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Die badische Revolution.
Mitten in diese bewegten Tage fiel die französische Februarrevolution. Der Eindruck, den dieselbe in Baden [* 2] machte, war unbeschreiblich. Denn hier hatten die politischen Kämpfe der letzten Jahre das Ansehen der Regierung erheblich geschwächt und eine Partei großgezogen, welche die Umsturzideen der französischen Revolution mit Begierde aufnahm und in der Heimat zu verwirklichen suchte. Gewandte Agitatoren, wie Hecker, Struve und Fickler, veranstalteten mit großer Schnelligkeit überall im Land Volksversammlungen, welche die Regierung und die Kammer mit Adressen und Petitionen bestürmten. In diesen wurden die Offenburger Forderungen wiederholt, und die Zweite Kammer nahm auch die gleichlautenden Anträge Heckers und Brentanos, doch erweitert und in zwölf Wünsche zusammengefaßt, 4. März fast einstimmig an. Die Regierung zeigte sich entgegenkommend, verkündete Preßfreiheit, erließ eine Amnestie und versprach weitgehende Reformen; auch wurden mehrere Minister entlassen und durch Liberale ersetzt, ferner der Bundestagsgesandte Blittersdorff abberufen.
Sein Nachfolger Welcker erhielt 7. März sofort den Auftrag, beim Bundestag die Berufung einer deutschen Volksvertretung zu beantragen. Indes vermochte die Regierung das im Volk gegen sie herrschende Mißtrauen damit nicht zu bannen. Daher hatten die Bemühungen Heckers und Struves, das Land mit einem Netz politischer Klubs zu überziehen, um ihre republikanische Agitation zu verstärken, Erfolg. Nicht bloß in Volksversammlungen wurde die Republik als Ideal eines Staatswesens angepriesen, sondern Struve stellte sogar im Vorparlament in Frankfurt [* 3] den Antrag, die Monarchie in Deutschland [* 4] abzuschaffen.
Als dieser Antrag kurzweg abgelehnt wurde, gleichzeitig die Regierung zu ihrem Schutz Bundestruppen einrücken ließ und die Kammer sich gegen sonderbündlerische Schilderhebungen erklärte, welche die schon gewonnenen Errungenschaften gefährden müßten, als ferner Fickler 8. April in Karlsruhe [* 5] auf Mathys Veranlassung verhaftet wurde, erhob die revolutionäre Partei im Seekreis von Konstanz [* 6] aus die Fahne des Aufstandes. Indes waren die Freischaren wenig zahlreich und ohne jede militärische Ausbildung und Zucht.
Hecker wurde nach dem kurzen Gefecht bei Kandern (20. April), in dem der General v. Gagern meuchlerisch erschossen wurde, von den hessischen Truppen zur Flucht nach der Schweiz [* 7] genötigt, 24. April Freiburg, [* 8] wo sich die Aufständischen verschanzt hatten, genommen und 27. April die französisch-deutsche Legion Herweghs, welche von Straßburg [* 9] aus in Baden einfiel, von einer württembergischen Kompanie bei Dossenbach zersprengt. Gleichwohl war dadurch die republikanische Partei noch keineswegs vernichtet. Von den Abgeordneten, welche das badische Volk im Mai in die Nationalversammlung schickte, gehörten ihr zwölf an. Die Regierung und die Kammern versäumten es, die Autorität und Macht der Behörden herzustellen und zu befestigen. Die Volksausschüsse wurden unterdrückt und die demokratischen Vereine verboten, die letztern bestanden aber unter dem Namen Volksvereine ungehindert fort. Die Presse [* 10] überschritt in ihrer zügellosen Agitation ungestraft alle Schranken des Gesetzes. Der Monsterprozeß, welchen die Regierung gegen die Teilnehmer am Aufstand einleitete, und der zahllose Verhaftungen zur Folge hatte, nährte die Aufregung und Unzufriedenheit, so daß Struve im September von Basel [* 11] aus einen neuen Einfall in Baden wagen konnte, der jedoch mit seiner Gefangennahme endete.
Die Regierung fuhr unterdessen fort, im Verein mit der Kammer ihre nationalen und liberalen Absichten zu verwirklichen. Sie erkannte die deutsche Nationalversammlung als erste und einzige Autorität an und verkündete demnach Anfang 1849 die Grundrechte als badisches Landesgesetz. Außer den schon vorhandenen Gesetzen zum Schutz der freien Presse und des Petitionsrechts, außer den Geschwornengerichten und der freien Gemeindeverfassung wurde eine Menge von Gesetzen vereinbart, welche die Grundrechte realisieren sollten.
Unabhängigkeit der Richter, Sicherheit der Person und der Wohnung, Garantie gegen den Mißbrauch der Beamtengewalt, religiöse Gleichstellung, allgemeine Wehrpflicht ohne Stellvertretung, Abschaffung der Todesstrafe, Aufhebung der letzten Grundlasten und des Lehnsverbandes waren die wesentlichsten Gegenstände, welche die Regierung mit der Landesvertretung erledigte. Die radikale Partei wurde dadurch aber nicht beschwichtigt. Dieselbe verlangte vielmehr immer drohender die Auflösung der Kammern und die Berufung eines konstituierenden Landtags.
Als die Zweite Kammer einen dahin zielenden Antrag mit großer Majorität ablehnte, suchten die radikalen Abgeordneten (17) durch ihren Austritt aus der Kammer dieselbe beschlußunfähig zu machen, was indes nicht gelang. Ermutigt durch den Ausgang des Struveschen Prozesses, in welchem die Freiburger Geschwornen Struve 20. März von der Beteiligung am Aprilaufstand freisprachen und wegen des Septemberputsches ihm mildernde Umstände zubilligten, erneuerten die Republikaner in Volksversammlungen und in der Presse ihre revolutionäre Agitation und begannen namentlich geheime Wühlereien unter den Soldaten und Unteroffizieren, welche durch die Erhöhung des Präsenzstandes, die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht und die Abschaffung des Einstandswesens begünstigt wurden. Als nun die Ablehnung der deutschen Kaiserkrone durch den König von Preußen [* 12] das Verfassungswerk der Frankfurter Nationalversammlung zum Scheitern brachte und die pessimistischen Prophezeiungen der Radikalen rechtfertigte, verlor die gemäßigte konstitutionelle Partei in allen Boden unter sich. Die Regierung allein hatte aber keine Macht.
Eine Soldatenmeuterei in Rastatt [* 13] 11. Mai gab das Signal zu der schon längst vorbereiteten Schilderhebung. Am Tag darauf traten in Offenburg [* 14] die Abgeordneten sämtlicher Volksvereine zu einer Vorberatung zusammen und bezeichneten die Auflösung der Kammern, Berufung einer konstituierenden Landesversammlung nach allgemeinem Stimmrecht, Entlassung des Ministeriums Bekk und allgemeine Amnestie als Forderungen des Volks, deren sofortige Bewilligung sie durch eine besondere Deputation von der Regierung verlangten.
Während diese eine ausweichende Antwort gab und sich nach Frankfurt mit der Bitte um schleunige Zusendung von Reichstruppen wendete, die jedoch nicht erfüllt werden konnte, tagte 13. Mai Offenburg eine allgemeine Volksversammlung, die höchst stürmisch verlief, und auf welche die Mahnungen der bisherigen Führer zur Mäßigung ganz ohne Eindruck blieben. Dieselbe erklärte die Revolution für fortwährend, beschloß die alsbaldige Verschmelzung des stehenden Heers mit der Volkswehr unter selbstgewählten Führern und errichtete einen Landesausschuß, der die Reichsverfassung überall mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln durchführen solle; andre Beschlüsse betrafen die gänzliche Umgestaltung des Gerichts- ¶
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und Verwaltungswesens, der Besteuerung, Unterstützung arbeitsunfähiger Bürger etc. Noch ehe die Regierung zu diesem Ereignis Stellung nehmen konnte, brach auch in Karlsruhe am Abend des 13. Mai ein Soldatenaufstand aus, der die ganze Nacht hindurch tobte. Ein Oberst wurde mißhandelt, ein Rittmeister und ein Korporal getötet, das Zeughaus jedoch von der Bürgerwehr behauptet. Der Großherzog entfloh mit seiner Familie unter dem Geleit von Dragonern und Artilleristen nach Germersheim und von da nach Lauterburg im Elsaß.
Ihm folgten 14. Mai die Minister. Der Eindruck dieser Flucht des Regenten war so niederschlagend, daß ein großer Teil der Bürgerschaft den Landesausschuß in Rastatt aufforderte, der Stadt Karlsruhe durch seine Anwesenheit Sicherheit und Ordnung zu garantieren. Infolgedessen traf schon am Nachmittag des 14. Mai Landesausschuß unter Brentano, umgeben von Freischaren und den rebellischen Soldaten, in Karlsruhe ein. Er war nun die einzige thatsächliche Regierung in Baden. Die Nachricht von der Katastrophe hatte sich unterdessen schnell im Land verbreitet und überall den revolutionären Geist geweckt. Rasch wurden in Bruchsal die Gefängnisse erbrochen, die politischen und manche andern Verbrecher befreit und die Desorganisation des Heers vollendet. Die meuterischen Soldaten bildeten den Kern der Volkswehr, welche der Landesausschuß durch ein allgemeines Aufgebot der wehrhaften Jugend ins Leben rief. Zahlreiche Freischaren mehrten die Zahl der Streiter.
Es kam nun für den Sieg der Revolutionspartei darauf an, ob es ihr gelang, auch die benachbarten Staaten in den Strom der Empörung mit fortzureißen. Darin sah sie sich aber bald getäuscht. Die badischen Truppen wurden an der hessischen Grenze, welche sie als Befreier überschreiten wollten, mit Kartätschen zurückgewiesen, und auch Württemberg [* 16] wurde durch die Energie des Ministers Römer, [* 17] der das deutsche Rumpfparlament aus Stuttgart [* 18] auswies und den badischen Agitator Fickler auf den Hohenasperg bringen ließ, vor der Revolution gerettet.
Nur mit der provisorischen Regierung der ebenfalls aufständischen Pfalz schloß der Landesausschuß 17. Mai ein Bündnis und schickte in Gemeinschaft mit dieser einen Gesandten nach Paris, [* 19] um die Hilfsleistung der Franzosen zu erbitten. Inzwischen war auch die konstituierende Landesversammlung 10. Juni Karlsruhe zusammengetreten; sie bestand aus lauter Radikalen, zeigte sich aber als gänzlich unfähig und machtlos. In der provisorischen Regierung, welche 1. Juni an Stelle des Landesausschusses gebildet worden war, herrschte zwischen den gemäßigten Elementen, wie Brentano, und den Anhängern der roten Republik, wie Struve, die sich auf die sogen. Schweizerlegion, die zügellosen Freischaren, stützten, unheilbarer Zwiespalt.
Da der Großherzog und auch die bayrische Regierung sich mittlerweile an Preußen um militärische Hilfe gewendet und dieses sie unter der Bedingung, daß Baden dem Dreikönigsbündnis beitrete, gewährt hatte, rückte nun Mitte Juni ein preußisches Korps von der Nahe her in die Pfalz ein, ein zweites zog von Wetzlar [* 20] über den Main die Bergstraße entlang gegen den Neckar, während ein Korps Reichstruppen unter Peucker an der württembergischen Grenze entlang nach Süden vordrang.
Den Oberbefehl über die gesamten Streitkräfte führte der Prinz von Preußen. Die pfälzische und die badische provisorische Regierung hatten dagegen dem Polen Mieroslawski den Oberbefehl über alle Insurgentenscharen übertragen. Derselbe brachte etwas Plan und Ordnung in die militärischen Operationen und flößte den Soldaten wieder Mut und Vertrauen ein. Indes konnte er nicht hindern, daß die Preußen unter Hirschfeld die Pfalz fast ohne Schwertstreich besetzten, und mußte sich nach dem nördlichen Baden zurückziehen. Am 20. Juni überschritt das preußische Korps v. d. Gröben bei Weinheim die badische Grenze, während das Korps v. Hirschfeld an demselben Tag bei Philippsburg über den Rhein ging.
Dem letztern warf sich Mieroslawski 20. Juni bei Waghäusel mit seiner ganzen Macht (12,000 Mann) entgegen, wurde aber von vier preußischen Bataillonen und einer halben Batterie in die Flucht geschlagen. Nur an wenigen Punkten wagten die Insurgenten noch Widerstand; dann zogen sie sich hinter die Murglinie unter den Schutz von Rastatt zurück. Die Regierung und die sehr zusammengeschmolzene Landesversammlung flüchteten nach Freiburg, wo sie sich infolge innern Zwiespalts und gänzlicher Mutlosigkeit noch Ende Juni auflösten.
Die Preußen rückten 25. Juni Karlsruhe ein, zernierten Anfang Juli Rastatt und besetzten bis zum 11. Juli ganz Baden bis zur Schweizer Grenze. Doch war es zahlreichen Häuptern des Aufstandes gelungen, nach der Schweiz zu entkommen. Rastatt verteidigte sich unter Tiedemann noch mehrere Wochen, mußte sich aber aus Mangel an Lebensmitteln und Kriegsbedarf 23. Juli mit 4500 Mann auf Gnade und Ungnade ergeben. Über die gefangenen Führer der Insurgenten, namentlich die ehemaligen Offiziere, wurde ein strenges Strafgericht verhängt und zahlreiche Todesurteile vollzogen. Das Heer wurde mit Ausnahme zweier kleiner Truppenteile aufgelöst und dann nach preußischem Muster neu organisiert, auch für einige Zeit nach preußischen Garnisonen verlegt, während preußische Truppen in Baden blieben. Alle Beamten, welche irgendwie sich der Revolution angeschlossen hatten, wurden entlassen. Der Belagerungszustand blieb vorläufig bestehen.
Der kirchliche Streit.
Nachdem der Großherzog Leopold noch von Frankfurt aus ein neues Ministerium, in dem Klüber das Auswärtige, Marschall das Innere und Stabel die Justiz erhielten, ernannt hatte, kehrte er in seine Residenz zurück. Der Landtag, welcher 14. Mai seine Sitzungen hatte abbrechen müssen, wurde für geschlossen erklärt und die Wahl eines neuen angeordnet, bei der sich die demokratische Partei der Beteiligung ganz enthielt und daher nur Anhänger der Regierung, einige gemäßigt Liberale und Ultramontane gewählt wurden.
Die neuen Kammern, welche im März 1850 zusammentraten, genehmigten alle Anträge der Regierung: ein Staatsdienergesetz, eine Änderung der Gemeindeordnung, welche das demokratische Element beschränken sollte, Gesetze über Presse und Vereine, die Schwurgerichtsordnung u. a., und bewilligten eine Anleihe von 5 Mill. zur Ordnung des Staatshaushalts. Die reaktionäre Strömung, welche wie in andern Staaten, so auch in Baden mehr und mehr anwuchs, machte sich auch in der auswärtigen Politik geltend. Baden neigte sich mehr und mehr zu Österreich [* 21] hin, und als Preußen im November 1850 sich dessen und Rußlands Drohungen unterwarf, seine Truppen aus Baden abberief und Rastatt räumte, gab auch Baden seine Zustimmung zur Herstellung des Frankfurter Bundestags und zeigte bei den Verhandlungen über die Erneuerung des Zollvereins 1851-52 immer deutlicher seine Hinneigung zu Österreich. Dies ermutigte die katholische Hierarchie, welche ihre politische Unabhängigkeit und ¶