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Waffenstillstand von Nikolsburg zwischen Österreich [* 2] und Preußen [* 3] bat die Mehrheit der Zweiten Kammer 22. Juli einer Adresse den Großherzog, den nutzlosen Krieg aufzugeben und den Anschluß an Preußen herbeizuführen; zahlreiche Gemeindebehörden, Handelskammern und Volksversammlungen sprachen in Petitionen denselben Wunsch aus. Edelsheim erbat und erhielt daher 24. Juli seine Entlassung, und 27. Juli ward Mathy mit der Bildung eines neuen Ministeriums beauftragt, in dem er selbst den Vorsitz, Handel und Finanzen, Freydorf das Auswärtige, Jolly das Innere und die Justiz übernahmen. Sofort erklärte Baden [* 4] seinen Austritt aus dem Deutschen Bund und schloß 17. Aug. mit Preußen Frieden, in welchem es sein Gebiet unverletzt behielt und sich nur zu einer Kriegskontribution von 6 Mill. Fl. verpflichten mußte. Dem Frieden folgte sogleich das geheime Schutz- und Trutzbündnis mit Preußen.
Die 9. Okt. zu einer kurzen Session einberufenen Kammern genehmigten nicht bloß den Friedensvertrag einstimmig, sondern sprachen auch 24. Okt. mit großer Mehrheit gegen die Regierung den Wunsch aus, daß sie den Eintritt der süddeutschen Staaten, insbesondere Badens, in die Verbindung der norddeutschen Staaten zur möglichen Wiederherstellung eines Gesamtdeutschland mit aller Entschiedenheit erstrebe und bis zur Erreichung des bezeichneten Ziels jede irgend mögliche Annäherung Badens an Preußen und den Norddeutschen Bund, sowohl aus volkswirtschaftlichen Gebieten als durch vertragsmäßige Sicherung des Zusammengehens für den Fall eines Kriegs und Verabredung dem entsprechender militärischer Einrichtungen, zu erreichen suche.
Das neue Ministerium nahm die Durchführung dieser Politik energisch in die Hand. [* 5] Unter Mitwirkung des Generals v. Beyer, der als preußischer Militärbevollmächtigter nach Karlsruhe [* 6] geschickt wurde, erhielt die badische Armee preußische Bewaffnung und Organisation. Das vollständig an die norddeutsche Wehrverfassung sich anschließende neue Wehrgesetz, welches die allgemeine Wehrpflicht einführte, die Friedensstärke des badischen Heers auf 1, die Kriegsstärke auf 2 Proz. der Bevölkerung [* 7] festsetzte und das ordentliche Budget des Kriegsministeriums um 2 Mill., auf 9½ Mill., das außerordentliche auf 5 Mill. erhöhte, wurde im November 1867 und im Januar 1868 von den Kammern angenommen, worauf Beyer selbst das Kriegsministerium übernahm. Der geheime Allianzvertrag mit Preußen und die Verträge über die Erneuerung des Zollvereins und die Bildung des Zollparlaments wurden von den Kammern fast einstimmig genehmigt. Den sofortigen Eintritt Badens in den Norddeutschen Bund verhinderte bloß die ablehnende Haltung Bismarcks, der Frankreich auch nicht den geringsten Vorwand zu einer Einmischung in die deutschen Angelegenheiten geben wollte.
Daneben gingen innere Reformen her. Ein Ministerverantwortlichkeitsgesetz, ein Preßgesetz und ein Schulgesetz, welches den allgemeinen Schulzwang einführte, kamen zu stande. Um für eine wissenschaftliche und nationale Bildung der Geistlichkeit zu sorgen, ward derselben durch Verordnung vom eine staatliche Prüfung über ihre allgemein wissenschaftliche Vorbildung auferlegt. Dagegen trug die Regierung Bedenken, den Wunsch der Kammern nach Einführung der obligatorischen Zivilehe sofort zu erfüllen. Dies bewog, als nach dem Tod Mathys Jolly an die Spitze der Regierung trat und das Ministerium durch mehrere neue Männer ergänzt wurde, ohne daß eine vorherige Verständigung mit der Kammermajorität erfolgt war, einen Teil der Liberalen auf einer Versammlung in Offenburg [* 8] Ende 1868, dem Ministerium Opposition anzukündigen, falls es nicht gewisse Forderungen, wie Abkürzung der Präsenzzeit, Verminderung der Militärausgaben, eine liberale kirchliche Politik etc., erfülle.
Indessen war die Spaltung der liberalen Partei nicht von Dauer, da die klerikale Partei zu früh verriet, daß sie sich dieselbe zu nutze zu machen beabsichtige. Nachdem nämlich der Streit mit der Freiburger Kurie wegen jener Examenverordnung der Regierung, deren Befolgung Vicari allen katholischen Geistlichen verbot, und wegen der Besetzung des Freiburger Erzbistums nach dem Tod Vicaris welche das Domkapitel durch Ausstellung einer unannehmbaren Kandidatenliste unmöglich machte, von neuem ausgebrochen war, erließen, ermutigt durch den Ausfall der Zollparlamentswahlen, bei denen sie sechs Sitze gewannen, die Ultramontanen, unterstützt von der großdeutsch-demokratischen Partei, einen Aufruf, in welchem sie »Auflösung der jetzigen Ständeversammlung und Einberufung eines außerordentlichen Landtags zur Schaffung eines neuen Wahlgesetzes auf Grundlage des direkten, geheimen Wahlverfahrens« verlangten und ein Mißtrauensvotum gegen das Ministerium Jolly beantragten.
Zugleich wurde ein Adressensturm an den Großherzog organisiert und von 123 Gemeinden völlig gleichlautende Adressen abgeschickt. Angesichts dieser Agitation gab eine neue Versammlung der Liberalen in Offenburg 23. Mai die frühere Mißstimmung vollständig auf, erklärte sich wieder eins mit dem Ministerium und beschloß gleichfalls eine Adresse an den Großherzog. Der Großherzog ließ in einem Schreiben vom 29. Mai Unterzeichnern der Offenburger Adresse für ihre Treue und Hingebung danken und in einem Schreiben vom 1. Juni den Unterzeichnern der klerikal-demokratischen Adressen mitteilen, daß er ihrer Bitte keine Folge geben könne.
Die Regierung entschloß sich nun, dem neuen Landtag, der im September 1869 zusammentrat, wichtige Reformen vorzuschlagen. Durch ein Verfassungsgesetz sollte die Zweite Kammer die selbständige Wahl des Präsidenten, die Selbstbestimmung hinsichtlich der Geschäftsordnung, die Initiative in der Gesetzgebung erhalten und der Grundsatz des allgemeinen Wahlrechts und der geheimen Abstimmung, jedoch nicht der direkten Wahlen in das Wahlgesetz aufgenommen werden.
Dasselbe wurde nach längern Debatten über direkte und indirekte Wahlen von beiden Kammern genehmigt. Der Gesetzentwurf über Einführung der obligatorischen Zivilehe und der bürgerlichen Standesbeamtung wurde von der Zweiten Kammer 17. Nov. mit allen gegen 6, von der Ersten Kammer 4. Dez. gleichfalls mit allen gegen 6 Stimmen angenommen. Das Gesetz über eine neue Einteilung der Wahlbezirke, welches bestimmte, daß behufs der Wahl der 63 Abgeordneten das Land in 56 Wahlbezirke eingeteilt werden solle, wovon die Wahlbezirke der zwei größten Städte, Karlsruhe und Mannheim, [* 9] je 3, die Wahlbezirke der drei nächstgrößten Städte, Freiburg, [* 10] Pforzheim, [* 11] Heidelberg, [* 12] je 2, alle übrigen Wahlbezirke je 1 Abgeordneten zu wählen hätten, wurde mit dem Amendement, die Mandatsdauer der Abgeordneten von 8 auf 4 Jahre herabzusetzen und alle 2 Jahre die eine Hälfte austreten zu lassen, im März 1870 genehmigt. Außerdem wurde das sogen. Stiftungsgesetz, wonach diejenigen Stiftungen, welche nicht kirchlichen Zwecken gewidmet waren, sondern in das Gebiet der Schule ¶
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und des Armenwesens gehörten, der kirchlichen Verwaltung entzogen und unter weltliche Verwaltung gestellt werden sollten, sowie Gesetze über Ausdehnung [* 14] der Kompetenz der Schwurgerichte bei politischen und Preßvergehen, über das an die norddeutschen Bestimmungen sich anschließende Militärstrafgesetzbuch und über die Unterstützung des Gotthardbahnunternehmens mit 3 Mill. Fl. vom Landtag angenommen. Der Schluß der fruchtbaren Session fand statt.
Baden als Glied des Deutschen Reichs.
Als der Krieg gegen Frankreich 1870 ausbrach, war Baden zunächst bedroht. Aber da es vortrefflich vorbereitet war, so gingen die Rüstungen [* 15] und die Mobilmachung in aller Ruhe vor sich. Der Großherzog erklärte sofort den Fall des Bündnisses von 1867 eingetreten und stellte die badische Division, deren Oberbefehl General v. Beyer, später v. Glümer führte, unter preußischen Befehl. Dieselbe wurde der dritten Armee unter dem Kommando des Kronprinzen von Preußen zugeteilt, war zuerst mit der württembergischen Division zu einem besondern Korps vereinigt, löste sich nach dem Tag von Wörth [* 16] von diesem Korpsverband ab und wurde in Verbindung mit zwei preußischen Divisionen zur Belagerung Straßburgs verwendet. Am 28. Sept. zogen die badischen Truppen in Straßburg [* 17] ein.
Darauf wurden dieselben als 14. Armeekorps mit drei preußischen Detachements vereinigt, zogen unter General v. Werder über die Vogesen in der Richtung nach Besançon [* 18] und Dijon, [* 19] nahmen letztere Stadt 31. Okt., schlugen die Garibaldianer 26. Nov. von Dijon bis Autun zurück und siegten 18. Dez. über das Korps des Generals Cremer im Treffen bei Nuits. Bei dem Anmarsch der Bourbakischen Armee gab die badische Division Dijon auf und nahm nebst den übrigen Teilen des 14. Armeekorps die berühmte Defensivstellung ein, welche von Frahier über Héricourt und Montbéliard bis nach Delle an der Schweizer Grenze sich hinzog. An den denkwürdigen Kämpfen vom 15., 16. und nahmen die badischen Truppen auf dem rechten Flügel ruhmvollen Anteil. Nach dem Rückzug Bourbakis und nach dem Aufmarsch der beiden Korps des Generals v. Manteuffel bezog die Division am Fluß Doubs bei Besançon eine Reservestellung und verharrte darin bis zum Ende des Kriegs; ihr Gesamtverlust betrug 3438 Mann an Toten, Verwundeten und Vermißten.
Inzwischen hatte Baden schon 2. Okt. seinen Eintritt in den Norddeutschen Bund, ohne irgend eine Änderung der Verfassung desselben zu verlangen oder mit Ausnahme der Besteuerung des inländischen Branntweins und Biers Reservatrechte zu beanspruchen, beantragt. Die Unterhandlungen wurden noch im Oktober in Versailles [* 20] eröffnet, 15. Nov. der Verfassungsvertrag mit dem Norddeutschen Bund, am 25. die Militärkonvention mit Preußen abgeschlossen. Die Bestimmungen des Vertrags lauteten ganz im Sinn des badischen Antrags; nach der Militärkonvention wurde das badische Kontingent ein unmittelbarer Bestandteil der preußischen Armee, so daß der König von Preußen als Bundesfeldherr alle Rechte und Pflichten des Kontingents- und Kriegsherrn, einschließlich der Fürsorge für die Festung [* 21] Rastatt [* 22] unter Vorbehalt der badischen Territorialhoheit, übernahm.
Beide Verträge wurden dem am 13. Dez. wieder zusammentretenden Landtag vorgelegt und wenige Tage darauf genehmigt. Die Ausführung der Verträge folgte auf dem Fuß. Am gingen die badischen Truppen der Militärkonvention gemäß als 14. Armeekorps in die preußische Armee über. Am nämlichen Tag wurde das Ministerium des Auswärtigen aufgelöst und 24. Okt. alle Gesandtschaften, welche Baden bisher noch unterhalten hatte, in Wien, [* 23] München, [* 24] Stuttgart, [* 25] Darmstadt [* 26] und im Haag, [* 27] aufgehoben.
Die Auflösung des Kriegsministeriums erfolgte Bei den Wahlen zum ersten deutschen Reichstag errangen trotz der lebhaftesten Agitation der katholischen Geistlichkeit die Nationalliberalen in 12 Wahlbezirken den Sieg, die Ultramontanen nur in 2. Die Demokraten unterlagen überall. Die deutsch-nationale Haltung der Regierung seit 1866 hatte damit einen glänzenden Erfolg errungen und dieselbe sich um die Herstellung der deutschen Einheit ein unsterbliches Verdienst erworben.
Im Innern sah sich die Regierung durch die Pflicht, die Altkatholiken in Schutz zu nehmen und den Anmaßungen der römischen Hierarchie entgegenzutreten, zu neuen kirchlichen Gesetzen gezwungen. Sie legte dem am eröffneten Landtag zwei Gesetzentwürfe über die Ausschließung religiöser Ordensmitglieder vom Elementarunterricht und von der Aushilfe in der Seelsorge und über das Verbot von Missionen vor, die trotz des Widerspruchs der Ultramontanen von beiden Kammern angenommen wurden.
Hierauf erließ sie an sämtliche Mitglieder religiöser Orden [* 28] und Kongregationen den Befehl, ihre bisherige Lehrthätigkeit binnen vier Wochen einzustellen. Da die Freiburger Kurie den Widerstand gegen die Examinarordnung vom hartnäckig fortsetzte, so gestattete das Ministerium fortan keinem neuangestellten Pfarrer oder Pfarrverweser, der sich nicht jener Verordnung unterwarf, die Ausübung einer geistlichen Verrichtung, so daß allmählich zahlreiche Pfarrvakanzen eintraten.
Durch ein 1874 vom Landtag gebilligtes Gesetz wurden die Strafbestimmungen gegen unbefugte geistliche Handlungen noch verschärft und die Schließung aller Knabenseminare und Konvikte angeordnet. Den Altkatholiken wurden mehrere Kirchen eingeräumt und die Bildung altkatholischer Gemeinden gestattet. Den altkatholischen Bischof Reinkens erkannte die Regierung an. Da das Freiburger Domkapitel sich hartnäckig weigerte, eine neue Kandidatenliste für die Erzbischofswahl vorzulegen, so wurde von 1875 ab der sogen. erzbischöfliche Tischtitel vom Budget gestrichen. Der Landtag von 1874 nahm auch noch ein Gesetz über den Schutz der Altkatholiken, eine Kapitalrentensteuer und eine neue Städteordnung für die sieben größten Städte an, welche die Wahlrechte der Einwohner vermehrte.
Dem 1875-76 versammelten Landtag wurde von der Regierung ein Gesetzentwurf über die Aufbesserung der Pfarrgehalte, ein zweiter, von der Zweiten Kammer im Jahr zuvor gewünschter über die Einführung konfessionell gemischter Volksschulen, ferner Entwürfe einer Steuerreform und der Organisation der Oberrechnungskammer vorgelegt. Den wichtigsten Gegenstand der Verhandlungen bildete das Schulgesetz, gegen welches vor allen die Ultramontanen eiferten. Das Gesetz befahl zwar die Verschmelzung der Schulen verschiedenen Bekenntnisses in Einer Gemeinde und Einführung eines gemeinschaftlichen Unterrichts für alle Schüler; doch betraf diese Bestimmung nur 153 Gemeinden, der Religionsunterricht ward ausdrücklich ausgenommen, und bei der Wahl der Lehrer sollte auf die Konfession der Mehrheit der Schüler Rücksicht genommen, einer Minderheit von wenigstens 20 Schülern auch ein ¶