. Dem Abgeordnetenhaus trat er fortan mit rücksichtslos offener Sprache [* 22] entgegen und erregte namentlich einen Sturm der Entrüstung durch die Darlegung seiner Ansicht, daß das Haus, indem es seinen Standpunkt einseitig festhalte und ein Kompromiß mit den andern gesetzgebenden Gewalten ablehne, einen Konflikt heraufbeschworen habe, Konflikte aber zu Machtfragen würden und wer die Macht habe, dann in seinem Sinn vorgehe.
Parlamentarische Streitpunkte, so über die Ausdehnung [* 23] der Disziplinargewalt des Präsidenten auf die Minister, welche Bismarck bestritt, erweiterten die Kluft zwischen dem Ministerium und dem Abgeordnetenhaus, scharfe Maßregeln, wie die Preßordonnanz vom und manche kleinliche Akte gegen liberale Behörden und Personen von seiten der teilweise unbedeutenden Kollegen Bismarcks verstärkten im Volk die Furcht vor der Reaktion und das Mißtrauen gegen die Regierung, so daß eine Versöhnung zwischen dem Ministerium und der Volksvertretung in der That unmöglich schien.
Inzwischen hatte Bismarck die Lösung der deutschen Frage in Angriff genommen. Bereits im Januar 1863 hatte er Österreich erklärt, daß es entweder die Leitung der deutschen Angelegenheiten mit Preußen freundschaftlich teilen, oder eines offenen Bruches gewärtig sein müsse. Österreich glaubte indes Preußen und Bismarck durch den Verfassungskonflikt so geschwächt, daß es im August 1863 den Versuch machte, auf dem Fürstenkongreß in Frankfurt eine neue deutsche Verfassung zu stande zu bringen, welche gerade dazu dienen sollte, Preußen zu majorisieren und seinen Interessen dienstbar zu machen. Bismarck vereitelte dies, indem er den König bewog, vom Kongreß fern zu bleiben, und offenbarte 15. Sept. als Ziel seiner deutschen Politik die Berufung einer deutschen Volksvertretung.
Aber mit dieser Aussicht auf die Erfüllung der 1849 gescheiterten Hoffnungen stieß er ebenso auf spöttischen Unglauben wie mit seiner schleswig-holsteinischen Politik 1863-64, die auf einem meisterhaften Überblick der Sachlage, der schärfsten Beurteilung der übrigen Mächte beruhte und durch den Erfolg glänzend gerechtfertigt ward, indessen nicht gelingen konnte, wenn ihr Ziel vorzeitig verkündet wurde; daher ward sie auch von den preußischen Liberalen nicht verstanden und gewürdigt und nicht zum Anlaß einer Versöhnung genommen.
Als der Wiener Friede und die Zurückdrängung des Augustenburgers wenigstens in Preußen mehr und mehr die Überzeugung aufdämmern ließen, daß Bismarck Preußens Machtstellung vortrefflich gewahrt habe, erneuerte die Vertagung des Konflikts mit Österreich durch den Gasteiner Vertrag, den Bismarck, der Friedensliebe des Königs nachgebend, schloß, wofür er zum Grafen erhoben wurde, wiederum das Mißtrauen gegen die auswärtige Politik der Regierung, und der Verfassungskampf brach 1866 mit verschärfter Heftigkeit aus.
Indes bestärkte dieser neuere Zwist Österreich und die Mittelstaaten in ihrer Verblendung über Preußens Streitkraft und in ihrer Kriegslust und täuschte auch Napoleon III. über den voraussichtlichen Ausgang des deutschen Entscheidungskriegs, so daß er neutral blieb. Einen Bundesgenossen gewann Bismarck in Italien. [* 24] Im Volk wurde seine Politik natürlich vielfach heftig angefeindet; am machte ein Student Cohen, ein Stiefsohn K. Blinds, ein erfolgloses Attentat auf Bismarck. Große Mühe kostete es ihm, den König zum Krieg mit Österreich zu bestimmen.
Zum Glück scheiterten alle Vermittelungsversuche, die Bismarck nicht hindern konnte, an der Hartnäckigkeit der Gegner, welche nicht glauben mochten, daß Preußen diesmal Ernst machen werde. Aber Bismarck trieb die Politik in großem Stil. Am 9. April legte er dem Bundestag den Antrag auf Berufung eines deutschen Parlaments vor, am 10. Juni die Grundzüge einer neuen Bundesverfassung. Die Annahme des österreichischen Antrags auf Mobilisierung der nichtpreußischen Bundeskorps gegen Preußen wegen Verletzung des Bundesrechts in Holstein beantwortete er 14. Juni mit der Erklärung des Austritts aus dem Bunde. Die Ablehnung des preußischen Ultimatums durch Kurhessen, Hannover [* 25] und Sachsen [* 26] verurteilte diese ¶