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Die erste günstige Gelegenheit dazu boten die Verhandlungen über die Erneuerung des Zollvereins und das Zollparlament in der Reichsratskammer. Obwohl die bayrische Regierung bei der Neuorganisation des Zollvereins auf das Liberum veto hatte verzichten müssen, so hatte die Zweite Kammer die neuen Zollvereinsverträge doch mit 117 gegen 17 Stimmen genehmigt. Der Ausschuß der Reichsratskammer beantragte aber mit 9 gegen 1 Stimme ihre Verwerfung. Die teils ultramontane, teils großdeutsch-partikularistische Mehrheit des Plenums war ebenfalls dazu geneigt.
Als aber Preußen [* 2] 26. Okt. in München [* 3] erklären ließ, daß es 31. Okt. die Zollvereinsverträge von 1865 kündigen werde, wenn bis dahin der neue Vertrag nicht genehmigt sei, versuchte die Reichsratskammer erst einen Mittelweg, indem sie einen ihrer Führer, v. Thüngen, mit Hohenlohe nach Berlin [* 4] schickte, um das Liberum Veto für Bayern [* 5] zu erlangen, und als diese Mission nichts erreichte, genehmigte sie den Vertrag 31. Okt. mit 35 gegen 13 Stimmen. Auch das neue Gewerbegesetz, die Gesetze über Heimat, Verehelichung und Bürgerrecht sowie das Wehrgesetz wurden nun, obgleich sie auf freisinnigen Grundsätzen beruhten, von der Reichsratskammer angenommen.
Die Ultramontanen verlegten daher die Agitation in die Masse des Volks und erreichten es auch, daß bei den Wahlen für das Zollparlament 26 Klerikale und nur 12 Nationalgesinnte gewählt wurden. Dieser Erfolg ermutigte sie zu weitern Anstrengungen. Im J. 1868 legte der Kultusminister v. Gresser den Kammern den Entwurf eines neuen Schulgesetzes vor, welches die Volksschule, ohne ihr den konfessionellen Charakter zu rauben und ohne der Geistlichkeit die Leitung des Religionsunterrichts zu entziehen, doch von dem Druck des Klerus befreien sollte, unter dem sie in Bayern jahrhundertelang gelegen und daher nur wenig geleistet hatte.
Fortan sollte der Staat durch besondere pädagogisch gebildete Distriktsinspektoren die Aufsicht über das Schulwesen führen, der Geistlichkeit nur ein Anteil an der Lokalinspektion verbleiben. Die Zweite Kammer nahm den Entwurf mit einigen Modifikationen an. Die Reichsräte aber beschlossen 63 wichtige Änderungen, welche die staatliche Inspektion beseitigten und die Herrschaft der Geistlichkeit noch steigerten. Die Zweite Kammer gab in 36 Punkten nach. Dennoch beharrten die Reichsräte 27. April bei ihren Amendements, und so scheiterte das ganze Gesetz.
Gestärkt durch diesen Sieg, begannen nun die Klerikalen eine höchst wirksame Agitation für die neuen Landtagswahlen, die im Mai 1869 stattzufinden hatten, da die sechsjährige Wahlperiode des letzten Landtags abgelaufen war. Sie gründeten Kasinos und patriotische Bauernvereine und benutzten Presse, [* 6] Kanzel und Beichtstuhl, um dem Landvolk einzureden, daß es entweder klerikal wählen, oder preußisch und lutherisch werden müsse. Sie wurden zu noch eifrigerer Thätigkeit angespornt, als der von ihnen wegen seiner deutschen und liberalen Gesinnung schon grimmig gehaßte Hohenlohe durch eine Zirkulardepesche vom die europäischen Kabinette aufforderte, gegen alle Beschlüsse des bevorstehenden vatikanischen Konzils Protest einzulegen, welche einseitig, ohne Zuziehung der Vertreter der Staatsgewalt, über staatskirchliche Fragen oder über Gegenstände gemischter Natur vom Konzil gefaßt werden möchten.
In der That wurden 20. Mai 79 Klerikale oder, wie sie sich nun nannten, »Patrioten« und 75 Liberale gewählt. Von den letztern gehörten 55 der Fortschrittspartei, 20 der Mittelpartei an. Die neugewählte Abgeordnetenkammer trat 21. Sept. zusammen. Nach Kassierung einiger Wahlen, welche vorzugsweise die klerikale Partei traf, standen 72 Liberale und 72 Patrioten einander gegenüber. Jene stellten den Professor Edel (von der Mittelpartei), diese den Ministerialrat Weis als Präsidentschaftskandidaten auf. Es fanden zum Zweck der Präsidentenwahl sieben Skrutinien statt, und jedesmal waren 71 Stimmen für Edel, 71 für Weis.
Alle Vermittelungsvorschläge scheiterten an der siegesgewissen Starrheit der Patrioten. Als auch das siebente Skrutinium, 5. Okt., keine Entscheidung brachte, blieb der Regierung nichts andres übrig, als die nicht lebensfähige Kammer aufzulösen und an das Land zu appellieren. Die Auflösung erfolgte 6. Okt., die Neuwahlen wurden auf 25. Nov. festgesetzt; zugleich nahm man eine andre Einteilung einiger Wahlbezirke vor, wodurch die Stimme der Städte gegenüber der Landbevölkerung mehr zur Geltung kommen sollte.
Diese Maßregel, nicht im großen Stil durchgeführt, erwies sich nicht als genügend. Der durch die unermüdliche Thätigkeit begründete Einfluß der Klerikalen war so groß, daß die Wahlen vom 25. Nov. für die Regierung noch ungünstiger ausfielen als die vom 20. Mai: wurden 80 Patrioten und 74 Liberale gewählt; von den letztern gehörten 63 zur Fortschrittspartei, 11 zur Mittelpartei. Durch die Kassierung der liberalen Günzburger Wahlen wurde sogar das Verhältnis noch ungünstiger: 83 Patrioten standen 71 Liberalen gegenüber.
Dieses Wahlresultat war zugleich eine Kriegserklärung an das Ministerium. In richtiger Würdigung der Sachlage reichte dasselbe daher 26. Nov. seine Entlassung ein. Indes bewog der König Hohenlohe, zu bleiben, und nur Gresser, der Kultusminister, und Hörmann, der Minister des Innern, beharrten auf ihrer Entlassung, die sie 9. Dez. erhielten. Der Landtag trat zusammen. Die sehr versöhnlich gehaltene Thronrede beantwortete 28. Jan. die Reichsratskammer mit einer Adresse, in welcher das Wahlresultat vom 25. Nov. mit Freude begrüßt und ein entschiedenes Mißtrauensvotum gegen Hohenlohe ausgesprochen und welche mit 32 gegen 12 Stimmen angenommen wurde; sechs Prinzen stimmten für dieselbe.
Die Adresse wurde vom König nicht angenommen. Am 29. Jan. begann die Adreßdebatte im Abgeordnetenhaus und dauerte bis 12. Febr. Der ultramontane Entwurf war von Jörg verfaßt und sprach nicht nur offen die Forderung der Entlassung Hohenlohes, sondern auch die der Lösung der mit Preußen geflossenen Verträge aus, wie denn der Preußenhaß in der Debatte besonders zum Ausdruck kam. Die Adresse wurde schließlich mit 78 gegen 62 Stimmen angenommen. Hohenlohe konnte sich nach den Erklärungen beider Kammern nicht auf seinem Posten behaupten und reichte 15. Febr. von neuem seine Entlassung ein.
Der König nahm sie 7. März an und ernannte den Grafen Bray zum Nachfolger. In der Sitzung der Abgeordnetenkammer vom 30. März, als bei Beratung des Militäretats der Allianzvertrag neuen Angriffen ausgesetzt war, entwickelte Graf Bray sein Programm. Derselbe betonte die Aufrechthaltung des Status quo, die Haltung der Verträge, aber auch die Wahrung der Unabhängigkeit und Souveränität Bayerns, schwieg jedoch von einer weitern Anlehnung an Preußen und den Norddeutschen Bund sowie von dem Streben nach nationaler Einigung. ¶
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Wie in Württemberg [* 8] die demokratisch-großdeutsche Mehrheit der Abgeordnetenkammer, so suchte in Bayern die durch ihren Sieg ermutigte Partei der Patrioten den Allianzvertrag, welchen die Regierungen zu kündigen sich weigerten, dadurch wertlos zu machen, daß sie die Stärke [* 9] des Militärs, nach Zahl und Qualität, möglichst herabsetzte. In der Sitzung vom 31. März bewilligte die Abgeordnetenkammer in dem außerordentlichen Militäretat nicht die von der Regierung verlangten 6½ Mill. Fl., sondern kaum 4 Mill., und der mit den Patrioten verbündete demokratische Statistiker Kolb verlangte eine bedeutende Abkürzung der Präsenzzeit (bei der Infanterie nur acht Monate), Verminderung der Reiterei von zehn auf sechs Regimenter, Verringerung der Zahl der Generale und Offiziere, Aufhebung der Regimentsverbände bei der Infanterie und Artillerie, Aufhebung des Kadettenkorps u. a., was auf eine völlige Auflösung eines gut organisierten stehenden Heers hinzielte.
Mit Recht wurde gesagt, daß auf diese Weise Bayern nichts andres als bewaffnete Bauernvereine bekomme. Bei der Langsamkeit, mit der die bayrische Kammermaschine arbeitete, begann die Generaldebatte über das Militärbudget erst 13. Juli. Graf Bray und Kriegsminister v. Pranckh widersetzten sich den Kolbschen Desorganisationsvorschlägen, deckten die Nachteile und Schwächen derselben auf und hielten den Zeitpunkt nicht für geeignet für organisatorische Heeresveränderungen. Am 15. Juli war die Generaldebatte geschlossen, und der Präsident setzte infolge einer Aufforderung des Ministeriums den Beginn der Spezialdebatte nicht auf den 16., sondern erst aus den 18. Juli Aber an diesem Tag wurden der Abgeordnetenkammer ganz andre Vorlagen gemacht, und von den Kolbschen Entwürfen war nicht mehr die Rede.
Am war in den französischen Kammern der Krieg gegen Deutschland [* 10] proklamiert worden, und 16. Juli war in Preußen die Mobilmachungsorder gefolgt. Schon an demselben Tag erklärte König Ludwig, der Bündnisfall sei gegeben, und befahl die Mobilisierung der bayrischen Armee. Am 18. Juli stand nicht die Spezialdebatte über das Friedensbudget auf der Tagesordnung, sondern der vom Ministerium für den Krieg gegen Frankreich geforderte außerordentliche Kredit von 26,700,000 Fl. Die Regierungsvorlage wurde einem Ausschuß zur Begutachtung übergeben, und die Mehrheit desselben beantragte durch ihren Referenten Jörg die Verwilligung von nur 5,600,000 Fl. zur Aufrechthaltung einer bewaffneten Neutralität.
Dieser Antrag wurde aber unter dem Druck der öffentlichen Meinung, welche sich entschieden für den Krieg aussprach, und der Besorgnis, durch zaghafte Neutralität die Existenz Bayerns aufs Spiel zu setzen, in der Sitzung vom 19. Juli nach heftigen Debatten mit 89 gegen 58 Stimmen verworfen und der Schleichsche Vermittelungsantrag, womit sich die Regierung einverstanden erklärt hatte, mit 101 gegen 47 Stimmen angenommen. Dieser letztere Antrag verwilligte der Regierung »für den Fall der Unvermeidlichkeit des Kriegs« 18,260,000 Fl. Die Reichsratskammer trat in ihrer Sitzung vom 20. Juli diesem Beschluß einstimmig, ohne alle Debatte, bei. Am nämlichen Tag machte der bayrische Gesandte in Berlin, Baron v. Perglas, im Auftrag seiner Regierung dem Grafen Bismarck die Mitteilung, daß infolge der Kriegserklärung Frankreichs an Preußen und des stattgehabten Angriffs der Franzosen auf deutsches Gebiet die bayrische Regierung auf Grund des Allianzvertrags als Verbündeter Preußens [* 11] gleich sämtlichen deutschen Regierungen in den Krieg gegen Frankreich eingetreten sei.
König Wilhelm von Preußen teilte sofort dem König Ludwig in einem Telegramm mit, daß er das Kommando über die bayrische Armee übernehme und dieselbe der unter seinem Sohn stehenden dritten Armee zuweise. Am 27. Juli traf der Kronprinz von Preußen in München ein und wurde mit einer außerordentlichen Begeisterung aufgenommen. Die zwei bayrischen Armeekorps zogen unter v. d. Tann und Hartmann über den Rhein und machten durch ihre Tapferkeit dem bayrischen Namen überall, wo sie kämpften, Ehre. An den Siegen [* 12] von Weißenburg [* 13] und von Wörth, [* 14] an den Kämpfen bei Sedan, [* 15] vor Paris [* 16] und bei Orléans [* 17] nahmen sie den ruhmvollsten Anteil.
Das ganze Land war hocherfreut über die ehrenvollen Kriegsthaten der bayrischen Truppen. Hunderte von Adressen gingen an die Regierung ab und verlangten Anschluß an den Norddeutschen Bund. Die bayrischen Minister, in der Hoffnung, durch sofortige Ergreifung der Initiative günstigere Bedingungen zu erhalten, beantragten 12. Sept. beim König die Eröffnung von Unterhandlungen mit dem Grafen Bismarck zum Zweck einer engern Vereinigung Bayerns mit dem Norddeutschen Bund und begaben sich, nachdem eine Besprechung mit dem Präsidenten des Bundeskanzleramts, Delbrück; in München zu nichts geführt hatte, da Bayern zu viele Reservatrechte beanspruchte, Ende Oktober nach Versailles, [* 18] wo nach langen, schwierigen Verhandlungen der Vertrag Bayerns mit dem Norddeutschen Bund unterzeichnet wurde.
Durch diesen Vertrag wurde nun ein Glied [* 19] des neu zu gründenden Deutschen Reichs, nahm aber in demselben eine sehr auffallende Ausnahmestellung ein. Zwar hatte es nicht ein absolutes Veto gegen jede Erweiterung der Reichskompetenz erlangt, aber es behielt seine eigne Diplomatie, die Verwaltung des Heerwesens, der Post, der Telegraphen, [* 20] der Eisenbahnen, die besondere Besteuerung des Biers und des Branntweins, und die Bestimmungen der Bundesverfassung über Heimats- und Niederlassungsverhältnisse fanden auf Bayern keine Anwendung.
Da aber doch zugleich wesentliche Souveränitätsrechte von der Krone an den Bund und das Bundespräsidium übergingen, der Bundesfeldherr das Recht der Anordnung der Mobilisierung und das der Inspektion des bayrischen Kontingents hatte, auch die Grundlagen der Bundeskriegsverfassung sowie die Formation und Ausrüstung der Truppen auf das bayrische Heerwesen übertragen wurden, so wurde dieser Vertrag im Hinblick auf das Ganze und auf die bessernde Hand [* 21] der Zukunft von dem norddeutschen Bundesrat einstimmig und von dem Reichstag 9. Dez. mit 195 gegen 32 Stimmen genehmigt. In der Titelfrage ergriff König Ludwig die Initiative und trug unter Zustimmung sämtlicher deutscher Regierungen dem König von Preußen den Kaisertitel an.
Noch aber fehlte die Zustimmung der bayrischen Kammern zu den Versailler Verträgen, die ihnen 14. Dez. vorgelegt wurden. Die Reichsratskammer nahm sie 30. Dez. mit 37 gegen 3 Stimmen an. Das Abgeordnetenhaus wählte aber einen Ausschuß, der 29. Dez. die Verwerfung zu beantragen beschloß, und begann erst die Debatte im Plenum, die bis 21. Jan. dauerte. Jörg stellte im Namen der Patrioten den Antrag, die Verträge zu verwerfen und mit dem künftigen Deutschen Reich einen weitern Bund abzuschließen »auf Grund der innern Ausbildung des ¶