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Arbeiten. Die Sternkunde fand jetzt Verbreitung und Anerkennung in einem Maß, wie es bisher noch nie der Fall gewesen war. Auch Schweden, [* 2] Dänemark, [* 3] Italien [* 4] und selbst Rußland blieben jetzt nicht zurück; Wargentin, Carlini, Piazzi u. a. waren als Beobachter und zum Teil auch als Theoretiker für Erweiterung der Wissenschaft thätig.
Die erste Nacht des 19. Jahrh. ist durch die Entdeckung eines neuen Planeten, [* 5] der Ceres, durch Piazzi in Palermo [* 6] bezeichnet, und es wurden nun bis 1807 noch drei andre Planetoiden entdeckt. Die Bemühungen von Olbers zur Auffindung noch weiterer Planetoiden blieben freilich seit der Entdeckung der Vesta (1807) erfolglos, weil noch keine hinreichend genauen Sternkarten vorhanden waren, welche eine Unterscheidung der kleinen Wandelsterne von den lichtschwachen Fixsternen ermöglichten. Es ist eins der Hauptverdienste Bessels, die Ausführung solcher Karten, welche sich auf die Sterne bis zur 9. Größenklasse erstrecken, angeregt zu haben.
Dieselben haben es im Lauf der Jahre seit 1845 ermöglicht, mehr als 200 weitere kleine Planeten unter dem unermeßlichen Heer der lichtschwachen Fixsterne [* 7] herauszufinden. Die glücklichsten Planetenentdecker, Gasparis, Hind, Luther, Goldschmidt, Peters, Watson, sind auch diejenigen, welche über die durch eignen Fleiß vervollständigten reichhaltigsten Himmelskarten verfügen. Wichtiger noch als die Auffindung der kleinen Planeten erwies sich die scharfsinnige Untersuchung der Störungen des Uranus, welche Leverrier 1846 unternahm, und deren glänzendes Ergebnis die theoretische Entdeckung des Neptun ist, der nach den Anweisungen Leverriers von Galle an dem bezeichneten Orte des Himmels aufgefunden ward. Zu den großartigsten Leistungen der neuern Zeit auf dem Gebiet der beobachtenden Astronomie [* 8] gehört die Herstellung des großen »Atlas [* 9] des nördlichen gestirnten Himmels« durch Argelander unter Mitwirkung von Schönfeld und Krüger (Bonn [* 10] 1857-63, 40 Karten). Die Grundlage dieser Himmelskarten bildet die Durchmusterung des nördlichen Himmels, welche 1852-62 auf der Bonner Sternwarte [* 11] ausgeführt worden ist und alle Sterne bis zur 9.-10. Größenklasse umfaßt. Die Gesamtzahl der angestellten Beobachtungen beträgt in runder Summe 1,065,000.
Fortschritte der Astronomie in der neuesten Zeit.
Die neueste Ära, welche eine wichtige Vervollkommnung der Astronomie bezeichnet, datiert von Einführung der Chemie und Experimentalphysik in die astronomischen Beobachtungsmethoden. Die Erfindung der Photographie hat in der Vervollkommnung, welche ihr die Bemühungen der Chemiker gegeben, für die Astronomie eine hohe Bedeutung erlangt. Denn gegenwärtig wird sie nicht nur mit Erfolg benutzt, um am Fixsternhimmel durch treue Wiedergabe von Doppelsternen die Messungen ihrer Abstände und gegenseitigen Lagen wesentlich zu präzisieren, sondern sie findet eine noch lohnendere Aufgabe in der Darstellung von Bildern der Oberfläche von Sonne [* 12] und Mond; [* 13] ebenso hat man die Spektren der Sterne, ja selbst die von Kometen [* 14] photographiert.
Die Photometrie [* 15] des Himmels hat in jüngerer Zeit nicht minder überraschende Fortschritte gemacht. Steinheils Scharfsinn gab zuerst Mittel an die Hand, [* 16] strenge Messungen der Sternhelligkeiten an Stelle der frühern rohen Schätzungen zu setzen. Einen weitern wesentlichen Fortschritt auf diesem Gebiet bildet die Konstruktion des Zöllnerschen Astrophotometers. Die folgenreichste Anwendung auf dem astronomischen Gebiet fand aber die Spektralanalyse. [* 17] Sie lieferte eine solche Menge von neuen und glänzenden Entdeckungen, wie sie in der gesamten Vergangenheit nur das Jahrhundert, in welchem das Fernrohr [* 18] erfunden wurde, aufweist.
War es bisher nur möglich, in den Meteoriten die stoffliche Zusammensetzung zu erkennen, so untersucht heute dank der bewundernswerten Erfindung der prismatischen Analyse des Lichts der astronomische Physiker die chemische Zusammensetzung der entferntesten Weltkörper qualitativ fast mit derselben Sicherheit wie der Chemiker den Körper, den er im Laboratorium [* 19] unter den Händen hat. Durch die Entdeckung von Kirchhoff und Bunsen sind Arbeiten ermöglicht worden, infolge deren wir gegenwärtig mehr über die stoffliche Zusammensetzung der Fixsternwelt als über deren Dimensionen und Bewegungsverhältnisse wissen.
Die Spektralanalyse hat in dem unermeßlichen Heer der Fixsterne vier bestimmte und wohl voneinander unterschiedene Typen erkannt, auf die sich alle Individualitäten zurückführen lassen. An der Hand dieses neuen Hilfsmittels konnte ferner sein Schöpfer Kirchhoff die Unrichtigkeit der von Wilson und Herschel aufgestellten Theorie der physischen Zustände des Sonnenballs nachweisen, und die Beobachtungen von Spörer in Anklam [* 20] erwiesen bald die Richtigkeit der neuen Kirchhoffschen Sonnentheorie, die dann auch durch die spektroskopische Beobachtung der totalen Sonnenfinsternis [* 21] durch Deutsche, [* 22] Engländer und Franzosen in Indien bestätigt ward.
Die Sonne erwies sich als ein glühender Gasball, der von einer weniger erhitzten Atmosphäre umhüllt ist. Die bei totalen Sonnenfinsternissen am Sonnenrand beobachteten Protuberanzen erwiesen sich als ungeheure Säulen [* 23] glühenden Wasserstoffs, die mit furchtbarer Gewalt von der Sonnenoberfläche 20,000, ja bis 40,000 und in einzelnen Fällen selbst bis zu 50,000 Meilen mit Geschwindigkeiten von vielen Meilen in der Sekunde emporgeschleudert werden. Das Haupthindernis der genauern Kenntnis der Protuberanzen war bis dahin das strahlende Sonnenlicht gewesen, welches nicht erlaubte, jene Gebilde am hellen Sonnenrand zu erkennen, daher man zu ihrer Beobachtung auf die paar Minuten der gänzlichen Bedeckung der Sonne durch den Mond bei totalen Sonnenfinsternissen angewiesen war.
Auch diesem großen Übelstand ist durch die Spektralanalyse abgeholfen, indem sie, wie zuerst Lockyer und Janssen fanden, es möglich macht, die Protuberanzen zu jeder Tagesstunde am Sonnenrand zu sehen. Ebenso hat uns die Spektralanalyse in der neuesten Zeit wichtige Aufschlüsse über die Natur der Kometen geliefert. Die Bedeutung derartiger astrophysischer Untersuchungen hat bereits zur Anlage eigner Observatorien geführt, wie zu Potsdam [* 24] und Meudon. Genaueres über die Ergebnisse enthalten die Art. Sonne und Spektralanalyse.
Die Sternschnuppen, sonst ein Stiefkind der Astronomie, haben in den letzten Jahrzehnten, hauptsächlich durch die Arbeiten von Schiaparelli, ein ganz unerwartetes Interesse gewonnen durch den Nachweis ihres Zusammenhangs mit den Kometen; vgl. Kometen und Sternschnuppen.
Wie auf andern Gebieten menschlicher Thätigkeit, so hat sich auch neuerdings in der Astronomie mehr als früher das Streben geltend gemacht, zahlreiche Kräfte einzelner zur Erreichung eines gemeinsamen Ziels zu ¶
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vereinigen. Veranlassung hierzu boten schon im vorigen Jahrhundert die Venusdurchgänge von 1761 und 1769. Dasselbe Ereignis hat auch 1874 und 1882 wieder eine große Zahl europäischer und amerikanischer Astronomen nach zum Teil weit entlegenen Beobachtungsstationen geführt, und in ähnlicher Weise vereinigen auch totale Sonnenfinsternisse immer noch eine größere Anzahl astronomischer Kräfte. Anlaß zu derartigen Vereinigungen bot ferner das Bedürfnis genauer und detaillierter, auch die teleskopischen Sterne bis zu einer gewissen Größenklasse enthaltender Sternkarten.
Dasselbe machte sich besonders lebhaft geltend, als man gegen Ende des vorigen Jahrhunderts sich ernstlich mit der Aufsuchung eines Planeten zwischen Mars [* 26] und Jupiter zu beschäftigen anfing. Zachs und Schröters Plan, zu diesem Zweck eine astronomische Gesellschaft zu gründen, deren Mitglieder detaillierte Karten der Umgebung der Ekliptik herstellen sollten, scheiterte an dem kriegerischen Ernste des Zeitalters; aber der Hauptgedanke, die Herstellung detaillierter Sternkarten, wurde später in den Berliner [* 27] akademischen Sternkarten (1824-59) durch das Zusammenwirken zahlreicher Astronomen verwirklicht, und auch die Hoffnung, schon während der Bearbeitung dieser Karten selbst neue Weltkörper aufzufinden, ist durch die Entdeckung einer Menge Planetoiden und des Neptun erfüllt worden.
Gegenüber solchen Vereinigungen für spezielle Zwecke führte das Bedürfnis nach einer dauernden Institution schon 1820 zur Gründung der Königlichen Astronomischen Gesellschaft in England. In Deutschland [* 28] aber entwarfen auf der Naturforscherversammlung in Bonn 1857 eine Anzahl jüngerer Astronomen einen Plan zur Berechnung und Veröffentlichung gewisser allen Planetenberechnungen gemeinsamer Grundlagen, und nachdem diese Organisation auf einer Versammlung in Dresden [* 29] 1861 noch erweitert worden, erfolgte 1863 in Heidelberg [* 30] die Gründung der Astronomischen Gesellschaft, einer Vereinigung von Astronomen und Freunden der Astronomie zum Zweck der Förderung dieser Wissenschaft, insbesondere durch solche Arbeiten, welche ein systematisches Zusammenwirken vieler erfordern, sowie auch durch Unterstützung langjähriger Arbeiten einzelner an größern Aufgaben.
Die Gesellschaft hat ihren Sitz in Leipzig [* 31] und hält alle zwei Jahre eine Generalversammlung ab. So wie die Gesellschaft gleich von Anfang an einen völlig internationalen Charakter hatte, so sind ihre Versammlungen von jeher Sammelpunkte für die astronomischen Fachgenossen der verschiedensten Nationen gewesen. Das Hauptunternehmen, welches derzeit die Astronomische Gesellschaft beschäftigt, ist die von Argelander angeregte genaue Ortsbestimmung [* 32] aller Fixsterne des nördlichen Himmels bis herab zur 9. Größe (mehr als 300,000) nach einem möglichst gleichmäßigen Verfahren, in welche Arbeit sich die Sternwarten [* 33] von Kasan, [* 34] Dorpat, [* 35] Christiania, [* 36] Helsingfors, Cambridge (Vereinigte Staaten), Bonn, Lund, Leiden, [* 37] Cambridge (England), Berlin, [* 38] Leipzig, Albany, Nikolajew in der Weise geteilt haben, daß jede derselben die Sterne einer gewissen Zone, meist von 5 oder 10° Breite [* 39] im Sinn der Deklination, übernommen hat.
Die Messungen sind gegenwärtig vollendet, auch die Ausdehnung [* 40] auf die Südhemisphäre des Himmels ist bereits angebahnt. Diese großartige Arbeit wird den Astronomen künftiger Zeiten die Grundlage liefern zur genauern Ermittelung der Eigenbewegungen der Fixsterne sowie der Bewegung unsers Sonnensystems im Weltraum. Außerdem widmet die Gesellschaft namentlich auch der genauen Bestimmung der Planeten und Kometenbewegungen ihre fördernde Fürsorge.
Von großer Bedeutung für die Fortschritte namentlich auf dem Gebiet der Kometen- und Planetoidenkunde ist ein gut geregeltes astronomisches Nachrichtenwesen, welches ermöglicht, neuentdeckte Himmelskörper rasch an den verschiedensten Orten zu beobachten und so die Entdeckung zu sichern. Die Schwerfälligkeit und Langsamkeit der frühern Verkehrsmittel haben gar oft hemmend auf die Fortschritte der Astronomie eingewirkt. Bei der heutigen Verbreitung des elektrischen Telegraphen [* 41] ist es nun freilich ungleich leichter als früher, astronomische Mitteilungen in weite Ferne zu übermitteln; zu einer systematischen Benutzung dieses Verkehrsmittels gab aber die Entdeckung eines Kometen durch Pogson in Madras [* 42] Anlaß, welche auf eine telegraphische Aufforderung von Klinkerfues in Göttingen [* 43] erfolgte, der den prachtvollen Sternschnuppenfall vom als Produkt eines Kometen ansah.
Bald nachher gelang es Henry, damals Sekretär [* 44] der Smithsonian Institution in Washington, [* 45] zunächst die Angloamerikanische und die Western Union-Telegraphengesellschaft zur unentgeltlichen Beförderung astronomischer Depeschen zu bestimmen, und als später auch andre Telegraphenverwaltungen wenigstens teilweise Gebührenfreiheit für Mitteilungen astronomischen Inhalts gewährten, konnten die Astronomen der Alten Welt mit verhältnismäßig geringem Kostenaufwand in kürzester Zeit von den Entdeckungen jenseit des Atlantischen Ozeans in Kenntnis gesetzt werden.
Die Smithsonian Institution empfing von den Sternwarten Amerikas die Nachrichten, welche sie dann den fünf Hauptsternwarten Europas: Paris, [* 46] Berlin, Greenwich, Wien [* 47] und Pulkowa, übermittelte, die wieder für die möglichst rasche Weiterverbreitung Sorge trugen. Auf demselben Wege gingen umgekehrt die Nachrichten aus Europa [* 48] nach Amerika. [* 49] Als sich aber im Lauf der Zeit mancherlei Übelstände herausstellten und namentlich die großen Kometenerscheinungen von 1882 die Mangelhaftigkeit des bisherigen Nachrichtenwesens dargethan hatten, gelang es Förster, eine neue Organisation zu stande zu bringen, und im November 1882 war die Errichtung einer Zentralstelle für astronomische Telegramme in Kiel [* 50] gesichert, die unter Oberleitung einer aus den Direktoren der Sternwarten zu Kiel, Pulkowa, Wien, Mailand, [* 51] Paris, Greenwich, Utrecht [* 52] und Kopenhagen [* 53] zusammengesetzten Kommission steht, und deren Geschäftsführung Krüger in Kiel besorgt.
Die Kosten werden von einer freien Vereinigung von Astronomen getragen, von denen jeder der Zentralstelle die für die Gesamtheit wichtigen Nachrichten schickt und am Jahresschluß die Kosten zurückerstattet erhält; die Zentralstelle hat derartige Nachrichten von allen Seiten, auch von Nichtteilnehmern, einzuziehen und dann möglichst schleunig an die Teilnehmer weiter zu befördern. In Nordamerika [* 54] bildet seit 1883 die Sternwarte von Cambridge in Massachusetts die Zentralstelle, und von der Südhemisphäre ist es gelungen, die Sternwarten zu Rio de Janeiro, [* 55] Madras, Melbourne [* 56] und Kapstadt [* 57] in die Organisation hereinzuziehen.
Von großem Wert für Mitteilungen astronomischen Inhalts, soweit sie in Zahlenangaben bestehen, ist das von Chandler und Ritchie in Boston [* 58] erfundene, im »Science Observer« (1881, Nr. 33 u. 34) veröffentlichte Chiffresystem, zu welchem das englische Wörterbuch von Worcester, ein Werk von über 400 Seiten mit wenigstens je 100 Wörtern, den Schlüssel ¶