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Bevölkerung.
Die Bevölkerung Berlins hat sich in den letzten Jahrzehnten in fast beispielloser Weise vermehrt. Während dieselbe 1820: 201,900 Personen (darunter 16,071 Militär) betrug, stieg sie bis 1849 auf 410,726, 1871: 826,341, 1875: 966,858, 1880: 1,122,330. Ende August 1883 hatte Berlin [* 2] 1,226,378 Personen (darunter 20,587 Militär). Am betrug die Gesamtzahl der Bevölkerung [* 3] 1,266,645.
Der Überschuß der Gebornen über die Gestorbenen in der Zeit vom August 1883 bis ebendahin 1884 war 6693, der Überschuß der Zugezogenen über die Fortgezogenen für die gleiche Zeit 10,178. Geboren wurden im Jahr 1883: 23,512 Knaben, 22,426 Mädchen, worunter 966 männliche u. 741 weibliche Totgeborne. Unehelich geboren wurden 6166, darunter 313 Totgeborne. 12,252 Eheschließungen fanden statt. Gestorben sind 18,396 männliche, 16,660 weibliche Personen.
Die Zahl sämtlicher im Weichbild Berlins belegener bebauter Grundstücke belief sich auf 18,818. Seit 1877 hat sich die Zahl der kleinen und großen Wohnungen unverhältnismäßig vermehrt, während die der mittlern relativ abgenommen hat, wie folgende Übersicht zeigt:
Mietswert | bis 450. | 451-1350. | 1351-4500. | 4501 Mk. u. mehr |
---|---|---|---|---|
1877: | 23.03 | 28.15 | 29.69 | 19.15 Proz. |
1883: | 26.50 | 26.85 | 27.00 | 20.04 " |
Der Religion nach hat Berlin eine überwiegend evangelische Bevölkerung; die Katholiken nehmen 7 Proz., die Juden 5 Proz. derselben ein. Die evangelische Landeskirche umfaßt (1880) 972,209 Seelen und zerfällt in 5 Personalgemeinden (eine derselben bildet die französische Kolonie), 4 Superintendenturen mit 30 Parochien teils mit königlichem, teils mit städtischem Patronat. Im J. 1880 betrug die Zahl der Römisch-Katholischen 79,647, der Separatisten 10,662, der Juden 53,916.
Berlin-Dresdener Eisen

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Berliner.Der Charakter der Berliner [* 4] läßt sich schwer bestimmen, da im Lauf der Zeit die verschiedensten Elemente durch Zuzug von Fremden Platz gegriffen haben. Nach statistischen Berechnungen fließt in den Adern der Berliner 37 Proz. germanisches, 39 Proz. romanisches und 24 Proz. slawisches Blut. Aus dieser Mischung und den gegebenen Verhältnissen entwickelte sich mit der Zeit der eigentümliche Typus des Berliners, der all die guten und schlechten Eigenschaften der verschiedenen Nationalitäten, Rassen und Stämme in sich vereint: die Ausdauer, Zähigkeit und Gemütlichkeit des Deutschen, aber auch das Phlegma, die Schwerfälligkeit und Rechthaberei des Germanen;
die Tapferkeit, Leichtlebigkeit und den Esprit des Franzosen, aber auch gallische Heißblütigkeit, Eitelkeit, Großsprecherei und Rauflust;
die Anstelligkeit, Sprachfertigkeit und schnelle Fassungsgabe der Slawen, aber auch ihre Sorglosigkeit, Launenhaftigkeit und Genußsucht.
Von Natur ist der Berliner gutmütig, leicht gerührt, in hohem Grad wohlthätig und unter Umständen großer Opfer fähig. Dagegen ist er ebenso leicht aufbrausend, zum Streit geneigt, rechthaberisch und spottsüchtig. Er kann keinen guten oder schlechten Witz unterdrücken; das »Nil admirari« findet unter den Berlinern zahlreiche Vertreter.
Blutbewegung (chemisch

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Blüte.Industrie. Handel und Verkehr etc.
Berlin ist als Fabrik- und Handelsplatz von größter Bedeutung und liegt auch nach dieser Richtung keineswegs so ungünstig, wie dem oberflächlichen Blick eine Gründung inmitten der brandenburgischen Sandflächen erscheinen möchte. In neuerer Zeit hat sich, begünstigt durch Lage und Verbindung, durch Kapital und Intelligenz wie durch Erweiterung der Bezugs- und Absatzquellen die Industrie zu hoher Blüte [* 5] entwickelt. Namentlich behauptet in Geweben, Eisen- und Stahlwaren sowie in den Nährgewerben einen hohen Rang.
Alt ist die Wollindustrie, die sich in neuerer Zeit mächtig erweitert hat u. neue Zweige, wie Orléans, [* 6] Shawls, Teppiche, Strumpfwaren u. a., umfaßt. Die früher bedeutende Seidenfabrikation hat sich neuerdings von Berlin zurückgezogen. Dagegen sind Färberei und Druckerei in Wollgarnen, Seide [* 7] und Baumwolle [* 8] sowie das Konfektions- und Modewarengeschäft äußerst wichtige Industriezweige. Der Umsatz in Damenmänteln allein wertet jährlich ca. 100 Mill. Mk., wovon ⅔ exportiert werden.
Von wunderbarem Aufschwung ist ferner der Maschinenbau, in welchem jetzt über 100 Etablissements arbeiten, von denen einzelne, die von Borsig (s. d.) und Schwarzkopff (jetzt Aktiengesellschaft), weltberühmt sind. Hand [* 9] in Hand mit der Berliner Maschinenfabrikation geht der Bau von Eisenbahn-, Post- und gewöhnlichen Wagen, Nähmaschinen [* 10] (Frister u. Roßmann), Stahlfedern, feuerfesten Geldschränken, Chronometern, elektrischen Telegraphenapparaten (Siemens u. Halske), die Feinmechanik überhaupt sowie die Bijouterie.
Lampen

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Lampen.Sehr bedeutend ist ferner die Fabrikation von Quincaillerie, Neusilberwaren, Kautschuk- und Guttapercha-Artikeln, Seife (1884 ca. 125,000 metr. Ztr.), Chemikalien (Schering), Lackier-, Bronze-, Zinnspielwaren, Lampen, [* 11] Holzarbeiten, Dachpappe, Marmorwaren, wohlriechenden Wässern und vegetabilischen Ölen, Asphalt- und Zementteer, Porzellan (die Ausfuhr von Porzellanwaren per Bahn betrug 1884: 37,690 metr. Ztr.), Öfen [* 12] und andern Thonwaren [* 13] (die königliche Porzellanmanufaktur, gegründet 1763), Pianofortes (die vier größten Fabriken stellten 1884 zusammen 1050 Flügel und 3041 Pianinos her) und andern musikalischen Instrumenten (insbesondere Akkordions und Melodions, worin Berlin die Hauptbezugsquelle des Auslandes ist), Möbeln, Papier, Tapeten, Handschuhen, Strohhüten und künstlichen Blumen sowie die Bierbrauerei. [* 14]
Von den 55 in in Betrieb befindlichen Brauereien brauten 1884: 21 Lagerbier, die übrigen Weiß-, Bitter- und Braunbier. Diese Brauereien versteuerten 491,675 metr. Ztr. Malz und zahlten dafür an Brausteuer 1,996,000 Mk. Die Produktion obergäriger Biere betrug 1883-84: 723,302 hl, die der untergärigen 1,417,605 hl. Zahlreiche Gärtnereien kultivieren nicht allein alle inländischen Gewächse (darunter eine berühmte Blumenzwiebelzucht, deren Erzeugnisse selbst als Haarlemer Zwiebeln in den Verkehr kommen), sondern auch, unterstützt von dem Akklimatisationsverein, viele ausländische, in neuester Zeit sogar hinterasiatische Pflanzen.
Außerdem gehört Berlin zu den Hauptsitzen des deutschen Buchhandels (man zählt etwa 600 Buch-, Kunst- und Musikalienhandlungen) und der dazu gehörigen Gewerbe, als Papierfabrikation, [* 15] Buchdruckerei, Lithographie, Buchbinderei u. dgl. In der Gestaltung der Berliner Industrie ist im letzten Jahrzehnt dadurch eine bemerkenswerte Änderung eingetreten, daß eine große Reihe der größern Etablissements in die Hände von Aktiengesellschaften übergegangen sind. Im J. 1882 gab es aber nur noch 189 Aktiengesellschaften, nachdem eine große Anzahl, die in leichtfertiger Weise gegründet war, mit großem Verlust für die Aktionäre ein trauriges Ende erreicht hat.
Berlin (Handel und Ver

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Seite 2.757.Hauptartikel des Berliner Warenhandels sind Getreide, [* 16] Spiritus, [* 17] Vieh, Wolle und Brennstoffe. Aus den sämtlichen fruchtreichen Ostprovinzen Preußens [* 18] und aus Österreich [* 19] gehen enorme Sendungen von ¶
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Getreide und Hülsenfrüchten nach Berlin, teils zu eignem Konsum, teils zum Export über Hamburg [* 21] und Stettin. [* 22] Der Umsatz belief sich 1884 auf 13,093 Ton. Weizen, 67,549 T. Roggen, 43,710 T. Gerste, [* 23] 93,870 T. Mehl. [* 24] So ist Berlin der Sitz einer bedeutenden Getreidespekulation, der die großen Kapitalien und Geldinstitute wie die trefflichen Lagerräume und übrigen Einrichtungen günstig sind. Auch in Spiritus rivalisiert Berlin mit Hamburg, obschon gerade die letzten Jahre dem Geschäft weniger günstig waren. 1884 stand einer Zufuhr von 49,5 Mill. Lit. eine Ausfuhr ins Ausland von 23,3 Mill. L. gegenüber.
Lager (militärisch)

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Lager.Der fünftägige Juni-Wollmarkt vermittelt den Hauptumsatz in feiner, mittlerer und ordinärer Wolle (1884 wurden daselbst 42,000 metr. Ztr. zum Verkauf gestellt, überhaupt (1884) 84,000 metr. Ztr. deutsche und russische Wollen und 43,000 Ballen Kapwolle). An Steinkohlen gingen 1884 zum Lager [* 25] und Konsum ein 1,510,955 T. zu 1000 kg; die Einfuhr von Petroleum betrug fast 35 Mill. kg. Die Börse, täglich von 3500 Personen besucht, ist im Staatspapier- und Aktienhandel Norddeutschlands Hauptbörse, nach welcher sich Hamburg, Leipzig [* 26] und Frankfurt [* 27] a. M. richten. In naher Beziehung zur Börse steht die Bank des Berliner Kassenvereins (seit 1850). Die Geldoperationen werden außerdem durch die großartige Thätigkeit der Bankinstitute, voraus die Reichsbank (mit 120 Mill. Mk. eingezahltem Kapital), erleichtert; andre bedeutende Geldinstitute sind: die Diskontogesellschaft (mit 60 Mill. Mk. Kapital), die Deutsche [* 28] Bank (mit 60 Mill. Mk.), Preußische Bodenkreditbank (30 Mill. Mk.), Berliner Handelsgesellschaft (20 Mill. Mk.), Nationalbank für Deutschland [* 29] (20 Mill. Mk.), Zentralbodenkredit-Aktiengesellschaft (14,4 Mill. Mk.). Zu diesen Anstalten gehört auch die Königliche [* 30] Seehandlung, die, ursprünglich zu überseeischem Handel und Reederei gegründet, diese Zweige aufgegeben und sich hauptsächlich auf Geldgeschäfte beschränkt hat (vgl. Banken).
Was die Beförderungsmittel anlangt, so hat Berlin neben einem sehr regen Schiffahrtsverkehr auf der Spree und dem Landwehrkanal jetzt 14 Eisenbahnen (Niederschlesisch-Märkische, Ostbahn, Stettiner, Nordbahn, Hamburger, Lehrter, Wetzlarer [B.-Blankenheim], Potsdam-Magdeburger, Anhaltische, Dresdener, Görlitzer, Militärbahn, die Stadtbahn und die Ringbahn). Die Stadtbahn ist 11,26 km lang, viergeleisig und wurde im Februar 1882 eröffnet; sie verbindet den Schlesischen u. den Charlottenburger Bahnhof. Berlin besitzt 54 Telegraphenämter, 24 Rohrpostämter und 100 gewöhnliche Postämter. Während 1880 die Stadtbriefe (einschließlich der Drucksachen und Warenproben) und Postkarten, welche zur Versendung kamen, die Höhe von 37,954,596 hatten, erreichten sie 1883 die Höhe von 45,312,730 Stück. Neben der Rohrpost und Telegraphie kommt in jüngster Zeit das Telephon immer mehr zur Geltung. Im April 1885 waren über 6000 Personen und Behörden direkt angeschlossen, während 9 öffentliche Fernsprechstellen in Thätigkeit waren.
An öffentlichen Fuhrwerken waren am vorhanden: 1742 Droschken erster Klasse, 2350 Droschken zweiter Klasse, 152 Gepäckdroschken, 389 Thorwagen, 135 Omnibusse, 689 Pferdebahnwagen, welche drei Gesellschaften gehören;
Pferde II

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Pferde.im öffentlichen Fuhrwesen wurden insgesamt 11,220 Pferde [* 31] beschäftigt.
Die Pferdebahn, die noch eine große Zukunft hat, erweitert ihr Schienennetz beständig. Befördert wurden 1883 im Omnibus 15,2 Mill., mit der Pferdebahn 70,5 Mill., mit Stadt- und Ringbahn 12,4 Mill. Personen. Die die Spree befahrenden und die nächsten Vergnügungsorte (wie Treptow, Stralau etc.) mit Berlin verbindenden Dampfschiffe beförderten 1883: 263,169 Personen. Eine 1884 gegründete Aktiengesellschaft, Berliner Paketfahrtgesellschaft, befördert die Pakete etc. innerhalb Berlin zu einem sehr geringen Preis.
Diesen großen Unternehmungen des Staats und der Privatgesellschaften kann die Kommune einige würdig an die Seite stellen, so die städtische Gasanstalt (neben der für einen geringern Umfang eine englische besteht), die städtische Wasserleitung, [* 32] welche 1874 einer englischen Aktiengesellschaft für 25⅔ Mill. Mk. abgekauft worden ist, und die sich ihrer Vollendung nähernde unterirdische Kanalisierung mit Berieselung. Von ältern städtischen Instituten sind zu erwähnen: die Sparkasse, mit (1882) 13,591,809 Mk. Einzahlungen (das Guthaben erreichte einen Gesamtbetrag von 36,164,813 Mk.), und die städtische Feuersocietät, die auf einem zwangsweise auferlegten Beitritt sämtlicher Grundstücke beruht.
Rinder

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Rinder.Ein ausgezeichnetes Institut ist ferner die in ihrer Einrichtung einzig dastehende Feuerwehr (1851 durch Scabell gegründet), die 1882/83: 1,386,602 Mk. kostete und außer 11 Offizieren ein Personal von 779 Mann (mit 112 Pferden) besaß. Die Direktion hat ihren Sitz in der Lindenstraße, woselbst sich ein Turn- und Exerzierplatz befindet; daneben bestehen 6 Depots und 20 Feuerwachen. Als großartigstes städtisches Institut zeigt sich der 1881 eröffnete Viehhof mit Schlachthäusern in der Eldenaer Straße vor dem Frankfurter Thor mit einem Flächeninhalt von 38,5 Hektar. Es wurden an Schlachtvieh zu Markte gebracht 1884: 147,220 Rinder, [* 33] 431,533 Schweine, [* 34] 108,374 Kälber, 687,447 Hämmel;
davon wurden exportiert 1884: 42,623 Rinder, 90,016 Schweine, 3000 Kälber, 416,569 Hämmel, während die übrigen Tiere in Berlin verzehrt wurden.
Auf dem Viehhof geschlachtet wurden 1884: 93,546 Rinder, 258,538 Schweine, 75,587 Kälber, 17,585 Hämmel.
Die Armenverwaltung Berlins, welche bis zur Publikation der Städteordnung vom vom Staat geführt wurde, wird jetzt von der Kommune geleitet. Es wurden für die Armenpflege im Etatsjahr 1883/84: 7,568,654 Mk verausgabt und unterstützt 15,236 Almosenempfänger mit 2,013,515 Mk., 4442 Pflegemütter für 6942 Pflegekinder mit 479,152 Mk. und für 34,343 Extra-Unterstützungen 254,032 Mk. verausgabt. 223 Knaben und 68 Mädchen waren in Zwangserziehung, 171 Gemeinde-Waisenratskommissionen mit 792 Mitgliedern und 382 Pflegerinnen waren in Thätigkeit. Die Ausgaben der Waisenpflege betrugen 681,398 Mk.
Wohlthätigkeitsanstalten besitzt in einem anderswo kaum gekannten Maß. Die hauptsächlichsten sind: unter Kommunalverwaltung das Friedrichs-Waisenhaus mit der großen Waisenanstalt zu Rummelsburg (hier waren 495 von den 4325 Waisenkindern, welche sich in Pflege befanden);
das Friedrich-Wilhelms-Hospital in Verbindung mit verschiedenen kleinern Hospitälern und Stiftungen;
das Nikolaus-Bürgerhospital (für alte Personen männlichen Geschlechts);
die Wilhelminen-Amalien-Stiftung (für Frauen und Jungfrauen aus höhern Ständen).
Den letztern Zweck verfolgen auch die Rother-Stiftung und das Wilhelmstift in Charlottenburg, [* 35] die von höhern königlichen Beamten gegründet sind. Daneben bestehen zahlreiche Institute der französischen, katholischen und jüdischen Gemeinde, und außerdem wird eine Anzahl von Anstalten von Privatvereinen unterhalten, so ein Magdalenen-, ein Johannisstift, 2 Mägdeherbergen, ein Asyl für Obdachlose (1883 wurden 105,241 Männer und 19,917 ¶