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Lebensjahr, also nicht lange nach seiner Abreise aus Bonn, können wir dieselbe abschließen; denn erst in diesem Jahr veröffentlichte er sein »erstes Werk«, welches er selbst dieser Bezeichnung wert hielt (die drei Trios Op. 1). In jene Jugendepoche gehören als seine ersten Kompositionen: 9 Nummern Klaviervariationen und 3 Sonaten für Klavier (1782 und 1783),
dann 3 Klavierquartette (1785), ein Trio, einzelne Lieder, verschiedene Sammlungen von Variationen für Klavier (darunter die bereits sehr schönen und eigentümlichen über »Vieni Amore« von Righini) und von den ungedruckten ein Klavierkonzert, eine Sonate für Klavier und Flöte, ein Ritterballett (1789) und einzelnes andre. In diesen Werken verfolgt man mit Interesse den erkennbaren Fortschritt, den der junge Künstler von den ersten noch ganz gebundenen und unselbständigen Schritten an Neefes Hand zu allmählicher Befreiung und Selbständigkeit macht; man gewahrt im Verlauf den entschiedenen Einfluß Mozarts, ohne daß dessen Fülle und Klarheit zunächst erreicht würden.
Vor allem aber gewahrt man von der ersten Zeit an das sicherste Gefühl für das formelle Ebenmaß und prägnante Ausprägung des wenn auch noch nicht tiefen musikalischen Gedankens; kein geniales Überschreiten der hergebrachten Form, kein subjektives Versuchen, sondern vor allem das Streben nach dem sichern Besitz des Überlieferten kennzeichnet ihn. Dabei begegnen uns auch in dieser Zeit schon einzelne Arbeiten, in denen wir den vollen und warmen Herzschlag Beethovenschen Empfindens gewahren, entsprechend den Nachrichten, die wir über den Reichtum seiner freien Phantasien schon in jener Zeit erhalten. Zu bemerken bleibt hier schließlich noch, daß viele der erst im Verlauf der folgenden Jahre erschienenen Werke ihrem Entwurf, teilweise auch ihrer Ausarbeitung nach jedenfalls dieser vorbereitenden Epoche angehören.
Die erste Epoche des eigentümlich Beethovenschen Schaffens, in welcher er nach vollständiger Überwindung aller Vorstufen in individueller Selbständigkeit auftritt, beginnt mit der Herausgabe der ersten drei Klaviertrios Op. 1 (1795) und endigt etwa mit den Jahren 1800-1802. Sie umfaßt diejenigen Werke, in deren Gestaltung und Form der Einfluß Mozarts und Haydns noch durchweg erkennbar bleibt. Außer den genannten ersten Trios gehören hierher die Haydn gewidmeten Klaviersonaten Op. 2, die Sonaten Op. 7, 10, 13 (»S. pathétique«),
14-28, die Sonaten mit Begleitung Op. 5, 12, 17, 23, 24, das Septett Op. 20 (1800),
die erste Symphonie Op. 21 (1800),
die sechs ersten Streichquartette Op. 18 (1799-1800),
das Quintett für Klavier und Blasinstrumente Op. 16, die ersten Klavierkonzerte Op. 15 und 19, das Ballett »Die Geschöpfe des Prometheus« (1800),
die Szene »Ah perfido« (1796),
das Lied »Adelaide« (1796) sowie eine Anzahl kleinerer Instrumental-, hauptsächlich Klavierwerke. Es versteht sich von selbst, daß bei einzelnen dieser Werke die Zugehörigkeit zu der einen oder andern Epoche unsicher erscheint; im ganzen wird man es bestätigt finden, daß hier Beethoven bei aller Individualität in Melodieführung und Modulation doch noch auf dem Mozartschen Boden steht. Nur auf einem Gebiet (freilich dem ihm eigensten) zeigt er sich auch in dieser Epoche schon bahnbrechend; es ist dies die Klavierkomposition, sowohl in der Form des Konzerts als der Sonate und Variation.
Nicht nur in der Technik, sondern auch im Zuschnitt der Sätze und des Ganzen erscheint er hier schon vielfach selbständig und neu, und deutlich erkennbare Zeichen weisen schon in diesen frühern Werken auf des Komponisten Absicht hin, ein Ideenganzes zur deutlichen Erscheinung zu bringen, z. B. wenn er zwei allerdings über die Grenzen der Sonatenform hinausschweifende Sonaten als »gleichsam Phantasien«, eine andre als die »pathetische« bezeichnet. Aber auch ohne Fingerzeige solcher Art empfindet man in diesen Werken sowohl im einzelnen als im ganzen jenes Streben nach einheitlichem Ausdruck, welches ihren Autor als den einstigen Schöpfer der modernen Instrumentalmusik schon jetzt erkennen läßt.
Die zweite Periode beginnt etwa in den Jahren 1800-1802; sie zeigt uns den Meister in der vollen und reichen Entwickelung seiner erstarkten Künstlerpersönlichkeit, welche ihn zur Hervorbringung von Werken befähigte, die, während uns jedes eine Welt reichsten Empfindungslebens eröffnet, zugleich die schönste Harmonie von Inhalt und Form erkennen lassen. Hierher gehört vor allem die stattliche Reihe der Symphonien: die von Lebensfreudigkeit und Heiterkeit überströmende in D dur (1802);
die »Eroica« (1804), ihrer Konzeption nach zur Verherrlichung Napoleon Bonapartes bestimmt, das deutlichste Beispiel jener Beherrschung des Ganzen durch einen poetisch zusammenfassenden Gedanken;
die vierte in B dur (1806);
die mächtige, den Kampf gegen ein übermächtiges Schicksal darstellende in C moll (1807);
»die Pastorale« (1808);
die siebente in A (1812), welche alle Stufen der Freude, von leiser Träumerei bis zum dithyrambischen Jubel, durchläuft;
endlich noch die liebliche achte in F (1812).
Hierzu kommen eine Reihe andrer, gleich vollendeter und jedes für sich eigentümlicher Gebilde: die drei Quartette Op. 59, dem Grafen Rasumowski gewidmet (1806), sowie die beiden folgenden Op. 74 (1809) und 95 (1810);
die große Reihe der fernern Klavierkompositionen: die Konzerte in C moll, G dur und das großartigste von allen in Es dur (letzteres 1809);
die Klaviersonaten Op. 30 in G, D moll und Es;
die beiden mächtig großen in C und F moll (Op. 53 und 57), denen als leichtere Gegenstücke die in F und Fis (Op. 54, 78) zur Seite treten;
die Es dur-Sonate Op. 81 mit ihrer Überschrift: »Les adieux, l'absence et le retour«, ein neues Beispiel der Darstellung einer bestimmten dichterischen Idee in Tönen. Zu den einfachen Klavierwerken kommen die Sonaten mit Begleitung: Op. 30 in A, C moll und G, dem russischen Kaiser Alexander gewidmet;
die für den Violinisten Rudolf Kreutzer geschriebene sogen. Kreutzer-Sonate Op. 47 in A (1803);
ferner Op. 96 in G (1810) und Op. 69 für Klavier und Violoncell in A;
die Trios Op. 70 in D und Es und Op. 97 in B;
das Triplekonzert für Klavier, Violine und Violoncell Op. 56;
die Phantasie für Klavier, Orchester und Chor (1808) u. a. Dieser Periode gehören auch die ersten größern Chorkompositionen Beethovens sowie seine Oper »Fidelio«, welche leider die einzige bleiben sollte, an. Zu jenen rechnen wir das Oratorium »Christus am Ölberg« und die erste, durch einfache, edle Auffassung und milde Würde sich auszeichnende Messe in C (1807).
In seiner Oper »Fidelio«, die in erster Bearbeitung (als »Leonore«) 1805, in zweiter 1806, in dritter und bleibender (mit der E dur-Ouvertüre) 1814 auf die Bühne kam, hat Beethoven keineswegs neue Wege dramatischer Gestaltung versucht. Der Form nach den Rahmen der Mozartschen Oper nicht überschreitend, dankt diese Oper eben nur dem reichern und tiefern, in diesem Fall noch durch einen menschlich interessanten und rührenden Stoff angeregten Geist Beethovens ihre besondere Stellung. Neben ihr erwähnen wir noch seine übrigen mit Bühnenwerken verbundenen Kompositionen: die Gesänge und Zwischenakte zu
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Goethes »Egmont« (1810) und die beiden Festspiele »König Stephan« und »Die Ruinen von Athen« (1812). Ganz besonders hervorragend, als Seelengemälde der ergreifendsten Art zu bezeichnen sind die meisten der zu diesen Werken gehörigen oder auch einzeln geschriebenen Ouvertüren, am vollendetsten die große »Leonoren-Ouvertüre«, die zum »Egmont« und die zu Collins Trauerspiel »Coriolan«. Noch erwähnen wir hier die zum großen Teil dieser Zeit angehörigen Lieder, wie »Herz, mein Herz etc.«, »Kennst du das Land etc.« und namentlich die wahrhaft klassischen, tief ergreifenden und doch aufs einfachste konzipierten Lieder »An die ferne Geliebte«, freilich schon einer etwas spätern Zeit angehörig (1816). Der Übergangszeit von der zweiten zur dritten Periode gehören die zahlreichen Bearbeitungen schottischer, irischer und andrer Volksmelodien (mit Klavier-, Violine- und Cellobegleitung) an, die Beethoven meistenteils für den englischen Verleger Thompson übernommen. Endlich veranlaßten die politischen Ereignisse mehrere größere und kleinere Gelegenheitskompositionen, wie das Instrumentalwerk »Die Schlacht bei Vittoria«, Op. 91 (1813),
die Kantate »Der glorreiche Augenblick«, Op. 136 (1814), und verschiedene Chöre.
Die Jahre 1814-18 bezeichnen einen relativen Stillstand in Beethovens Produktion. In diesem kurzen Zeitraum traten nur ganz vereinzelt größere Kompositionen, z. B. die Sonate in A (1815), der schon genannte »Liederkreis« u. a., hervor; Krankheit und bitteres häusliches Leid hemmten seine Phantasie. Nach Überwindung dieser Periode der Entmutigung erscheint er uns in mancher Beziehung verändert. Sein Empfinden ist bei völliger Abgeschlossenheit gegen die Außenwelt noch mehr verinnerlicht, infolgedessen der Ausdruck desselben häufig weit ergreifender, unmittelbarer als jemals früher, dagegen die Einheit von Inhalt und Form mitunter nicht so vollendet wie sonst, sondern von einem subjektiven Moment stark beeinflußt.
Die Hauptwerke dieser dritten Epoche sind die »Missa solemnis« (1818-22) und die neunte Symphonie in D moll (1823-24). Erstere, zur Feier der Installation des Erzherzogs Rudolf als Bischofs von Olmütz bestimmt, ist die reichste und unmittelbarste Offenbarung seines von dem religiösen Gegenstand tief erregten Innern, ausgezeichnet durch selbständige, tief eindringende Auffassung der Textesworte, durch eine überwältigende Wärme und Innigkeit des Ausdrucks, durch eine Fülle der edelsten und schönsten Gedanken. Beethoven hielt sie für sein vollendetstes Werk. In andrer Weise drückt die neunte Symphonie (mit dem Schlußchor über Schillers »Lied an die Freude«) das Ringen eines Menschenherzens aus, welches sich aus Mühen und Leiden nach dem Tag reiner Freude sehnt, der ihm doch in voller Klarheit und Reinheit nicht beschieden ist.
Außerdem gehören dieser Zeit noch an: die Ouvertüre »Zur Weihe des Hauses«, Op. 124 (1822), die Klaviersonaten Op. 106 in B (1818), Op. 109 in E, Op. 110 in As (1821) und Op. 111 in C moll (1822), mehreres Kleinere für Klavier und Gesang und endlich die letzten großen Streichquartette Op. 127 in Es (1824), Op. 130 in B dur und Op. 132 in A moll (1825), Op. 131 in Cis moll und Op. 135 in F dur (1826), deren Verständnis erst in neuerer Zeit weitern Kreisen erschlossen worden ist. Viele Entwürfe, darunter der zu einer zehnten Symphonie, befanden sich in dem Nachlaß des Komponisten.
Die erste vollständige kritische Gesamtausgabe von Beethovens Werken erschien 1861-65 bei Breitkopf u. Härtel in 24 Serien unter Revision von Rietz, Nottebohm, Reinecke, David, Hauptmann u. a., welche durch Zuziehung der Manuskripte und Originalausgaben überall eine sichere Grundlage für ihre Arbeit gewannen. Ein chronologisches Verzeichnis der Werke Beethovens veröffentliche A. W. Thayer (Berl. 1865), ein thematisches mit historischen Nachweisungen über die Entstehung der Werke Gust. Nottebohm (Leipz. 1868). Von den zahlreichen Schriften über Beethovens Leben und Werke nennen wir: Wegeler und Ries, Biographische Notizen (Koblenz 1838, Nachtrag 1845);
Schindler, Biographie Beethovens (3. Aufl., Münst. 1860);
Lenz, et ses trois styles (Brüss. 1854, 2 Bde.);
Derselbe, Beethoven, eine Kunststudie (Hamb. 1850-60, 5 Bde.);
Oulibischeff, Beethoven, ses critiques et ses glossateurs (Leipz. 1857; deutsch von Bischoff, das. 1859);
Elterlein, Beethovens Klaviersonaten (4. Aufl., das. 1875);
Derselbe, Beethovens Symphonien nach ihrem idealen Gehalt (3. Aufl., Dresd. 1870);
Alberti, Beethoven als dramatischer Tondichter (Stettin 1859);
Dürenberg, Die Symphonien Beethovens (2. Aufl., Leipz. 1876);
Lorenz, Haydns, Mozarts und Beethovens Kirchenmusik (das. 1866);
Marx, Beethovens Leben und Schaffen (4. Aufl., Berl. 1884, 2 Bde.);
Derselbe, Anleitung zum Vortrag Beethovenscher Klavierwerke (2. Aufl., das. 1875);
Nohl, Beethovens Leben (Leipz. 1864-77, 3 Bände);
Derselbe, und die Kunst der Gegenwart (Wien 1871);
Thayer, Beethovens Leben (deutsch von Deiters, Berl. 1866-78, Bd. 1-3);
Nottebohm, Beethovens Skizzenbuch (Leipz. 1865);
Derselbe, Ein Skizzenbuch von Beethoven aus dem Jahr 1803 (das. 1880);
Derselbe, Beethoveniana (das. 1872);
Derselbe, Beethovens Studien (das. 1873, Bd. 1).
Eine Ausgabe von »Beethovens Briefen« besorgte Nohl (2 Samml., Stuttg. 1865-68); »Briefe Beethovens an Erzherzog Rudolf« veröffentlichte Köchel (Wien 1865). Von Einzelaufsätzen über Beethoven sind besonders hervorzuheben: die beiden in O. Jahns »Gesammelten Aufsätzen« (Leipz. 1866) enthaltenen (»Leonore oder Fidelio?« und und die Ausgabe seiner Werke«) und der von Ambros: »Das ethische und religiöse Moment in (in dessen »Kulturhistorischen Bildern«, 2. Aufl., das. 1865). Von den zum Jubiläum 1870 erschienenen Schriften ist Richard Wagners Abhandlung »Beethoven« (Leipz. 1870) weitaus die wertvollste.
Vgl. außerdem Breuning, Aus dem Schwarzspanierhaus.
Erinnerungen an Beethoven aus meiner Jugendzeit (Wien 1875); Nohl, Beethoven nach den Schilderungen seiner Zeitgenossen (Stuttg. 1876).