Titel
Bakterien
(hierzu Tafel »Bakterien«), [* 2]
unvollständig bekannte Gruppe von niedrig organisierten, sehr kleinen Pilzen aus der Ordnung der Spaltpilze, deren Entwickelungszustände je nach dem Nährboden verschiedene Formen annehmen. Als Kokkenform (die ehemaligen Gattungen Micrococcus [s. Tafel, [* 1] Fig. 2] und Macrococcus) bezeichnet man kugelige oder ellipsoidische Zellen von winzigem, zwischen 0,0005-0,0012 mm schwankendem Durchmesser. Die Stäbchenformen [* 1] (Fig. 1) stellen cylindrische Zellen dar, von denen die kürzern, etwa 0,002-0,003 mm langen als Kurzstäbchen (die Gattung Bacterium), die längern als Langstäbchen (die Gattung Bacillus) unterschieden werden.
Bleiben die Stäbchenzellen aneinander gereiht, so entstehen Fadenformen (Leptothrix). Haut- oder gallertartige Anhäufungen von Bakterien werden als Zooglöaform, spiralig gewundene, bewegliche Formen als Spirobakterien [* 1] (Fig. 6), früher unter den Namen Spirillum, Ophidomonas, Vibrio, Spirochaete, Spiromonas, Spirulina beschrieben, bezeichnet. Alle Bakterien vermehren sich durch fortgesetzte Teilung, bei manchen wurden auch Dauersporen und Schwärmzustände beobachtet.
Eine und dieselbe Bakterienart vermag je nach verschiedenen Ernährungsbedingungen in Kokkenform, als Lang- oder Kurzstäbchen, als Zooglöa oder Leptothrix etc. aufzutreten. Die Vegetation der Bakterien ruft in dem sie ernährenden Substrat Gärung oder Zersetzung (zymogene in andern Fällen das Auftreten bestimmter Farbstoffe (chromogene oder Pigmentbakterien) hervor; die pathogenen Bakterien dagegen treten als Begleiter bestimmter Krankheiten, z. B. des Milzbrandes der Rinder, [* 3] der Tuberkulose und der Cholera beim Menschen, auf. Zu der Gattung Bacterium im engern Sinn gehört der Essigpilz (Essigmutter, Bacterium aceti Kütz.), welcher die Umwandlung von Alkohol in Essigsäure in gegornen Getränken veranlaßt. Bakterien cyanogenum Fuchs, [* 4] der Pilz [* 5] der blauen Milch, entwickelt sich besonders in der warmen Jahreszeit auf sonst völlig normaler Milch; sein mit den Anilinfarben in Beziehung stehender blauer Farbstoff haftet nicht an den Bakterienzellen, sondern findet sich in der Milchflüssigkeit gelöst. Der Heupilz (Bakterien subtile Ehrb.) entwickelt sich besonders in Aufgüssen von Heu oder tierischen Exkrementen und bildet an der Oberfläche derselben eine Rahmhaut. Der Milzbrandpilz (Bakterien. Anthracis Cohn, [* 1] Fig. 3) wuchert in der Milz, in der Lunge, [* 6] Leber, den Blut- und Lymphgefäßen milzbrandiger Rinder und ruft bei Überimpfung in das Blut andrer Tiere Milzbrand hervor. Der Tuberkelpilz (Bakterien Tuberculosis Koch, [* 1] Fig. 4) tritt im Auswurf lungenkranker Personen auf und läßt sich ebenfalls mit Erfolg auf verschiedene Tiere (Mäuse, Kaninchen, [* 7] Katzen, [* 8] Hunde) [* 9] übertragen. Der Kochsche Cholerapilz (Kommabacillus, [* 1] Fig. 5) bildet sehr kleine, schwach gekrümmte Stäbchen und findet sich im Darm [* 10] Cholerakranker; ein sehr ähnlicher Organismus tritt bei Cholera nostras auf und wird von manchen für identisch mit dem Kommabacillus gehalten.
Vgl. Cohn, Untersuchungen über (in den »Beiträgen zur Biologie«, Bd. 1 u. 2, Bresl. 1876-78);
Zopf, Die Spaltpilze (2. Aufl., das. 1884);
Wigand, Entstehung und Entwickelung der Bakterien (Marb. 1884).
Über die Bedeutung der und der Pilze [* 11] überhaupt als Ansteckungsstoff oder Krankheitserreger s. Ansteckung.
Bakterioskopische Untersuchungen.
Seitdem mit Hilfe des Mikroskops das Vorhandensein von Bakterien unter den verschiedensten Verhältnissen nachgewiesen worden war, widmeten sich zahlreiche Forscher dem Studium dieser einfachen Organismen. Die Untersuchungen wurden ungemein gefördert, als man erkannte, daß die Bakterien bestimmten Farbstoffen gegenüber besondere Eigentümlichkeiten zeigen und namentlich Anilinfarbstoffe sehr begierig aufnehmen, so daß man sie durch intensive Färbung auch unter dem Mikroskop [* 12] leichter erkennbar machen kann.
Versuche, die Lebensverhältnisse der einzelnen Bakterienarten genauer zu erforschen, führten aber meist zu wenig befriedigenden Resultaten, weil das Auftreten der Bakterien in außerordentlich großer Zahl und Mannigfaltigkeit die Beobachtung der Individuen ungemein erschwert, und weil man die Bedingungen nicht hinlänglich kannte, unter denen die einzelnen Arten ernährt und gezüchtet werden können. Die Erkenntnis der Beziehungen gewisser Bakterien zu bestimmten Krankheiten regte aber lebhaft zu weitern Forschungen auf diesem Gebiet an, und so bemühte man sich, die von der Natur gegebenen Bedingungen des Wachstums und der Vermehrung der Bakterien möglichst treu nachzuahmen, indem man die verschiedenartigsten Nährlösungen herstellte und in denselben Bakterien zu kultivieren versuchte.
Die Kulturen gelangen denn auch vortrefflich, indes der ersten Anforderung exakter Forschung, nur eine einzige Art zu kultivieren, konnte nicht entsprochen werden, da in den Nährflüssigkeiten von vornherein schon Keime der mannigfachsten Formen vorhanden waren, und da aus der Umgebung, aus der Luft, den gebrauchten Apparaten und Instrumenten noch erhebliche Mengen neuer Keime hinzukamen. Die Nährflüssigkeiten enthielten daher meist schon nach wenigen Tagen ein Gewimmel der allerverschiedensten Formen von Mikroorganismen, und an die ausschließliche reine Kultur einer einzigen Art war gar nicht zu denken.
Dies gelang erst durch Einführung des sterilisierten festen Nährbodens nach der von R. Koch angegebenen Methode. Koch zeigte, wie man die Nährstofflösungen von den darin enthaltenen Keimen befreit und die zu untersuchenden Bakterien von andern isoliert und für sich allein züchtet; er wandte seine Methode auf die Infektionskrankheiten: Milzbrand, Tuberkulose, Cholera, sowie auch auf die Untersuchung von Wasser, Luft und Boden wie überhaupt auf alle möglichen keimhaltigen Dinge an und erreichte die überraschendsten Resultate. Zu seinen Reinkulturen, d. h. zu Kulturen, die immer nur denselben Organismus allein enthalten, benutzte Koch die verschiedensten festen organischen Substanzen. Da dieselben aber, wie die Gefäße und Instrumente, stets Keime zahlreicher Formen enthalten, so ist die erste Aufgabe, sie keimfrei zu machen, sie zu sterilisieren.
Dies geschieht bei den organischen Nährsubstanzen durch strömenden Wasserdampf von 100°, für die Gefäße, die man, um das Eindringen von Keimen aus der Atmosphäre zu verhindern, mit einem lockern Wattebausch verschließt, durch trockne Hitze von 150-180° und für die Instrumente durch Ausglühen. Außerdem muß der Arbeitende seine Hände mit Quecksilberchloridlösung (0,5-1 g auf 1000 g Wasser) waschen, um daran haftende Keime zu töten. Die Wattepfropfen, welche die Gefäße verschließen, sollen möglichst wenig abgehoben und, wenn dies erforderlich ist, nicht mit keimhaltigen Gegenständen in Berührung gebracht werden. Als Nährboden benutzte Koch je nach den Verhältnissen Kartoffelscheiben, Brotbrei, Pflaumenabkochung, zu Züchtungsversuchen ganz besonders aber Blutserum, welches infolge seiner Fähigkeit, schon bei niederer Temperatur zu erstarren, bei ca. 57° sterilisiert wird (eine Woche lang täglich eine Stunde). Als bestes Nährmaterial hat sich die sogen. Gelatine bewährt, ¶
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die aus Fleischwasser, 2-10 Proz. Gelatine, Pepton und Kochsalz dargestellt wird. Das Gemisch wird aufgekocht, mit kohlensaurem Natron neutralisiert, filtriert und sterilisiert. Es erstarrt bei Zimmertemperatur und ist bei geeigneter Zubereitung vollständig durchsichtig, so daß man die darin entwickelten Bakterienkolonien im Reagenzglas oder auf einer Glasplatte mit bloßem Auge [* 14] und unter dem Mikroskop direkt beobachten kann. An Stelle der Gelatine benutzt man auch Agar-Agar, welches eine ebenso durchsichtige Gallerte liefert, die aber erst bei höherer Temperatur flüssig wird.
Ist die Nährsubstanz gehörig sterilisiert, so beschickt man sie mit Hilfe ausgeglühter Instrumente mit dem zu untersuchenden bakterienhaltigen Material, indem man z. B. eine Platinnadel erst in letzteres und dann in die Nährsubstanz sticht. In neuerer Zeit hat man diese Methode abgeändert. Man mischt das zu untersuchende Material mit sterilisierter und in mäßiger Wärme [* 15] verflüssigter Nährgelatine, stellt aus dieser ersten Lösung verschiedene Verdünnungen mit reiner Nährgelatine her, gießt die sorgfältig gemischten Präparate unter Vermeidung von Bewegungen, durch welche Staub verursacht wird, auf sterilisierte Glasplatten und bringt sie auf Eis [* 16] möglichst rasch zum Erstarren.
Läßt man nun die sterilisierten und mit bakterienhaltigem Material beschickten Kartoffelscheiben oder die Gelatinepräparate unter sicherm Abschluß gegen die Luft in sogen. feuchten Kammern liegen, so entwickeln sich die einzelnen voneinander getrennten und in der erstarrten Gelatine an bestimmten Stellen fixierten Keime zu Kolonien, aus welchen mit Hilfe des Mikroskops und einer ausgeglühten Platinnadel Material entnommen und zum Anlegen von Reinkulturen in sterilisierten und mit Watte verschlossenen Reagenzgläsern benutzt werden kann. Diese Reinkulturen bieten nun ebenso leichte wie mannigfache Gelegenheit zur genauen Erforschung der einzelnen Bakterienformen und gewähren eine Sicherheit der Resultate, wie sie bei frühern Untersuchungen niemals erreicht werden konnte. Zur Kontrolle der Reinheit der Kulturen stellt man sogen. Deckgläschenpräparate her, in welchen die Bakterien mit Anilinfarben gefärbt werden.
Die Tafel zeigt in [* 13] Fig. 1 und 2 Bacillen und Mikrokokkus, aus in Trinkwasser vorkommenden Keimen gezüchtet. [* 13] Fig. 3, 4 und 5 zeigen die in Reinkulturen gezüchteten Bacillen des Milzbrandes, der Tuberkulose und den Kochschen Cholerabacillus (Kommabacillus). [* 13] Fig. 6 ist der Spirillus des Febris recurrens, mit dessen Vermehrung im Blute das Fieber steigt und seinen Höhepunkt erreicht, während es wieder abnimmt und verschwindet in dem Maß, wie sich die Zahl der Spirillen vermindert.
Die Untersuchung des Trinkwassers hat das Vorkommen zahlreicher Formen in demselben erwiesen, ohne daß man aber bisher im stande gewesen wäre, einzelnen derselben eine bestimmte Bedeutung für die Gesundheit zuzuschreiben. [* 13] Fig. 7 zeigt die aus relativ gutem Wasser in einer Gelatineplatte entwickelten Bakterien, [* 13] Fig. 8 zum Vergleich das Resultat, welches relativ schlechtes Wasser liefert. Durch Filtration wird das Wasser wesentlich gereinigt, die bakterioskopische Untersuchung hat indes festgestellt, daß auch bei sorgfältigster Filtration nicht alle Keime entfernt werden, und es ist mithin Pflicht der öffentlichen Gesundheitspflege, für Reinhaltung des Bodens, welcher die Quellen speist, in jeder erdenklichen Weise Sorge zu tragen.
Vgl. Hüppe, Methoden der Bakterien-Forschung (Wiesb. 1885).