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Hopfenbitter und Kohlensäure in erhöhtem Maß. Ein gut gehopftes Bier regt die Absonderung des Darmsaftes und die Thätigkeit der Nieren an und befördert bei anhaltendem Genuß Vollblütigkeit und Fettbildung. Daher ist es anämischen, magern Personen, die gleichzeitig an atonischer Verdauungsschwäche leiden, zu empfehlen, und Rekonvaleszenten genießen es bisweilen mit größerm Vorteil als schwere Weine, welche leicht auf das Gehirn wirken. Kohlensäurereiche Biere sind auch für die Beförderung der Schleimabsonderung in den Bronchien nicht ohne Wert, und in gewissem Sinn kann die Kohlensäure als ein Gewürz betrachtet werden. Die berauschende Wirkung des Biers ist bei weitem geringer als die des Weins oder gar des Branntweins, und indem es letzterm mehr und mehr Terrain abgewinnt, vollzieht es eine hohe kulturgeschichtliche Mission. Dem geringen Alkoholgehalt des Biers stehen in seiner berauschenden Wirkung Kohlensäure und Malzextrakt noch etwas mäßigend gegenüber; aber der Bierrausch erzeugt einen viel jämmerlichern Zustand als der Weinrausch, was vor allem auf Rechnung des Hopfens zu schreiben ist. Hopfen regt in kleinen Dosen den Appetit an und befördert den Stuhlgang; aber nach größern Gaben entsteht ein Gefühl von allgemeiner Schwere und Müdigkeit, und es ist bekannt, daß ein längerer Aufenthalt in Räumen, in welchen sich Hopfen befindet, Eingenommenheit des Kopfes, Kopfschmerz, selbst leichte Betäubung erzeugt. Ob indes die einschläfernde Wirkung eines sehr stark gehopften Biers in erster Linie dem Hopfen zuzuschreiben ist, erscheint fraglich. Anhaltender starker Biergenuß erzeugt Phlegma, Trägheit, Gleichgültigkeit; doch ist diese Wirkung, welche die tägliche Erfahrung zu bestätigen scheint, häufig sehr übertrieben worden. Wie jedes andre im Übermaß genossene geistige Getränk, lähmt auch das Bier endlich die Geistesthätigkeit, und dies tritt um so früher ein, je dürftiger die Ernährung dabei ist. Personen die zur Vollblütigkeit und Fettleibigkeit neigen, müssen vorsichtig im Biergenuß sein, und zur Zeit herrschender Epidemien, wie Cholera, Ruhr, sind hefereiche, leicht zersetzbare Biere zu vermeiden.
Von der Bedeutung der Bierbrauerei in nationalökonomischer Beziehung erhält man einen ungünstigen Begriff, wenn man die bei dem Brauprozeß eintretende Veränderung der Getreidesubstanz beobachtet. Zunächst erleidet die Gerste beim Malzen einen Verlust durch die Entwickelung der Wurzelkeime, welche von dem Brauprozeß ausgeschlossen werden; auch ist der Keimprozeß begleitet von einer Kohlensäureentwickelung, bei welcher durch den Sauerstoff der Luft organische Substanz zerstört wird. Aus dem geschrotenen Malz werden weder die Eiweißkörper noch das Stärkemehl und Dextrin vollständig extrahiert, beim Kochen der Würze scheidet sich wieder eine große Menge eiweißartiger Stoffe ab, ebenso bei der Gärung in Form von Hefe, und der größte Teil des Zuckers wird in Alkohol, der nicht direkt als Nahrungsmittel zu betrachten ist, und in Kohlensäure zerlegt. So entstehen sehr bedeutende Verluste, und es unterliegt keinem Zweifel, daß dieselbe Ackerfläche, auf welcher die Gerste gewachsen ist, mit Brotfrucht bestellt, für die Ernährung des Volkes erheblich mehr geleistet haben würde. Ein Teil der oben genannten Verluste wird nun zwar durch die Benutzung der Abfälle als Viehfutter einigermaßen vermieden, aber es gelangen dabei Substanzen zur Viehfütterung, welche als Nahrung für den Menschen viel höher hatten verwertet werden können, und ein Teil der Nahrungsstoffe geht ganz und gar verloren. Dagegen stellt sich die Betrachtung wieder etwas günstiger, wenn man erwägt, daß die im B. übriggebliebenen Getreidebestandteile in löslicher, leichtverdaulicher Form dargeboten werden, und daß der Alkohol wesentlich anders auf den Körper wirkt als das entsprechende Gewicht Stärkemehl, aus welchem er entstanden ist. Man muß notwendig den ganzen Wert des Biers als Nahrungs- und Genußmittel in Betracht ziehen, wenn man abwägen will, wie hoch sich seine Herstellung beziffert, und darf nicht vergessen, welchen Gewinn die Bierbrauerei als hoch entwickelter Industriezweig, mit welchem andre Industrien in regster Wechselwirkung stehen, dem Volk bringt.
Geschichtliches und Statistik.
Aus Getreide dargestellte bierähnliche Getränke waren schon im grauen Altertum gebräuchlich. Chinesen, Japaner, auch die alten Ägypter und Abessinier tranken und wie es scheint, verstanden die Ägypter auch, Gerste in Malz zu verwandeln. Die Bereitung des Gerstenbiers soll Osiris als Ersatz des Weins gelehrt haben. Zu Strabons Zeit wurde dieser Gerstenwein (Zythos) in Alexandria ganz allgemein getrunken, aber schon damals machte man das Getränk durch gewürzhafte Zuthaten genießbarer. Auch in Spanien war bei den vorindoeuropäischen, mit den Libyern Afrikas genealogisch oder kulturhistorisch sich berührenden iberischen Stämmen das Bier seit alter Zeit üblich, und man verstand dasselbe lange aufzubewahren, ja wohl gar durch das Alter zu veredeln. Dies spanische Getränk, welches auch den Ligurern bekannt war, hieß nach Plinius Caella oder Cerea. Eine dritte Gruppe ursprünglich Bier trinkender Völker, Phrygier und Thraker, gehört schon zu den Indoeuropäern. Schon Archilochos erzählt 700 v. Chr. von ihrem Bryton, welches nach Hekatäos aus Gerste und dem Würzkraut Konyze bereitet wurde. Die Armenier hatten ein starkes, berauschendes Gerstengetränk, von welchem Xenophon in der »Anabasis« erzählt, daß es aus Krügen, die bis an den Rand noch mit Gerstenkörnern gefüllt waren, mittels kleiner Rohrhalme getrunken werde. Westlich und nördlich von den Thrakern findet sich Bier als Sabaja oder Sabajum bei Illyriern und Pannoniern. Priscus, welcher 448 n. Chr. mit der griechischen Gesandtschaft auf dem Weg zu Attila Pannonien durchstrich, erwähnte ein Getränk aus Gerste, welches die »Barbaren« Camum nannten. Dies Wort ist aber älter als die Ankunft der Hunnen in Europa und scheint seit den Zeiten der großen keltischen Wanderung in Pannonien heimisch geworden zu sein. In allen diesen bisher genannten Ländern ist das Bier gegenwärtig bei der Masse des Volkes fast unbekannt. Über die Völker Mittel- und Nordeuropas berichtet zuerst Pytheas, der bald nach Aristoteles lebte. Er fand auf seiner Küstenfahrt bei den vorgeschrittenern und im mildern Klima wohnenden Völkern und Met. Vergil erzählt von gegornen Getränken, welche die Skythen, d. h. die Nordvölker überhaupt, statt des Weins genießen. Im mittlern Frankreich tranken die Vornehmern um die Mitte des 1. Jahrh. unsrer Zeitrechnung schon massaliotischen Wein; aber das Bier war unter dem Namen Korma noch eigentliches Volksgetränk. Dies keltische Bier erhielt sich in Nordfrankreich, Belgien und England während des römischen Kaiserreichs bis zum Mittelalter und bis auf den heutigen Tag. Das Wort Korma ist dem Stamm nach vielleicht identisch mit dem spanischen Cerea, welches oben erwähnt wurde, und man darf annehmen, das das Bier aus Spanien zu den Kelten gekommen sei. Frühzeitig erscheint die Namensform Cervesia, Cervisia, welche sich bis heute in den
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romanischen Sprachen erhalten hat. Die Germanen begannen, als sie sich dem Ackerbau zuwandten, auch dem Biergenuß zu huldigen. Cäsar erwähnt das Bier noch nicht als germanisch, wohl aber der nur wenig spätere Diodor und Tacitus. Die gegen die gallische Grenze drängenden Germanen und die an die Niederdonau gewanderten wurden hier mit dem keltischen, thrakischen und pannonischen Bier bekannt, und Barbaren haben bekanntlich überall Berauschungsmittel gern aufgenommen. Das Wort Bier heißt im Altdeutschen Peor (auch bior, pier) und wird von Grimm und Wackernagel auf das mittellateinische biber oder biberis (»Getränk«) zurückgeführt; ein andrer altgermanischer Ausdruck für Bier war Alu (alo, ealo), das sich im englischen Ale erhalten hat. Jedenfalls war das Bier der Alten wesentlich verschieden von dem unsrigen, denn der Hopfen ist erst infolge der Völkerwanderung, wie es scheint von Osten, zu uns gekommen, und in einer Urkunde Pippins von 768 werden zuerst Hopfengärten erwähnt. Die Kapitularien Karls d. Gr. erwähnen den Hopfen nicht. Wahrscheinlich bürgerte sich die Kunst, ein gutes Bier zu brauen, im Mittelalter zuerst in den Klöstern ein. Die heil. Hildegard, Äbtissin zu Rupertsberg, erwähnt in einer Handschrift von 1079 den Hopfen als Bierzusatz, und man weiß, daß damals in Bayern, Franken, Niedersachsen vielfach Hopfenbau getrieben wurde. Allmählich kam die Kunst des Bierbrauens aus den Klöstern, wo man schon das stärkere Paterbier von dem schwächern Kofentbier unterschied, in die Hände der Bürger, und eine Verordnung der freien Reichsstadt Nürnberg von 1290 befahl den Gebrauch der Gerste, während der von Hafer, Dinkel, Roggen und Weizen verboten wurde. Die Zünfte der Bierbrauer bildeten sich im 14. Jahrh. und wählten den fabelhaften König Gambrivius oder Gambrinus, welcher 1200 Jahre vor unsrer Zeitrechnung das Bier erfunden und das Land Brabant damit glücklich gemacht haben soll, zu ihrem Schutzpatron. Es ist interessant, daß das Bier im Verlauf des Mittelalters in Süddeutschland ganz oder fast ganz außer Gebrauch gekommen war, bis in neuerer Zeit das norddeutsche Bier, unterstützt durch vervollkommte Bereitungsmethoden, besonders durch die Kunst, es haltbar zu machen, und durch seine Wohlfeilheit, das verlorne Terrain wiedereroberte. Lagerbier braut man in Deutschland seit dem 13. Jahrh.; das märkische gelangte zuerst zu großem Ruf; die größte Brauerei besaß 1390 die Stadt Zittau, in ihrem kupfernen Kessel konnten 10 Eimer Bier auf einmal gebraut werden. Der Ruhm der fränkischen und bayrischen Biere datiert aus dem 15. Jahrh. Schon 1541 wurde in Nürnberg das erste Weißbier gebraut. Noch früher, 1492, erfand Christian Mumme in Braunschweig das berühmte, nach ihm benannte Bier, welches bis nach Indien versandt wurde. Bekannt ist die Vorliebe Luthers für das Bier der hannöverschen Stadt Einbeck, nach welcher auch das heutige Bockbier benannt ist. Das Weizenbier ist eine englische Erfindung, wurde im 15. Jahrh. viel nach Hamburg exportiert und schon vor 1520 dort gebraut. Der dort beschäftigt gewesene Brauknecht Kurt Broihahn braute es seit 1826 in Hannover, und von dort verbreitete es sich über ganz Norddeutschland. Nach 1572 wurde es auch in Berlin gebraut, wo es sich zu dem jetzigen Weißbier entwickelte. In England war die Benutzung des Hopfens bis ins 15. Jahrh. verboten, und die bessern Biere, wie Ale und Porter, werden dort kaum seit mehr als hundert Jahren gebraut. Der Porter wurde von dem Braumeister Harwood erfunden und zu Ende des vorigen Jahrhunderts bereits in alle Welt versandt.
In den letzten Jahrzehnten ist die Bierbrauerei aus dem Stadium eines empirischen Gewerbes herausgewachsen und hat sich zu einer ihrer Grundlage und Zwecke klar bewußten Disziplin, der Zymotechnik, herangebildet. Die ungemein großen Fortschritte, welche die Bierbrauerei während dieser Zeit machte, verdankt sie dem Eifer, mit welchem sie alle Hilfsmittel der Wissenschaft und Technik sich dienstbar gemacht hat. Man studierte die chemischen Vorgänge, welche sich in den einzelnen Stadien des Brauprozesses abspielen, und suchte dieselben zu überwachen und zu leiten. An die Rohmaterialien wurden immer größere Anforderungen gestellt; man führte eiserne Geräte und Maschinen ein und gewann durch die Eismaschine eine große Unabhängigkeit von der Witterung und Sicherheit in der Behandlung der leicht veränderlichen Flüssigkeiten. Infolge dieser Umgestaltung des ganzen Industriezweigs hat sich bei enorm steigender Produktion die Zahl der Brauereien immer mehr vermindert. Die kleinern Brauereien sind nicht mehr im stande, mit den großen Fabriken zu konkurrieren; die obergärigen Lokalbiere verschwinden mehr und mehr, während die verhältnismäßig einen viel größern Aufwand bei der Bereitung erfordernden Lagerbiere stetig an Terrain gewinnen und bei verbesserten Verkehrsmitteln auch abgelegenere Orte leicht erreichen. So hat das bayrische in den letzten Jahrzehnten nicht nur in Deutschland festen Fuß gefaßt, sondern auch in Frankreich und besonders in Nordamerika unter den heimischen Benennungen »Bock« und »Lager« sich eingebürgert. Unter solchen Verhältnissen entstanden großartige Brauereien, von denen Spaten (Sedlmayr) in München 1884: 162,908, Pschorr 104,400, Hacker 100,288, Franziskaner 85,608, Löwenbräu 81,609 hl Malz verbrauchten. Auf 1 hl Malz rechnet man eine Bierproduktion von mindestens 2,2 hl. Der Export der größern Münchener Brauereien betrug 1883 in Hektolitern:
Löwenbräu | 96207 | Gebrüder Schmederer | 32940 |
Spaten (Sedlmayr) | 92793 | Münchener Kindl | 28502 |
Leistenbräu | 73056 | Bürgerliches Brauhaus | 24209 |
Pschorr | 60604 | Hofbrauhaus | 15910 |
Hackerbräu | 38602 | Eberlbräu | 6253 |
Noch überragt wurden diese Münchener Etablissements indes durch die Brauerei von Dreher in Klein-Schwechat bei Wien, in welcher 1884: 453,480 hl Bier gebraut wurden. Diese Brauerei ist nicht nur die größte des Kontinents, sondern überragt auch noch die berühmte Londoner von Barclay u. Perkins, welcher besonders die ausgedehnten Malztennen fehlen, da die Mälzerei in England ein besonderes Gewerbe bildet. Dem glänzenden Erfolg, welchen Dreher auf der Pariser Ausstellung 1867 errang, ist es besonders zuzuschreiben, daß die hellern österreichischen Biere in der nächsten Zeit die dunklern bayrischen immer mehr verdrängten, bis sich in den letzten Jahren der Geschmack wieder den letztern zuwandte. Die große Ausdehnung der Bierindustrie und vor allem die Notwendigkeit, wissenschaftlich und praktisch geschulte Brautechniker zu besitzen, hat zur Gründung von Brauereischulen geführt, mit welchen Deutschland vorangegangen ist. Die erste wurde 1848 zu Schleißheim bei München errichtet und siedelte 1852 nach Weihenstephan bei Freising über, eine zweite besteht in Worms, außerdem sind Kurse für Bierbrauer in München, Berlin, Prag und an den meisten landwirtschaftlichen Akademien eingerichtet, auch wird dem Gegenstand an verschiedenen Polytechniken besondere Aufmerksamkeit gewidmet; in München besteht eine Versuchsstation für das Brauereigewerbe.