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beginnt in einem Vorläuferstadium mit Mattigkeit, Neigung zum Schlaf, Frösteln, Appetitlosigkeit; unter herumziehenden Schmerzen entstehen kleine, rundliche, braunrote Flecke auf der Haut, [* 2] welche anfangs auf Fingerdruck verschwinden, um nach einiger Zeit wiederzukehren. Nach einigen Jahren werden die Flecke konstant und mehr bräunlich, der Kranke fühlt sich dann wieder etwas besser. Gewöhnlich erscheinen diese Flecke zuerst in der Augenbrauengegend und auf den Handrücken, schwellen dann an und bilden einzeln stehende, rundliche, harte Knoten, welche über die Haut hervorragen.
Dabei entstehen meist fieberhafte Erscheinungen mit allgemeiner Abgeschlagenheit. Die Knoten wachsen, breiten sich über Gesicht, [* 3] Arme und Beine und einen großen Teil des Körpers aus, auf dem sie überall sich finden können mit Ausnahme des behaarten Kopfes, der Fußsohle und der Handfläche. Zuletzt erweichen diese Knoten, brechen auf und bilden, am meisten um die Gelenke herum, Geschwüre, welche eine übelriechende Flüssigkeit absondern, die sich zu einer braunen, dicken Kruste eindickt.
Unterdessen sind die meisten Lymphdrüsen angeschwollen, wie am Hals, in der Achselhöhle, in der Leistengegend. Ähnliche Knoten bilden sich auf den Schleimhäuten des Mundes, des Schlundes, in der Nase [* 4] und im Kehlkopf; [* 5] die Stimme wird klanglos, rauh, das Atmen behindert. Das Auge [* 6] wird zuweilen ebenfalls angegriffen und zerstört, die Nase sinkt ein. Im Innern des Körpers leiden die Organe zugleich mit;
am Bauchfell, im Magen [* 7] finden sich erweichte Knoten;
die Gekrösdrüsen sind angeschwollen und innerlich oft erweicht;
ja, Rippenfell und Herzbeutel können mit Knoten besetzt sein, während die Lungen stets frei bleiben.
Endlich sind auch die Nerven [* 8] und Unterleibsgefäße mit knotiger Masse erfüllt. Zuletzt finden wässerige Ergießungen in die Hirnhöhlen statt, und die Patienten sterben unter Erscheinungen von Bewußtlosigkeit. Einen stets langsamern Verlauf nimmt die glatte oder anästhetische Form, deren mittlere Dauer auf 18½ Jahre berechnet wird. Es gehen derselben die gleichen allgemeinen Vorläufererscheinungen voraus, aber anstatt der rotbraunen Flecke schießen in plötzlichen Ausbrüchen große Blasen, besonders an Armen und Beinen, auf.
Die Blasen bersten und hinterlassen oberflächliche Geschwüre und diese runde, weiße, in der Haut etwas vertiefte Narben. Jetzt folgt eine größere oder kleinere Pause, in der der Kranke sich wohl befindet, bis sich an irgend einem Teil des Körpers eine übermäßige schmerzhafte Empfindlichkeit der Haut einstellt, begleitet von Schlaflosigkeit, Unwohlsein und Abmagerung. Diese Schmerzhaftigkeit kann lange Zeit dauern; wenn sie verschwindet, ist aber auch das Gefühl mit erloschen.
Diese Gefühllosigkeit dehnt sich aus und wird zuletzt so vollkommen, daß der Kranke sich an den gefühllosen Stellen brennen kann, ohne es zu spüren. Wenn das Gesicht gefühllos wird, können die Lippen und die Augenlider nicht geschlossen werden; die Lider stülpen sich nach außen um, die Hornhaut trübt sich, und es entsteht Blindheit. Ergreift die Gefühllosigkeit die Geschlechtsorgane, so erlischt der Geschlechtstrieb, was bei der knotigen Form nicht beobachtet wird, wenn auch Knoten an diesen Teilen sich bilden.
Verbreitet sich die
Anästhesie auf die Extremitäten, so vermindert sich auch die Bewegungsfähigkeit,
Finger und
Zehen stehen
krumm und unbeweglich.
Endlich entstehen nach einem höhern
Grad von Unbeweglichkeit brandige
Geschwüre auf der Fußsohle,
die
Knochen
[* 9] werden brandig, und einzelne
Glieder
[* 10] fallen ab. Dabei waltet gewöhnlich
sehr heftiges
Fieber
ob, dem die Leidenden erliegen. Diese letztere Form des Aussatzes
hat man als verstümmelnden Aussatz
(Lepra articulorum s. mutilans)
bezeichnet, weil die
Glieder in den
Gelenken gleichsam abgesetzt werden.
Die
Verstümmelung ist die
Folge von
Entzündungen, welche in den gefühllosen Teilen vor sich gehen. Zuweilen verlieren die
Kranken
Hände und
Füße,
Nase und
Augen, so daß gewissermaßen nur
Kopf,
Rumpf und rohe
Stümpfe von den Extremitäten übrigbleiben.
Ärztliche
Beschreibungen des Aussatzes
mangeln aus früherer Zeit bis zum 16. Jahrh. fast vollkommen;
meist müssen die Mitteilungen darüber den Chronikschreibern und Dichtern entnommen werden. Von hohem
Interesse ist ein
von
Virchow aufgefundenes
Bild des ältern
Holbein
[* 11] in der
Pinakothek zu
München,
[* 12] welches die heil.
Elisabeth darstellt, wie sie,
von der
Wartburg heruntersteigend, die Aussätzigen speist und tränkt.
Vier
Personen tragen hier deutliche Zeichen des Aussatzes
an sich.
Von alters her hat man an die Ansteckungsfähigkeit des Aussatzes
geglaubt und deshalb schon früh die
Absonderung der Aussätzigen von
Staats wegen angeordnet, welche daher auch vorzugsweise
Sondersieche hießen. Diese
Annahme
der Kontagiosität des Aussatzes
veranlaßte deshalb auch schon sehr bald die Einrichtung von Aussatzspitälern (Léproseries,
Maladreries, Meselleries, Lazzaretti, Sondersiechenhäusern), meist an abgelegenen Teilen der
Städte oder außerhalb derselben
vor den
Thoren. Im nördlichen
Deutschland
[* 13] waren sie fast alle dem heil.
Georg geweiht und wurden daher
St.
Georgs- oder St. Jürgenspitäler genannt.
Ihre Zahl war eine sehr bedeutende. Die meisten deutschen Leproserien werden im 13. und 14. Jahrh. zum erstenmal erwähnt, die ältesten fallen in die Zeit der letzten Kreuzzüge, an denen die Deutschen fast gar keinen Anteil nahmen. Außer diesen größern Anstalten gab es noch vereinzelte »Feldhütten« zur Unterbringung einzelner, den Landgemeinden angehöriger Siechen. Ob ein Mensch aussätzig war oder nicht, wurde von vereidigten »Beschauern« entschieden; in Holland besaßen einzelne Kapellen ein Privilegium dafür, das viel Geld eintrug.
Wer für aussätzig erklärt wurde, erhielt ein schriftliches Zeugnis und eine besondere Kleidung, gewöhnlich ein schwarzes Gewand mit bestimmten Abzeichen nebst einem Hut [* 14] mit breitem weißen Bande. Dazu trugen die Leprosen eine hölzerne Klapper, um ihre Annäherung zu erkennen zu geben, und einen Stock, womit sie die Gegenstände, die sie begehrten, berührten. Waffen [* 15] zu tragen, war ihnen verboten. In Frankreich wurden sie für bürgerlich tot erklärt, durften öffentliche Orte gar nicht besuchen, nicht erben, noch etwas erwerben, so daß die armen Leidenden oft, zur Verzweiflung getrieben, sich gegen die Bewohner der Städte empörten, dafür aber mit den härtesten Strafen, selbst Todesstrafen, belegt wurden.
Dagegen war den Aussätzigen gestattet, zu betteln und in der Welt herumzuziehen. In den Leproserien waren sehr komplizierte Hausordnungen eingeführt, die im ganzen allenthalben viel Übereinstimmendes hatten und nur in einzelnen unwesentlichen Punkten voneinander abwichen. Die Frauen und Männer waren getrennt, bei Strafe des Verlustes ihrer Pfründe sollten die Aufgenommenen keusch leben, jede Gemeinschaft zwischen Sonnenuntergang und -Aufgang sollte aufhören, kein Siecher durfte ohne Gefährten aus dem Haus gehen oder gar über Nacht aus dem Haus bleiben, mit einer gesunden oder siechen Frau sprechen etc. Auch sollten sich die Kranken aller lärmenden Vergnügungen ¶
mehr
enthalten. Die für sie bestimmten Kapellen hatten einen abgesonderten Platz, der nur durch eine kleine Öffnung mit der übrigen
Kirche zusammenhing; das Abendmahl wurde denselben am Werkeltag in ihrer »verordneten« Kapelle gereicht. Das Heiraten war den
Sondersiechen ganz untersagt, und Pippin schon hatte den Aussatz
757 als Ehescheidungsgrund aufgestellt mit
der Erlaubnis zur Wiederverheiratung für den gesunden Teil. Diese letztern Angaben deuten darauf hin, daß man schon vor
alters an die Kontagiosität und an die Erblichkeit des Aussatzes
glaubte.
Während aber letztere nicht bezweifelt werden kann, sieht man gegenwärtig die Krankheit nicht mehr als ansteckend an. Sie
wird übrigens häufiger ererbt, als daß sie spontan entsteht. Daniellsen und Boeck nehmen nach Untersuchungen,
welche dieselben an 213 Individuen im St. Jürgenhospital zu Bergen
[* 17] angestellt, an, daß die Krankheit bei 185 ererbt und nur
bei 28 spontan entstanden sei. Im J. 1882 hat die Untersuchung der Lepraknoten durch Hansen und Neißer stäbchenförmige
Bakterien in denselben ergeben, welche mutmaßlich als die nächsten Vermittler des Kontagiums anzusehen sind und dem Aussatz
seine
Stellung unter den Infektionskrankheiten anweisen. Das Alter, in welchem der Aussatz
gewöhnlich zuerst ausbricht, ist das zweite
Lebensjahrzehnt; er zeigt sich dann am meisten zwischen 20-30 Jahren. Nach dem 60. Jahr ist die Krankheit
von den genannten Forschern niemals beobachtet worden.
Die Behandlung des Aussatzes
bezog sich neben den prophylaktischen bereits genannten Maßregeln der Isolierung und Verhinderung
der Fortpflanzung und erblichen Übertragung von jeher hauptsächlich auf die Diät, auf Hautpflege durch Bäder, die mit allerlei
Zusätzen von aromatischen und andern Stoffen versetzt wurden, auf Einreibungen und Überschläge von erweichenden
und zerteilenden Mitteln, auf Verbände der Geschwüre mit balsamischen, reizenden Salben.
Innerlich wurden die verschiedensten Mittel gereicht, aber, wie es scheint, mit sehr geringem Erfolg. Der Volksglaube hoffte alles von der Wirkung übernatürlicher Mittel, so namentlich von einem unmittelbaren Eingreifen Gottes, wie zahlreiche Legenden bezeugen, und von dem Blut unschuldiger Kinder: höchste Reinheit sollte höchste Unreinheit heilen. Die bekannteste hierher gehörige Legende ist der »Arme Heinrich« Hartmanns von Aue. Neuere Schriftsteller rühmen als Mittel gegen den den Gebrauch von Jodkalium bei guter, kräftiger Nahrung.
Vgl. Hensler, Vom abendländischen Aussatz
im Mittelalter (Hamb. 1794);
Sprengel, Beiträge zur Geschichte der Medizin, Bd. 1, St. 1, S. 220 (Halle [* 18] 1795);
Häser, Lehrbuch der Geschichte der Medizin und der epidemischen Krankheiten, Bd. 2 (3. Aufl., Jena [* 19] 1880).
Über die norwegische Spedalskhed vgl. Daniellsen und Boeck, Traité de la Spédalskhed ou Elephantiasis des Grecs (mit Atlas, [* 20] Par. 1847); die historischen Abhandlungen in Virchows »Archiv«, Bd. 18-22: »Zur Geschichte des Aussatzes und der Spitäler, besonders in Deutschland«, und Virchow, Krankhafte Geschwülste, Bd. 2 (Berl. 1864).