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auch der Verteidiger der Geschütze [* 2] bedient und seine Mauern durch Anschüttung eines Erdwalles dahinter zu ihrer Aufstellung geeignet gemacht. Die Rohre, ohne Schildzapfen, wurden auf Holzunterlagen gelegt und ihr Rücklauf durch eine dahinter angebrachte Verpfählung aufgehoben. Diese Unbeholfenheit in ihrer Bewegung mußte naturgemäß die Anwendung von schweren Geschützen sehr beschränken. Man fertigte deshalb auch leichtere Geschützrohre, legte sie aus Bockgestelle oder in Laden, diese auf Unterlagen, die ein Heben der Mündung oder des Bodenstücks mittels der seitlichen Richthörner gestatteten.
Die Bockgestelle erhielten dann Räder, wurden also fahrbar, oder man transportierte die Rohre in ihren Gestellen auf besondern Wagen und ermöglichte so ihre Verwendung in der Feldschlacht. Der erste bestimmt nachgewiesene Gebrauch der Feuerwaffen findet sich in der Chronik von Metz [* 3] vom Jahr 1324. Die Engländer sollen bereits 1346 bei Crecy einige (3 oder 6) leichte Kanonen in freier Feldschlacht verwendet haben, welche Angabe jedoch vielfach bestritten wird. Ein sachlicher Unterschied zwischen Feld-, Festungs- und Belagerungsartillerie bestand anfangs nicht, man nahm mit ins Feld, was sich transportieren ließ, und zwar möglichst viel, um den Ritter mit seinem schweren Panzer zu Falle zu bringen.
Die Zahl der in Feldschlachten verwendeten Geschütze hatte sich zu Anfang des 15. Jahrh. erheblich gesteigert, denn die Hussiten eroberten in der Schlacht bei Riesenberg 1431 bereits 150 Geschütze. Den tiefgreifendsten und nachhaltigsten Anstoß erfuhr das Geschützwesen durch die Reichsstädte, namentlich Nürnberg, [* 4] die bei ihrem Emporblühen in ihrer eignen Wehrkraft die sicherste Stütze für ihre Selbständigkeit erblickten. Sie hatten ihren Stückgießer, ihren Zeugmeister und errichteten Zeughäuser zur Aufbewahrung ihrer Vorräte, die um Mitte des 15. Jahrh. in Nürnberg außerordentlich groß gewesen sind. Im J. 1445 ließ diese Stadt durch ihren Meister Hans von der Rosen eine 519 Ztr. schwere Hauptbüchse gießen.
Natürlich wollte auch jeder Stückgießer, von denen viele zur Zunft der Büchsenmeister gehörten, selbständig sein und Geschütze nach seiner Art herstellen, woraus die zahllosen Kaliber und speziellen Konstruktionen der Geschützrohre wie ihrer Lafetten entstanden. Einheitlicher war nur das Geschützwesen der Fürsten, von denen Karl der Kühne von Burgund ihm besonderes Interesse widmete; er soll zuerst Geschütze mit Schildzapfen sowie solche aus Gußeisen gehabt haben.
Auch seine
Lafetten waren schon verhältnismäßig leicht fahrbar, woraus sich seine bedeutende Artillerie erklärt,
denn in der
Schlacht bei
Granson fielen den
Schweizern 400
Geschütze in die
Hände. Bei ihrer geringen Beweglichkeit
und dem großen
Werte, den man auf die
Erhaltung der
Geschütze legte, gab man ihnen eine
Bedeckung aus den
tapfersten
Truppen. Wie damals ein
Kampf nur durch das
Handgemenge entschieden wurde, so konnten
Geschütze nur im
Kampf Mann
gegen Mann gewonnen oder erobert werden, was bei deren tapferer
Verteidigung dem
Sieger zu besonderm
Ruhm gereichte. Deshalb
wurden auch die
Geschütze zu den
Trophäen der
Schlacht gerechnet, ein
Gebrauch, der heute noch nicht erloschen
ist. Um die
Entwickelung der Artillerie erwarb sich
Kaiser
Maximilian I. großes
Verdienst, indem er ein bestimmtes
System in die
Kaliber
(6-, 12-, 24-Pfünder) brachte und die Lafettenkonstruktion
(durch
Martin
Merz, gest. 1501) so vervollkommte, daß ihre Prinzipien
für die fernern
Zeiten Geltung behielten. Er hatte auf seinem Zug
nach
Venedig
[* 5] 1509 schon 106
Geschütze mit
Räderlafetten, die gegen Mitte dieses
Jahrhunderts auch ein Marschlager erhielten, beim
Schießen
[* 6] auf Holzbettungen abgeprotzt
standen und daher Rücklauf hatten, eine bahnbrechende
Erkenntnis im
Gebrauch der Artillerie. Eine organisierte Artillerietruppe bestand
noch nicht; sie war eine
Zunft, die auf den
Schultern der
Büchsenmeister ruhte, sowohl in der
Praxis als
in der
Theorie, die ein wunderbares Gemisch abergläubischer Behauptungen und
Gebräuche bildete.
Die Büchsenmeister unterschied man als Feuerwerker, welche mit Wurfgeschützen umzugehen und Kunstfeuer anzufertigen, auch den Mineurdienst zu verrichten wußten, Büchsenmeister, welche mit Kartaunen schossen, und die Schlangenschützen; sie luden und richteten das Geschütz, während die übrigen Verrichtungen bei der Bedienung von Handlangern, den Schanzbauern, ausgeübt wurden. Die Schanzbauer, unter dem Schanzbauerhauptmann und dem Schanzmeister, verrichteten Pionierdienste (Schanzen-, Wege- und Brückenbau) und gehörten zur Artillerie. Die Stückknechte saßen als Fahrer auf den Zugpferden der Geschütze.
Dem Dreißigjährigen Krieg aber blieb es vorbehalten, die Bedeutung der Feldartillerie in der ihr von Gustav Adolf gegebenen technischen Vervollkommnung, ihrer Organisation und taktischen Verwendung in außerordentlicher Weise zu heben. Er erleichterte die Geschütze und dadurch ihre Beweglichkeit, gab den Infanterieregimentern die Regimentskanonen und vereinigte die übrigen Geschütze zu größern Batterien auf den Flügeln der Truppenstellungen, häufig maskiert, so daß sie den Feind mit ihrem Feuer überraschten, wie in der Schlacht bei Breitenfeld [* 7] die Reiterei Isolanis.
Den Übergang über den Lech erzwang er sich mit 72 Geschützen in 3 Batterien, und vor Frankfurt [* 8] artillerie O. brachte er 200 Geschütze aller Kaliber ins Feuer. Die Franzosen waren jedoch die ersten, welche ein förmlich organisiertes Artilleriekorps besaßen, das 1695 bereits aus 16 Bataillonen bestand. Wie in allen Zweigen des Kriegswesens, war Friedrich d. Gr. auch Reorganisator der Artillerie. Die Regimentskanonen ließ er durch Leute der Infanterie bedienen, im übrigen trennte er die Feld- von der Festungsartillerie, formierte die Artillerie zu Bataillonen, deren 1762 bereits 6 à 5 Kompanien bestanden, und errichtete 1759 die erste Batterie reitender Artillerie. Die Einteilung in Kompanien und Batterien bezog sich nicht auf eine bestimmte Anzahl Geschütze, wie heutzutage;
eine solche fand erst Anfang dieses Jahrhunderts durch den Prinzen August nach Vorgang der Franzosen, bei denen 6-8 Geschütze eine Batterie bildeten, statt;
die Regimentsartillerie löste er auf, formierte die Artillerie zu Brigaden, ließ die Festungsartillerie eingehen und die Kompanie abwechselnd Feld- und Festungsartillerie sein, eine Einrichtung, die bis 1852 bestanden hat;
er errichtete die Artilleriehandwerksstätten, die Artillerieprüfungskommission, die Stellung als Artillerieoffizier vom Platz in den Festungen und führte die fahrenden.
Artilleristen (Fahrer) an Stelle der Stückknechte ein. Eine neue Epoche begann für die Artillerie mit der Einführung der gezogenen Geschütze. Angeregt durch die Versuche Wahrendorffs mit einem Verschluß für Hinterladung 1840 und Cavallis, der damit ein Zugsystem und Langgeschosse verband, begannen in Preußen [* 9] die Versuche mit gezogenen Hinterladekanonen und gepreßter Geschoßführung auf Anregung des Prinzen Adalbert von Preußen schon 1851, die aber erst zehn Jahre später zur Einführung kamen. Inzwischen hatte Frankreich sich beeilt, seine ¶
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Feldartillerie mit gezogenen Vorderladekanonen nachdem System La Hitte zu bewaffnen, um ihr dadurch im Feldzug 1859 in Oberitalien [* 11] die Überlegenheit über die österreichische Artillerie zu sichern, was auch erreicht wurde. Infolgedessen kamen in Österreich [* 12] 1863 gezogene Vorderladekanonen nach Lenks Bogenzugsystem zur Einführung. Hier entstanden, um schnellere Bewegungen der Feldartillerie zu ermöglichen, die Kavallerie- oder fahrenden Batterien, bei denen die Bedienungsmannschaften auf wurstähnlichen Reitsitzen der Lafetten und Munitionswagen (Wurstwagen) saßen; in Preußen, wo sie auf den Handpferden und dem Protzkasten saßen, wurde mit dem System C/64 mit seinen Gußstahlachsen, Rädern mit Bronzenaben und den Achssitzen etc. ein solches Maß von Beweglichkeit erreicht, daß diese Geschütze nicht nur das Fahren in den schnellsten Gangarten der Pferde, [* 13] in welcher sie der Kavallerie zu folgen vermögen, gestatten, die Biegsamkeit zwischen Protze und Lafette ermöglicht auch ein Anpassen an so erhebliche Unebenheiten des Terrains, daß die Artillerie im allgemeinen mit ihren Geschützen dahin zu kommen vermag, wo sich Kavallerie bewegen kann. Diese technische Vervollkommnung des Artilleriematerials gestattete eine taktische Verwendung der Feldartillerie, welche sie den beiden Hauptwaffen kämpfender Armeen, der Infanterie und Kavallerie, als dritte Hauptwaffe ebenbürtig zur Seite stellte.
Die fortschreitende technische Entwickelung der Artillerie nahm, je nach dem Verwendungszweck der letztern im Feld-, Gebirgs-, Festungs-, See- oder Küstenkrieg, immer mehr einen den lokalen Bedingungen dieser Gebrauchsarten entsprechenden eigenartigen Charakter an, so daß man nach und nach ein besonderes Artilleriematerial in diesen Richtungen zu unterscheiden begann, dem erst später (1872) in Bezug auf Feld- und Festungsartillerie eine getrennte Organisation der Truppe folgte.
Die Küstenartillerie wird aber bis jetzt noch, mit Ausschluß der zum Schutz der Kriegshäfen Kiel [* 14] und Wilhelmshaven [* 15] errichteten Küstenbefestigungen, deren artilleristische Verteidigung den Matrosen-Artillerieabteilungen zufällt, durch das 1. und 2. Fußartillerieregiment und 9. Fußartilleriebataillon vertreten; doch darf die Formierung einer Küstenartillerie als Truppe wohl nur als eine Frage der Zeit angesehen werden.
Vgl. J. ^[Julius] Hartmann, Vorträge über Artillerie (Hannov. 1856-63, 3 Bde.);
Derselbe, Handbuch für Offiziere der preußischen Artillerie (neue Ausg., Berl. 1872);
Rutzky, Artillerielehre (Wien [* 16] 1871);
Oelze, Lehrbuch der Artillerie für preußische Avancierte (Berl. 1856);
Witte, Artillerielehre (das. 1873).
Geschichtliches: Fronsperger, Vom Geschütz, Feuerwerk und Festungen (1557);
v. Decker, Versuch einer Geschichte des Geschützwesens (Berl. 1812);
Venturi, Von dem Ursprung und den Fortschritten des heutigen Geschützwesens (a. d. Ital. von General Rödlich, das. 1822);
Brunet, Histoire générale de l'artillerie (Par. 1842);
v. Schöning, Geschichte der brandenburgisch-preußischen Artillerie (Berl. 1844-45, 3 Bde.);
Favé, Études sur le passé et l'avenir de l'artillerie, ouvrage continué à l'aide des notes de S. M. l'Empereur (Par. 1846-63, 4 Bde.; Bd. 1 u. 2 unter dem Titel: »Napoleon III. über die Vergangenheit und Zukunft der Artillerie« übersetzt von H. Müller, Berl. 1856-57, 2 Bde.);
Hoffbauer u. Leo, Die deutsche in den Schlachten [* 17] und Treffen des deutsch-französischen Kriegs 1870-71 (das. 1872-78, 8 Hefte);
Dieselben, Taktik der Feldartillerie (das. 1876);
v. Schell, Studien über Taktik der Feldartillerie (das. 1877-79, 3 Hefte);
H. Müller: Entwickelung der Feldartillerie 1815-70 (das. 1873), Die preußische Festungs- und Belagerungsartillerie (das. 1876), Die preußische Küsten- und Schiffsartillerie (das. 1879);
v. Corvisart, Artilleriemasse und Divisionsartillerie (das. 1883).
Weiteres bei »Geschütz«.