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verstanden wurden. Die neuen
Romane Be
aconsfields wurden daher von der
Kritik sehr scharf be
urteilt; ihr äußerer Erfolg war
aber
wegen der darin enthaltenen packenden Schilderungen der englischen
Gesellschaft ein ungewöhnlich glänzender: sie wurden
in
England geradezu verschlungen und in fast alle europäischen
Sprachen übe
rsetzt. Seine wachsende litterarische Berühmtheit
trug natürlich dazu bei
, seine
Stellung im
Parlament zu heben
und ihn an die
Spitze einer
Gruppe zu bringen,
mit der er zu
Peel, dem damaligen
Führer der
Konservativen, in
Opposition trat.
Zwar unterstützte Be
aconsfield noch 1842
Peels
Vorschläge über
die Kornzollgesetzgebung, aber schon 1843 stellte er sich sowohl in
Fragen der auswärtigen
Politik als auch namentlich in Bezug
auf die irischen Zwangsmaßregeln dem Premierminister
entgegen. und sein
Freund
Lord
George
Bentinck, dessen
Biographie er 1852 schrieb, wurden die
Führer des Teils der konservativen
Partei, der, entschieden schutzzöllnerisch gesinnt, sich von der
Regierung lossagte. Sie konnten zwar die Aufhebung der
Kornzölle
(Mai 1846) nicht hindern, rächten sich aber
wenige
Wochen später, indem sie in
Verbindung mit den
Whigs die irische Zwangsbill
Peels verwarfen und diesen zum Rücktritt nötigten.
Bei den allgemeinen Wahlen von 1847 erhielt Beaconsfield den Sitz für die Grafschaft Buckingham, den er bis zu seiner Berufung ins Oberhaus behielt, und nach dem Tod Lord Bentincks (1848) sahen sich die Tories genötigt, so ungern viele unter ihnen sich dem Emporkömmling unterordneten, Beaconsfield, den unzweifelhaft fähigsten Mann ihrer Partei, als deren Führer im Unterhaus anzuerkennen. Nun gewann die Torypartei im Parlament immer mehr die Oberhand. Schon im Februar 1851 ward ein Antrag Beaconsfields auf Maßregeln zum Schutz der Interessen der ackerbautreibenden Bevölkerung [* 2] nur mit einer Mehrheit von 14 Stimmen verworfen, und als nach dem Austritt Palmerstons das Ministerium Russell zum Rücktritt gezwungen wurde, erhielt in dem neuen, von Lord Derby gebildeten Ministerium das Schatzkanzleramt.
Seine ministerielle Thätigkeit begann freilich wie seine schriftstellerische und seine parlamentarische mit Mißerfolgen. Bereits die Neuwahlen von 1852 zeigten, daß die Regierung auf keine feste Majorität rechnen könne. Als nun Beaconsfield eine Budgetvorlage einbrachte, welche die durch die freihändlerische Gesetzgebung der letzten Jahre geschädigte ländliche Bevölkerung durch Erleichterung von deren Steuerlast begünstigen, dagegen die Häusersteuer in den Städten und die Einkommensteuer erhöhen wollte, wurde dieselbe von Gladstone, Beaconsfields fähigstem und unversöhnlichstem Gegner, mit solchem Erfolg bekämpft, daß die Vorlage abgelehnt und das Ministerium gestürzt wurde Zwar gelang es der Torypartei im Januar 1855, durch Unterstützung des Roebuckschen Tadelsvotums wegen der Führung des Krimkriegs das Aberdeensche Kabinett zu Falle zu bringen und 1857 im Bund mit den Radikalen und den Peeliten einen Beschluß gegen die chinesische Politik der Whigregierung durchzusetzen; aber 1855 vermochte Derby kein Toryministerium zu stande zu bringen, und 1857 löste Palmerston das Parlament auf und errang bei den Neuwahlen den Sieg.
Erst als Palmerston nach dem Orsinischen Bombenattentat in seiner Gefälligkeit gegen Kaiser Napoleon III. so weit ging, das Asylrecht der französischen Flüchtlinge in England zu beeinträchtigen, wurde er gestürzt und in Derbys zweitem Kabinett abermals Schatzkanzler. Eine seiner wichtigsten Regierungsmaßregeln war die Übertragung der Verwaltung Indiens von der Ostindischen Kompanie auf die Krone. Bemerkenswert war, daß er Derby bewog, die Zulassung der Juden zum Parlament zu bewilligen.
Die wichtigste politische Frage in jener Zeit war aber die Parlamentsreform durch Erweiterung des Wahlrechts, für welche Bright eine starke Agitation eingeleitet hatte. Die Regierung hielt es für notwendig, mit Zugeständnissen entgegenzukommen. Beaconsfield brachte eine Reformbill im Unterhaus ein, welche jedoch niemand befriedigte, so daß nach siebentägiger Debatte 31. März ein Gegenantrag Lord Russells mit 34 Stimmen Majorität angenommen wurde. Wegen der Verwickelungen in Italien [* 3] wünschte die Königin einen Ministerwechsel zu vermeiden und löste das Parlament auf; aber bei den Neuwahlen unterlag die Toryregierung, und nach einem im neuen Unterhaus beschlossenen Mißtrauensvotum trat sie 17. Juni zurück. Beaconsfield richtete fortan seine Angriffe besonders gegen die auswärtige Politik des Ministeriums Palmerston, das für sein Verhalten zu den kontinentalen Angelegenheiten die Nichtintervention zum Prinzip erhoben hatte. Beaconsfield tadelte diese Politik, weil sie den naturgemäßen und legitimen Einfluß Großbritanniens im Rate der europäischen Mächte vermindere.
Indes die Mehrheit des englischen Volks war ganz damit einverstanden, daß die Regierung sich von jeder den Frieden gefährdenden Verwickelung fern hielt, und legte auf Englands Machtstellung in Europa [* 4] wenig Gewicht. Die Anträge Beaconsfields über auswärtige Politik hatten daher keinen Erfolg. Dagegen wurde die Reformbill, die Gladstone 1866 einbrachte, infolge des Abfalles eines Teils der Liberalen 18. Juni im Unterhaus abgelehnt, worauf Derby und Beaconsfield zum drittenmal in den Besitz der Gewalt kamen. Beaconsfield brachte 1867 im Namen der Torypartei einen Wahlgesetzentwurf ein, der unleugbar radikaler war als der Gladstones, indem er in den Städten das sogen. Household suffrage, d. h. das Wahlrecht aller, die eine eigne oder Mietwohnung innehatten, mit wenigen Beschränkungen durchführte und das ländliche Wahlrecht bedeutend erweiterte.
Der kühne Schritt fand aber die Billigung des Parlaments, und der Erfolg bestätigte die Befürchtungen, die man an ihn knüpfte, keineswegs. In der äußern Politik zeigte sich Beaconsfield, der nach Derbys Rücktritt im Februar 1868 auch die formelle Präsidentschaft des Ministeriums übernahm, thatkräftig und entschlossen; er begann zur Aufrechterhaltung des britischen Einflusses und Ansehens außerhalb Europas den kurzen und glücklichen Krieg gegen Abessinien. Obwohl er sich der von den Liberalen verlangten Entstaatlichung der irischen Kirche entschieden widersetzte, wurde die Resolution Gladstones, welche sie forderte, im Unterhaus mit 56 Stimmen Mehrheit angenommen. Wiederum lehnte die Königin sein Entlassungsgesuch ab, verweigerte aber auch die Auflösung des Parlaments; sie verlangte vielmehr, daß Beaconsfield im Amte bleibe, bis das nach dem neuen Wahlgesetz zu wählende Unterhaus die Entscheidung treffen könne. Aber die Neuwahlen fielen zu gunsten der Liberalen aus, so daß Beaconsfield zurücktrat.
Im neuen Parlament bekämpfte Beaconsfield sowohl die Vorschläge, betreffend die Entstaatlichung der irischen Kirche, als die auswärtige Politik der Gladstoneschen Regierung, welche auf der Pontuskonferenz 1871 und in der Alabamafrage empfindliche Niederlagen erlitt. Dies und andre Dinge verfehlten ihre Wirkung nicht; die liberale Partei zersplitterte sich mehr und mehr; ¶
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als die Regierung 1873 eine neue Konzession an die ultramontanen Iren vorschlug, machte Beaconsfield, der inzwischen 1870 in einem neuen Roman: »Lothair«, die Vorzüge der englischen Staatskirche gegenüber dem Katholizismus entwickelt hatte, dem Vorschlag entschiedene Opposition und behauptete den Sieg. Gladstone reichte darauf seine Entlassung ein; aber Beaconsfield, der seine Zeit noch nicht gekommen glaubte, lehnte, weil er über die Mehrheit im Unterhaus nicht verfügte, die Neubildung des Kabinetts ab, so daß die Liberalen die Geschäfte fortführen mußten.
Diese Enthaltsamkeit trug ihre Früchte: als Gladstone, der das Unhaltbare seiner Position lebhaft empfand, im Januar 1874 das Parlament auflöste, erzielten die Konservativen bei den Neuwahlen eine Majorität von 50 Stimmen;
Gladstone resignierte 17. Febr., und Beaconsfield bildete die neue Regierung.
Gewaltige Erfolge trug er durch seine aktive und äußerst geschickte auswärtige Politik in diesem vierten Ministerium davon. Die Einverleibung der Fidschiinseln [* 6] im September 1874, der Ankauf der Suezkanalaktien im November 1875, die Reise des Prinzen von Wales nach Indien im Oktober 1875, die Annahme des Titels »Kaiserin von Indien« durch die Königin im Mai 1876, endlich die durch Gathorne Hardy bewirkte Reorganisation der Armee waren die ersten scheinbar unzusammenhängenden und doch in einem bei genauerer Prüfung leicht erkennbaren Zusammenhang stehenden Maßregeln, welche Beaconsfield ergriff, um seinen lange vorbereiteten Plan, die Herstellung des durch die schwächliche Politik der Whigregierung kompromittierten Ansehens Großbritanniens in und außerhalb Europas, durchzuführen.
Die Königin unterstützte ihn dabei auf das entschiedenste; am ernannte sie ihn zum Grafen von ein Titel, den schon seit 1868 seine 1872 gestorbene Gemahlin geführt hatte, worauf Beaconsfield, nun ein Siebziger, die stürmische Atmosphäre des Unterhauses mit der ruhigern des Oberhauses vertauschte. Seine Politik verlor dadurch an Energie nichts. 1877 und 1878 trat er angesichts der Orientwirren aufs entschiedenste für die Interessen Englands ein und ließ sich auch durch den Widerspruch, den er innerhalb des Ministeriums fand, und der zuletzt zum Austritt Lord Carnarvons und Lord Derbys aus demselben führte, nicht irre machen.
Die energischen Maßregeln, welche er anordnete, starke Rüstungen, [* 7] Einberufung der Reserve, Einlaufen der Flotte in die Dardanellen bis unmittelbar vor Konstantinopel, [* 8] Ansammlung indischer Truppen auf Malta, verfehlten ihren Zweck nicht: Rußland entschloß sich, den Frieden von San Stefano, der ihm die Herrschaft über den Orient gesichert hätte, dem Berliner Kongreß [* 9] vorzulegen, an dem Lord Beaconsfield persönlich teilnahm. Durch die Beschlüsse desselben wurden die russischen Forderungen erheblich abgeschwächt, und einen noch größern Erfolg der englischen Politik bedeutete der Vertrag vom durch welchen der Sultan an England die Insel Cypern [* 10] überließ und ihm das entscheidende Gewicht in Kleinasien einräumte.
Glänzende Ovationen erwarteten Lord Beaconsfield bei seiner Rückkehr nach England; die Königin verlieh ihm den Hosenbandorden, die City von London [* 11] das Ehren-Bürgerrecht; die Angriffe Gladstones gegen seine Politik wies das Unterhaus 2. Aug. mit der ungewöhnlich großen Majorität von 143 Stimmen (338 gegen 195) zurück. Auch der Krieg mit Afghanistan [* 12] führte im Mai 1879 zu einem günstigen Abschluß, und die anfänglichen Niederlagen der Engländer im Zulukrieg wurden durch den Sieg von Ulindu ausgeglichen.
Durch diese Erfolge sicher gemacht, entschloß sich Beaconsfield, nachdem in der Session von 1880 alle Angriffe der liberalen Opposition abgeschlagen waren, im März plötzlich zur Auflösung des Parlaments in der bestimmten Erwartung, durch einen günstigen Ausgang der Neuwahlen seine Herrschaft auf weitere sieben Jahre zu befestigen. Allein seine Hoffnungen gingen nicht in Erfüllung: Gladstone benutzte in geschicktester Wahlagitation eine weitern Kreisen fast unbekannt gebliebene Unterströmung im Volk, das nach der zwar glänzenden, aber auch opfervollen auswärtigen Politik der Tories einige Jahre ruhigerer und friedlicherer Entwickelung wünschte;
so führten die Wahlen eine entschiedene Mehrheit der liberalen Partei herbei, und Beaconsfield mußte im April 1880 seine Entlassung einreichen.
Abermals in die Rolle des Führers der Opposition zurückgedrängt, bewährte er sich noch im Sommer 1880 als furchtbarer Gegner des Ministeriums Gladstone und überraschte noch in demselben Jahr die litterarische Welt durch einen neuen politischen Roman: »Endymion«, [* 13] der in manchen Beziehungen seinen bedeutendsten Werken nahekommt. Noch im Beginn der Session von 1881 trat er mit voller Energie in den parlamentarischen Kampf ein, erkrankte aber nach wenigen Wochen und starb in London. Er wurde 26. April auf seinem Landsitz Hughenden Manor bestattet; das Parlament beschloß, ihm ein Denkmal in der Westminsterabtei zu errichten. Der Titel Lord Beaconsfield erlosch mit seinem Tod; zum Erben seiner Güter ernannte sein Testament seinen Neffen Ralph Coningsby Disraeli.
Über Lord Beaconfields Charakter und die endlichen Erfolge seiner Politik ist es kaum möglich schon heute ein entscheidendes Urteil abzugeben; im wogenden Streite der Meinungen gilt er seinen Anhängern als der größte Staatsmann, den Großbritannien [* 14] seit den Tagen des jüngern Pitt hervorgebracht, seinen Gegnern als ein politischer Achselträger und vom Glück begünstigter Charlatan. In der Wahl seiner Mittel hat er gewiß oft gewechselt, seine Ziele sind seit den Tagen des Jungen England in der Hauptsache dieselben geblieben.
Als Redner zeichnete sich Beaconsfield vor allem durch seine Schlagfertigkeit und Schärfe sowie seinen sprühenden Witz aus; in der parlamentarischen Debatte war er Meister, obwohl in der kunstvollen Eloquenz Gladstone ihm überlegen sein mochte. Seine Reden sind gesammelt in »Church and Queen, five speeches delivered 1860-64« (Lond. 1865);
»Constitutional reform, five speeches, 1859-65« (das. 1866);
»Parliamentary reform, a series of speeches, 1848-66« (2. Aufl., das. 1867);
»Speeches on the conservative policy of the last 30 years« (das. 1870);
»Selected speeches of the late Right Hon. the Earl of Beaconsfield«, herausgegeben von Kebbel (das. 1882, 2 Bde.);
letzte Gesamtausgaben seiner Romane 1881, 11 und 10 Bde.
Vgl. Mill, Disraeli, the author, orator and statesman (Lond. 1863);
»Benjamin Disraeli. Earl of a political biography« (das. 1877);
Hitchman, The public life of the Earl of Beaconsfield (3. Aufl., das. 1885);
Brandes, Lord Beaconsfield (Berl. 1879);
Cucheval-Clarigny, Lord et son temps (Par. 1880);
Ewald, The Right Hon. Benjamin Disraeli, Earl of and his times (Lond. 1882, 2 Bde.).