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letztern muß sich jede Partei ohne besondere richterliche Aufforderung zum Beweis erbieten und ihre Beweismittel bezeichnen, auch sich über die vom Prozeßgegner aufgestellten Beweissätze und Beweismittel erklären und ihre Einwendungen dagegen (Beweiseinreden) vorbringen; ja, eine Prozeßpartei ist sogar verpflichtet, die in ihren Händen befindlichen Urkunden, auf welche sie in einem vorbereitenden Schriftsatz Bezug genommen, vor der mündlichen Verhandlung zur Einsichtnahme für den Gegner auf der Gerichtsschreiberei niederzulegen.
Auch steht es den Rechtsanwalten frei, diese Mitteilung von Urkunden von Hand [* 2] zu Hand gegen Empfangsbescheinigung zu bewirken. In vielen Fällen erfordert freilich die Beweisaufnahme gar kein besonderes Verfahren, so z. B. wenn in dem Verhandlungstermin die als Beweismittel angegebenen Urkunden alsbald vorgelegt und anerkannt werden. Erfordert dagegen die Beweisaufnahme ein besonderes Verfahren, macht sich z. B. die Vorladung von Zeugen nötig, so wird dies durch eine prozeßleitende Verfügung des Richters (Beweisbeschluß) angeordnet.
Dieser Beweisbeschluß muß enthalten:
1) die Bezeichnung der streitigen, zum Beweis verstellten Thatsachen, 2) die Bezeichnung der einzelnen Beweismittel, 3) die Bezeichnung des Beweisführers, 4) im Fall der Anordnung der Abnahme eines zu- oder zurückgeschobenen Eides die Eidesformel. Indessen wird auf Eidesleistung gewöhnlich erst durch bedingtes Endurteil erkannt. Die Beweisaufnahme erfolgt regelmäßig vor dem Prozeßrecht, nur ausnahmsweise wird sie einem Mitglied desselben (beauftragter Richter) oder einem andern Gericht (ersuchter Richter) übertragen.
Den Parteien ist gestattet, der Beweisaufnahme beizuwohnen. Ist es nach Lage der Sache möglich, so findet die Beweisaufnahme auch in Abwesenheit der ordnungsmäßig geladenen, aber nicht erschienenen Parteien statt. Ist die Beweisaufnahme aber ohne Anwesenheit einer oder beider Parteien nicht möglich, so wird die betreffende Partei mit ihrer Beweisführung in der Instanz ausgeschlossen. Neben diesem regelmäßigen oder ordentlichen Beweisverfahren kennt die deutsche Zivilprozeßordnung auch einen außerordentlichen Beweis. Dieser entspricht dem frühern gemeinrechtlichen Beweis zum ewigen Gedächtnis (probatio in perpetuam rei memoriam); die Zivilprozeßordnung gebraucht dafür die Bezeichnung »Sicherung des Beweises«.
Das regelmäßige Beweisverfahren findet nämlich dann statt, wenn sich in der mündlichen Verhandlung ergeben hat, daß streitige Parteibehauptungen noch eines Beweises bedürfen. Aber schon vor diesem Stadium, ja sogar schon vor der Klageerhebung kann zur Aufnahme eines Beweises geschritten werden, wenn zu besorgen ist, daß ein Beweismittel verloren gehen oder daß die Benutzung desselben erschwert werden könnte. Es gilt dies allerdings nur für die Augenscheinseinnahme und für die Vernehmung von Sachverständigen und Zeugen, wenn also z. B. der Tod eines hochbejahrten Zeugen zu befürchten ist, ehe er im ordnungsgemäßen Verlauf des Prozesses vernommen worden. Das zuständige Gericht ist das Prozeßgericht, bei welchem der betreffende Rechtsstreit anhängig ist. In Fällen dringlicher Gefahr kann das Gesuch auch bei dem Amtsgericht angebracht werden, in dessen Bezirk die zu vernehmenden Personen sich aufhalten oder der in Augenschein zu nehmende Gegenstand sich befindet. Ist ein Rechtsstreit noch gar nicht anhängig, so ist dieses Amtsgericht ausschließlich zuständig.
Die Gesamtheit derjenigen Regeln, welche in betreff der Art und Weise gelten, wie die richterliche Überzeugung von der Wahrheit oder Unwahrheit behaupteter und streitiger Thatsachen erbracht wird, nennt man die Beweistheorie. Das frühere Prozeßrecht machte die richterliche Überzeugung von bestimmten Beweisregeln abhängig (formelle Beweistheorie), während das moderne Recht das Prinzip der freien Beweiswürdigung aufgestellt und durchgeführt hat (materielle Beweistheorie). So bestimmt namentlich die deutsche Zivilprozeßordnung (§ 259) folgendes: »Das Gericht hat unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses einer etwanigen Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob eine thatsächliche Behauptung für wahr oder für nicht wahr zu erachten. An gesetzliche Beweisregeln ist das Gericht nur in den durch dieses Gesetzbuch bezeichneten Fällen gebunden.« Dabei ist jedoch zu beachten, daß auch nach der materiellen Beweistheorie der Richter sich nicht von Amts wegen das Beweismaterial zu verschaffen hat, und daß er seine Privatwissenschaft in dem Prozeßverfahren nicht benutzen kann.
Der Richter ist vielmehr an die von den Parteien ihm gelieferten Beweisthemata und Beweismaterialien gebunden.
Vgl. Deutsche [* 3] Zivilprozeßordnung, § 255 ff., 320 ff., 447 ff.; Endemann, Die Beweislehre des Zivilprozesses (Heidelb. 1860);
v. Bar, Recht und Beweis im Zivilprozeß (Leipz. 1867);
Langenbeck, Die Beweisführung in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten (Jena [* 4] 1868), und die Lehrbücher des Zivilprozeßrechts, auch die Kommentare zur deutschen Zivilprozeßordnung.
Beweis im Strafprozeß.
Auch im Strafverfahren wird der Ausdruck in verschiedenem Sinn gebraucht. Man versteht darunter den Inbegriff der für die Wahrheit oder Unwahrheit einer Thatsache sprechenden Gründe, und man bezeichnet auch das Beweismittel, also dasjenige, wodurch eine Thatsache nachgewiesen wird, als Beweis. Sodann versteht man unter Beweis die Beweisführung, das Beweisverfahren sowie das Ergebnis desselben. Im allgemeinen wird jeder erbrachte Beweis als solcher bezeichnet, im engern und eigentlichen Sinn jedoch nur der volle Beweis, welcher die volle Gewißheit einer behaupteten Thatsache ergibt. Die Beweismittel im Strafprozeß sind folgende: richterlicher Augenschein, Befund und Gutachten der Sachverständigen, Geständnis des Beschuldigten, Zeugnis und Urkunden, welche jedoch da, wo sie nicht den objektiven Thatbestand selbst bilden, kein selbständiges Beweismittel sind, sondern nur ein andres (z. B. Zeugnis, Geständnis) enthalten. (Vgl. die Artikel Augenschein, Geständnis, Sachverständiger, Urkunde und Zeuge.)
Man teilt den Kriminalbeweis nach verschiedenen Gesichtspunkten ein, nämlich:
1) nach dem Gegenstand, welchen er betrifft, in Anschuldigung- (Inkulpations-) und Entschuldigung- (Exkulpatians-) Beweis. Jener hat solche Thatsachen zum Gegenstand, welche sich auf die Schuld beziehen, dieser hingegen solche, welche die Freisprechung oder wenigstens die Milderung, bez. Minderung der Strafe bezwecken.
2) Nach der Art, wie die Wahrheit erkannt wird, ist der Beweis entweder ein natürlicher (unmittelbarer, direkter) oder ein künstlicher (mittelbarer, indirekter, rationaler), je nachdem er die Thatsachen, welche zum Umfang der Anschuldigung oder Entschuldigung gehören, selbst oder andre Thatsachen zum Gegenstand hat, von welchen auf die Wahrheit der erstern geschlossen werden kann. Man nennt diese Thatsachen auch Anzeigen, Indizien, weil sie vermöge ihrer eigentümlichen Beschaffenheit ¶
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auf die zu bewahrheitenden Thatsachen hinweisen oder mit diesen in einer innern Verbindung stehen, und den künstlichen Beweis deshalb auch Anzeigen- oder Indizienbeweis (s. Indiz).
3) Nach der Zahl der Beweismittel, durch welche die Gewißheit von einer bestimmten einzelnen Thatsache bewirkt wird, ist der ein einfacher oder ein zusammengesetzter, je nachdem diese Gewißheit durch eine einzige Gattung von Beweismitteln, z. B. durch Zeugnis, oder erst durch das Zusammenwirken mehrerer Gattungen, wovon eine einzige in ihrer speziell vorliegenden Beschaffenheit für sich allein zur Begründung derselben nicht genügt, erreicht wird. Es gehört also wesentlich zum Begriff des zusammengesetzten Beweises, daß keins der denselben bildenden Beweismittel für sich allein schon volle Gewißheit begründet. Wird daher irgend eine Thatsache, welche bereits durch eine einzige Gattung von Beweismitteln vollständig erwiesen ist, auch noch durch andre Beweismittel bewahrheitet oder wahrscheinlich gemacht, so ist kein zusammengesetzter Beweis, sondern eine harmonierende Konkurrenz von Beweisen vorhanden, welche in den meisten Fällen eintritt und natürlich die Gewißheit um so mehr begründet.
4) Endlich ist der Beweis, als Ergebnis der Beweisführung aufgefaßt, entweder ein vollständiger oder ein unvollständiger, je nachdem dieses Ergebnis in strafrechtlicher Gewißheit oder nur in einem mehr oder weniger hohen Grad von Wahrscheinlichkeit besteht. Die Verurteilung des Beschuldigten kann nur auf Grund eines vollständig erbrachten Anschuldigungsbeweises erfolgen, während zur Einleitung der Strafverfolgung und zur Erhebung der öffentlichen Klage der bloße Verdacht hinreicht. Die Eröffnung des Hauptverfahrens setzt hinreichenden Verdacht voraus; ebenso kann eine Untersuchungshaft nur dann verhängt werden, wenn dringende Verdachtsgründe vorhanden sind.
Gegenstand des Beweises ist im allgemeinen jede nicht schon völlig gewisse Thatsache, welche zur Begründung der Anschuldigung oder der Entschuldigung gehört oder mittel- oder unmittelbaren Einfluß auf jene oder diese hat. Der Begriff von Beweissatz im Sinn des Zivilprozesses fällt im Strafverfahren ganz hinweg, weil es nicht wohl möglich ist, die einzelnen Gegenstände der Beweisung im voraus zu bestimmen, da man bei dem Beginn des Verfahrens den ganzen Stoff und Umfang der Untersuchung in der Regel noch nicht kennt und im Verlauf derselben objektive und subjektive Umstände und Verhältnisse sich ergeben können, an die man früher gar nicht dachte.
Dagegen besteht hier, wie im Zivilprozeß, die Beweislast, d. h. die Verbindlichkeit zur Beweisung. Der anklagende Teil, er sei ein Privatkläger oder der Staat, hat die Pflicht, die Anschuldigungsbehauptungen zu beweisen, wenn die durch die Anklage bezweckte Verurteilung rechtlich möglich sein und im Erkenntnis ausgesprochen werden soll. Dagegen kann man nicht dem Beschuldigten eine Verpflichtung zum Beweis seiner Unschuld auflegen; nicht er hat seine Unschuld, sondern ihm ist seine Schuld zu beweisen. Ein abgesondertes Beweisverfahren, wie im Zivilprozeß, gibt es im Strafprozeß nicht, sondern der ganze Prozeß ist Beweisverfahren und Beweisaufnahme (s. Strafprozeß).
In dem heutigen, auf Grundlage der Mündlichkeit, Öffentlichkeit und Anklageschaft beruhenden Strafverfahren gibt es keine gesetzliche Beweistheorie; das Gericht hat die einzelnen vorgeführten Beweismittel in Ansehung ihrer Glaubwürdigkeit sowohl einzeln als in ihrem Zusammenwirken sorgfältig und gewissenhaft zu prüfen. Über die Frage, ob eine Thatsache als erwiesen anzunehmen sei oder nicht, entscheiden nicht gesetzliche Beweisregeln, sondern lediglich die freie, auf der gewissenhaften Prüfung gewonnene Überzeugung des Richters, entsprechend der materiellen Beweistheorie im Zivilprozeß.
Das Strafgesetz sagt also nicht: Es muß eine Thatsache für wahr angenommen werden, die von dieser oder jener Anzahl von Zeugen bekundet wird, oder: Es darf nicht ein Beweis als hinreichend geführt angesehen werden, der nicht auf diesen oder jenen Urkunden, auf so und so viel Zeugen oder Anzeichen beruht, sondern es liegt einzig die Frage dem Richter vor: Bist du durch die vorgelegten Beweise vollkommen überzeugt, daß der Angeklagte des Verbrechens, welches ihm nach Inhalt der Anklage zur Last gelegt ist, schuldig sei oder nicht, und von der Entscheidung dieser Frage allein hängt die Verurteilung oder Freisprechung des Angeklagten ab, wie die deutsche Strafprozeßordnung sagt (§ 260): »Über das Ergebnis der Beweisaufnahme entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung«.
Vgl. Deutsche Strafprozeßordnung, § 48 ff., 243 ff.
Vgl. außer den Lehrbüchern des Strafrechts und den Kommentaren zur deutschen Strafprozeßordnung Mittermaier, Theorie des Beweises in peinlichen Sachen (Darmst. 1821);
Derselbe, Die Lehre [* 6] vom Beweis im deutschen Strafprozeß (das. 1834);
v. Bar, Recht und Beweis im Geschwornengericht (Hannov. 1865);
Glaser, Zur Lehre vom Beweis im Strafprozeß (Leipz. 1883);
Rupp, Der Beweis im Strafverfahren (Freiburg [* 7] 1884).