mehr
Fühlen Geschmack (schöne Seele), als gleiches Wollen Charakter (Tugend);
die erste führt, wenn sie mit andern und für andre vorstellt, zur realen Kunst (Sprache [* 2] in Bild, Ton und Wort);
der zweite, indem er mit andern und für andre fühlt, zur Humanität (Mitgefühl in Sitte und Anstand);
der dritte, indem er mit andern und für andre will, zur Sittlichkeit (Wohlwollen, Recht und Vergeltung).
Die Ästhetik begreift daher die Ethik (persönliche und gesellige Tugend, Charakter, Sittlichkeit) unter sich; die allgemeinen ästhetischen Formen finden sich in den praktischen Ideen Herbarts: der Vollkommenheit, der innern Freiheit, des Wohlwollens, des Rechts, der Billigkeit, des Rechts-, Lohn-, Verwaltungs-, Kultursystems und der beseelten Gesellschaft, angewandt auf den Willen wieder. Die weitere Gliederung der Phantasie nach den drei Hauptklassen des entweder bloß räumlich und zeitlich zusammenfassenden, oder sinnlich empfindenden, oder Gedanken bildenden Vorstellens führt zu der Dreiteilung der bildnerischen, musikalischen und poetischen Phantasie und gibt zu ebenso vielen abgesonderten Lehren [* 3] vom Bildnerisch-, Musikalisch- und Poetisch-Schönen Anlaß, welche durchaus miteinander nicht vermengt werden sollten.
Mit ihrer Aufstellung schließt die theoretische Wissenschaft vom Schönen; die praktische Ästhetik (Semper: »Der Stil in den technischen und tektonischen Künsten«, welche zur Realisierung wohlgefälliger Formen in beliebigem sinnlichen Stoff (Stein, Thon, Holz, [* 4] Bein und Metall; Licht [* 5] und Farbe; Luft, Ton und Wort) Anleitung gibt, bleibt ebenso wie die praktische Ethik (angewandte Tugendlehre, Pädagogik und Politik) besondern an die bezüglichen Teile der theoretischen Ästhetik sich anschließenden Kunstlehren vorbehalten.
[Litteratur.]
Außer den bahnbrechenden Werken von Kant (»Kritik der Urteilskraft«, 1790),
Schelling (»Über das Verhältnis der bildenden Künste zu der Natur«, 1807),
Solger (»Erwin. Vier Gespräche über das Schöne und die Kunst«, Berl. 1815) und Hegel (»Vorlesungen über die Ästhetik«, hrsg. von Hotho, das. 1835 bis 1838, 3 Bde.) haben fast alle namhaften deutschen Denker auch teils Vorlesungen über Ästhetik gehalten, teils Andeutungen über dieselbe gegeben. So Herbart (in der »Allgemeinen praktischen Philosophie«, Götting. 1808; »Lehrbuch zur Einleitung in die Philosophie«, 4. Aufl., Königsb. 1837),
Schopenhauer (»Die Welt als Wille und Vorstellung«, 3. Buch, 5. Aufl., Leipz. 1879);
Fries (»Handbuch der Ästhetik«, Heidelb. 1832),
Brause (»Abriß der Ästhetik«, hrsg. v. Leutbecher, Götting. 1837),
Schleiermacher (»Vorlesungen über Ästhetik«, hrsg. von Lommatzsch, Berl. 1842).
Treffende Winke, insbesondere über das Komische und die Theorie des Humors, enthält Jean Pauls »Vorschule der Ästhetik« (1804). Systematische Darstellungen der gesamten von den nun veralteten Lehrbüchern Bouterweks, Wendts, Webers, Thiersch' u. a. abgesehen, haben geliefert der Hegelianer F. Th. Vischer ( Ästhetik«, Reutling. 1846-57, 3 Abtlgn.; in schwerfälligen Paragraphen und geistreichen Anmerkungen) im pantheistischen, die Halbhegelianer C. H. Weiße (»System der Ästhetik«, Leipz. 1830, 2 Bde.; dasselbe aus dem Kollegienheft letzter Hand [* 6] hrsg. von R. Seydel, das. 1872),
M. Carriere ( Ästhetik«, 3. Aufl., das. 1885, 2 Bde.) im theistischen Sinn, alle drei vom Standpunkt der Gehaltsästhetik; ferner der Herbartianer R. Zimmermann (»Allgemeine Ästhetik als Formwissenschaft«, Wien [* 7] 1865) und die Nichtherbartianer C. Köstlin ( Ästhetik«, Tübing. 1863-69, und »Über den Schönheitsbegriff«, das. 1878) und K. Lemcke (»Populäre Ästhetik«, 5. Aufl., Leipz. 1879) vom Standpunkt der Formästhetik. Eine zwischen beiden schwankende Stellung nimmt J. H. ^[Julius Hermann] v. Kirchmanns »Ästhetik auf realistischer Grundlage« (Berl. 1868, 2 Bde.) ein, während Deutinger in seiner »Kunstlehre« als 4. und 5. Teil seines »Systems der positiven Philosophie« (Regensb. 1845-1847) und Dursch in seiner »Ästhetik« (Stuttg. 1840) eine Darstellung derselben auf christlicher Grundlage versucht haben. C. Hermann ist in seiner in ihrer Geschichte und als wissenschaftliches System« (Leipz. 1875) auf den Standpunkt Baumgartens zurückgegangen, während Siebeck (»Das Wesen der ästhetischen Anschauung«, Berl. 1875) vom Herbartschen Standpunkt aus eine Annäherung an die Gehaltsästhetik, dagegen Vischer in seiner Selbstkritik (»Kritische Gänge«, 5. und 6. Heft, Stuttg. 1866) eine solche an die Formästhetik versucht und Fechner in seinem »Beitrag zur experimentellen Ästhetik« (Leipz. 1871) und seiner »Vorschule der Ästhetik« (das. 1876, 2 Bde.) den experimentellen Weg betreten, Joh. Volkelt (»Der Symbolbegriff in der neuesten Ästhetik«, Jena [* 8] 1876) aber wieder wie einst Solger das Schöne symbolisch aufzufassen gesucht hat. Die erste vollständige Geschichte der Ästhetik hat Robert Zimmermann (Wien 1858) vom Herbartschen, eine zweite, sich »kritisch« nennende M. Schasler (Berl. 1872) vom Hegelschen Standpunkt aus geschrieben; H. Lotzes fein und geistreich, aber subjektiv gehaltene »Geschichte der in Deutschland« [* 9] (Münch. 1868) lehnt sich an Weiße an. Über die »Geschichte der Theorie der Kunst bei den Alten« hat Ed. Müller ein treffliches Werk (Berl. 1834-1837, 2 Bde.) verfaßt. Beiträge zur Geschichte der Ästhetik enthalten Neudeckers »Studien zur Geschichte der deutschen Ästhetik seit Kant« (Würzb. 1878).