mehr
Als ein bedeutender Künstler von verwandter Richtung ist Tilman Riemenschneider von Würzburg [* 2] zu nennen. Ungleich umfassender als im Bereich eines selbständigen Schaffens tritt uns die deutsche [* 3] an denjenigen Werken entgegen, die sie in Verbindung mit der Malerei hervorgebracht hat. Dies sind vornehmlich die großen Altarwerke, deren Inneres in der Regel mit bemalter und vergoldeter Bildnerei (in Holz [* 4] geschnitzt) ausgefüllt ist, während das Äußere durch wirkliche Gemälde nicht selten aus mehrfach übereinander zu klappenden Flügeln gebildet wird.
Hier sind besonders die Altarwerke Michael Wohlgemuths in Nürnberg [* 5] hervorzuheben. Als ein tüchtiger Bildschnitzer erscheint nach jenem in Nürnberg und in Krakau [* 6] Veit Stoß (1447-1542), der sich durch eigentümlich zarte, naive Anmut auszeichnete, die vornehmlich seinen weiblichen Gestalten ein anziehendes Gepräge verlieh. Sein Hauptwerk ist der Rosenkranz in St. Lorenz (s. Tafel VI, [* 1] Fig. 3). Im Rathaus zu Nürnberg ist die herrliche Madonna eines unbekannten Meisters (s. Tafel VI, [* 1] Fig. 4). Weiter sind als Bildschnitzer zu nennen die beiden Syrlin aus Ulm [* 7] und Hans Brüggemann, der Verfertiger des schönen Altars im Dom zu Schleswig. [* 8] In einer zum Teil wesentlichen Verschiedenheit von den stilistischen Eigentümlichkeiten der übrigen deutschen Bildnerei erscheint die Mehrzahl der deutschen Bronzearbeiten dieser Periode, namentlich derjenigen, welche durch Peter Vischer (gest. 1529) in Nürnberg und seine Familie geliefert wurden. Sein mit Hilfe seiner fünf Söhne ausgeführtes Hauptwerk ist das Sebaldusgrab zu Nürnberg. Im architektonischen Aufbau ist dasselbe gotisch; in den Figuren vermischt sich die italienische Formengebung mit der realistischen Charakterisierungsart des spätgotischen Stils (s. Tafel VI, [* 1] Fig. 8. u. 9).
In Frankreich bildet die Kathedrale von St. Denis mit ihren Königsgräbern den Mittelpunkt der Thätigkeit (Jean Juste: Grab Ludwigs XII.; Pierre Bontemps: Grab Franz' I.). In den Niederlanden drängt die Malerei die Plastik zurück. Dennoch finden sich einige tüchtige Meister (Jan de Baker: Monument der Maria von Burgund zu Brügge; treffliches Grabmal in St. Jakob daselbst, von einem unbekannten Meister). Der Kamin des Justizpalastes zu Brügge ist ein Meisterstück der Holzdekoration. In England ward die Bildhauerkunst meist von Ausländern geübt. Besonders zu erwähnen ist der Gegner Michelangelos, Pietro Torrigiano (Grabmal Heinrichs VII. und seiner Gemahlin in Westminster). Auch in Spanien [* 9] entwickelt sich die Bildhauerkunst besonders an den Grabdenkmälern (Gil de Siloë und Berruguete).
In der italienischen Bildhauerkunst sehen wir in der zweiten Hälfte des 16. Jahrh. den Stil des Michelangelo vorherrschend, teils so, daß man demselben ganz in der Weise zu folgen sich bestrebte, wie er durch den Meister selbst vorgebildet war, teils so, daß man andre Schulrichtungen nach den Eigentümlichkeiten seines Stils umzuändern suchte. Als die bedeutendsten Bildhauer der erstern Klasse sind Montorsoli, Raphael da Montelupo, Guglielmo della Porta (gest. 1577), Vincenzio Danti (1530-75) und Bartolommeo Ammanati (1511-92) zu nennen.
Giovanni Bandini, genannt Giovanni dall' Opera, und Leone Leoni haben eine mehr zierliche Richtung, die sich besonders bei dem letztern zu einer eigentümlich feinen, aber doch in dem damaligen manierierten Zeitgeschmack befangenen Grazie entwickelt. Giovanni Bologna (1524-1608, aus Douai in Flandern) erscheint wiederum als Nachfolger Michelangelos, überragt indessen seine Zeitgenossen durch größere Mäßigung und ein feineres plastisches Formgefühl. Am bekanntesten sind sein Raub der Sabinerinnen (s. Tafel VI, [* 1] Fig. 17) und sein Merkur [* 10] (s. Tafel VI, [* 1] Fig. 18).
In der französischen Kunst entfaltete sich durch Benvenuto Cellinis Einfluß das in der Nationalität begründete Streben nach eigentümlicher Grazie und gesuchter Eleganz noch weiter, so daß es öfters in Manier ausartete. Da die künstlerischen Dekorationen des Schlosses Fontainebleau den Mittelpunkt der Kunstbestrebungen dieser Zeit ausmachten, so begreift man den gesamten Kreis [* 11] der Künstler, welche damals in Frankreich thätig waren, gewöhnlich unter dem Namen der Schule von Fontainebleau, deren Blüte [* 12] der Mitte und der zweiten Hälfte des 16. Jahrh. angehört. Durch edle Anordnung, feinen Sinn und zarte, verständige Ausführung zeichnen sich aus: Jean Goujon (gest. 1572), der bedeutendste Meister dieser Zeit, Germain Pilon (gest. 1590), Jean Cousin (gest. 1589), Barthélemy Prieur, Pierre Francheville, Paul Ponce.
Die neuere Bildhauerkunst.
Zu Anfang des 17. Jahrh. raffte sich die Bildhauerkunst zu einem neuen Aufschwung empor. In ihrem Streben nach Leidenschaft und Effekt überschritt sie aber ihre Grenzen [* 13] und verfiel vollends ins Malerische. Dieser neue Stil, welcher von Italien [* 14] ausging, der Barockstil, beherrschte die Kunst fast zwei Jahrhunderte. Als Führer tritt Lorenzo Bernini (1598-1680) hervor. Es ist etwas Rauschendes, ekstatisch Bewegtes in seinen Gestalten und zugleich im Einzelnen der Behandlung eine Naturwahrheit, durch welche diese Glut des Gefühls dem Beschauer unmittelbar nahegerückt wird.
Aber die Begeisterung ist bei ihm kein freier Erguß des Innern, sondern sie erscheint wesentlich nur als eine Erhitzung des nüchternen Verstandes, und darum haben seine Darstellungen durchweg ein mehr oder weniger affektiertes Gepräge; zugleich treibt ihn sein Streben nach Naturwahrheit zu einer malerischen Behandlungsweise, in welcher sich die Gesetze des plastischen Stils völlig auflösen. Die Mehrzahl der Zeitgenossen folgte Berninis Spuren, so Alessandro Algardi (1598-1654), Francesco Mocchi (gest. 1646), Ercole da Ferrara [* 15] u. a. Um so mehr ist es anzuerkennen, wenn Meister wie Stefano Maderna (1571-1636) und François Duquesnoy, genannt il Fiammingo, sich von seinem Einfluß frei zu halten wußten.
Eine ähnliche Richtung wie in Italien zeigt die Bildhauerkunst Frankreichs. Dort brachte sie am Hof [* 16] Ludwigs XIV. manches tüchtige Werk, besonders im Porträtfach, hervor, obgleich sich im allgemeinen das Theatralische, was noch durch das Zeitkostüm gefördert wurde, viel zu breit macht. Nicht ohne anerkennungswerte Energie zeigt sich diese Richtung zunächst in der berühmten Marmorgruppe des Pierre Puget (1622-94): dem Milon von Kroton, der von einem Löwen [* 17] zerrissen wird (im Louvre).
Tüchtige Arbeiter sind: François Anguier (1604-69), François Girardon (1628-1715) und Martin Desjardins (1640-94). Als Meister im Porträt ist besonders Antoine Coyzevox (1640-1720) zu nennen. Allmählich verirrt sich die in eine süßliche Zierlichkeit, als deren Hauptvertreter Frémin und die beiden Coustou zu nennen sind. Hervorzuheben ist noch Jean Baptiste Pigalle (1714-85), der Schöpfer des Denkmals für Moritz von Sachsen [* 18] in der Thomaskirche zu Straßburg. [* 19]
In den Niederlanden erhielt sich während dieser Zeit ein kräftiger Natursinn, welcher von großem Einfluß auf Deutschland [* 20] wurde (Quellinus' ¶
mehr
Karyatide [* 22] am Rathaus zu Amsterdam, [* 23] s. Tafel VI, [* 21] Fig. 10). Hubert Gerhard und A. de Vries wirkten in Augsburg, [* 24] P. de Witte nebst Gerhard in München. [* 25] Deutschland war durch den Dreißigjährigen Krieg verhindert worden, an der Entwickelung der Kunst besondern Anteil zu nehmen. Aber schon unter dem Großen Kurfürsten beginnt es sich wieder zu regen. Für seine Schöpfungen ließ er sich holländische Architekten und Bildhauer kommen. Von diesem Einfluß bestimmt, trat Andreas Schlüter (1662-1714) auf, gleich groß als Architekt wie als Bildhauer.
Tiefe Auffassung und kräftige, lebensvolle Darstellung treten uns in seinen Werken entgegen, unter denen das Denkmal des Großen Kurfürsten und die Masken [* 26] sterbender Krieger am Zeughaus in Berlin [* 27] die bedeutendsten sind. In Wien [* 28] blühte Raphael Donner (1692-1741). Während der wieder erwachende Sinn für die höhere Aufgabe der Kunst auf der einen Seite zu einem innigern Anschluß an die Natur trieb, veranlaßte derselbe zugleich eine höhere geläuterte Auffassung der Natur, wie sie sich in den Werken aus der Blütezeit der griechischen Kunst kundgibt, zu deren Studium man sich jetzt zurückwandte.
Winckelmann brach durch sein tiefes Eindringen in den Geist der griechischen Bildhauerkunst dieser Richtung Bahn. Der Schwede Sergell und der Italiener Canova sind als die ersten Meister zu nennen, welche die Bildhauerkunst nach den Gesetzen, die sie den Werken des klassischen Altertums entlehnt, neu zu gestalten suchten. Namentlich hat Canova eine große Anzahl bewunderter Werke geschaffen, die jedoch, bei großer Vollendung der Technik, nicht ganz frei von italienischer Affektation und süßlicher Sentimentalität sind.
Bekannt sind seine Grazien, seine Venus sowie die Grabmäler Clemens' XIII. zu Rom und [* 29] der Erzherzogin Christina zu Wien (s. Tafel VI, [* 21] Fig. 19). An diese reihten sich der Franzose Chaudet (1763-1810), die Deutschen Alexander Trippel (1774-93) und Dannecker (1758-1841). In der Individualisierung Vorzügliches leistend, gehören seine Büsten zu den besten der Neuzeit; von andern Werken ist namentlich Ariadne, als Bacchusbraut auf dem Panther reitend, bekannt. Alle aber überragt der Däne Thorwaldsen (1770-1844), dessen Werke das Gepräge klassisch reiner griechischer Erhabenheit und zugleich der anmutigsten idyllischen Zartheit an sich tragen.
Hauptwerke sind: Iason in London, [* 30] der Triumphzug Alexanders (s. Tafel VII, [* 21] Fig. 1 u. 2), die Basreliefs von Priamos und Achilleus, die Gruppe der Grazien, Ganymed den Adler [* 31] tränkend, das Reiterbild des Kurfürsten Maximilian I. in München, die Schillerstatue in Stuttgart [* 32] u. a. War Thorwaldsens Hauptaugenmerk auf die formale Durchbildung gelenkt, so gebührt Gottfried Schadow (1764-1850) das Verdienst, zuerst wieder Wert auf eine tiefere Charakteristik gelegt zu haben (Denkmal des alten Dessauers und Zietens in Berlin, Luthers in Wittenberg). [* 33] In Deutschland bildeten sich später verschiedene Schulen in München, Berlin, Dresden [* 34] und Wien aus. In München wirkten Konrad Eberhard (1768-1858), dessen Werke voll religiösen Ernstes sind, Johann Haller (1792-1826) und Ludwig Schwanthaler (1820-48), dessen zahlreiche Arbeiten von seinem unermüdlichen Fleiß und seiner reichen Erfindungsgabe zeugen. Stilvoll und einfach in der Form, ist er der eigentliche Schöpfer der romantischen Bildhauerkunst der Neuzeit; Werke: Kolossalstatue der Bavaria, Ausschmückung der Walhalla bei Regensburg [* 35] (s. Tafel VII, [* 21] Fig. 4) u. a. Die gesamte Münchener Bildhauerschule wurde von ihm bestimmt; wir nennen besonders: E. Mayer (1796-1846), Johann Leeb (1790 bis 1863), A. H. Lossow (1805-74), F. Sanguinetti (1800-1870), Xaver Schwanthaler (1799-1854), Ludwig Schaller (1804-65), J. O. ^[Joseph Otto] Entres (1804-1870), F. Schönlaub (1805-83), Anton Sickinger (1807-73), M. Widnmann (geb. 1812), Halbig (1814-82), Brugger (1813-70), Fortner (1822-1862). Durch die großartigen Bauten in München hatten die dortigen Bildhauer vielfach Gelegenheit, nach allen Seiten hin zu wirken und die ihnen eigentümlichen Talente zu verwerten.
Leider aber artete diese Richtung in ein fabrikmäßiges Produzieren aus und gelangte nicht zur tiefern Auffassung der Form. Deshalb sind die Denkmäler Münchens im ganzen wenig erfreulich; zu den bessern gehört Widnmanns König Ludwig I. zu Pferde. [* 36] Bedeutenderes als in der Monumentalplastik leistete diese Schule in der kirchlichen Kunst. Als Erzgießer verdienen in München Stiglmayr und Miller, in Nürnberg Daniel Burgschmiet (1798-1859) erwähnt zu werden. In Berlin ist vor allen Christian Rauch (1777-1857) zu nennen, welcher der Bildnerkunst eine nationale Richtung gegeben hat, ohne sie der freiesten Bewegung nach allen Seiten zu berauben. Nach den Befreiungskriegen schuf er die Standbilder Blüchers, Scharnhorsts, Bülows v. Dennewitz, die Büsten von Goethe, Humboldt, Thorwaldsen u. a. Am bekanntesten sind außerdem das Denkmal Friedrichs d. Gr. (s. Tafel VIII, [* 21] Fig. 3), das Grabdenkmal der Königin Luise (s. Tafel VIII, [* 21] Fig. 1) und eine Reihe von Viktoriendarstellungen (s. Tafel VIII, [* 21] Fig. 2), deren Typus er geschaffen hat.
Neben Rauch ist Friedrich Tieck (1776-1851) zu nennen. Rauchs Schule ist eine sehr ausgebreitete und hat ihre Hauptvertreter in Berlin und Dresden (s. unten). In Frankfurt [* 37] wirkten: Karl Eduard Wendelstadt (1815-41; [* 21] Figur Afrika [* 38] an der Neuen Börse und Statue Karls d. Gr. auf der Brücke, [* 39] Büsten Liszts und Thalbergs), Zwerger, Eduard von der Launitz (1795-1869; Gutenbergdenkmal, Statuen am Börsengebäude etc.), v. Nordheim, zugleich Münzgraveur (gest. 1884);
in Stuttgart: Theodor Wagner, Schüler Danneckers und Thorwaldsens, Ludwig Hofer (Reiterstatue des Grafen Eberhard im Bart; Rossebändiger, s. Tafel VIII, [* 21] Fig. 7), Karl Kopp (geb. 1825), Joseph Kopf (geb. 1827);
in Wien: Joseph Klieber, Johann Schaller (1777-1842);
in Prag: [* 40] Joseph und Emanuel Max (Radetzkymonument);
in Hannover: [* 41] Ernst Bandel, der aus der Münchener Schule hervorgegangen ist (Hermannsdenkmal); [* 42]
in Hamburg: [* 43] O. S. Runge;
in Rom: Martin Wagner (1773-1858), der Schöpfer des Walhallafrieses und des Giebelfeldes der Münchener Glyptothek (s. Tafel IX, [* 21] Fig. 1), Heinrich Im Hof, H. A. G. Kümmel, Matthiä, Julius Troschel, Peter Schöpf, Karl Steinhäuser, Wittich, Achtermann u. a., über deren Leben und Werke die Spezialartikel näheres bringen.
Nach Rauchs Tod lebte die Tradition des Meisters in einer großen Schule fort, deren zahlreiche Vertreter Berlin zu der ersten Stätte moderner Bildnerei erhoben haben. F. Drake hat eine der acht Idealgruppen der Schloßbrücke gefertigt, welche Künstler der Schule nach einer Schinkelschen Idee schufen (s. Tafel VII, [* 21] Fig. 7). Am populärsten ist sein Friedrich Wilhelm III. im Tiergarten, gleich ausgezeichnet durch die schlichte Porträtgestalt des Fürsten wie durch die idyllischen Hochreliefs am Sockel (s. Tafel IX, [* 21] Fig. 2). Schievelbein (1817-67) hat sich durch einen Relieffries (Untergang Pompejis, in der Berliner [* 44] Nationalgalerie) einen Namen gemacht. Bläsers (1812 bis 1874) Gruppe auf der Schloßbrücke: Minerva schirmt den Jüngling, der in die Schlacht stürmt ¶