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Arbeit wurden Taxen gesetzlich festgestellt, die ländliche Bevölkerung [* 2] an ihre Heimat und dort an die Feldarbeit gebunden; der Übergang von der Feldarbeit zur Manufaktur wurde verboten oder doch sehr eingeschränkt etc. Erst 1662 wurde den Arbeitern gestattet, ohne vorherige spezielle Erlaubnis sich außerhalb ihres Kirchspiels nach Arbeit umzusehen. In den Gesetzen Eduards III. und Richards II. bis herab zu Heinrich VIII. wird der Übergang zur Arbeit bloß von der Strenge der Strafgesetze gegen Landstreicherei und Bettelei (Auspeitschen gesunder Bettler, im Rückfall Abschneiden des rechten Ohrs und Einkerkerung etc.) gehofft.
Für die Arbeitsunfähigen traf die englische Gesetzgebung durch ein Statut Richards II. von 1338 Fürsorge. Sie durften betteln, jedoch nur da, wo sie sich zur Zeit des Gesetzes befinden und, will sie die betreffende Gemeinde nicht behalten, in ihrem Heimatskirchspiel. Das Heimatskirchspiel hat sie im übrigen aus dem Gemeindevermögen zu erhalten. Reicht letzteres nicht aus, so konnte seit 1530 der Friedensrichter Bettelbriefe für andre Gemeinden ausstellen. Die Unzulänglichkeit der Gemeindearmenkasse trat jedoch damals überall hervor.
Die Gesetzgebung wendet sich deshalb zunächst bittend und ermahnend an die Mildthätigkeit der vermögendern Gemeindemitglieder. Es soll bei Kindtaufen und Hochzeiten für die Armen gesammelt, Almosenstöcke sollen aufgestellt werden. Später erhält der Geistliche und, wenn dessen Zureden nichts hilft, der Bischof den Auftrag, die sich der Zahlung von Almosen weigernden Vermögenden »freundlich und artig« zur Zahlung zu überreden. Auch dies verfing nicht.
Einen Wendepunkt in der Geschichte des Armenwesens bezeichnet das Reformationszeitalter. Die Grundlagen der kirchlichen Armenpflege erwiesen sich als unzulänglich, daher bereits im 15. Jahrh. einzelne deutsche Reichsstädte, wie beispielsweise Frankfurt [* 3] a. M. und Nürnberg, [* 4] die Fürsorge für Bedürftige in die Hand [* 5] nahmen. Dazu kam in protestantischen Ländern die die Reformation begleitende Einziehung von Kirchengütern und Aufhebung der Klöster.
Überall erstarkte auf
Kosten des Grundadels die landesherr
liche
Gewalt, die sich ihrer Verpflichtung zur Handhabung der
Armenpolizei
bewußt wurde. Von besonderer Wichtigkeit ward für die Folgezeit der Entwickelungsgang der englischen
Gesetzgebung seit dem
Zeitalter der
Königin
Elisabeth.
Ihren vorläufigen
Abschluß erhielt dieselbe für die nächstfolgenden
Jahrhunderte durch die
berühmt gewordene
Gesetzgebung von 1601. Die wichtigsten Bestimmungen dieser
Akte sind folgende:
1) Arbeitsfähige Arme können zur Arbeit für einen obrigkeitlich festgesetzten Lohn gezwungen werden.
2) Die Armenpflege wird zu Lasten des Kirchspiels (parish) geübt.
3) Die Heimatsberechtigung im Kirchspiel wird durch Geburt oder dreijährigen Wohnsitz erlangt.
4) Die Armenpflege wird durch Kirchenvorsteher und mehrere von den Friedensrichtern ernannte Armenaufseher geübt.
5) Die Mittel werden durch eine im Kirchspiel zu erhebende Poor tax oder Armensteuer (s. d.) aufgebracht, die unter Genehmigung der Friedensrichter von der Armenaufsichtsbehörde ausgeschrieben wird.
6) Arbeitsfähige, die sich der Arbeit weigern, können in ein Arbeitshaus geschickt oder mit Gefängnis bestraft werden. Die Bedeutung dieser Gesetzgebung liegt in der positiven Organisation eines der Armenpflege dienenden, im Selfgovernment fungierenden Apparats. Nachmals ward dann durch ein Niederlassungsgesetz von 1682 die Freizügigkeit durch Ausweisungsbefugnisse gegen neuanziehende Personen erheblich beschränkt. Im übrigen erhielt sich das Gesetz von 1601 ziemlich unverändert bis 1834.
Auch in Frankreich ergriff das Königtum im 16. Jahrh. die Aufgabe, die Armenpflege zu ordnen. Franz I. verordnete 1536, daß die Gemeinde ihre Ortsarmen versorgen solle, ein Armenverzeichnis anzulegen habe und dem Pfarrer in Verbindung mit dem Gemeindevorstand die Armenpflege obliege. Die Ordonnanz von Moulins (1561) dehnt die bereits früher in Paris [* 6] eingeführte Armensteuer auf das Land aus, ohne daß es übrigens gelungen wäre, der königlichen Verordnung in der Praxis Geltung zu verschaffen.
Ebensowenig vermochte man durch harte Strafgesetze gegen Wanderbettelei irgend etwas auszurichten. Die Zahl der gens sans aveu (Bettler und Landstreicher) blieb während des 17. und 18. Jahrh. im beständigen Wachstum. Im J. 1640 zählte man deren 40,000. Auch die Edikte Ludwigs XIV. (1656, 1693, 1695 und 1705), durch welche unter anderm die kirchlichen Wohlthätigkeitsanstalten und die Stiftungen der staatlichen Aussicht oder Einwirkung unterstellt und die Armensachen den Gerichten zum Zweck der Übertragung an den Staatsrat entzogen wurden, änderten an diesen Zuständen nichts. Was die königlichen Verordnungen bessern sollten, verdarben die Mißwirtschaft und Verschwendung des Hofes. Die Armut der Landbevölkerung wuchs bis zur Revolution in erschreckendem Maße.
In Deutschland [* 7] hatten die Reichspolizeiordnungen von 1530, 1548, 1577 die Bettelei im Interesse der allgemeinen Wohlfahrt und Sicherheit mit Strafen bedroht, nachdem man die Gefährlichkeit des Vagantenwesens zu erkennen hinreichende Gelegenheit gefunden hatte. Von einer positiven Ordnung der Armenpflege durch das bereits verfallende Reich konnte nach der Natur der politischen Verhältnisse nicht die Rede sein. Auch den Landesherren fehlten im 16. Jahrh. Handhabe und Mittel zu einer durchgreifenden Gestaltung des Armenwesens.
Dagegen versuchten es die protestantischen Kirchenordnungen des Reformationszeitalters, die von ihnen anerkannte und der weltlichen Gemeinde zugewiesene Unterstützungspflicht unter gleichzeitiger Untersagung des Bettelns im Zusammenhang mit den kirchlichen Organen und im Anschluß an einen sogen. »gemein Kasten« (Armenkasse) zu ordnen. In dieser Richtung verfügen die Kirchenordnungen von Wittenberg [* 8] (1522), Braunschweig [* 9] (1528), Hamburg [* 10] (1529), Lübeck [* 11] (1531), Soest [* 12] (1533); den weltlichen Schatzkastenherren traten vielfach Armendiakonen zur Seite.
Die ungünstigen
Erfahrungen der mittelalterlichen kirchlichen
Armenpflege verwertete man, indem man die
Armenkassen vom
Kirchenvermögen äußerlich trennte. Über die deutschen Verhältnisse vgl.
Mone, Über die
Armenpflege vom 13. bis 16.
Jahrhundert
(»Zeitschr. für Geschichte des
Oberrheins«, Bd. 1, 1851);
Kriegk,
Deutsches Bürgertum im
Mittelalter (Frankf. 1868). Während
des 17. Jahrh. und zumal nach dem Dreißigjährigen
Krieg, der das Massenelend erheblich steigerte, begnügten
sich die Landesherr
schaften mit präventiven Vorschriften gegen den Bettel, dessen Bekämpfung eine der Aufgaben für die
neugegründeten
Zuchthäuser wurde. Erst die Aufklärungsperiode erinnerte wieder an die dem
Staat gestellten
Probleme der
Humanität.
Neue Armenordnungen ergingen unter anderm in
Österreich
[* 13] (1754), Kurmainz (1778)
Mecklenburg
[* 14] (1783) und
Oldenburg
[* 15] (1787). Was
Preußen
[* 16] anbelangt, so folgte auf die
Armen- und Bettlerordnungen von 1701 und 1708 das
Edikt vom
das den
Zweck hatte, eine
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durchgreifende Organisation des Armenwesens zu schaffen, und einer Verbindung weltlicher (landrätlicher) und geistlicher Behörden (Superintendenten) die Verwaltung der von Pfarrern und Ortsobrigkeiten in den Gemeindebezirken gebildeten Armenkassen zuwies. Weiterhin wurde dann durch das allgemeine Landrecht von 1794 das in einer grundsätzlich richtigen Weise geordnet. Danach ist es Sache des Staates, dafür zu sorgen, daß durch kommunale Organe, Gutsbezirke und größere Kommunalverbände die Armenpflege nach Maßgabe der Bedürftigkeit und der örtlichen Zugehörigkeitsverhältnisse genügend wahrgenommen werde.
Neuere Entwickelung der Armengesetzgebung.
Den Ausgangspunkt der modernen Entwickelung bezeichnet das Zeitalter der französischen Revolution. Der alte Feudalstaat mit seinen mangelhaften und ungleichmäßigen Verwaltungseinrichtungen bricht zusammen; die Gutsunterthänigkeit verschwindet auf dem Kontinent. Die modernen Auffassungen erweitern die Aufgabe staatlicher Fürsorge. War die Armut als Notstand bisher vorwiegend aus dem kirchlich-religiösen Gesichtspunkt oder aber als Quelle [* 18] des Verbrechens von Kriminalisten gewürdigt worden, so erschien sie nunmehr entschieden als soziales Problem. Drei Thatsachen von weitester und allgemeinster Bedeutung beeinflußten den Gang [* 19] der Armengesetzgebung:
1) Die moderne industrielle Entwickelung als Folge der Dampfmaschinenkraft und des großen Fabrikbetriebs sowie der Übergang zur Geldwirtschaft, wodurch mit der Unsicherheit des Erwerbs und der Häufigkeit der Handelskrisen noch die Gefahr der Verarmung wuchs.
2) Die zunehmende Bewegungskraft der Bevölkerungen durch Wanderungen, wodurch die Gebietsgrenzen ehemals konfessioneller Territorien verwischt wurden, so daß mit der örtlichen Mischung der Glaubensbekenntnisse in Mitteleuropa auch die Möglichkeit kirchlicher Organisationen verringert wurde.
3) Die wissenschaftliche Grundlegung der Nationalökonomie, welche die wirtschaftlichen Ursachen der Verarmung und die Wirkungen des Unterstützungswesens genauer zu erforschen begann und vor allen Dingen den Satz zu erweisen vermochte, daß eine zweckwidrig eingerichtete, planlos verfahrende Armenpflege nur geeignet ist, Not und Elend zu vermehren. Auch in dieser neuesten Epoche ist es England, das die reichsten Erfahrungen auf dem Gebiet des Armenwesens darbietet, was nicht auffallen kann, wenn man die wirtschaftliche Umwälzung betrachtet, die sich in Industrie und Handel gerade dort mit beispielloser Schnelligkeit vollzog.
Das Jahr 1785 brachte eine Veränderung in der Niederlassungsgesetzgebung zu gunsten der Freizügigkeit, die den großen Mittelpunkten der Industrie zu statten kam, aber auch die Armenlast vermehrte. Denn die Armensteuer, die gegen Ende des 17. Jahrh. 900,000 Pfd. Sterl. betrug, erreichte 1818 die Summe von 7,870,801 Pfd. Sterl. Im J. 1814 war die Gewerbefreiheit eingeführt worden. Die allgemein empfundenen Übelstände (Überlastung der kleinern ländlichen Kirchspiele, unrichtige Verteilung der Unterstützungen, Zunahme der arbeitsscheuen Armen) nötigten zu einer Reform. So wurde 1834 eine Kommission eingesetzt, um die Zustände und Fehler der bestehenden Armenpflege zu untersuchen und Vorschläge zur Verbesserung zu machen.
Auf Grund des von ihr erstatteten Berichts erschien bereits in demselben Jahr ein neues Gesetz, welches folgende Bestimmungen enthielt:
1) Jeder Arbeitsfähige soll zwar von der Gemeinde erhalten, jedoch auch streng zur Arbeit angehalten werden. Dies ist nur möglich durch Arbeitshäuser, welche deshalb überall anzulegen sind. Der Unterhalt der Arbeitsscheuen in diesen Arbeitshäusern soll derart beschaffen sein, daß sie innerhalb derselben weniger gut existieren als außerhalb. Gaben an Arbeitsfähige außerhalb der Arbeitshäuser sind nur ausnahmsweise gestattet und sollen soviel wie möglich beschränkt werden.
2) Die zu beschäftigenden Armen sollen für einen größern Bezirk (sogen. unions) in Arbeitshäusern vereinigt werden.
3) Die ganze Armenpflege steht unter der obern Leitung einer Zentralbehörde in London, [* 20] welche die Errichtung und Einrichtung sowie die Art und Weise der Beschäftigung der Armen in den Arbeitshäusern beaufsichtigt.
4) Die Armenbezirke mit gemeinschaftlichem Arbeitshaus bilden auch für die Niederlassung ein Ganzes. Ein weiterer Schritt der Gesetzgebung war die Poor removal Act vom welche verordnet, daß ein fünfjähriger Aufenthalt durchaus vor der Ausweisung aus der Gemeinde schützt. Die Folgen dieser Gesetzgebung waren sehr günstige. Trotz der bedeutenden Zunahme der Bevölkerung ist die Ziffer der unterstützten Armen und der Aufwand der Armenpflege zurückgegangen.
Letzterer sank in der Zeit von 1831 bis 1834 von 8,3 auf 4 Mill. Pfd. Sterl. und ist bis 1881 wieder auf 14,390,262 Pfd. Sterl. gestiegen, wobei freilich Zunahme der Bevölkerung, Sinken des Geldwerts etc. nicht unberücksichtigt bleiben dürfen. Der letzte bedeutsame Akt der englischen Armengesetzgebung ist die 1871 eingetretene Vereinigung der staatlichen Armenaufsichtsbehörde (poor law board) mit dem Ministerium für Gemeindeverwaltungssachen (local government board).
Durch die öffentliche Armenpflege in England und Wales wurden 1870 zusammen 1,032,800 Personen (4,7 Proz. der Gesamtbevölkerung) unterstützt, 1882 (obwohl die wirtschaftliche Krisis inzwischen eingetreten war) 797,614 Personen (3,4 Proz.). Das charakteristische Element der englischen Armenpflege liegt in der nachdrücklichen Bevorzugung der sogen. geschlossenen Armenpflege in den Arbeitshäusern (workhouses), wodurch im Gegensatz zur sogen. offenen Armenpflege (out-door relief) dem Abschreckungsprinzip Rechnung getragen wird.
Wenn auch in bestimmten Fällen, wie gegenüber 60 Jahre alten Personen, Milde geübt und Ehegatten zusammenzuleben gestattet wird, so überwiegt doch der Charakter der Strenge, wie denn auch Verweigerung der Arbeit und Davonlaufen mit Kriminalstrafe geahndet wird. Die Furcht vor der Zwangsdisziplin der Arbeitshäuser hält manchen Bedürftigen ab, Unterstützung zu suchen, treibt aber auch Arbeitsfähige an, alles aufzubieten, um irgendwie Beschäftigung zu erlangen.
In dem mit dem schließenden Jahrgang bezahlte England pro Kopf seiner Bevölkerung 6 Schill. 4 P. an wirklicher Armenunterstützung, während die erhobene Armensteuer 10 Schill. 3½ P. auf den Kopf betrug. Aus einen Bestand von 809,341 Almosenempfängern verteilte sich der Gesamtbetrag von 13,033,655 Pfd. Sterl. (einschließlich der Verwaltungskosten). Schottland verwandte 1881 auf 97,781 Arme 951,122 Pfd. Sterl., Irland auf 112,829 Arme 1,239,313 Pfd. Sterl.
Was Frankreich anbelangt, so warf die Revolution das alte System über den Haufen. Schon 1789 wurden Nationalwerkstätten, zunächst in Paris, eingerichtet, in welchen jeder, wer da wollte, gegen die Verpflichtung, zu arbeiten, Aufnahme und Unterhalt fand. Im J. 1790 wurden in Paris 31,000, in Toulouse [* 21] 11,000, in Amiens [* 22] 15,000 Arbeiter auf ¶