(spr. -ōs),Hector, berühmter franz.
Komponist, geb. zu
La CôteSt.-André unweit
Grenoble,
[* 21] wurde
von seinem
Vater, einem dortigen
Arzt, zu dem gleichen
Beruf bestimmt und erhielt demgemäß eine vorwiegend wissenschaftliche
Erziehung. Mit äußerst bescheidenen musikalischen Kenntnissen kam er 1822 nach
Paris,
[* 22] um
Medizin zu studieren; doch vertauschte
er dies
Studium bald mit dem der
Musik, freilich gegen den
Willen seines
Vaters, der ihm sogar seine Unterstützung entzog, so
daß Berlioz gezwungen war, als
Chorist des
TheatersGymnase dramatique seinen Lebensunterhalt zu verdienen. 1826 als
Schüler ins
Konservatorium aufgenommen, fand er im
Direktor der Anstalt,
Cherubini,
zwar einen Gegner, dafür aber in LeSueur
einen auf sein
Wesen liebevoll eingehenden
Lehrer, und von diesem gefördert, konnte er 1830 mit einer
Kantate:
»Sardanapale«,
den sogen. römischen
Preis gewinnen, infolgedessen er einen 18monatlichen Aufenthalt in
Rom und
[* 23]
Neapel
[* 24] nehmen durfte.
Schon früher war er in
Paris als
Komponist öffentlich aufgetreten, zuerst 1828 mit den
Ouvertüren: »Waverley« und »Les
francs juges«, das Jahr darauf mit der fünfsätzigen
Symphonie
»Épisode de la vie d'un artiste«, in welcher die charakteristischen
Merkmale seines gesamten
Schaffens schon deutlich zu
Tage traten: das
Streben, einen dichterischen
Gedanken
in
Tönen zu versinnlichen, und ein dem entsprechender Aufwand instrumentaler
Mittel sowie jene Überschwenglichkeit der
Phantasie
und
Freiheit der formalen Gestaltung, welche die damals in
Frankreich zum Durchbruch gekommene
Romantik im allgemeinen kennzeichneten.
Alle diese Werke erregten
durch die Originalität der
Erfindung und die von den bisherigen
Mustern völlig abweichende Form ein ungemeines Aufsehen,
wogegen der
Versuch des Künstlers, mit der
Oper
»Benvenuto Cellini« (1838) auf der
Bühne festen
Fuß zu
fassen, völlig mißlang.
Inzwischen war auch als musikalischer Schriftsteller mit Erfolg thätig gewesen, zuerst 1828 als Mitarbeiter des »Correspondant«,
dann der 1834 gegründeten
»Gazette musicale«, endlich des
»Journal des Débats«. Die Vorteile, die ihm aus dieser
Stellung
erwuchsen, büßte er jedoch zum Teil wieder ein durch die rücksichtslose
Schärfe seiner
Kritik, welche
ihm zahlreiche Feinde zuzog. Von der
Haltung des
PariserPublikums im ganzen wenig befriedigt, beschloß er, 1843 eine größere
Kunstreise zu unternehmen, die ihn zunächst nach Norddeutschland führte, wo er meist mit
Begeisterung aufgenommen wurde
und unter andern in
Griepenkerl
(Braunschweig),
[* 26]
Rob. Schumann und
Lobe
(Leipzig)
[* 27] warme Verehrer seiner
Kunst
fand.
Zwei Jahre später bereiste er
Österreich und
Ungarn
[* 28] und 1847, nachdem er das Jahr zuvor seine Symphoniekantate »La damnation
de
Faust« in
Paris zur Aufführung gebracht, Rußland, wo er noch mehr als in
Deutschland gefeiert wurde. 1852 besuchte er zum
zweitenmalDeutschland und verweilte diesmal längere Zeit in
Weimar
[* 29] bei
Liszt, der schon seit
Jahren für
die Verbreitung der Berliozschen
Musik thätig gewesen war. Von seinen spätern
Kompositionen sind zu erwähnen: das
Mysterium
»L'enfance de
Christ« (1854),
welches ihm die
Ehre der Mitgliedschaft der
Akademie eintrug,
die komische
Oper »Béatrice et
Bénédict« (1862 in
Baden
[* 30] und später in
Weimar aufgeführt) und die große
Oper »Les Troyens« (1866 im lyrischen
Theater
[* 31] zu
Paris aufgeführt). Mit diesem Werk, welches er als sein bestes bezeichnete,
das
Publikum jedoch abermals ablehnte, nahm Berlioz
Abschied von der
PariserÖffentlichkeit. Er starb in
Paris, nachdem er noch das
¶
mehr
Jahr zuvor eine dritte Reise nach Rußland unternommen, die ihm die höchsten Ehren eingebracht hatte. Während seiner letzten
Lebensjahre von seinen Landsleuten wenig beachtet, wurde er nach seinem Tod Gegenstand der Aufmerksamkeit des französischen
Publikums, und neuerdings sind seine größern Werke in Paris durch wiederholte Aufführungen fast populär geworden.
Selten oder nie sind die Meinungen in künstlerischen Dingen so geteilt gewesen wie in Bezug auf Berlioz' Musik,
und noch jetzt steht der Partei, die ihn als den französischen Beethoven betrachtet, eine andre schroff gegenüber, welche
seiner Kunst jeglichen Wert abspricht. Nur über seine Meisterschaft in der Behandlung des Orchesters, dessen
Ausdrucksfähigkeit er noch über Beethoven hinaus steigerte, ist man in allen Künstlerkreisen einerlei Meinung, und sein
»Traité d'instrumentation« (Par. 1844; deutsch von A. Dörffel, Leipz.
1864) hat ungeteilten Beifall gefunden.
Das Gleiche gilt von seinen übrigen Schriften, welche nicht nur den geistreichen Menschen und Musiker, sondern auch eine edle,
ausschließlich dem Ideal zugewandte Künstlernatur in jeder Zeile erkennen lassen. Es sind dies: »Voyage
musical en Allemagne, etc.« (1844);
»Les soirées de l'orchestre« (1853);
»Les grotesques de la musique« (1859) und »A
travers chants« (1862, 2. Aufl. 1872), beide letztere vorwiegend humoristischen Inhalts.
Die meisten dieser Schriften erschienen
in deutscher Übersetzung von RichardPohl (Leipz. 1864, 4 Bde.). Nach
seinem Tod erschienen die kurz vorher von ihm verfaßten, auch Briefe enthaltenden »Mémoires« (Par. 1870; 2. Aufl. 1878, 2 Bde.;
seine Reisen in Italien, Deutschland, Rußland und England betreffend) und »Correspondance inédite 1819-68« (das.
1878).