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in 50 Jahren 500 Mill. Thlr. bar und 1751 Mill. Thlr. an Kapitalwert gewonnen haben, und daß Europa [* 2] täglich rund 1 Mill. Doll. durch seine Auswanderer an die Union abgibt. Nach andern Schätzungen hat Deutschland [* 3] in diesem Jahrhundert durch seine Auswanderer an Vermögen und fahrender Habe 1½, in dem an die Auswanderer aufgewendeten Erziehungskapital 2, zusammen also 3½ Milliarden Mk. eingebüßt. Diese Summen beruhen wohl aus allzu hohen Schätzungen. Denselben stehen die Summen gegenüber, welche durch Einwanderung gewonnen werden.
Das Erziehungskapital ist freilich verloren, oder es hätten die Eltern der Auswanderer ohne den Erziehungsaufwand ein bequemeres Leben führen können. Nachdem nun aber einmal die Kinder erzeugt und erzogen sind, fragt es sich nur, ob ihre Kräfte anderweit hätten wirtschaftlich verwandt werden können. Ist dies nicht der Fall, wären sogar die Auswanderer der Gesellschaft zur Last gefallen, so ist der durch die Auswanderung entstehende Verlust an Erziehungskapital nicht weiter zu beklagen.
Wird zwar die augenblickliche Bevölkerungszahl durch die Auswanderung gemindert, so wird oft, und zwar gerade bei den wanderlustigsten Nationen, die entstandene Lücke rasch wieder ausgefüllt. Einen positiven Gewinn kann die Auswanderung dem Mutterland dadurch bringen, daß sie die Grundlage einer dauernden Handelsverbindung bildet. Dies wird insbesondere dann leicht der Fall sein, wenn die Auswanderer sich Ländern zuwenden, in welchen eine verwandte Nationalität mit gleicher Sprache, [* 4] Sitte und Kultur vorherrscht, oder wenn sie auch nur unter fremden Völkern durch festes, selbstbewußtes Auftreten und wachsende Zahl ihrer Nationalität mehr und mehr Geltung zu verschaffen wissen. Dies haben insbesondere die Briten verstanden und dadurch ihre Weltmachtstellung über alle Meere ausgebreitet, während leider die Deutschen in der Regel nach kürzerm oder längerm Verweilen in den sie umgebenden fremden Nationalitäten gänzlich aufgegangen sind.
Staatliche und private Thätigkeit.
Die Auswanderungspolitik des Staates trägt heute einen wesentlich andern Charakter als noch vor 100 Jahren. Standen der Auswanderung im Mittelalter vielfach Rechte Dritter im Weg (Hörigkeit), so suchte man sie später, insbesondere in der Blütezeit des Merkantilsystems, durch Verbot und Abgaben (Gabella emigrationis) zu beschränken, um dem Land eine größere Volkszahl zu erhalten. Vielfach wurde die heimliche Auswanderung, insbesondere aber das Anwerben und Verleiten zur Auswanderung, mit strengen Strafen, selbst mit »Leibes- und Lebensstrafen«, bedroht (vgl. Bevölkerung). [* 5]
Heute dagegen ist die in den Kulturländern ganz freigegeben, sofern nicht durch dieselbe die gegen den Staat zu erfüllenden Pflichten (Militärpflicht) verletzt werden. Der Grundsatz der Auswanderungsfreiheit ist im deutschen Bundes- (jetzt Reichs-) Gesetz vom ausdrücklich anerkannt. Der von einem Lande des Reichs in das andre (gewöhnlich Überwanderung genannt) werden überhaupt keine Schwierigkeiten in den Weg gestellt. Auch die Entlassung aus dem Reichsverband darf in Friedenszeiten niemand versagt werden, der seinen Pflichten als Angehöriger des Militär- oder des Beamtenstandes genügt hat.
Aktiven Militärpersonen ist die Entlassung unbedingt zu versagen, andern kann dieselbe nur unter gewissen Voraussetzungen erteilt werden. Heimliche Auswanderung solcher Personen bedrohen die § 140 u. 360, Abs. 3 des Reichsstrafgesetzbuchs mit Strafe. Ebenso ist die geschäftsmäßige Verleitung zum Auswandern durch Vorspiegelung falscher Thatsachen und durch Täuschung strafbar (§ 144). Die heutige Auswanderungspolitik ist mehr darauf gerichtet, im Interesse der Auswanderer selbst geeignete Maßregeln zu ergreifen durch gesetzliche Bestimmungen über die Thätigkeit von Auswanderungsagenten, Anstellung von Beamten zur Beaufsichtigung des Auswanderungswesens an Seeplätzen, Schutz der Ausgewanderten in fremden Ländern etc. Dazu tritt noch in der neuern Zeit das Bestreben, den Auswandererstrom dahin zu leiten, wo er dem Mutterland ersprießliche Dienste [* 6] leisten könne (vgl. Kolonien).
In den Bereich der Staatsthätigkeit gehört auch die Führung einer geordneten Auswanderungsstatistik, wie sie auf Grund der Listen von Auswandererschiffen, dann auf Grund ausgestellter Pässe und Entlassungsurkunden aufgestellt werden kann. Allerdings muß, da Reisende und Auswanderer nicht immer streng zu scheiden sind, auf volle Genauigkeit verzichtet werden, wie denn auch die in Nordamerika [* 7] geführten Listen mit den europäischen keineswegs immer übereinstimmen.
Preußen [* 8] nahm schon 1847 die Auswanderungsangelegenheit in die Hand, [* 9] dann 1848 die deutsche Nationalversammlung, 1850 die deutsche Union, wodurch ein besonderes Auswanderungs- und Kolonisationsamt eingesetzt werden sollte. Mit der Union scheiterte auch dieser Plan. Jetzt beschäftigt sich die Regierung des Deutschen Reichs insoweit mit der Auswanderung, daß sie einen Reichskommissar bestellt, dem die Überwachung der deutschen Auswandererschiffe zum Zweck der Erfüllung der vorgeschriebenen Regulative unterstellt ist.
Auf den Gewerbebetrieb der Auswanderungsunternehmer und -Agenten finden die Bestimmungen der deutschen Gewerbeordnung keine Anwendung. Die für denselben erforderliche gesetzliche Regelung bleibt der Landesgesetzgebung überlassen, welche dann auch an der meist schon früher eingeführten Konzessionspflicht festgehalten hat. Die private Thätigkeit hat sich der Auswanderungsfrage in vielen Ländern zugewandt. Von den seit 1843 gegründeten Gesellschaften sind zu nennen: der Auswanderungsverein in Düsseldorf [* 10] (1843), dann (1848) Vereine zu Dresden [* 11] u. Leipzig, [* 12] der Nationalverein für deutsche Auswanderung zu Frankfurt [* 13] a. M. mit Zweigvereinen in Darmstadt, [* 14] Reutlingen, [* 15] Karlsruhe, [* 16] Limburg, [* 17] Wiesbaden, [* 18] der Verein zur Zentralstation deutscher Auswanderung und Kolonisation zu Berlin [* 19] (1849), der Verein zur geistlichen Fürsorge für die deutschen Auswanderer in den westlichen Staaten der Union (1852). Bestimmte Gebiete faßten ins Auge: [* 20] der Deutsche [* 21] Adelsverein für Texas (1844), der Preußische Verein für die Mosquitoküste, der Bülowsche für Zentralamerika, [* 22] der Stuttgarter für Chile, [* 23] ein Verein für Westaustralien, der Kolonisationsverein für Südbrasilien (1849) in Hamburg, [* 24] der von allen jenen allein noch besteht. In neuester Zeit haben der Zentralverein für Handelsgeographie, der Westdeutsche Verein, der Münchener Verein sich mit der Auswanderungsfrage wenigstens insoweit beschäftigt, als sie die deutsche in geeignete Gebiete zu lenken strebten. Auch in den Häfen, in welchen sie landen, finden die Auswanderer vielfach Schutz und Beihilfe durch gemeinnützige Vereine. In New York besteht zum Schutz derselben eine eigne offizielle Einwanderungskommission, welcher auch die Vorsitzenden der deutschen und der irländischen Gesellschaft angehören.
Länder mit überwiegender Auswanderung.
Deutschland hat schon seit den frühsten Zeiten Auswandererzüge über seine Grenzen [* 25] nach Osten und Südosten entsandt. So wurden die östlichsten ¶
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Provinzen Preußens, [* 27] die baltischen Herzogtümer, große Teile von Polen und Südrußland, ebenso weite Striche Ungarns und Siebenbürgens durch deutsche Auswanderer kolonisiert. Eine eigentliche Auswanderung nach Rußland begann unter Katharina II., sie wurde auch von ihren Nachfolgern eifrig gefördert. Nach Ungarn [* 28] kamen Deutsche schon seit Geisa II. und nach langer Unterbrechung durch Maria Theresia und Joseph II. Doch beträgt die deutsche Bevölkerung nach dem Untergang zahlreicher deutscher Sprachinseln heute nur 1,882,371 Seelen, d. h. 12 Proz. der Gesamtbevölkerung. Weit bedeutender aber als diese östliche Auswanderung ist die namentlich seit den ersten Jahren dieses Jahrhunderts anhebende überseeische Auswanderung.
Dieselbe richtete sich anfangs ausschließlich nach Nordamerika, und der Zug dorthin ist auch heute noch so stark, daß von der gesamten deutschen Auswanderung 95 Proz. auf dieses Gebiet entfallen. Die ersten Deutschen kamen 1683 aus Frankfurt a. M. unter der Führung von Pastorius und siedelten sich in der Nähe von Philadelphia [* 29] an. Es folgten dann über England und Rotterdam [* 30] zahlreiche Züge nach, deren Stärke [* 31] sich ziffermäßig nicht nachweisen läßt; doch darf man annehmen, daß bis 1820 mehrere Hunderttausende Deutscher nach Amerika [* 32] übersiedelten.
Später hat sich die deutsche Auswanderung über alle Erdteile verbreitet. Mit einer Schätzung derselben seit 1815 haben sich unter andern Gabler, Löher und Pösche in Philadelphia beschäftigt. Ihre Berechnungen weichen indes so weit voneinander ab, daß die einen für die Periode 1815-1843 die Zahl 383,000, die andern 740,000 finden. Eine vollständige Statistik über die Zahl der Auswanderer, welche aus deutschen Häfen befördert wurden, besitzen wir erst seit 1847; doch schließt dieselbe auch die nichtdeutschen Auswanderer ein und berücksichtigt nicht die aus nichtdeutschen Häfen abgegangenen deutschen Auswanderer. Indes möchten diese beiden Mängel einander gegenseitig einigermaßen aufheben. Aus deutschen Häfen wurden deutsche und fremde Auswanderer befördert:
1847-53: | 370415 |
1854-60: | 446370 |
1861-67: | 472881 |
1868-74: | 772294 |
1875-81: | 644442 |
1882-84: | 590492 |
Seit 1871 werden die aus Bremen [* 33] und Hamburg, seit 1872 die aus Antwerpen, [* 34] seit 1874 die aus Stettin [* 35] beförderten Auswanderer aus dem Deutschen Reich von den übrigen getrennt aufgeführt über diese vier Häfen wanderten Deutsche aus:
1873: | 103638 |
1874: | 45112 |
1875: | 30773 |
1876: | 28368 |
1877: | 21964 |
1878: | 24217 |
1879: | 33327 |
1880: | 106190 |
1881: | 210547 |
1882: | 193869 |
1883: | 166119 |
1884: | 143586 |
Über Havre [* 36] wurden 1871-84 direkt 63,183 deutsche Auswanderer befördert. Das Hauptziel deutscher Auswanderung ist unverändert die amerikanische Union geblieben, andern überseeischen Gebieten haben sich nie mehr als 4-5 Proz. der gesammten deutschen Auswanderung zugewandt.
Die Ziele der deutschen Auswanderung 1871-84.
Staaten | Auswanderer | Von 1000 Auswanderern |
---|---|---|
Vereinigte Staaten von Nordamerika | 1250937 | 955.5 |
Britisch-Amerika | 3289 | 2.5 |
Mexiko und Zentralamerika | 444 | 0.4 |
Westindien | 916 | 0.7 |
Brasilien | 27128 | 20.7 |
Andre südamerikanische Staaten | 8524 | 6.5 |
Afrika | 2929 | 2.2 |
Asien | 441 | 0.3 |
Australien | 14664 | 11.2 |
Von der Gesamtzahl, 1,309,272, gingen 648,930 über Bremen, 531,670 über Hamburg, 7629 über Stettin und 121,043 über Antwerpen. Die einzelnen Teile des Deutschen Reichs haben, wie die folgende Tabelle zeigt, in verschiedenem Maße sich hieran beteiligt.
Staaten und Landesteile | Deutsche Auswanderung 1871-81 | Durchschnittl. jährliche Auswanderung auf 1000 Ew. |
---|---|---|
Provinz Ost- und Westpreußen | 96820 | 2.63 |
Provinz Brandenburg | 35897 | 0.96 |
Provinz Pommern | 90400 | 5.34 |
Provinz Posen | 77425 | 4.13 |
Provinz Schlesien | 23000 | 0.52 |
Provinz Sachsen | 13791 | 0.51 |
Provinz Schleswig-Holstein | 46738 | 3.77 |
Provinz Hannover | 62500 | 2.72 |
Provinz Westfalen | 21464 | 0.95 |
Provinz Hessen-Nassau | 30081 | 1.75 |
Provinz Rheinland | 25893 | 0.58 |
Hohenzollern | 750 | 1.01 |
Preußen ohne nähere Bestimmung | 878 | - |
Preußen: | 525637 | 1.75 |
Bayern | 71669 | 1.23 |
Sachsen | 26525 | 0.81 |
Württemberg | 43591 | 2.01 |
Baden | 33125 | 1.92 |
Hessen | 20298 | 1.97 |
Mecklenburg-Schwerin | 28665 | 4.51 |
Mecklenburg-Strelitz | 3259 | 2.95 |
Thüringische Staaten | 12544 | 0.97 |
Oldenburg | 8866 | 2.39 |
Braunschweig | 3227 | 0.84 |
Anhalt | 1426 | 0.56 |
Waldeck | 1074 | 1.73 |
Schaumburg-Lippe ↘ | ||
Lippe | 1945 | 1.13 |
Lübeck | 887 | 1.27 |
Bremen | 5894 | 3.42 |
Hamburg | 11816 | 2.37 |
Elsaß-Lothringen | 3762 | 0.22 |
Deutschland ohne nähere Bestimmung | 1488 | - |
Deutsches Reich: | 805698 | 1.62 |
Die verhältnismäßig stärkste Auswanderung weise dünn bevölkerte und zwar vornehmlich Ackerbau betreibende Landesteile auf, wie die Provinzen Pommern, [* 37] Posen, [* 38] Preußen, Schleswig-Holstein [* 39] und Hannover, [* 40] ferner die beiden Mecklenburg [* 41] und Oldenburg. [* 42] Hier ist es die unbefriedigende Verteilung von Grund und Boden, welche die Bewohner nach Ländern jenseit des Meers blicken läßt. Die industriereichen Gebiete liefern weit weniger Auswanderer, doch ist die Zahl derselben aus Württemberg, [* 43] Baden, [* 44] Hessen [* 45] nicht unbedeutend; hier ist aber nicht die Not, vielmehr der Wunsch, eine wenn schon leidliche, aber dennoch den Unternehmenden nicht hinlänglich befriedigende Lage zu verbessern, die Triebfeder gewesen, wobei auch geschichtliche Überlieferungen mit ihrem Einfluß auf den Wandertrieb eine wichtige Rolle spielen. In den Seestädten haben naturgemäß eng geknüpfte Beziehungen mit dem Ausland die Auswanderung zu fördern vermocht.
Die Auswanderung aus Österreich-Ungarn [* 46] läßt sich nicht mit Genauigkeit feststellen, da eine Anzahl von Leuten das Kaiserreich verläßt, ohne ihre Absicht kundzugeben. Für Cisleithanien gibt die offizielle Statistik 169,356 Personen an, welche 1850-83 auswanderten mit dem Vorsatz, nicht wieder zurückzukehren. Böhmen, [* 47] Mähren, Tirol, [* 48] Galizien, das Litorale, namentlich der Kreis [* 49] Gradisca, liefern das stärkste Kontingent. Die Hauptmasse dieser Auswanderer nimmt ¶