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3) Johann Sebastian, das hervorragendste Glied der [* 2] Familie und einer der größten Meister aller Zeiten, geb. zu Eisenach [* 3] als Sohn des dortigen Stadtmusikus Johann Ambrosius Bach (geb. 1645). Schon mit 10 Jahren verwaist, kam er in die Pflege seines ältern Bruders, Johann Christoph, Organisten zu Ohrdruf, von dem er den ersten musikalischen Unterricht erhielt. Nach dessen Tod wanderte er, etwa 14 Jahre alt, nach Lüneburg, [* 4] wo er Diskantist beim Chor des Gymnasiums wurde und höhere Schulbildung erlangte.
Von da aus besuchte er häufig das nahe Hamburg, [* 5] um den Organisten Reinken, sowie Celle, [* 6] um die dortige Hofkapelle zu hören. Im J. 1703 wurde er Violinist bei der Hofkapelle in Weimar, [* 7] 1704 Organist in Arnstadt, [* 8] von wo er 1705 Lübeck [* 9] besuchte, um den berühmten Orgelmeister Buxtehude zu hören, 1707 Organist in Mühlhausen, [* 10] 1708 Hoforganist in Weimar, welche Stellung er bis 1717 bekleidete. Im letztern Jahr traf er in Dresden [* 11] mit dem berühmten französischen Klavierspieler Marchand zusammen, welchem er so imponierte, daß derselbe dem angebotenen Wettstreit durch unerwartete Abreise auswich. Bach wurde in demselben Jahr Hofkapellmeister beim Fürsten von Anhalt-Köthen, übernahm jedoch schon 1723 die durch Kuhnaus Tod erledigte Stelle des Kantors an der Thomasschule zu Leipzig, [* 12] in welcher er bis an sein Lebensende verblieben ist.
Abgesehen von seiner Ernennung zum sachsen-weißenfelsischen Kapellmeister und einem Besuch in Berlin [* 13] (1747), wo er von Friedrich d. Gr. mit Auszeichnung behandelt wurde, verfloß sein Leben zu Leipzig in völliger Zurückgezogenheit, nur seinem Amt, seiner Familie und seinen Schülern gewidmet. Seine bedeutendsten Werke entstanden hier und waren größtenteils, wie namentlich die zahlreichen Kirchenkantaten, durch seine amtlichen Verpflichtungen unmittelbar veranlaßt. Im höhern Alter traf ihn das Mißgeschick, zu erblinden. Er starb in Leipzig. Bach war zweimal verheiratet, das erste Mal mit seiner Base Maria Barbara Bach, Tochter von Bach 2), die 1720 starb; sodann (seit 1721) mit Anna Magdalena, Tochter des Kammermusikus Wülken zu Weißenfels, [* 14] welche ihn überlebte. Er hinterließ 6 Söhne und 4 Töchter; 5 Söhne und 5 Töchter waren vor ihm gestorben.
Sebastian Bach war nicht allein einer der genialsten
Komponisten, sondern zugleich einer der größten
Klavier- und Orgelvirtuosen
aller
Zeiten. Die gleichzeitig
Lebenden bewunderten ihn sogar vorzugsweise in dieser letztern Hinsicht,
während die volle Würdigung seiner schöpferischen Thätigkeit einer spätern
Generation vorbehalten blieb. Man rühmte
unter anderm die vollkommene Deutlichkeit und Gleichmäßigkeit seines
Anschlags, Vorzüge, welche durch die von ihm neu festgestellte
Applikatur für Tasteninstrumente unterstützt wurden. Zu der technischen Durchbildung und Virtuosität
kamen dann aber eine bewunderungswürdige Beherrschung der kontrapunktischen
Kunst und ein nie versiegender
Reichtum der
Phantasie,
Eigenschaften, welche seinen freien
Vorträgen auf dem
Instrument die höchste Bewunderung bei allen
Hörern erwarben und ihm
von weither
Schüler zuführten. Diese aber wurden durch seine
Lehre
[* 15] und seinen
Vortrag so nachhaltig beeinflußt,
daß man mit
Recht alle bedeutenden, im
Lauf des
Jahrhunderts gemachten Fortschritte auf dem Gebiet des
Klavier- und Orgelspiels
sowie der
Theorie auf Bach zurückführen darf.
Bachs Werke gruppieren sich in Instrumental- und Vokalkompositionen, jene wiederum in Kompositionen für Orgel, für Klavier und für andre Instrumente. Zu den erstern gehören: die Orgelsonaten, die Präludien und Fugen für Orgel, die Choralvorspiele;
zu den Klaviersachen: die 15 Inventionen, die 15
Symphonien, die französischen und englischen
Suiten,
die Klavierübung in drei Teilen
(Partien u. a.), eine
Reihe von Tokkaten und andern kleinern
Stücken, dann das »Wohltemperierte
Klavier« (24 Präludien und
Fugen in allen
Tonarten) und die
»Kunst der
Fuge«.
Denselben schließen sich die Sonaten für Klavier und Violine oder andre Instrumente, die Konzerte für zwei oder mehrere Klaviere etc. an. Außerdem schrieb Bach Konzert- und andre Solostücke für verschiedene Streich- und Blasinstrumente sowie endlich Ouvertüren, Suiten und Symphonien für Orchester. Allen diesen Werken ist die unglaubliche Kunst der polyphonen Behandlung, wie sie vor und nach Sebastian Bach ihresgleichen nicht gehabt hat, charakteristisch. Mit der vollkommensten Sicherheit beherrscht er auch die verwickeltsten Probleme kontrapunktischer Technik und löst sie in kleinen wie in großen Umrissen in vollendeter Weise. Es wäre aber nichts irriger, als wenn man neben dieser großartigen Kunst ihm Melodie und Ausdruck absprechen wollte.
Man muß eben festhalten, daß die kontrapunktische Kunst für Bach auf der Stufe seiner vollen Entwickelung nicht mehr als etwas Angelerntes und mühsam Angewendetes erschien, sondern daß sie ihm natürliche Sprache [* 16] und Form des Ausdrucks geworden war, deren Erkenntnis und Verständnis man sich angeeignet haben muß, um die Regungen des tiefen und vollen Gemütslebens, welches in jener Form sich ausspricht, von Grund aus zu verstehen, um den gewaltigen Ausbruch ernster, frommer Stimmung in den Orgelkompositionen und wiederum die melodische Anmut und den Reichtum wechselnder Empfindungen in den Klavierfugen und Suiten vollständig in sich aufzunehmen, in welch letztern er häufig durch Anwendung der leichten französischen Tanzformen den Ansprüchen auf leichte Verständlichkeit und Zugänglichkeit weit genug entgegenkommt.
Daher haben wir in den meisten der hierher gehörigen Stücke, namentlich in den einzelnen Nummern des »Wohltemperierten Klaviers«, neben ihrer Formvollendung zugleich Charakterstücke von großer Mannigfaltigkeit zu erblicken, und gerade diese Vereinigung gibt ihnen ihre eigentümliche, einzige Stellung; dieselben sind »bis auf den heutigen Tag ein fester Damm geblieben, an welchem die trüben Fluten des modernen Virtuosentums machtlos sich brechen« und trotz alledem waren Bachs Tonschöpfungen nach seinem Tod während eines langen Zeitraums höchstens von einzelnen Kennern gekannt und geschätzt, vom Publikum dagegen so gut wie vergessen.
Erst Mendelssohn vermochte es, durch die von ihm 1829 veranstaltete Aufführung der Bachschen Matthäuspassion die allgemeine Teilnahme für den Meister wieder zu erwecken und namentlich seinen großen Vokalwerken den ihnen gebührenden Ehrenplatz im öffentlichen Musikleben Deutschlands [* 17] wieder zu erringen. Es gehören hierher zunächst die für den Gottesdienst bestimmten Kirchenkantaten, deren er fünf vollständige Jahrgänge geschrieben hat; es sind ihrer noch etwa 226 nachgewiesen, sehr viele aber verloren gegangen. Sie haben in ihrem Text jedesmal Bezug auf das betreffende Evangelium und bestehen aus Recitativen, Arien, polyphonen Chören und dem meistens den Schluß bildenden Choral. Dann sind hier vor allem die großen Passionsmusiken anzuführen, deren Bach ebenfalls fünf geschrieben hat, von welchen leider nur zwei erhalten sind: die ¶
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Johannespassion und die Matthäuspassion, die eine 1724, die andre 1729 zum erstenmal aufgeführt. Die schon von alters her seitens der Kirche veranstaltete musikalisch-dramatische Darstellung der Leidensgeschichte Christi erscheint in diesen Werken zur höchsten formellen Vollendung, zur höchsten musikalischen Schönheit und Kraft [* 19] des Ausdrucks erhoben. In einer aus epischen, dramatischen und lyrischen Elementen gemischten Form wird uns die Leidensgeschichte plastisch und eindringlich vor Augen geführt.
Das erste (epische) Element haben wir in dem recitierenden Evangelisten vor uns, das dramatische in den einfallenden
Worten
der andern Personen, namentlich Christi selbst, sowie in den lebendigen Chören des Volks, das lyrische in den betrachtenden
Arien und Chören, während der der gesamten Darstellung gegenübergestellte Choral wiederum die unmittelbare Beziehung des Werks
zum Gottesdienst bezeichnet und die Teilnahme der Gemeinde andeutet. Ein ähnliches Werk, nur im Gegensatz zu jenen mehr heitern
Charakters, ist das liebliche Weihnachtsoratorium, 1734 entstanden. In allen
diesen Werken zeigt sich vor allem
wieder jene großartige polyphone Kunst, die nun bei den ernsten Worten und ausdrucksvollen Themata noch höhere Wirkungen erzielt;
dann aber tritt hier jene wunderbare, tiefsinnige Versenkung in den Sinn der Textesworte hervor, welche den seiner Kirche treu
ergebenen Mann begeisterten, wie seine höchste Kunst, so seine tiefste Empfindung ihnen darzubringen.
Die kontrapunktische Kunst tritt außer in den großen Chören besonders auch in der Behandlung der Choräle hervor, in welchen
(sowie in den übrigen Stücken) selbst der häufig schwülstige und geschmacklose Text, wie ihn die Leipziger Poeten jener Zeit
(Picander u. a.) ihm lieferten, die Kraft seiner Begeisterung nicht zu hemmen vermochte. Neben diesen großen,
zu dem protestantischen Gottesdienst in unmittelbarer oder mittelbarer Beziehung stehenden Werken erscheinen in gleicher Höhe
und Vollendung die Bearbeitungen altlateinischer kirchlicher Texte, vor allen
die Messen und das Magnifikat.
Unter ihnen und unter allen
Werken Bachs nimmt die große Messe in H moll (1733) den ersten Platz ein.
Ohne hier irgend an eine bestimmte Art der Benutzung beim Gottesdienst denken zu können, hat Bach, wie früher in die Worte
der Bibel,
[* 20] so hier in die altüberlieferten Worte des Glaubensbekenntnisses und die übrigen den Text der Messe bildenden Worte
sich gläubig versenkt und sie mit einem Reichtum der Empfindung und mit einer Kraft des Ausdrucks zur Darstellung
gebracht, die uns auch heute noch, im Gewand der strengen polyphonen Kunst, tief ergreift und mächtig erhebt.
Die Chöre in diesem Werk sind vielleicht das Großartigste, was auf dem Gebiet kirchlicher Tonkunst jemals geschaffen worden
ist; die Einzelgesänge, kunstvoll gearbeitet und feinsinnig deklamiert, können jedoch den Stil und Geschmack
ihrer Zeit weniger verleugnen; auch läßt sich nicht in Abrede stellen, daß Bach, seinem vorwiegend dem Instrumentalen
zugewandten Naturell folgend, die Bedingungen zur wirksamen Verwendung der menschlichen Stimme hier nicht selten außer acht
gelassen hat, wie er überhaupt als Vokalkomponist hinter den Italienern und auch hinter seinen in der
italienischen Schule gebildeten Landsleuten, vor allen
Händel (s. d.), zurückstehen muß. Unter diesen Umständen erwiesen
sich die ihm als Thomaskantor in Leipzig zur Verfügung stehenden bescheidenen Mittel zur Darstellung seiner größern Werke
vollends ungenügend; erst der Zeit nach Mendelssohn war es vorbehalten, ihnen durch Aufwendung der
reichsten
vokalen und orchestralen Mittel völlig gerecht zu werden.
Mit nicht geringerm Erfolg wirkte neuerdings zur Verbreitung der Kenntnis Bachs die 1850 in Leipzig zusammengetretene Bach-Gesellschaft, gegründet von Härtel, K. F. Becker, M. Hauptmann, O. Jahn und R. Schumann; dieselbe stellte sich zur Aufgabe, durch Herstellung einer möglichst vollständigen und korrekten Ausgabe von Bachs sämtlichen Werken dem deutschen Meister das schönste und ehrenvollste Denkmal zu setzen. Von dieser Ausgabe waren 1884 dreißig Bände erschienen.
Mitglied der Gesellschaft ist jeder, der einen jährlichen Beitrag von 15 Mk. zeichnet, wofür er jedes Jahr ein Exemplar der im Lauf desselben veröffentlichten Kompositionen empfängt. Einzelne Klavier- und Orgelwerke Bachs erschienen in mehreren Ausgaben. Vollständigere Sammlungen der Klavierwerke veranstalteten zuerst Peters in Leipzig (durch Czerny und Griepenkerl), Haslinger in Wien, [* 21] später Holle in Wolfenbüttel [* 22] (durch Chrysander). Die vierstimmigen Choralgesänge wurden herausgegeben von Bachs Sohn Karl Philipp Emanuel (2. Ausg., Berl. u. Leipz. 1784-87, 4 Hefte, 370 Choräle enthaltend, größtenteils Bachs Kirchenkompositionen entnommen; neuer Abdruck 1832), zuletzt von Becker (das. 1843). Um die Herausgabe und Bearbeitung einzelner Werke haben sich Marx und in neuerer Zeit Robert Franz, H. v. Bülow, Fr. Kroll, A. Thomas u. a. Verdienste erworben.
Durch Mendelssohns Vermittelung wurde dem großen Musiker 1842 zu Leipzig ein bescheidenes Monument (von Knaur ausgeführt) errichtet; ein zweites, größeres Denkmal (Statue, von Donndorf modelliert) wurde ihm in Eisenach gesetzt und feierlich enthüllt.
Vgl. Forkel, Über J. S. Bachs Leben, Kunst und Kunstwerke (Leipz. 1803, neue Ausg., das. 1855);
Hilgenfeld, Bachs Leben, Wirken und Werke (das. 1850);
Bitter, Johann Sebast. Bach (2. Aufl., Berl. 1880-81, 4 Bde.);
Spitta, Joh. Sebast. Bach (Leipz. 1873-80, 2 Bde.);
Mosewius, Joh. Sebast. in seinen Kirchenkantaten (Berl. 1845);
Derselbe, J. S. Bachs Matthäuspassion (das. 1852).
Eine große Anzahl bedeutender Musiker ging aus Bachs Schule hervor; unter ihnen nehmen seine Söhne einen hervorragenden Platz ein. Unter Bachs elf Söhnen haben sich die folgenden vier in der Geschichte der Musik oder wenigstens im Musikleben ihrer Zeit eine bedeutende Stellung erworben.
4) Wilhelm Friedemann, der älteste und begabteste, aber auch unglücklichste der Söhne Bachs, geb. 1710 zu Weimar, brachte es durch den Unterricht seines Vaters schon in der Jugend so weit, daß selbst der nicht leicht befriedigte Meister das Höchste von ihm hoffte. Auf dem Klavier wie auf der Orgel und im Kontrapunkt errang er früh eine große Meisterschaft und machte auch auf der Violine bedeutende Fortschritte. Seit 1722 besuchte er in Leipzig die Thomasschule, hörte dann Vorlesungen an der Universität, ward 1733 als Organist an die Sophienkirche nach Dresden und 1747 als Musikdirektor und Organist an die Marienkirche nach Halle [* 23] berufen, daher er auch den Namen des Halleschen Bach führt. Im J. 1764 gab er letztere Stelle auf und ging nach Leipzig zurück. Von dieser Zeit an lebte er unstet bald hier, bald da und suchte durch Konzerte, Unterricht und Kompositionen sich seinen Unterhalt zu erwerben. Am längsten hielt er sich in Braunschweig, [* 24] dann in Göttingen [* 25] und endlich in Berlin auf, wo er in kümmerlichen Verhältnissen starb. Sein unordentliches Wesen, sein Künstlerstolz, seine unglaubliche Zerstreutheit, namentlich seine Trunksucht ¶