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Einspruch erheben. Die öffentlichen Lehrer können von den Gemeinden abgesetzt und auf Wartegeld (1000 Frank) gesetzt werden. Die Anstellung der Lehrer erfolgt auf Grund eines Diploms, das durch ein Examen erworben ist; doch kann man mit Erlaubnis der Regierung auch ungeprüfte Lehrer anstellen. Dem Religionsunterricht darf in der Schule die erste Stelle eingeräumt werden; wenn sich die Gemeinde weigert, denselben in den Stundenplan aufzunehmen und durch Diener der Kirche erteilen zu lassen, so kann die Regierung auf den Wunsch von wenigstens 20 Familienvätern besondere Schulen dafür errichten. Da die Tragweite dieses Gesetzes noch nicht zu überblicken ist, begnügen wir uns, den Stand des Volksunterrichts vor Erlaß desselben anzugeben. Die oberste Aufsicht führte der vom Unterrichtsministerium ressortierende und aus 14 Mitgliedern bestehende Volksbildungsrat, dem 18 Bezirks- und 80 Kreisschulinspektoren unterstellt waren. Anfang 1882 dienten folgende Anstalten dem Elementarunterricht:
4706 écoles primaires mit 340118 Schülern u. Schülerinnen, | |
2445 écoles d'adultes mit 76918 " " " |
Seit zehn Jahren hat sich die Schülerzahl in den Provinzen Ostflandern, Hennegau, Lüttich, [* 2] Luxemburg [* 3] und Namur [* 4] vermehrt, dagegen in den übrigen Provinzen vermindert. Bei der Volkszählung von 1880 konnten nach Abzug der Kinder unter sieben Jahren nur 70 Proz. der Bevölkerung [* 5] lesen und schreiben. Bei der Aushebung von 1883 hatten von 52,380 Militärpflichtigen 33,1 Proz. eine höhere Bildung, 48,4 Proz. konnten wenigstens lesen und schreiben, 3,1 Proz. nur lesen.
Mehr als 15 Proz. waren des Lesens und Schreibens unkundig. Dies ist ein schlagender Beweis, daß die Volksbildung in Belgien noch auf einer sehr tiefen Stufe steht. Die Ausbildung der Lehrer und Lehrerinnen für die Volksschule geschieht für jene auf 6 Staatsseminaren (écoles normales) und in 8 Sektionen, die an höhern Lehranstalten bestehen; für Lehrerinnen gibt es 6 Seminare und 7 Sektionen. Der Kursus ist dreijährig. Das höhere Bildungswesen steht unter einem Bildungsrat von 8-10 Mitgliedern, einem Generalinspektor und drei Fachinspektoren, die in Brüssel [* 6] ihren Sitz haben. Es bestehen (Ende 1882) an Instituten für den Sekundärunterricht: 22 königliche Athenäen, 78 staatliche und 9 kommunale Mittelschulen für Knaben, 33 höhere Töchterschulen, mit 20,929 Schülern und 4361 Schülerinnen.
Die Vorbildung für das höhere Lehramt geschieht auf den Normalschulen zu Lüttich und Nivelles und in der Section normale zu Brügge; für Lehrerinnen bestehen ähnliche Anstalten in Lüttich und Brüssel. Von den vier Universitäten zu Lüttich, Löwen [* 7] (die alte wurde 1835 aufgehoben und die zu Mecheln [* 8] errichtete hierher verlegt), Gent [* 9] und Brüssel (1834 gestiftet) sind die zu Gent und Lüttich Staatsuniversitäten, die andern werden als »freie« Universitäten bezeichnet (Brüssel »liberal«, Löwen »katholisch«).
Die vier Fakultäten sind: Philosophie und Litteratur;
mathematische, physikalische und Naturwissenschaften;
Medizin. Ausnahmsweise besteht nur an der Universität zu Löwen noch die Fakultät der Theologie.
Mit den Universitäten zu Gent und Lüttich sind Fachschulen dort für Ingenieure und Künstler, hier für den Bergbau [* 10] verbunden; auch zu den beiden freien Universitäten gehören technische Spezialanstalten. Sie wurden (1882-83) insgesamt von 5182 Studierenden besucht. Außerdem sind noch vorhanden: eine Tierarzneischule (Brüssel);
ein Institut agricole (Gembloux);
zwei praktische Gartenbauschulen;
Bergwerksschulen zu Lüttich und Mons; [* 11]
eine Handelsschule zu Antwerpen; [* 12]
eine Militärschule zu Brüssel;
eine Schule für 500 Soldatensöhne zu Lierre;
eine Reitschule zu Ypern;
Schiffahrtsschulen zu Ostende, [* 13] Antwerpen und seit 1877 zu Nieuport;
Fabrikschulen (1882: 33) besonders in Brabant, Hennegau und Flandern.
Brüssel hat eine königliche Akademie der Wissenschaften in drei Abteilungen: für Wissenschaft, für Litteratur und für Kunst. Andre außerordentlich zahlreiche wissenschaftliche Gesellschaften für Naturwissenschaften und Medizin, für Feld-, Garten- und Obstbau, für Musik, Theater, [* 14] Litteratur, Kunst etc. sind in den Provinzen, die meisten in Flandern, Antwerpen und Brabant (vornehmlich in Brüssel).
Andre wissenschaftliche Anstalten sind: die große königliche Landesbibliothek zu Brüssel (s. d.), die öffentlichen Bibliotheken zu Gent und Lüttich, die Universitätsbibliothek zu Löwen u. a. Außerdem gibt es 17 städtische Bibliotheken, die mehr als 26,000 Bände zählen. Unter den Archiven sind besonders das allgemeine Reichsarchiv zu Brüssel und das der Stadt Brügge hervorzuheben. Endlich besitzt Brüssel auch eine Sternwarte, [* 15] ein naturwissenschaftliches Museum, ein Industriemuseum (1841 reorganisiert), ein Museum der Waffen, [* 16] Altertümer und der Artillerie.
Für Kunst und Litteratur bestehen überhaupt über 100 Anstalten in allen Provinzen des Landes; die hauptsächlichsten sind: die königlichen Akademien der schönen Künste zu Antwerpen und Brüssel für Malerei, Bildhauerei, Baukunst [* 17] und Kupferstecherkunst und das Museum für Malerei und Bildhauerei zu Brüssel;
für Bildung in der Musik zwei Konservatorien zu Brüssel und Lüttich mit unentgeltlichem Unterricht auf Staatskosten.
Der Sitz des Bücherdruckes ist hauptsächlich Brüssel. Die periodische Presse [* 18] hatte 1883 folgende Ausdehnung: [* 19] es erschienen 343 politische Zeitungen, wovon 59 täglich ausgegeben wurden, von Fachblättern und Zeitschriften 19 für Finanzwesen, 55 für Landwirtschaft, Handel und Industrie, 224 für Litteratur, Wissenschaft und Kunst.
Bodenprodukte, Landwirtschaft, etc.
Die Bodenkultur und Landwirtschaft haben sich in unter keineswegs günstigen Lokalverhältnissen zu einer hohen Stufe der Vollkommenheit erhoben. Von Behörden, denen diese Förderung zu danken ist, bestehen: Ein vom Ministerium des Innern ressortierender oberster Landwirtschaftsrat, dem in jeder der neun Provinzen eine Ackerbaukommission unterstellt ist. Endlich ist das Land in 118 Ackerbaudistrikte geteilt, deren jeder einen landwirtschaftlichen Verein hat, der sich zweimal des Jahrs behufs der Fortschritte im Ackerbau versammelt.
Außerdem bestehen 169 landwirtschaftliche (darunter 17 Zentral-) Vereine. Etwa ein Viertel der Gesamtbevölkerung Belgiens ist mit dem Ackerbau beschäftigt (die wenigsten, 16 Proz., in Lüttich, die meisten, 32 Proz., in Limburg) [* 20] und zwar ⅜ Frauen und ⅝ Männer. Der unkultivierte Kommunalboden betrug 1846: 162,896 Hektar, davon wurden bis 1881: 91,134 Hektar für die Kultur gewonnen. In 1866 (dem letzten Jahr, aus welchem offizielle Mitteilungen darüber vorliegen) waren folgende Bodenflächen bestellt mit:
Roggen | 288966 | Hektar | Erbsen und Wicken | 13645 | Hektar |
Weizen | 283542 | " | |||
Hafer | 229744 | " | Flachs | 57045 | " |
Spelz | 64342 | " | Runkelrüben | 18075 | " |
Gerste | 43618 | " | Hanf, Hopfen | 13776 | " |
Mengkorn | 35488 | " | Kartoffeln | 171398 | " |
Buchweizen | 21435 | " | Futterkräutern und -Rüben | 204370 | " |
Bohnen | 24264 | " |
Wiesen und Weiden waren 365,805 Hektar, Gemüsegärten 37,330 Hektar. Weizen wurde besonders in ¶
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den Provinzen Antwerpen und Brabant, Roggen in Brabant und Ostflandern, Hafer [* 22] in Luxemburg, Namur und Hennegau, Spelz in Namur, Gerste [* 23] und Flachs in Flandern und Hennegau, Buchweizen in Ostflandern und Antwerpen, Runkelrüben in Hennegau, Lüttich und Brabant, Kartoffeln in Brabant, Flandern und Antwerpen angebaut. Von den 2,945,539 Hektar, welche die Gesamtfläche des Königreichs umfaßt, wurden 1866: 2,663,753 Hektar bebaut und zwar zur Hälfte in Pacht. Die Ausfuhr von Ackerbauprodukten (Getreide [* 24] und Mehl) [* 25] hat sich im letzten Jahrzehnt sehr gehoben, sie stieg von 278,650 metr. Ztr. (1870) auf 5,226,680 metr. Ztr. im Wert von 134 Mill. Fr. (1882). Noch stärker hat die Einfuhr zugenommen, sie hat 1882 den Wert von 346½ Mill. Fr. erreicht.
An Haustieren gab es Pferde [* 26] 1880: 271,974 (relativ die meisten in Namur und Luxemburg, im ganzen 5 auf 100 Einw.). Für die Veredelung der Pferde wird durch Gestüte (Staatsgestüt zu Tervueren) viel gethan. Hornvieh gab es 1880: 1,382,815 Stück (die meisten in Ostflandern), im ganzen 25 Stück auf je 100 Einw. Schafe [* 27] gab es in Belgien 1880: 365,400 (die meisten in Luxemburg), Schweine [* 28] 646,375 (die meisten in Ostflandern). Von Flandern gehen auch abgehäutete Kaninchen [* 29] in großen Mengen nach England, während die Felle nach Frankreich, Rußland und Amerika [* 30] versandt werden.
Die Bienenzucht [* 31] blüht in der Campine. Groß ist der Reichtum an See- und Flußfischen. Den Seefischfang betrieben 1882: 300 Fischerboote von 10,047 Ton. und einer Besatzung von 1733 Mann, wovon zwei Drittel auf Ostende entfallen. Der Ertrag ist sehr wechselnd; so betrug er 1882 an Kabeljau 868 T. (gegen 3143 in 1856), während der große Heringsfang seit 1864 ganz aufgehört hat. Die Kleinfischerei auf Hering brachte 1882: 100,000 Fr., der Fang ungesalzener Seefische 3,038,000 Fr. an Wert.
Die Waldungen, welche sich im Laufe von 40 Jahren von 20 Proz. des Areals auf 12 Proz. vermindert haben, sind in den südlichen Provinzen und Brabant am bedeutendsten. Darunter finden sich große Anpflanzungen von Weiden und kanadischen Pappeln, von denen erstere zum Korbflechten, letztere zum Verfertigen von Holzschuhen, womit sich im Waesland Tausende von Menschen beschäftigen, verwendet werden. An wilden Tieren finden sich hier und da noch Wölfe in den Eichenwäldern der Ardennen, Wildbret ist nicht zahlreich vorhanden.
Der mineralische Gehalt Belgiens ist bedeutend und ziemlich mannigfaltig, namentlich in den Provinzen Hennegau, Namur, Luxemburg und Lüttich, wo er einen ansehnlichen Bergbau hervorgerufen hat. Obenan unter den unterirdischen Schätzen des Landes steht die Steinkohle, deren weites Lager [* 32] von W. nach O. sich beinahe durch ganz Belgien erstreckt. Es teilt sich in zwei Hauptbassins, westlich und östlich vom Fluß Sambre in der Provinz Namur. Das beträchtlichere westliche zieht über Namur in das Sambrethal, erreicht bei Charleroi eine Breite [* 33] von 22 km von N. nach S. und wendet sich dann in einer Breite von etwa 15 km gegen Mons und weiter gegen Valenciennes und Douai. Es mißt 45 km in Namur und 97 km im Hennegau und hat in Belgien eine Ausdehnung von 900 qkm (16,4 QM.). Das östliche Becken bildet mit dem erstern einen Winkel [* 34] von etwa 32°. Es folgt dem Thal [* 35] der Maas, erweitert sich bis über Lüttich hinaus, wo es eine Breite von 22 km von N. nach S. erreicht, und verläuft sich im holländischen Limburg und in Rheinpreußen. Es hat 97 km Länge, wovon 15 in Namur, 81 in Lüttich liegen, und eine Oberfläche von 540 qkm (10 QM.); das Ganze beträgt fast ein Zwanzigstel des Areals.
Die Mächtigkeit dieses Kohlenlagers ist nicht durchweg gleich. Oft finden sich nur Spuren von Kohle, während sie an andern Stellen wieder in fast 2 m Mächtigkeit auftritt. 1882 zählte man 271 konzedierte Minen mit 103,701 Arbeitern, davon die meisten im Hennegau und in Lüttich, welche eine Ausdehnung von 1445 qkm hatten und an Kohlen 17,590,989 Ton. im Wert von 176 Mill. Fr. lieferten. Der Überschuß der Ausfuhr (meist nach Frankreich) über die Einfuhr betrug 1883 jedoch nur 3,2 Mill. T. Auch an Lagern verschiedener Erze, als Eisen, [* 36] Blei, [* 37] Kupfer [* 38] etc., ist Belgien reich; doch hat die Bebauung derselben seit ca. 15 Jahren sehr abgenommen. Die Arbeiterzahl ist daher seit 1865 von 11,813 auf (1882) 2312 gesunken. Die Produktion von Mineralien [* 39] betrug:
1865 | 1882 | |||
---|---|---|---|---|
Tonnen | Wert Frank | Tonnen | Wert Frank | |
Eisen | 1018231 | 9829516 | 208867 | 1591250 |
Blende | 14657 | 851348 | 2171 | 105890 |
Galmei | 41528 | 2267574 | 18272 | 601130 |
Bleiglanz | 14658 | 2314200 | 2918 | 486150 |
Schwefelkies | 31818 | 640493 | 2555 | 21290 |
Belgien besaß 1880: 417 Etablissements zur Verarbeitung der Mineralien, darunter 317 für Eisen und 66 für Glas. [* 40] Hochöfen waren 36 (1882: 33) thätige vorhanden, welche 1882: 726,946 Ton. Erz im Wert von 43,8 Mill. Fr. produzierten. Gießereien gab es 179, welche 1880: 82,100 T. im Wert von 15,22 Mill. Fr. produzierten, an Eisenfabriken speziell 1882: 84 mit einer Produktion von 503,113 T. im Wert von 83,9 Mill. Fr. Außerdem bestanden 1880:
Etablissements | zur Bearbeitung von | Produktion Tonnen | Wert Frank |
---|---|---|---|
2 | Stahl | 99096 | 17771000 |
5 | Blei | 8204 | 3132920 |
5 | Kupfer | 2085 | 3895000 |
21 | Zink | 85008 | 37820090 |
1 | Alaun | 1500 | 180000 |
Die Zahl der in sämtlichen mineralogischen Etablissements (die Glasindustrie inbegriffen) beschäftigten Arbeiter betrug 1882: 41,259. Marmor ist an manchen Orten im Überfluß vorhanden und wird ausgeführt; der gesuchteste ist der von Dinant und Gochenée. Bedeutende Schieferbrüche befinden sich in Namur, Luxemburg und Lüttich, Steinbrüche im Hennegau und in Namur. Endlich liefert der Boden Belgiens auch Porzellanerde (Lüttich, Brabant, Namur), Fayenceerde, Töpferthon, Kalk, vorzügliche Flintensteine und feine Wetzsteine (die besten Europas in Lüttich und Luxemburg, besonders bei Vielsalm), Magnesia (Lüttich), Alaun [* 41] und Schwefel (Namur und Lüttich), Torf etc. Im ganzen besaß Belgien 1882: 1641 Steinbrüche mit 27,433 Arbeitern, welche einen Wert von 42,3 Mill. Fr. produzierten.
Industrie.
Von höchster Bedeutung ist in Belgien die Industrie. In welchem Maß die Großindustrie in den letzten Jahrzehnten zugenommen, läßt sich aus der Vermehrung der für dieselbe arbeitenden Dampfmaschinen [* 42] ersehen. Während man 1850 in ganz Belgien 2250 Maschinen mit 54,300 Pferdekräften zählte, belief sich deren Zahl 1882 auf 14,940 mit 724,817 Pferdekräften. Über die Bergwerks- und Hüttenindustrie s. oben. Zu erwähnen ist außerdem die Nägelfabrikation, die bei ¶