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befördert. Die Länge der Landstraßen betrug Ende 1881: 8734 km, davon gehörten 6803 km dem Staat. Für Münzen, Maße und Gewichte gilt jetzt das französische System. Es werden Silberstücke zu 5, 2½, 2, 1, ½ und ⅕ Fr., Nickelmünzen zu 20, 10 und 5, Kupfermünzen zu 2 und 1 Cent. geschlagen. Goldstücke sind 1848-51 zu 25 und 10 Fr. geprägt worden, doch wurde das fernere Prägen derselben durch Gesetz von 1850 aufgehoben, die Zirkulation des französischen Goldes indessen 1861 von den Kammern bewilligt. Von den Maßen heißt das Meter in Belgien Aune, das Liter (für Getreide) Litron und das Hektoliter (für Flüssigkeiten) Baril.
Staatsverfassung und Verwaltung.
Der Staatsverfassung zufolge ist Belgien eine konstitutionelle Monarchie. Die Dynastie ist Sachsen-Koburg-Gotha, jetziger König: Leopold II. (Ludwig Philipp Maria Viktor), König der Belgier, Herzog zu Sachsen, Prinz von Sachsen-Koburg und Gotha (geb. 1835, katholischer Konfession), der seinem Vater Leopold I. 10. Dez. 1865 succedierte. Der Kronprinz führt den Titel »Herzog von Brabant«, der nächstgeborne Prinz den Titel »Graf von Flandern«. Der König bezieht eine Zivilliste von 3,5 Mill. Fr. Die belgische Konstitution vom 7. Febr. 1831 gewährt unter allen europäischen Konstitutionen die größte Summe politischer Freiheiten. Die Hauptzüge derselben sind folgende: Alle Belgier sind vor dem Gesetz gleich. Die persönliche Freiheit ist jedem zugesichert. Außer der Ergreifung auf der That kann niemand anders verhaftet werden als infolge einer richterlichen motivierten Verfügung. Die Wohnung ist unverletzlich. Die Freiheit eines jeden religiösen Kultus sowie seiner öffentlichen Ausübung ist zugesichert. Die bürgerliche Trauung muß immer der priesterlichen Einsegnung vorhergehen. Der Unterricht ist frei, der auf Kosten des Staats erteilte öffentliche Unterricht wird durch ein Gesetz geregelt. Die Presse ist frei; die Zensur kann nie eingeführt, noch darf vom Verfasser, Verleger oder Drucker Kaution verlangt werden. Ist der Verfasser einer Schrift bekannt und in Belgien wohnhaft, so kann der Herausgeber, Drucker oder Verbreiter derselben nicht verfolgt werden. Die Belgier haben das Recht, sich friedlich und ohne Waffen zu versammeln, sich zu associieren, und bedürfen keiner besondern obrigkeitlichen Erlaubnis dazu. Alle Staatsgewalt geht von der Nation aus; die gesetzgebende Gewalt wird von dem König, der Kammer der Repräsentanten und dem Senat gemeinschaftlich ausgeübt. Ein jedes auf die Staatseinnahmen und Ausgaben sowie auf das Kontingent der Armee bezügliche Gesetz muß zuerst in der Repräsentantenkammer votiert werden. Der König besitzt die ausübende Gewalt, wie sie in der Verfassung bestimmt ist. Die richterliche Gewalt wird durch die Appellationshöfe und die Bezirksgerichte ausgeübt. Die ausschließlich die Gemeinden und Provinzen betreffenden Angelegenheiten werden durch Gemeinde- und Provinzialräte geordnet. Die Kammer der Repräsentanten besteht aus 132 unmittelbar von den Bürgern gewählten Abgeordneten, welche mindestens 21 Jahre alt sein müssen und den durch das Wahlgesetz bestimmten direkten Steuerbetrag (nicht unter 42 Fr.) zahlen. Das Wahlgesetz bestimmt nach der Bevölkerung die Zahl der Abgeordneten, welche das Verhältnis von einem Abgeordneten auf 40,000 Einw. nicht übersteigen darf. Um gewählt werden zu können, muß man Belgier von Geburt oder durch die große Naturalisation sein, im Genuß der bürgerlichen und politischen Rechte sich befinden, volle 25 Jahre alt sein und in Belgien seinen Wohnsitz haben. Die Mitglieder der Repräsentantenkammer werden auf 4 Jahre gewählt und alle 2 Jahre zur Hälfte erneuert; sie beziehen Diäten (monatlich 240 Fr.). Die Mitglieder des Senats werden nach Maßgabe der Bevölkerung einer jeden Provinz durch dieselben Bürger gewählt, welche die Mitglieder der Repräsentantenkammer wählen. Der Senat besteht aus der Hälfte der Mitgliederzahl der Repräsentantenkammer (66). Die Senatoren werden auf 8 Jahre gewählt und alle 4 Jahre zur Hälfte erneuert. Diäten beziehen die Senatoren nicht. Die Bedingungen der Wahlfähigkeit sind dieselben wie bei der Kammer der Repräsentanten; nur muß man wenigstens 40 Jahre alt sein und wenigstens 2116 Fr. direkte Steuern bezahlen. In den Provinzen, wo die Zahl der Bürger, welche diese Steuer bezahlen, nicht das Verhältnis von 1 auf 6000 erreicht, wird sie durch die am höchsten Besteuerten der Provinz vervollständigt. Die verfassungsmäßigen Gewalten des Königs sind erblich in seiner rechtmäßigen Nachkommenschaft von Mann zu Mann nach der Ordnung der Erstgeburt, mit beständiger Ausschließung der Frauen und ihrer Nachkommenschaft. In Ermangelung männlicher Nachkommen kann der König mit Zustimmung der Kammern seinen Nachfolger ernennen. Die Person des Königs ist unverletzlich, seine Minister sind verantwortlich. Kein vom König ausgehender Akt ist gültig ohne die Mitunterzeichnung eines Ministers, der für dessen Inhalt verantwortlich ist. Der König ernennt und entläßt die Minister, er verleiht die Grade in der Armee und ernennt zu den Ämtern für die allgemeine Staatsverwaltung und die auswärtigen Angelegenheiten. Er befehligt die Land- und Seemacht, erklärt Krieg, schließt Frieden, Bündnisse und Handelsverträge. Diese sowie alle diejenigen Verträge, welche den Staat belasten oder einzelne Belgier verpflichten, treten erst in Kraft, wenn sie die Zustimmung der Kammern erhalten haben. Der König sanktioniert die Gesetze und verkündigt sie, darf auch die Kammern auflösen, kann sie aber auf nicht länger als einen Monat vertagen. Er hat das Recht, richterlich zuerkannte Strafen zu mildern oder zu erlassen, Münzen schlagen zu lassen und Adelstitel zu verleihen, ohne aber irgend ein Vorrecht daran knüpfen zu können. Seine Zivilliste wird für die Dauer seiner Regierung festgesetzt. Beim Tode des Königs versammeln sich die Kammern ohne Zusammenberufung spätestens am zehnten Tag nach dem Ableben. Vom Tode des Königs bis zur Eidesleistung des Thronfolgers oder Regenten wird die königliche Gewalt im Namen des belgischen Volks vom Ministerrat ausgeübt. Der König ist volljährig mit zurückgelegtem 18. Jahr; er nimmt nicht eher vom Thron Besitz, als bis er in der Mitte der Nationalrepräsentation einen feierlichen Eid auf die Verfassung geleistet hat. Bei der Minderjährigkeit oder Regierungsunfähigkeit des Königs treffen die Kammern Vorkehrungen für die Einsetzung der Regentschaft und der Vormundschaft. Die Regentschaft kann nur einer Person übertragen werden; während derselben kann keine Abänderung des Grundgesetzes stattfinden. Residenz des Königs ist Brüssel, als Lustschloß und Sommerresidenz dient Laeken.
Was die Staatsverwaltung betrifft, so bilden die vom König gewählten Minister (7) mit dem Kabinettssekretär und dem Intendanten der Zivilliste das Staatsministerium; allen Ministern, mit Ausnahme des Kriegsministers, sind Generalsekretäre beigegeben. Die Minister haben in den Kammern nur dann Stimmrecht, wenn sie Mitglieder derselben sind; sie haben aber Zutritt zu jeder Kammer und müssen
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auf ihr Verlangen gehört werden. Sie sind verantwortlich und können von der Kammer der Repräsentanten angeklagt werden. Der König kann einen durch den Kassationshof verurteilten Minister nur auf Verlangen einer der beiden Kammern begnadigen. Die Provinzial- und Gemeindeverfassung Belgiens stellt Provinz und Gemeinde als selbständige Autoritäten hin, die nur insofern einer Einwirkung der Zentralgewalt unterliegen, als ihre Beschlüsse Veranlassung zu Konflikten mit den allgemeinen Interessen des Landes geben können. Die Grundzüge der Provinzialverfassung bestehen nach dem Provinzialgesetz vom 30. April 1836 (zuletzt 13. und 16. Mai 1878 abgeändert) in folgenden Bestimmungen. In jeder Provinz bestehen ein Provinzialrat und ein Kommissar der Regierung, welcher den Titel Gouverneur führt und vom König ernannt und abgesetzt wird. Das Wahlrecht zum Provinzialrat steht jedem Belgier zu, welcher 21 Jahre alt ist und 20 Fr. an direkten Steuern bezahlt. Der Provinzialrat wählt aus seiner Mitte einen beständigen Ausschuß von sechs Mitgliedern, welcher unter dem Präsidium des Gouverneurs alle Funktionen und Rechte des Provinzialrats vertritt, deren Vollziehung keinen Aufschub gestatten. Wahlfähig sind die, welche zur Wahl für die Repräsentantenkammer geeignet sind, mindestens seit 1. Jan. des Jahrs, in welchem die Wahl stattfindet, in der betreffenden Provinz ihren Wohnsitz haben und weder zu den Verwaltungs- noch zu den Finanzbeamten der Provinz gehören. Der Provinzialrat versammelt sich jährlich in dem Hauptort der Provinz am ersten Dienstag des Monats Juli zu ordentlicher Session; der König kann in außerordentlicher Weise zusammenberufen. Die Dauer der ordentlichen Sitzung ist 14 Tage, kann aber ohne Zustimmung des Gouverneurs nicht um mehr als 8 Tage verlängert werden. Der Provinzialrat ernennt die Provinzialbeamten, reguliert die Rechnungen der Provinz und stellt ihr Budget fest. Er verteilt das Kontingent der direkten Steuern unter die Gemeinden und erläßt die Reglements für die innere Verwaltung und die öffentliche Polizei in der Provinz. Seine Beschlüsse sind in finanziellen und Verwaltungsangelegenheiten der königlichen Bestätigung unterworfen. Die Aufhebung eines solchen Beschlusses von seiten der Krone muß aber innerhalb 40 Tagen, nachdem er gefaßt ist, geschehen. Die Provinzialräte werden auf 4 Jahre ernannt und von 2 zu 2 Jahren zur Hälfte erneuert. Der Gouverneur der Provinz allein ist mit der Ausführung der vom Rat oder vom Ausschuß gefaßten Beschlüsse beauftragt. Der Gouverneur wacht ferner über die Aufrechthaltung der öffentlichen Ordnung in der Provinz; er verfügt zu diesem Zweck über die Bürgergarde und die Gendarmerie und kann die bewaffnete Macht requirieren. An der Spitze eines jeden Verwaltungsdistrikts (Kantons) der Provinz steht ein königlicher Kommissar (commissaire d'arrondissement), welcher unter der Oberaufsicht des Gouverneurs und des beständigen Ausschusses die Verwaltung in den Gemeinden, deren Einwohnerzahl nicht 5000 Seelen übersteigt, beaufsichtigt und über die Vollziehung der Gesetze etc. wacht. Die Gemeindeverfassung stützt sich auf das Gemeindegesetz vom 30. März 1836 (zuletzt 22. Juni 1877 revidiert). Die Gemeindeobrigkeit besteht in jeder Kommune aus dem Gemeinderat, dem Bürgermeister und den Schöffen. Bei einer Bevölkerung bis 20,000 Seelen hat die Gemeinde 2 Schöffen, bei mehr 4. Der Gemeinderat mit Bürgermeister und Schöffen hat 7 Mitglieder in Gemeinden bis zu 1000, 9 in Gemeinden bis zu 3000, 11 in Gemeinden bis zu 10,000, 13-17 in Gemeinden zwischen 10,000 und 25,000 Seelen. In noch größern Gemeinden nimmt der Gemeinderat um je 2 Mitglieder für 5000 Seelen zu; steigt die Zahl über 40,000, so vermehrt er sich um 2 Mitglieder nur für jede fernern 10,000 Seelen. Alle Belgier, die 21 Jahre alt, im Besitz der bürgerlichen Rechte, in der Gemeinde wohnhaft sind und 10 Fr. an direkten Steuern entrichten, sind Gemeindewähler. Die ganze Gemeindeverfassung ist nach dem Vorbild der Provinzialverfassung geregelt; die Attributionen des Bürgermeisters entsprechen denen des Gouverneurs.
Die Wohlthätigkeitsanstalten, die von Provinzen und Gemeinden unterhalten werden, sind sehr zahlreich. Die Bürgermeister und Schöffen in jeder Kommune sind verpflichtet, ein sogen. Wohlthätigkeitsbüreau zu halten; in Gemeinden über 2000 Einw. müssen Wohlthätigkeitskomitees die Armen in ihren Wohnungen unterstützen. 1880 bestanden 180 anerkannte Unterstützungsvereine auf Gegenseitigkeit mit einem Vermögen von 1⅙ Mill. Fr. Hervorzuheben sind: Taubstummen- und Blindeninstitute (11: in Antwerpen, Brüssel, Woluwe-Saint Lambert, Gent, Brügge, Lüttich, Namur, Bouges lez Namur, Maeseyk), Irrenhäuser, Gebär-, Findel- und Waisenhäuser, Kinderbewahranstalten, Anstalten für Augenkranke, die Irrenkolonie zu Gheel (wo die Kranken gegen Entgelt bei den Bauern untergebracht werden), Lehr- und Arbeitshäuser für Arme, Bettler- und Landstreicherhäuser, Versorgungs- und Versicherungsanstalten, Leihhäuser (20) etc. Was die Paupertätsverhältnisse anlangt, so ist in Westflandern der 8. Mensch ein Hilfsbedürftiger, in Ostflandern der 16., im Hennegau der 20., in Limburg der 24., in Lüttich der 28., in Brabant der 36., in Antwerpen der 41., in Namur der 91., in Luxemburg der 660. Mensch.
In betreff der Gerichtsverfassung und Rechtspflege ist zu bemerken, daß die Streitigkeiten über bürgerliche und staatsbürgerliche Rechte in erster Instanz vor die Ziviltribunale (26 an der Zahl), deren Richter vom König ernannt werden, in zweiter Instanz vor die Appellhöfe (3 an der Zahl, zu Brüssel, Gent und Lüttich) gehören. Polizeivergehen werden von den Zuchtpolizeigerichten abgehandelt. Daneben bestehen ein Militärgerichtshof, zahlreiche Handelsgerichte, 204 Friedensgerichte sowie Sachverständigenräte (conseils de prud'hommes); Assisenhöfe gibt es 9. Für alle Kriminalsachen sowie für politische und Preßvergehen ist das Geschwornengericht angeordnet. Für ganz Belgien besteht ein Kassationshof zu Brüssel, welcher, mit Ausnahme der Ministerprozesse, nicht über die Materie der Rechtssachen erkennt. Die Räte der Appellhöfe, die Präsidenten der ihnen untergeordneten Tribunale werden vom König nach einer doppelten Liste ernannt, die von diesen Gerichtshöfen selbst und von den Provinzialräten eingereicht wird. Die Räte am Kassationshof ernennt der König aus einer vom Senat und vom Kassationshof verfaßten Liste. Die Richter werden auf Lebenszeit ernannt und können nur durch Urteilsspruch ihres Amtes entsetzt oder suspendiert werden. Seit der französischen Herrschaft gelten in Belgien der Code Napoleon und die französischen Gesetze aus der Zeit von 1795 bis 1814, welche nur teilweise örtliche Abänderungen erlitten haben. Die unter der holländischen Herrschaft aufgehobene Jury wurde schon 1831 wiederhergestellt und nach den neuen Grundlagen organisiert. Die Modifikationen, welche der Code pénal 1832 in Frankreich erfuhr, veranlaßten auch in Belgien eine Revision desselben. Das