müßte diese allgemeine Volksschule allen Kindern unentgeltlichen Unterricht gewähren, wie es der bis zum Erscheinen des Schulgesetzes
einstweilen noch nicht verpflichtende Art. 25 der preußischen Verfassung verlangt. Dadurch wird den Armenschulen jeder Boden entzogen.
Aber auch, wo noch mäßiges Schulgeld erhoben wird, müssen die allgemeinen Volksschulen zugänglich bleiben für diejenigen,
welche außer stande sind, dies Schulgeld zu zahlen. Höchstens kann hier, wie z. B. im skandinavischen
Norden geschieht, den Eltern freigestellt werden, ob sie ihre Kinder der »Freischule« (Almueskola) oder der »Bezahlungsschule«
zuführen wollen.
Geschichtliches Interesse haben vor allen die der Schweiz, welche unter Pestalozzis und Fellenbergs (s. d.) Einfluß entstanden,
namentlich die sogen. Wehrlischulen (s. Wehrli). Auch besondere Seminare für Armenschullehrer entstanden in der Umgebung dieser
Männer, unter denen dasjenige zu Hofwyl und seit 1814 dasjenige zu Beuggen im südlichen Baden, von Ch. H. Zeller (s. d.) geleitet,
den weitesten Ruf erwarben. Mit den Rettungshäusern und ähnlichen Anstalten haben die Armenschulen wohl eine gewisse
Analogie; es liegt jedoch in der Billigkeit wie im öffentlichen Interesse, zwischen diesen und jenen streng zu unterscheiden.
(Armentaxe), Abgabe, welche für Zwecke der Armenpflege erhoben wird. Die Grundlage der bekannten englischen
Armensteuer (poor rate) ist das Gesetz 43 Elis., Kap. 2, § 1, wonach für jedes Kirchspiel die betreffenden Behörden
»durch Abschätzung eines jeden Einwohners, Pfarrers und von jedem nutzenden Inhaber von Grundstücken, Häusern, Zehnten, Kohlenbergwerken,
verkäuflichen Waldungen die nach ihrem Ermessen nötigen Summen aufbringen sollen zur arbeitsamen Beschäftigung der Armen,
zur Geldunterstützung der Arbeitsunfähigen und zur Unterbringung armer Kinder als Lehrlinge«.
Bemessen wird die Steuer nach dem jährlichen Miet- und Pachtwert der bezeichneten Kategorien des Realbesitzes.
Die Armensteuer als Zwecksteuer hat den Nachteil, daß sie bei den Armen den Gedanken eines Rechts auf Unterstützung weckt, bei dem Steuerzahler
den Trieb zur privaten Wohlthätigkeit hemmt und bei schwankender Höhe eine geordnete Deckung des öffentlichen Bedarfs
erschwert. Besser werden deshalb die Armenlasten durch die allgemeinen öffentlichen Budgets von Staat, Gemeinde etc. bestritten.
(spr. -mangtjähr), Stadt im franz. Departement Nord, Arrondissement Lille, rechts an der Lys und der Nordbahn,
hat bedeutende Baumwoll- und Leinenfabrikation, zahlreiche Bleichen, Tüll-, Spitzen-, Zuckerfabriken, Handel mit den eignen Fabrikaten
und Getreide und (1881) 23,639 Einw.
Gemeindeverbände, welchen die öffentliche Unterstützung hilfsbedürftiger Personen obliegt. Das norddeutsche
Bundesgesetz vom über den Unterstützungswohnsitz, welches auch auf Baden, Württemberg und Südhessen, nicht aber
auf Bayern und Elsaß-Lothringen ausgedehnt ist, unterscheidet zwischen Orts- und Landarmenverbänden. Die Ortsarmenverbände
bestehen in der Regel aus einzelnen Gemeinden. Der Ortsarmenverband, in welchem sich ein Hilfsbedürftiger
bei dem Eintritt der Hilfsbedürftigkeit befindet, muß ihn vorläufig und vorbehaltlich des Anspruchs auf Erstattung der
Kosten und auf Übernahme des Hilfsbedürftigen gegen den hierzu verpflichteten Armenverband unterstützen.
Zur Erstattung und Übernahme verpflichtet ist aber der Ortsarmenverband, in welchem der Unterstützte
seinen Unterstützungswohnsitz (s. d.) hat. Wenn jedoch Personen, welche
im Gesindedienst stehen, Gesellen, Gewerbsgehilfen oder
Lehrlinge an dem Ort ihres Dienstverhältnisses erkranken, so hat der Ortsarmenverband des Dienstorts die Verpflichtung, den
Erkrankten die erforderliche Kur und Verpflegung zu gewähren. Ein Anspruch auf Erstattung der Kosten erwächst in solchen
Fällen nur dann, wenn die Krankenpflege länger als sechs Wochen fortgesetzt wurde, und nur für den über
diese Frist hinausgehenden Zeitraum.
Hat der Unterstützte keinen Unterstützungswohnsitz, so muß der Landarmenverband eintreten, in dessen Bezirk er sich bei dem
Eintritt der Hilfsbedürftigkeit befand, oder, falls er im hilfsbedürftigen Zustand aus einer Straf-, Kranken-, Bewahr-
oder Heilanstalt entlassen wurde, derjenige Landarmenverband, aus welchem seine Einlieferung in die Anstalt erfolgt ist. Meist
umfassen die Landarmenverbände mehrere Ortsarmenverbände (in Preußen je nach dem Bedürfnis einer zweckmäßig verteilten
Armenpflege sowohl Provinzen als auch Regierungsbezirke und Kreise, in andern deutschen Ländern bald das ganze Staatsgebiet,
bald einzelne Kreise und Ämter); doch bilden auch einzelne große Städte, wie Berlin, Breslau etc., für
sich allein Landarmenverbände.
Arm im Sinn der Gesetzgebung ist derjenige, welcher nicht im stande ist, die für Befriedigung der Bedürfnisse
seiner physischen Existenz nötigen Mittel zu beschaffen. Von der Armut, welche zur Fristung des Lebensunterhalts fremde Hilfe
erheischt, ist der Zustand der Dürftigkeit zu unterscheiden, bei welchem zwar eine Befriedigung der Bedürfnisse der ersten
Existenz, nicht aber auch solcher Bedürfnisse möglich ist, welche aus individuellen oder sozialen Verhältnissen (Klassenbedürfnissen)
erwachsen.
Die Ursachen der Armut sind teils individuelle, teils durch äußere Umstände bedingte; teils selbstverschuldete (Müßiggang,
Liederlichkeit, Verschwendung), teils unverschuldete (Krankheit, Alter etc.). Zu den letztere gehören insbesondere
auch diejenigen, welche durch äußere Umstände, wie Mißwachs, Krisen etc., bedingt sind. Spielten unter denselben früher
bei unentwickeltem Verkehr natürliche Ereignisse, wie Mißwachs, eine große Rolle, so treten heute mehr solche in den Vordergrund,
welche Änderungen der sozialem Verhältnisse oder der Technik (Änderung der Verkehrsrichtung, Vernichtung
des Handwerks durch die Großindustrie etc.) entspringen. Ist infolge solcher allgemein wirtschaftlicher Vorgänge,
wie sie vorzüglich in Industriegegenden mit dichter Bevölkerung zu Tage treten können, die Zahl der Hilfsbedürftigen sehr
groß, so bezeichnet man einen solchen Zustand als den der Massenarmut oder des Pauperismus (vgl. auch
Proletariat).
Allgemeine Aufgaben der Armengesetzgebung.
Nach richtiger, auch in Deutschland anerkannter Auffassung hat der Arme kein vor Gericht klagbares Recht auf Armenunterstützung
durch die Organe des Staates oder der Gemeinde, sondern höchstens einen Anspruch gegen nahe, alimentationspflichtige Verwandte.
Nun ist aber das Vorhandensein von Armen für ein ganzes Gemeinwesen vom Übel und zwar in sozialer wie
in sittlicher Beziehung. Schon von diesem Gesichtspunkt aus erwächst, auch wenn von humanen Rücksichten ganz abgesehen und
dem Armen keinerlei Versorgungsrecht eingeräumt wird, für die Gesellschaft im eignen Interesse die in den heutigen Kulturstaaten
allgemein anerkannte Verpflichtung, für ihre Armen zu sorgen, welche aber keineswegs immer für ihre
wirtschaftliche Lage ausschließlich verantwortlich
mehr
gemacht werden dürfen. Die Rücksicht auf das Gesamtinteresse gebietet, daß bei Beantwortung der Grundfragen des Armenwesens
einfach nur mit der Thatsache gerechnet wird, daß überhaupt Arme vorhanden sind. Darum ist auch nicht einmal Staatsangehörigkeit
als Vorbedingung der Unterstützung Hilfloser zu fordern, obschon es politisch geboten ist, durch internationale, auf Gegenseitigkeit
beruhende Verträge für die billige Durchführung dieses Grundsatzes zu sorgen.
Die deutsche Armengesetzgebung gewährt auch dem in Not geratenen Ausländer Unterstützung. Bei dieser Sorge hat sich, wenn
sie eine befriedigende sein soll, die Thätigkeit von Privaten, freien Vereinen, Gemeinden und des Staates gegenseitig zu unterstützen
und zu ergänzen. Um dies zu ermöglichen, sind besondere Armenordnungen nicht zu umgehen, durch welche
die Bedingungen und Formen der Armenpflege bestimmt und geregelt werden. Die Aufgaben der Gesellschaft sind teils präventiver,
teils repressiver Natur.
Die erstern, welche das Entstehen der Armut verhüten sollen, umfassen einen großen Teil der gesamten Gesetzgebung und Verwaltung,
insbesondere der Wirtschaftspolitik (Hebung des allgemeinen Wohlstandes, der Bildung, Hebung der Sittlichkeit,
Gründung von Kassen etc.). Sie fallen nur insofern in den Bereich des Armenwesens, als sie in besondern
Fällen mit den Maßregeln repressiver Natur Hand in Hand zu gehen haben. Die letztern befassen sich mit der Thatsache der Armut
und der Beseitigung ihrer schädlichen Wirkungen. Sind dieselben mit Zwang verbunden, so bezeichnet man
sie als Maßregeln der Armenpolizei (Zwang zur Arbeit, Maßregeln gegen Bettler, Vaganten, Unterbringung sittlich verwahrloster
Kinder in Rettungshäuser, Einschreiten gegen mißbräuchliche Versorgungsansprüche etc.). Dieselbe
ist mit dem übrigen Gebiet des Armenwesens, der Armenpflege, so eng verwachsen, daß sie von demselben
weder theoretisch noch praktisch zu sondern ist.
Nächst dem polizeilichen Zwang hat auch das Strafrecht in Wirksamkeit zu kommen, insbesondere gegen diejenigen, welche infolge
von Spiel, Trunk, Müßiggang unfähig wurden, ihre Angehörigen zu ernähren (so in Deutschland nach dem Strafgesetzbuch, §
361, Nr. 5, während in England eine Bestrafung unter anderm auch bei Entlaufen aus dem Arbeitshaus eintritt).
Die Maßregeln und Anstalten der Armenpflege, deren Aufgabe es ist, die Armen in angemessener Weise zu versorgen und die hierfür
erforderlichen Mittel, sofern sie nicht aus allgemeinen Fonds fließen, aufzubringen und die Armenlasten zweckentsprechend
zu verteilen, sind verschieden, je nachdem es sich um erwerbsfähige oder um ganz oder nur teilweise
erwerbsunfähige Personen handelt.
Während man ganz oder nur teilweise erwerbsfähigen Armen in Arbeitshäusern oder außerhalb derselben Beschäftigung verschaffen
kann, werden erwerbsunfähige schon im Interesse einer geordneten Verpflegung, welche meist besondere technische Einrichtung
erfordert, in eigne Anstalten verbracht, so Waisen, sofern sie nicht, was bei kleiner Zahl auch zweckmäßig,
gegen Kostgeld in Familien gegeben werden, in Waisenhäuser, alte und kranke Personen in Armenhäuser, Versorgungsanstalten, Hospitäler,
Taubstummen-, Irrenhäuser etc. Anstalten dieser Art sind je nach dem Umfang, den sie einnehmen müssen, und nach der Zahl
der zu versorgenden Personen bald als Gemeinde- oder Bezirks-, bald als Provinzial- oder Staatsanstalten
zu errichten und zu unterhalten.
Bei vorübergehender Erwerbsunfähigkeit, wie Krankheit des Familienvaters, oder bei
teilweiser Erwerbsunfähigkeit (Witwen)
wird in der Regel die Unterstützung, welche im letztern Fall eine ergänzende sein muß, am besten außerhalb solcher Anstalten
und zwar meist durch Gewährung von Naturalien, wie Arznei, Kleidung, Bezahlung der Miete etc., erfolgen.
Im übrigen ist es schwer, das Wesen und die Aufgabe der Armengesetzgebung in eine bestimmte, allgemein gültige Formel zu
fassen.
Die Bedürfnisse eines modernen Industriestaats mit dichter Bevölkerung sind wesentlich verschieden von denjenigen eines
in seiner Entwickelung weniger vorgeschrittenen, nur Ackerbau treibenden Staates. Die Besonderheit der gesamten
Kulturentwickelung, vorzüglich der allgemeinen religiösen und Rechtsanschauungen, hat überall der praktischen Armenpflege
ihr besonderes Gepräge verliehen. So ist denn auch der Zustand der gegenwärtigen europäischen Armengesetzgebungen ein
sehr verschiedener, wie sich aus folgendem ergibt.
Geschichte der Armenpflege.
Arme hat es gegeben, seitdem bürgerliche Gesellschaften mit Privateigentum bestehen. Das Armenwesen hat daher
schon in früher Zeit die Gesetzgebung beschäftigt. Eine eigentümliche Stellung nimmt hierbei die mosaische Gesetzgebung ein,
wie sie sich konsequent im Talmud entwickelt findet. Dieselbe verdient schon deswegen Beachtung, weil die christliche Kirche
in der Folgezeit vielfach daran anknüpfte. Getreu dem theokratischen Charakter des jüdischen Staates,
in dem alles Eigentum zunächst Gottes Eigentum ist, hat auch der Arme von dem Gesetz des Herrn einen bestimmten Anteil an Grund
und Boden wie an beweglicher Habe zugewiesen erhalten.
Dem Armen gehörte ein Teil des Ackerlandes, die Ackerecke (peah), welche vom Eigentümer nicht abgeerntet werden durfte, dann
die Nachlese, d. h. alles, was nach der Ernte auf dem Acker blieb, ferner der Armenzehnte, nämlich jedes dritte Jahr der zehnte
Teil der ganzen Ernte; endlich war in jedem siebenten Jahr (Jubeljahr) die ganze Ernte gemeinschaftlich. Das Gesetz bestimmte
auch genau die Höhe des Almosens, das den herumziehenden Armen gereicht werden mußte.
Der Arme hatte also nach mosaischem Recht einen Anspruch auf Unterstützung. Eine logische Folge dieser Zwangsarmenpflege war
es, daß das mosaische Gesetz auch genaue Bestimmungen darüber traf, wer als arm und wer als reich anzusehen sei. Ähnliche
Anschauungen beherrschen noch heute die orientalische Welt. Auch beim Islam ist bürgerliches und kirchliches
Regiment vereinigt. Das Almosen ist jedoch nach dem Koran nicht der von Gott dem Armen zugewiesene Anteil an den Gütern des Landes,
sondern es ist die Sühne der Sünde gegen Gott und wird bald geradezu vorgeschrieben, bald nur vom Gesetz empfohlen. Das erzwungene
Almosen ist der Zehnte, der teils zur Unterstützung des Islam, teils für die Armen bestimmt ist und von
jedem erhoben wird, welcher bei gesundem Verstand, volljährig, frei und wohlhabend ist. Das Betteln ist nur denjenigen gestattet,
welche nicht für einen Tag Existenzmittel haben.
In entschiedenem Gegensatz zum mosaischen und muselmanischen Recht steht die Gesetzgebung über das in den
Staaten des klassischen Altertums. In Griechenland tritt in älterer Zeit bei den damaligen sozialen und Staatseinrichtungen
(Sklaverei, Verteilung von Staatsländereien in unterworfenen Ländern an dürftige Bürger) eine eigentliche Armenpflege nicht
hervor. Eine solche kam erst mit dem unglücklichen Ausgang des Peloponnesischen Kriegs zum Vorschein. Die
adynatoi, d. h. anfangs nur die
mehr
im Krieg Verstümmelten, später alle, die weniger als 3 Minen (ungefähr gleich 240 Mark) hatten und arbeitsunfähig waren,
erhielten Anspruch auf Staatsunterstützung, welche nach vorgängiger Untersuchung durch die Fünfhundert von der Volksversammlung
im höchsten Betrag von 2 Obolen (täglich 20 Pfennig) zuerkannt wurde. Außerdem half man sich auch durch genossenschaftliche
Verbände (eranoi), welche auf Gegenseitigkeit gegründet waren. Die daraus erhaltenen Unterstützungen mußten nach
wiedererlangten bessern Vermögensumständen rückvergütet werden. In Rom findet sich ebenfalls lange Zeit weder eine staatliche
noch eine religiöse Vorschrift, welche die Unterstützung der Armen zur Pflicht gemacht hätte.
Nicht einmal die Bestimmung, daß der Vater den Sohn und umgekehrt zu ernähren habe, kennt das ältere
römische Recht. Allerdings flossen auch schon früher reichliche Spenden an die Armen, aber nicht unter dem Titel des Almosens,
sondern als Mittel der Bestechung bei den Wahlen und Abstimmungen. Die wachsende Volksmenge führte zwar später auch zu staatlichen
Einrichtungen, welche die Austeilung von Unterstützungen an die Armen zum Gegenstand hatten. Immer aber
blieb dabei diesen Spenden wie ähnlichen, die früher in Athen vorkamen, der Charakter des allgemeinen Bürgerrechts, von dem
die Reichen keinen Gebrauch machten. So erhielt jeder Bürger monatlich nach der lex Terentia 5 modii Getreide unter dem Marktpreis,
später unter Clodius sogar unentgeltlich.
Auch die Licinischen und Gracchischen Gesetzvorschläge (leges agrariae), welche die Verteilung der Staatsländereien unter
die armen Bürger zum Gegenstand hatten, gehören hierher. Erst Cäsar hob den Charakter der Armenpflege bei den Getreidespenden
mehr hervor, indem er die Zahl der Empfangsberechtigten auf 150,000 festsetzte und dabei bestimmte, daß
nur die Armen diese Spenden unentgeltlich empfangen sollten. Eine Bestimmung darüber, wer als arm zu betrachten sei, wurde
indes nie getroffen, auch dann nicht, als unter den ersten Kaisern nicht mehr Getreide, sondern Brot in der Art verteilt wurde,
daß jede Tribus eine Anzahl Anweisungen (tesserae) erhielt, die sie unter ihre Angehörigen zu verteilen
hatte.
Diese tesserae wurden in den Tribus wieder nicht nach Bedürfnis verteilt, sondern man konnte sie kaufen, wieder veräußern,
unter Aurelian sogar vererben. Erst unter Nero und Hadrian kamen neben diesen Verabreichungen aus dem Staatsvermögen noch
wirkliche Wohlthätigkeitsanstalten insbesondere für Kinder vor, Alimentationen genannt, die sich dann
auch auf die Provinzen erstreckten. Sie wurden aus dem Privatvermögen der Kaiser gestiftet. Auch in Rom findet sich übrigens
neben dieser Fürsorge des Staates für die Armen unter den Zünften eine Privatwohlthätigkeit für die Kranken, Witwen und Waisen
der Zunftmitglieder.
Mit dem Christentum erhielt die Wohlthätigkeit wieder einen religiösen Charakter. Dieselbe wurde dabei
lange Zeit, ähnlich der Auffassung des Islam, als Gott wohlgefälliges Werk, mithin als Selbstzweck angesehen, so daß es
wenig darauf ankam, wem und wie man gab, sondern nur darauf, was man gab. Erregte doch selbst das Betteln so wenig Anstoß,
daß es durch die Bettelorden eine Art religiöser Weihe erhalten konnte. Die Verwaltung der größern
für die Armen bestimmten Stiftungen wurde, vielfach veranlaßt durch die Geistlichkeit, der Kirche überwiesen und so von letzterer
mit der Zeit als ihr Recht in Anspruch genommen.
Die Kirche selbst ging dabei mit gutem
Beispiel voran, indem sie aus ihrem reichen Einkommen oft den vierten
und dritten Teil für die Armen bestimmte. Diese kirchlichen Gaben reichten sehr bald nicht mehr hin, da sie bei mangelnder
Organisation der Armenpflege und bei unrichtiger Verteilung die Armut förderten, statt sie zu mindern. So kam die Kirche dahin,
ihre politische Macht zu gebrauchen und zur Armenunterstützung zu zwingen, und als die natürliche Grundlage
hierbei erschien ihr die christliche Gemeinde.
Der Beschluß eines Konzils zu Tours (567) führt geradezu die Verpflichtung der Gemeinde zur Erhaltung ihrer Armen ein. Aber
auch die weltliche Gewalt befaßte sich schon frühzeitig mit dem Armenwesen, wie denn ein Kapitulare Karls d. Gr.
von 806 gleichfalls die Verpflichtung der Gemeinde zur Erhaltung ihrer Armen enthält. Daneben war die in den Gefolgschaften
vielfach vertragsmäßig vom Grundherrn (Senior) übernommene Verpflichtung, für den Homo im Notfall Kleidung, Nahrung etc. zu
beschaffen, von großer Wichtigkeit, da dieselbe oft zur gesetzlichen wurde.
Nicht weniger erheblich ward die genossenschaftliche Armenunterstützung, die von Gilden und Zünften im
spätern Mittelalter ausging. Dieselbe erstreckte sich zwar nur auf Gildeangehörige, hatte jedoch dadurch eine große Bedeutung,
daß das Gildenwesen das ganze bürgerliche Leben des Mittelalters umfaßte. Einen Schritt weiter ging man in England. In Deutschland
fand sich im Mittelalter keine Bestimmung darüber, wer überhaupt Anspruch auf Unterstützung habe. In
England bestimmte wenigstens König Egbert, daß nur derjenige Unterstützung erhalten solle, welcher nicht im stande sei,
mit seiner Hände Arbeit sich zu ernähren.
Dagegen weist das angelsächsische Recht keine Spur davon auf, daß die Gemeinde zur Unterhaltung ihrer Armen verpflichtet sei.
Nur in den skandinavischen Staaten, in Schweden, Norwegen, vor allem aber in Island (die Graugans), hat sich
schon im Mittelalter ein vollständig ausgebildetes System der Armenpflege entwickelt. Wer vier Wochen ohne festen Sitz im Land
umherzieht, wer einen solchen Bettler unterstützt, ist friedlos. Für die wahrhaft Armen hat zunächst der Verwandte je nach
der Erbberechtigung zu sorgen. Jeder hat außerdem einen Armenzehnten zu entrichten für diejenigen Armen, welche auf diesem
Weg keine Unterstützung erhalten. Die Versammlung der Freien entscheidet über die Dürftigkeit.
Die Zahl der Armen und das die öffentliche Ordnung gefährdende Bettelwesen nahmen in den nichtskandinavischen Reichen Europas
mit der Zeit dergestalt überhand, daß der Staat gezwungen wurde, dem Armenwesen seine Aufmerksamkeit zu widmen.
Anfangs geschah dies nur durch Bettelverordnungen und die allgemeine Bestimmung, wer und von wem die Unterstützung zu beanspruchen
sei. Mit der Zeit entwickelte sich jedoch ein vollständigeres System der Armenpflege und zwar zunächst in England.
Die vielen Kriege, von welchen dieses Land heimgesucht wurde, und welche häufige Entlassungen von der
Arbeit entwöhnten Söldnern zur Folge hatten, sowie die allmähliche Auflösung des Lehnswesens und der Leibeigenschaft förderten
die Entstehung einer auf Bettel und Raub angewiesenen zahlreichen Menschenklasse, während es gleichzeitig an Arbeitern zur
Bebauung des Landes fehlte. Infolgedessen setzte sich die englische Gesetzgebung eine doppelte Aufgabe:
einmal die direkte Beseitigung der Landstreicherei durch Strafgesetze, sodann die Sorge, ländliche Arbeiter für den Ackerbau
zu gewinnen. Für alle Arten
mehr
Arbeit wurden Taxen gesetzlich festgestellt, die ländliche Bevölkerung an ihre Heimat und dort an die Feldarbeit gebunden;
der Übergang von der Feldarbeit zur Manufaktur wurde verboten oder doch sehr eingeschränkt etc.
Erst 1662 wurde den Arbeitern gestattet, ohne vorherige spezielle Erlaubnis sich außerhalb ihres Kirchspiels nach Arbeit umzusehen.
In den Gesetzen Eduards III. und Richards II. bis herab zu Heinrich VIII. wird der Übergang zur Arbeit bloß
von der Strenge der Strafgesetze gegen Landstreicherei und Bettelei (Auspeitschen gesunder Bettler, im Rückfall Abschneiden
des rechten Ohrs und Einkerkerung etc.) gehofft.
Für die Arbeitsunfähigen traf die englische Gesetzgebung durch ein Statut Richards II. von 1338 Fürsorge.
Sie durften betteln, jedoch nur da, wo sie sich zur Zeit des Gesetzes befinden und, will sie die betreffende Gemeinde nicht
behalten, in ihrem Heimatskirchspiel. Das Heimatskirchspiel hat sie im übrigen aus dem Gemeindevermögen zu erhalten. Reicht
letzteres nicht aus, so konnte seit 1530 der Friedensrichter Bettelbriefe für andre Gemeinden ausstellen.
Die Unzulänglichkeit der Gemeindearmenkasse trat jedoch damals überall hervor.
Die Gesetzgebung wendet sich deshalb zunächst bittend und ermahnend an die Mildthätigkeit der vermögendern Gemeindemitglieder.
Es soll bei Kindtaufen und Hochzeiten für die Armen gesammelt, Almosenstöcke sollen aufgestellt werden. Später erhält der
Geistliche und, wenn dessen Zureden nichts hilft, der Bischof den Auftrag, die sich der Zahlung von Almosen
weigernden Vermögenden »freundlich und artig« zur Zahlung zu überreden. Auch dies verfing nicht.
Einen Wendepunkt in der Geschichte des Armenwesens bezeichnet das Reformationszeitalter. Die Grundlagen der kirchlichen Armenpflege
erwiesen sich als unzulänglich, daher bereits im 15. Jahrh. einzelne
deutsche Reichsstädte, wie beispielsweise Frankfurt a. M. und Nürnberg, die Fürsorge für Bedürftige in die Hand nahmen. Dazu
kam in protestantischen Ländern die die Reformation begleitende Einziehung von Kirchengütern und Aufhebung der Klöster.
Überall erstarkte auf Kosten des Grundadels die landesherrliche Gewalt, die sich ihrer Verpflichtung zur Handhabung der Armenpolizei
bewußt wurde. Von besonderer Wichtigkeit ward für die Folgezeit der Entwickelungsgang der englischen Gesetzgebung seit dem
Zeitalter der Königin Elisabeth. Ihren vorläufigen Abschluß erhielt dieselbe für die nächstfolgenden Jahrhunderte durch die
berühmt gewordene Gesetzgebung von 1601. Die wichtigsten Bestimmungen dieser Akte sind folgende:
1) Arbeitsfähige Arme können zur Arbeit für einen obrigkeitlich festgesetzten Lohn gezwungen werden.
2) Die Armenpflege wird zu Lasten des Kirchspiels (parish) geübt.
3) Die Heimatsberechtigung im Kirchspiel wird durch Geburt oder dreijährigen Wohnsitz erlangt.
4) Die Armenpflege wird durch Kirchenvorsteher und mehrere von den Friedensrichtern ernannte Armenaufseher geübt.
5) Die Mittel werden durch eine im Kirchspiel zu erhebende Poor tax oder Armensteuer (s. d.) aufgebracht,
die unter Genehmigung der Friedensrichter von der Armenaufsichtsbehörde ausgeschrieben wird.
6) Arbeitsfähige, die sich der Arbeit weigern, können in ein Arbeitshaus geschickt oder mit Gefängnis bestraft werden.
Die Bedeutung dieser Gesetzgebung liegt in der positiven Organisation eines der Armenpflege dienenden, im Selfgovernment
fungierenden Apparats. Nachmals ward dann durch ein Niederlassungsgesetz von 1682 die Freizügigkeit durch Ausweisungsbefugnisse
gegen
neuanziehende Personen erheblich beschränkt. Im übrigen erhielt sich das Gesetz von 1601 ziemlich unverändert bis 1834.
Auch in Frankreich ergriff das Königtum im 16. Jahrh. die Aufgabe, die Armenpflege zu ordnen. Franz I. verordnete 1536,
daß die Gemeinde ihre Ortsarmen versorgen solle, ein Armenverzeichnis anzulegen habe und dem Pfarrer in Verbindung mit dem
Gemeindevorstand die Armenpflege obliege. Die Ordonnanz von Moulins (1561) dehnt die bereits früher in Paris eingeführte Armensteuer
auf das Land aus, ohne daß es übrigens gelungen wäre, der königlichen Verordnung in der Praxis Geltung
zu verschaffen.
Ebensowenig vermochte man durch harte Strafgesetze gegen Wanderbettelei irgend etwas auszurichten. Die Zahl der gens sans
aveu (Bettler und Landstreicher) blieb während des 17. und 18. Jahrh. im beständigen Wachstum.
Im J. 1640 zählte man deren 40,000. Auch die Edikte Ludwigs XIV. (1656, 1693, 1695 und 1705), durch welche
unter anderm die kirchlichen Wohlthätigkeitsanstalten und die Stiftungen der staatlichen Aussicht oder Einwirkung unterstellt
und die Armensachen den Gerichten zum Zweck der Übertragung an den Staatsrat entzogen wurden, änderten an diesen Zuständen
nichts. Was die königlichen Verordnungen bessern sollten, verdarben die Mißwirtschaft und Verschwendung des Hofes. Die
Armut der Landbevölkerung wuchs bis zur Revolution in erschreckendem Maße.
In Deutschland hatten die Reichspolizeiordnungen von 1530, 1548, 1577 die Bettelei im Interesse der allgemeinen Wohlfahrt und
Sicherheit mit Strafen bedroht, nachdem man die Gefährlichkeit des Vagantenwesens zu erkennen hinreichende Gelegenheit gefunden
hatte. Von einer positiven Ordnung der Armenpflege durch das bereits verfallende Reich konnte nach der Natur
der politischen Verhältnisse nicht die Rede sein. Auch den Landesherren fehlten im 16. Jahrh. Handhabe und Mittel zu einer
durchgreifenden Gestaltung des Armenwesens.
Dagegen versuchten es die protestantischen Kirchenordnungen des Reformationszeitalters, die von ihnen anerkannte und der weltlichen
Gemeinde zugewiesene Unterstützungspflicht unter gleichzeitiger Untersagung des Bettelns im Zusammenhang
mit den kirchlichen Organen und im Anschluß an einen sogen. »gemein
Kasten« (Armenkasse) zu ordnen. In dieser Richtung verfügen die Kirchenordnungen von Wittenberg (1522), Braunschweig (1528),
Hamburg (1529), Lübeck (1531), Soest (1533); den weltlichen Schatzkastenherren traten vielfach Armendiakonen zur Seite.
Die ungünstigen Erfahrungen der mittelalterlichen kirchlichen Armenpflege verwertete man, indem man die
Armenkassen vom Kirchenvermögen äußerlich trennte. Über die deutschen Verhältnisse vgl. Mone, Über die Armenpflege vom 13. bis 16. Jahrhundert
(»Zeitschr. für Geschichte des Oberrheins«, Bd. 1, 1851); Kriegk, Deutsches Bürgertum im Mittelalter (Frankf. 1868). Während
des 17. Jahrh. und zumal nach dem Dreißigjährigen Krieg, der das Massenelend erheblich steigerte, begnügten
sich die Landesherrschaften mit präventiven Vorschriften gegen den Bettel, dessen Bekämpfung eine der Aufgaben für die
neugegründeten Zuchthäuser wurde. Erst die Aufklärungsperiode erinnerte wieder an die dem Staat gestellten Probleme der Humanität.
Neue Armenordnungen ergingen unter anderm in Österreich (1754), Kurmainz (1778) Mecklenburg (1783) und
Oldenburg (1787). Was Preußen anbelangt, so folgte auf die Armen- und Bettlerordnungen von 1701 und 1708 das Edikt vom
das den Zweck hatte, eine
mehr
durchgreifende Organisation des Armenwesens zu schaffen, und einer Verbindung weltlicher (landrätlicher) und geistlicher Behörden
(Superintendenten) die Verwaltung der von Pfarrern und Ortsobrigkeiten in den Gemeindebezirken gebildeten Armenkassen zuwies.
Weiterhin wurde dann durch das allgemeine Landrecht von 1794 das in einer grundsätzlich richtigen Weise geordnet. Danach ist
es Sache des Staates, dafür zu sorgen, daß durch kommunale Organe, Gutsbezirke und größere Kommunalverbände
die Armenpflege nach Maßgabe der Bedürftigkeit und der örtlichen Zugehörigkeitsverhältnisse genügend wahrgenommen werde.
Neuere Entwickelung der Armengesetzgebung.
Den Ausgangspunkt der modernen Entwickelung bezeichnet das Zeitalter der französischen Revolution. Der alte Feudalstaat mit
seinen mangelhaften und ungleichmäßigen Verwaltungseinrichtungen bricht zusammen; die Gutsunterthänigkeit
verschwindet auf dem Kontinent. Die modernen Auffassungen erweitern die Aufgabe staatlicher Fürsorge. War die Armut als Notstand
bisher vorwiegend aus dem kirchlich-religiösen Gesichtspunkt oder aber als Quelle des Verbrechens von Kriminalisten gewürdigt
worden, so erschien sie nunmehr entschieden als soziales Problem. Drei Thatsachen von weitester und allgemeinster
Bedeutung beeinflußten den Gang der Armengesetzgebung:
1) Die moderne industrielle Entwickelung als Folge der Dampfmaschinenkraft und des großen Fabrikbetriebs sowie der Übergang
zur Geldwirtschaft, wodurch mit der Unsicherheit des Erwerbs und der Häufigkeit der Handelskrisen noch die Gefahr der Verarmung
wuchs.
2) Die zunehmende Bewegungskraft der Bevölkerungen durch Wanderungen, wodurch die Gebietsgrenzen ehemals
konfessioneller Territorien verwischt wurden, so daß mit der örtlichen Mischung der Glaubensbekenntnisse in Mitteleuropa
auch die Möglichkeit kirchlicher Organisationen verringert wurde.
3) Die wissenschaftliche Grundlegung der Nationalökonomie, welche die wirtschaftlichen Ursachen der Verarmung und die Wirkungen
des Unterstützungswesens genauer zu erforschen begann und vor allen Dingen den Satz zu erweisen vermochte,
daß eine zweckwidrig eingerichtete, planlos verfahrende Armenpflege nur geeignet ist, Not und Elend zu vermehren. Auch in dieser
neuesten Epoche ist es England, das die reichsten Erfahrungen auf dem Gebiet des Armenwesens darbietet, was nicht auffallen
kann, wenn man die wirtschaftliche Umwälzung betrachtet, die sich in Industrie und Handel gerade dort
mit beispielloser Schnelligkeit vollzog.
Das Jahr 1785 brachte eine Veränderung in der Niederlassungsgesetzgebung zu gunsten der Freizügigkeit, die den großen Mittelpunkten
der Industrie zu statten kam, aber auch die Armenlast vermehrte. Denn die Armensteuer, die gegen Ende des 17. Jahrh. 900,000
Pfd. Sterl. betrug, erreichte 1818 die Summe von 7,870,801 Pfd. Sterl. Im J. 1814 war die Gewerbefreiheit
eingeführt worden. Die allgemein empfundenen Übelstände (Überlastung der kleinern ländlichen Kirchspiele, unrichtige
Verteilung der Unterstützungen, Zunahme der arbeitsscheuen Armen) nötigten zu einer Reform. So wurde 1834 eine Kommission
eingesetzt, um die Zustände und Fehler der bestehenden Armenpflege zu untersuchen und Vorschläge zur
Verbesserung zu machen.
Auf Grund des von ihr erstatteten Berichts erschien bereits in demselben Jahr ein neues Gesetz, welches folgende Bestimmungen
enthielt:
1) Jeder Arbeitsfähige soll zwar von der Gemeinde erhalten, jedoch auch streng zur Arbeit angehalten werden.
Dies ist nur
möglich durch Arbeitshäuser, welche deshalb überall anzulegen sind. Der Unterhalt der Arbeitsscheuen
in diesen Arbeitshäusern soll derart beschaffen sein, daß sie innerhalb derselben weniger gut existieren als außerhalb.
Gaben an Arbeitsfähige außerhalb der Arbeitshäuser sind nur ausnahmsweise gestattet und sollen soviel wie möglich beschränkt
werden.
2) Die zu beschäftigenden Armen sollen für einen größern Bezirk (sogen. unions) in Arbeitshäusern vereinigt
werden.
3) Die ganze Armenpflege steht unter der obern Leitung einer Zentralbehörde in London, welche die Errichtung und Einrichtung
sowie die Art und Weise der Beschäftigung der Armen in den Arbeitshäusern beaufsichtigt.
4) Die Armenbezirke mit gemeinschaftlichem Arbeitshaus bilden auch für die Niederlassung ein Ganzes. Ein
weiterer Schritt der Gesetzgebung war die Poor removal Act vom welche verordnet, daß ein fünfjähriger Aufenthalt
durchaus vor der Ausweisung aus der Gemeinde schützt. Die Folgen dieser Gesetzgebung waren sehr günstige. Trotz der bedeutenden
Zunahme der Bevölkerung ist die Ziffer der unterstützten Armen und der Aufwand der Armenpflege zurückgegangen.
Letzterer sank in der Zeit von 1831 bis 1834 von 8,3 auf 4 Mill. Pfd. Sterl.
und ist bis 1881 wieder auf 14,390,262 Pfd. Sterl. gestiegen, wobei freilich Zunahme der
Bevölkerung, Sinken des Geldwerts etc. nicht unberücksichtigt bleiben dürfen. Der letzte
bedeutsame Akt der englischen Armengesetzgebung ist die 1871 eingetretene Vereinigung der staatlichen
Armenaufsichtsbehörde (poor law board) mit dem Ministerium für Gemeindeverwaltungssachen (local government board).
Durch die öffentliche Armenpflege in England und Wales wurden 1870 zusammen 1,032,800 Personen (4,7 Proz. der Gesamtbevölkerung)
unterstützt, 1882 (obwohl die wirtschaftliche Krisis inzwischen eingetreten war) 797,614 Personen (3,4 Proz.). Das charakteristische
Element der englischen Armenpflege liegt in der nachdrücklichen Bevorzugung der sogen. geschlossenen Armenpflege
in den Arbeitshäusern (workhouses), wodurch im Gegensatz zur sogen. offenen Armenpflege (out-door relief) dem Abschreckungsprinzip
Rechnung getragen wird.
Wenn auch in bestimmten Fällen, wie gegenüber 60 Jahre alten Personen, Milde geübt und Ehegatten zusammenzuleben gestattet
wird, so überwiegt doch der Charakter der Strenge, wie denn auch Verweigerung der Arbeit und Davonlaufen
mit Kriminalstrafe geahndet wird. Die Furcht vor der Zwangsdisziplin der Arbeitshäuser hält manchen Bedürftigen ab, Unterstützung
zu suchen, treibt aber auch Arbeitsfähige an, alles aufzubieten, um irgendwie Beschäftigung zu erlangen.
In dem mit dem schließenden Jahrgang bezahlte England pro Kopf seiner Bevölkerung 6 Schill. 4 P.
an wirklicher Armenunterstützung, während die erhobene Armensteuer 10 Schill. 3½ P. auf den Kopf betrug. Aus einen Bestand
von 809,341 Almosenempfängern verteilte sich der Gesamtbetrag von 13,033,655 Pfd. Sterl.
(einschließlich der Verwaltungskosten). Schottland verwandte 1881 auf 97,781 Arme 951,122 Pfd. Sterl., Irland
auf 112,829 Arme 1,239,313 Pfd. Sterl.
Was Frankreich anbelangt, so warf die Revolution das alte System über den Haufen. Schon 1789 wurden Nationalwerkstätten, zunächst
in Paris, eingerichtet, in welchen jeder, wer da wollte, gegen die Verpflichtung, zu arbeiten, Aufnahme und Unterhalt fand.
Im J. 1790 wurden in Paris 31,000, in Toulouse 11,000, in Amiens 15,000 Arbeiter auf
mehr
diese Weise erhalten. Die Nationalversammlung bewilligte hierfür 15 Mill., die einzelnen Städte schossen noch große Summen
zu, Paris allein mehr als 15 Mill.;
doch wurde wenig oder nichts gearbeitet. Die Nationalwerkstätten wurden zwar im Verlauf der Revolution wieder aufgelöst,
allein die Gesetzgebung stellte Grundsätze auf, die im wesentlichen auf dasselbe hinausliefen. Die Armenpflege
wurde vollständig zentralisiert, die Stiftungen wurden sämtlich eingezogen, jede direkte freie Gabe ward verboten, eine Besteuerung
zum Zweck der Armenpflege eingeführt, und aus der Staatskasse wurden sodann sämtliche Arme versorgt.
Daß man nicht alle befriedigen könne, hatte man eingesehen; man setzte deshalb eine gewisse Zahl fest, je
nach den Staatsmitteln, und bei Erledigungen rückten die eingezeichneten Bürger nach ihrer Anciennität ein. Man unterschied
zwischen Arbeitsfähigen, für welche Unterstützungsarbeiten überall angeordnet wurden (Straßenbau, Werkstätten), und
Arbeitsunfähigen, welche in ihren Häusern oder in Spitälern verpflegt wurden. Wer dennoch bettelte, kam in das Zwangsarbeitshaus.
Die Restauration hob diese Gesetzgebung, die übrigens nie vollständig ins Leben getreten war, wieder auf.
Das Dekret vom 24. Vendemiaire II bestimmte den sogen. Unterstützungswohnsitz (domicile de secours). In jeder Gemeinde ward ein
Bureau d'assistance errichtet. Den Unterstützungswohnsitz in einer Gemeinde besitzt:
1) wer in der betreffenden Gemeinde durch Geburt sein Domizil hat;
2) wer sich ein Jahr (oder als Lohnarbeiter zwei Jahre) in der Gemeinde aufhielt oder im Fall der Verheiratung
sechs Monate in derselben weilte;
3) wer sich im Augenblick der Not in der Gemeinde aufhält, vorausgesetzt, daß er als Soldat den Krieg mitmachte, oder altersschwach
wurde, oder 70 Jahre alt ist, oder durch Arbeit teilweise erwerbsunfähig wurde, oder erkrankte. Dies 1796 begründete
System vervollständigten das Dekret vom und das Gesetz vom Im J. 1881 wurden in 14,033, d. h. im dritten
Teil sämtlicher Gemeinden durch die Bureaux de bienfaisance 1,449,021 Personen mit 26,883,261 Frank unterstützt. Auf den einzelnen
Armen entfallen jährlich ungefähr 18½ Fr., und zwar ist der Anteil der Pariser Armen an den Unterstützungen im Durchschnitt
um ein Drittel stärker als derjenige der Provinzbewohner.
In der Schweiz wurden 1870 (neuere Angaben fehlen): 124,566 Personen durch die Behörden, 91,578 durch Privatvereine unterstützt,
so daß von der Gesamtbevölkerung 1870: 4,67 Proz.
Unterstützung aus öffentlichen Mitteln in Anspruch nahmen.
Wir wenden uns zu Deutschland. Von grundlegender Bedeutung für die Gegenwart wurden die beiden preußischen Gesetze vom
betreffend die Aufnahme neuanziehender Personen und die Verpflichtung zur Armenpflege. Die damals aufgestellten Grundsätze sind
nämlich in die norddeutsche und deutsche Gesetzgebung über Freizügigkeit, Unterstützungswohnsitz (s. d.)
und Armenpflege (1867 und 1870) übergegangen. Von den Landesgesetzen seien noch erwähnt: die sächsische Armenordnung vom nebst
Novellen vom und das bayrische Gesetz über öffentliche Armen- und Krankenpflege vom das badische
Gesetz vom betreffend die öffentliche Armenpflege.
Organisation der Armenpflege.
Das Verständnis des Armenwesens ist dadurch erschwert, daß nicht nur die Grundprinzipien der Wohlthätigkeitsspendung streitig
sind, sondern auch in der Armenpflege
heutzutage sehr verschiedene Kräfte zusammen oder wenigstens nebeneinander wirken. Um
eine Übersicht über den gegenwärtigen Zustand zu gewinnen, muß man unterscheiden:
1) die Subjekte der Armenpflege, 2) die Objekte der Armenpflege, 3) Einrichtung der der Armenpflege dienenden Anstalten und 4)
Geldmittel und Lasten der Armenpflege. Von den letztern soll hier abgesehen werden, da das Thema mit der Lehre von den Steuern
(s. d. und Armensteuern) eng zusammenhängt. Was die Subjekte anbelangt, so fanden wir im geschichtlichen
Ausgang der Entwickelung bei den Orientalen die religiös gebotene Almosenspende durch Privatpersonen, bei Griechen und Römern
die Fürsorge des Staates für bedürftige Bürger.
Beides tritt in der neuern Zeit zurück. Der Staat bestimmt zwar durch Gesetze, wer zum Unterhalt der Armen verpflichtet sein
soll, und auf welche Weise die Erfüllung dieser Pflicht verwaltungsrechtlich gesichert werden soll. Aber
nur in seltensten Ausnahmefällen (außerordentliche Notstände bei Überschwemmungen, Kriegsschäden etc.) wendet der Staat
aus seinem Vermögen den Bedürftigen zeitweise Unterstützung zu. Das Projekt des Fürsten Bismarck, die Armenlast auf den Staat
zu übernehmen, schwebt in weitester Ferne und erscheint nahezu als unausführbar.
Was die Privatwohlthätigkeit einzelner Individuen anbelangt, so würde sie trotz des ihr innewohnenden moralischen Wertes
überall dann Schaden bringen, wenn sie planlos und ohne Anlehnung an öffentliche Organe sich nach augenblicklichen, oft nur
der Schwäche und der Bequemlichkeit entspringenden Eingebungen bethätigen wollte. In allen größern
Städten ist der Einzelne nicht im stande, die Bedürftigkeit derjenigen, die sich um Almosen bewerben, zu beurteilen oder
zu erforschen.
Somit gilt heute die Regel: der Einzelne soll nach Kräften für die Armut spenden, aber nicht selbst austeilen, wo er nicht
die genaueste Kenntnis der Bedürftigkeitsgründe gewonnen hat, was nur in ländlichen Gemeinden möglich
ist. Viel wichtiger ist es, daß der Einzelne durch persönliche Dienstleistung die Zwecke der öffentlichen Armenpflege zu
fördern sucht, wie dies namentlich seit 1852 in Elberfeld geschah und zwar mit einem Erfolg, daß das sogen. Elberfelder System
auch außerhalb Deutschlands einen ehrenvollen Ruf gewann. An die Stelle der vorwiegend privaten oder staatlich-politischen
Unterstützung der Bedürftigen trat alsdann im Mittelalter die genossenschaftliche und kirchlich-korporative Armenpflege,
deren Unzulänglichkeit gleichfalls im Verlauf der Zeiten sich herausstellte.
Ihre Wiederbelebung in der Gegenwart, obschon oft genug in Anregung gebracht, scheint wenig versprechend, wenngleich
nicht zu leugnen ist, daß die Kirche immer berufen bleibt, den Wohlthätigkeitssinn anzuregen. In der
Gegenwart bleibt die Gemeinde das politisch berufene Hauptorgan der Armenpflege, aber unter der notwendigen Aufsicht des Staates,
der das Verhältnis der einzelnen Gemeinden zu einander regeln muß und auch dafür Sorge zu tragen hat, daß durch größere,
aus mehreren Bezirken gebildete Verbände (in Deutschland Landarmenverbände) diejenigen Leistungen übernommen
werden, welche die Kräfte einzelner Gemeinden übersteigen. Da eine geordnete Armenpflege ihrer Aufgabe einer ausreichenden
und billigen Versorgung wirklich Bedürftiger, durch welche der Erwerbstrieb nicht gehemmt werden darf, nur bei genügender
Kenntnis aller örtlichen und persönlichen Verhältnisse gewachsen ist, so eignet sich dieselbe nicht für
eine zentralisierte Verwaltung mit
mehr
besoldeten Staatsbeamten, welche nur unberechtigte Ansprüche fördern und die Armenlast steigern würde, sondern sie muß
einen Bestandteil der Selbstverwaltung bilden und in derselben möglichst einen ehrenamtlichen Charakter behaupten (Armendeputationen,
Armenpflegschaftsräte als besondere für die Armenpflege bestellte Körperschaften in größern Städten). Neben der politischen
Gemeinde findet die freie Vereinsthätigkeit, welche vorzüglich für besondere Gebiete der Mildthätigkeit
sich eignet (z. B. durch Vereine gegen Verarmung, Krippen, Bewahranstalten, Rettungshäuser, Badeanstalten, Sonntagsschulen,
Suppenanstalten etc.), das Genossenschaftswesen (z. B. Hilfs-
und Krankenkassen), das Versicherungswesen ein weites und nützlich zu bebauendes Thätigkeitsgebiet, da die politischen
Organe die Armenlast auf das Maß des schlechthin Notwendigen einzuschränken haben. Auch die Stiftungsangelegenheiten
müssen, wie in England seit 1853 geschah, einer regelmäßigen Staatsaufsicht unterstellt werden.
Was die Objekte der Armenpflege anbelangt, so wird grundsätzlich nicht nur Bedürftigkeit, sondern auch Hilfslosigkeit und
Erwerbsunfähigkeit vorauszusetzen sein. Abgesehen von der Gewährung augenblicklich notwendiger Hilfe, wobei auf die Verschuldung
der Hilfsbedürftigkeit nichts ankommt, wird die Organisation des Armenwesens im weitern Sinn stets danach
trachten, durch präventive Hilfe der Verarmung rechtzeitig vorzubeugen (Darlehnskassen, Leihämter, Versicherungszwang) und
anderseits für Beschäftigungslose die Gelegenheiten, Arbeit zu finden, herbeizuführen, um der Gewöhnung an Almosen entgegenzuwirken,
endlich auch den Gründen verschuldeter Verarmung strafrechtlich und polizeilich zu begegnen (Unterdrückung der Landstreicherei,
des Bettelns etc.). In den Bereich des Armenwesens fallen auch die Anstalten für verlassene Kinder (Findelhäuser),
für Elternlose (Waisenhäuser), Geisteskranke (Irrenanstalten), Taubstumme, Invaliden, Blinde und Kranke.
Doch sind derartige Anstalten technisch nach eigenartigen Gesichtspunkten zu behandeln und zu würdigen; von Wichtigkeit ist
dabei jedoch der humane Grundsatz, daß in allen Anstalten, in denen Arme mit Nichtalmosenempfängern gemeinschaftlich
verpflegt werden, die Scheidung zwischen unverschuldeter Armut und Vermöglichkeit thunlichst zu beseitigen ist. Aus diesem
Grund sind auch die besondern Armenschulen (s. d.) für die Kinder der Hilfsbedürftigen pädagogisch zu verwerfen.
Was schließlich die Organisation der Armenpflege innerhalb der dazu verpflichteten Kreise anbelangt, so unterscheidet man
geschlossene Armenpflege in eigens dazu bestimmten Anstalten (Werkhäuser, Hospitäler) und offene Armenpflege. Welcher Einrichtung
der Vorzug zu geben sei, hängt von örtlichen Verhältnissen und von den verfügbaren Mitteln sowie von anderweitigen Umständen
im einzelnen Fall ab. Die offene Armenpflege in der eignen Behausung des Armen erscheint als das thatsächlich überall
vorwiegende, naturgemäße, billigere System, von welchem nur aus bestimmten Gründen ausnahmsweise abgegangen werden sollte.
Zweckmäßig für die wissenschaftliche Betrachtung des Armenwesens ist die neuerdings in Frankreich aufgekommene Unterscheidung
von prévoyance, worunter die präventiven Aufgaben fallen, und assistance oder Armenpflege im engern Sinn, denen alsdann auch
die répression (Unterdrückung der Bettelei) hinzuzufügen wäre.
Litteratur.
Vgl. im allgemeinen Rau, Lehrbuch der politischen Ökonomie, Bd.
2 (5. Aufl., Leipz.
1863);
ferner De Gérando, Le visiteur du pauvre (Par. 1829; deutsch, Quedlinb.
1831);
Derselbe, De la bienfaisance publique (Par. 1839, 4 Bde.);
Buß, System der gesamten Armenpflege (Stuttg. 1843-1846, 3 Bde.);
Vogt, Das Armenwesen und seine Bedeutung für die Entwickelung der öffentlichen Zustände (Bern
1853, 2 Bde.);
Kries,
Die englische Armenpflege (Berl. 1863);
Lentz, Des institutions de bienfaisance et de prévoyance en Belgique (Brüssel 1866);
Rocholl, System des deutschen Armenpflegerechts (Berl. 1872), und namentlich Emminghaus, Das Armenwesen und die Armengesetzgebung in
europäischen Staaten (das. 1870);
»Verhandlungen des elften Kongresses deutscher Volkswirte 1869«; Seydel.