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[Staatliche Verhältnisse.]
Die Verfassung, zu Santa Fé gegeben (reformiert bei der Wiedervereinigung mit Buenos Ayres [* 2] und ganz der der Vereinigten Staaten [* 3] von Nordamerika [* 4] nachgebildet, will den Kultus der römisch-katholischen Kirche aufrecht erhalten wissen, obschon Freiheit des Bekenntnisses besteht; sie duldet keine Sklaverei und erkennt überhaupt keine Bevorzugung des Bluts oder der Geburt, auch keine persönlichen Privilegien und Adelstitel an, setzt gleiche Verteilung der Steuern und öffentlichen Lasten fest und gewährleistet Freiheit der Presse, [* 5] der Association, des Unterrichts etc. Die gesetzgebende Gewalt übt ein Kongreß, der aus zwei Kammern, einer aus den Deputierten der Nation (von 86 Mitgliedern) und einer aus Senatoren gebildeten (von 30 Mitgliedern), besteht und alle die öffentliche Wohlfahrt betreffenden Verhältnisse regelt.
Die vollziehende Gewalt übt ein Präsident, dem ein Vizepräsident zur Seite steht. Beide müssen römisch-katholisch und innerhalb des argentinischen Gebiets geboren oder Söhne innerhalb desselben geborner Bürger sein; sie werden auf sechs Jahre gewählt und können erst nach Ablauf [* 6] einer ebenso langen Frist wieder gewählt werden. Unter den Präsidenten stehen Minister dem Innern, dem Auswärtigen, den Finanzen, der Justiz und dem Kriegs- und Marinewesen vor.
Ein aus fünf Richtern und einem Generalprokurator zusammengesetzter oberster Gerichtshof hat in der Hauptstadt seinen Sitz; Bundesuntergerichte setzt der Kongreß im Gebiet der Konföderation ein. Die kirchlichen Angelegenheiten der Nation leitet der Erzbischof von Buenos Ayres, unter dem die Bischöfe von Cordova, Cuyo (San Juan), Mendoza, Salta und Parana stehen. Die ehemals reiche Kirche ist während der Revolution aller ihrer Güter beraubt worden; die Bischöfe und ihre Kapitel erhalten ihre sehr mäßigen Einkünfte gegenwärtig durch den Staat (Nationalregierung), und die Pfarrer sind meist auf die Stolgebühren und die Einkünfte aus den noch zahlreich gefeierten Kirchenfesten angewiesen.
Die verschiedenen Mönchsorden sind nur spärlich vertreten; dagegen gibt es eine Anzahl Nonnenklöster. Verschiedene Missionen bestehen an der Indianergrenze. Dissidenten finden sich nur unter den Eingewanderten. Für Bildungszwecke ist neuerdings viel gethan worden; es bestehen 2 Universitäten (Buenos Ayres und Cordova), 14 höhere Schulen (in jeder Provinzialhauptstadt), 1 Ingenieurschule, Handelsschule, Kadettenhaus und Marineschule, 1 Schule für Ackerbau und 1 für Bergbau. [* 7]
Außerdem existiert eine Seekadettenschule, eine Matrosenschule wird demnächst installiert werden. Die gelehrten Gesellschaften: Academia nacional, Zoologische wie Geographische Gesellschaft, veröffentlichen Abhandlungen. Außerdem erscheinen 153 Zeitschriften. Offizielle Sprache [* 8] ist die spanische; die Eingebornen jedoch reden drei verschiedene Hauptsprachen. Die finanzielle Lage der Republik ist keine ungünstige. In gewöhnlichen Zeiten decken die Einnahmen die Ausgaben, außerordentliche werden durch Anleihen oder Papiergeld bestritten.
Dazu sind die Hilfsquellen des Staats in stetem Zunehmen begriffen. Während sich die Einnahmen 1863 erst auf 6,450,286 Pesos fuertes beliefen, weist das Budget für 1883 eine Totaleinnahme von 33,770,333 Pesos (darunter 21,3 Mill. Einfuhr- und 3,6 Mill. Ausfuhrzölle) und dem gegenüber eine Totalausgabe von 34,053,484 Pesos auf. Die Staatsschuld betrug 124,112,684 Pesos, wovon 58,035,600 Pesos auf die äußere Schuld (im wesentlichen drei englische Anleihen) und 36,530,187 Pesos auf die innere Schuld entfallen.
Jeder einzelne Staat der Republik hat außer dem allgemeinen noch sein eignes Budget. Das Bundesmilitär zählte 1884 (offiziell) 7312 Mann, nämlich 3704 Mann Infanterie, 2576 Mann Kavallerie und 1032 Mann Artillerie, mit im ganzen 1088 Offizieren, darunter 28 Generale. Die Nationalgarde bestand aus 322,962 Mann. Die Kriegsflotte zählt 27 Dampf- und 12 Segelschiffe (darunter 3 Panzerfahrzeuge, 6 Kanonenboote und 7 Torpedodampfer) mit im ganzen 55 Kanonen, 12,630 Tons Gehalt und 8865 indizierten Pferdekräften.
Die Marinedivision umfaßte 1366 Mann, das Marinebataillon 971, die Torpedodivision 137 Mann. In Zarate befindet sich ein größeres Arsenal im Bau. Das Wappen [* 9] bildet ein in zwei Felder geteilter Schild, [* 10] darüber die aufgehende Sonne; [* 11] im untern Feld zwei verschlungene Hände, einen Stab [* 12] mit der Freiheitsmütze haltend. Die Flagge ist blau-weiß-blau gestreift (s. die »Flaggenkarte«). Bundeshauptstadt ist Buenos Ayres (1884: 283,758 Einw.); sie wurde Anfang 1881 föderalisiert und zum beständigen Sitz der Nationalregierung erklärt. Von den übrigen Städten hatten 1882: Cordova 39,651 Einw., Rosario 32,204, Tucuman 24,237, Salta 11,716, Corrientes 11,218, Santa Fé 10,670 Einw.
Vgl. Napp, Die [* 13] argentinische Republik (Buenos Ayres 1876);
Burmeister, Physische Beschreibung der Argentinischen Republik (das. 1875, Bd. 1);
von ältern Werken: Martin de Moussy, Description géographique et statistique de la conféderation Argentine (Par. 1860-64, 3 Bde.);
Andree, Buenos Ayres und die argentinischen Provinzen (3. Aufl., Leipz. 1874);
Page, La Plata, the Argentine Confederation etc. (neue Ausg., New York 1867);
Latham, The states of the River Plate, their industries and commerce etc. (2. Aufl., Lond. 1868);
Mulhall, Handbook of the River Plate Republics (5. Aufl. 1885);
H. Burmeister, Reise durch die La Plata-Staaten (Halle [* 14] 1861);
Tschudi, Reisen durch Südamerika, [* 15] Bd. 5 (Leipz. 1869);
Friedrich, Die La Plata-Länder (Hamb. 1884);
Zöller, Pampas und Anden (Stuttg. 1884);
speziell für Auswanderer die Schriften von Beck-Bernard (Bern [* 16] 1874 u. Leipz. 1883), Greger (Basel [* 17] 1884), Latzina (Leipz. 1884). -
Karten von Petermann (Gotha [* 18] 1875), Seelstrang und Tourmente (Hamb. 1879).
Geschichte.
Der spanische Reichspilot Juan Diaz de Solis kam 1515 als der erste Europäer an die Mündung des La Plata-Stroms, der nach ihm lange Zeit Rio de [* 19] Solis genannt wurde; er ward an der Küste von Eingebornen erschlagen. Magelhaens berührte die Mündung Anfang 1520. Im J. 1527 segelte Sebastian Cabot, gleichfalls spanischer Reichspilot, den La Plata hinauf und erbaute unter 34° südl. Br. am Parana das Fort San Espiritu, mußte aber 1528 umkehren. Pedro de Mendoza gründete als erster Adelantado (Zivil- und Militärgouverneur) Buenos Ayres.
Der eigentliche Eroberer des La Plata-Landes ist aber Martinez de Irala, der, 1555 zum Adelantado ernannt, sowie sein Nachfolger Ortiz de Zarate eine Ansiedelung nach der andern gründete. Juan de Garay, 1576 zum Generalkapitän ernannt, baute 1580 das von den Indianern zerstörte Buenos Ayres wieder. Dem vierten Adelantado, Juan de Torres Vera y Aragon (1587-91), unter welchem Corrientes (1588) gegründet ward, folgten bis 1620 zehn Gouverneure. Um 1610 begann die erfolgreiche Thätigkeit der ¶
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Jesuiten am obern Parana, aus deren Missionen nach und nach ein merkwürdiges politisches Gemeinwesen erwuchs, welches trotz vielfacher Anfeindung bis zum Sturz des Ordens fortbestand. Unter Philipp III. wurden 1620 die Länder südlich vom Zusammenfluß des Parana und Paraguay [* 21] als Gobierno del Rio de la Plata unter eine besondere Regierung gestellt und dann in drei Provinzen, Tucuman, Buenos Ayres und Paraguay, geteilt. Ein drückendes Monopolsystem machte ein Gedeihen dieser Kolonien unmöglich, und ein maßloser Schleichhandel als Folge desselben und besonders von den Portugiesen betrieben, die 1680 Buenos Ayres gegenüber die Kolonie von Sacramento gegründet hatten, brachte die Spanier um die beabsichtigten Handelsvorteile.
Nach der gewaltsamen Vertreibung der Jesuiten verfielen ihre blühenden Niederlassungen, und die von ihnen erzogenen und bevormundeten indianischen Insassen versanken in Elend und Verwilderung. Die Ämter waren im Alleinbesitz der Spanier, welche das Land mit rücksichtslosem Eigennutz ausbeuteten und es verkommen ließen. Im J. 1776 wurde aus den La Plata-Ländern ein besonderes spanisches Vizekönigreich, mit der Hauptstadt Buenos Ayres, gebildet, welches bis Feuerland herab und von den Anden bis an die Quellen des Paraguay, Parana und Uruguay reichte, also das jetzige Bolivia, Paraguay, Uruguay und Argentinien umfaßte. Nach Vertreibung der Portugiesen aus der Nachbarschaft (seit November 1776) nahm man ein liberales Handelssystem an, infolge dessen besonders Buenos Ayres aufblühte. 1782 wurde das Vizekönigreich in acht Intendanzen geteilt.
Als die Engländer unter Popham infolge der spanisch-französischen Allianz, von einigen Einwohnern aufgefordert, Buenos Ayres einnahmen, erboten sie sich, die Einwohner zu unterstützen, wenn dieselben sich von Spanien [* 22] unabhängig machen wollten. Dieses Anerbieten fand aber damals wenig Anklang, vielmehr wurden die Engländer 12. Aug. von der Bevölkerung [* 23] selbst wieder vertrieben und auch ein neuer Angriff abgeschlagen. Erst die Veränderung der Lage der Dinge in Spanien durch die französische Invasion machte die nationale Partei der Kreolen, an deren Spitze Mariano Moreno stand, der spanischen Herrschaft abgeneigt. Im J. 1809 schickte die spanische Zentraljunta von Sevilla [* 24] an Stelle des franzosenfreundlichen Vizekönigs Liniers einen neuen, Cisneros, nach Buenos Ayres.
Dieser regierte aber so unklug und willkürlich, daß die Einwohner von Buenos Ayres, bei denen nach und nach die revolutionären Ideen durch die Einflüsterungen englischer Kaufleute Eingang gefunden hatten, die Einberufung eines Kongresses verlangten, der den Vizekönig nach Europa [* 25] zurückschickte. Am bildete sich unter Cornelio Saavedra eine provisorische Junta, welche die Geschäfte leiten sollte, bis die Abgeordneten aus den Provinzen eintreffen würden. Damit war das Signal zum Abfall von Spanien gegeben, welch letzteres alle Vermittelungsvorschläge verblendet zurückwies. Liniers ward in den Schlachten [* 26] bei Cotagaita (24. Okt.) und bei Tupiza geschlagen und bald darauf in Buenos Ayres erschossen. Im J. 1811 wurde auch in Paraguay der spanische Gouverneur vertrieben, und die Schlachten von Tucuman und Salta befreiten das ganze Gebiet der La Plata-Provinzen von spanischen Truppen.
Nach Auflösung der Junta trat eine konstituierende Versammlung zusammen, um mehr Regelmäßigkeit und Nachdruck in die Staatsverwaltung zu bringen. Doch kam es zu keiner geordneten Regierung, und keine der berufenen obersten Behörden vermochte sich allgemeine Anerkennung zu verschaffen, da Buenos Ayres die oberste Leitung allein an sich riß, dem aber die Provinzen widerstrebten; überhaupt machte sich der Gegensatz zwischen den europäisch gebildeten Portenos (Einwohnern der Hauptstadt) und den rohen, halbwilden Gauchos, welche von den Resten der gotischen (spanischen) Partei aufgereizt wurden, mehr und mehr bemerkbar. Da die Herrschsucht der Portenos den Abfall der Banda Oriental (Uruguays) und Paraguays zur Folge hatte, auch Oberperu an die Spanier verloren ging und die Zerrüttung in den Provinzen aufs höchste stieg, gab endlich Buenos Ayres seine Zustimmung zur Berufung einer neuen Nationalversammlung nach Tucuman, um den Provinzen ein Zugeständnis zu machen.
Diese erklärte die Unabhängigkeit der vereinigten Provinzen des Rio de La Plata, und ward ein provisorisches Grundgesetz bekannt gemacht. Ein nachfolgender Kongreß in Buenos Ayres gab aber eine Verfassung nach dem Muster der nordamerikanischen. Regierungen folgten nun wieder auf Regierungen in schnellem Wechsel. In diesem Gewirr traten besonders zwei Parteien hervor, die Unitarier oder Zentralisten, die eine starke Zentralgewalt einführen wollten, und die Föderalisten, die für die Aufrechthaltung der Unabhängigkeit der einzelnen Provinzen waren und nur für gemeinschaftliche Interessen und für auswärtige Verhältnisse eine Verbindung wollten. Der Parteikampf führte zu einer völligen Auflösung der La Plata-Länder in so viele Staaten, als Provinzen waren, und ermutigte die Monarchisten zu gefährlichen Anschlägen.
Endlich vereinigte sich der Föderalist Rodriguez mit dem Unitarier Rivadavia zu einer gemeinschaftlichen Regierung, welche sich zunächst auf Buenos Ayres beschränkte und für diese eine Volksvertretung berief, die jene Männer in ihrem Reformwerk und in der festen Begründung der Republik wirksam unterstützte. Darauf schloß Buenos Ayres mit den Provinzen Corrientes, Entre Rios und Santa Fé den sogen. »vierseitigen Vertrag« vom und lud die übrigen Provinzen zu einer Offensiv- und Defensivallianz ein.
Ende Dezember 1824 trat ein neuer Generalkongreß in Buenos Ayres zusammen; die Provinzen hatten eingesehen, daß sie ohne die Hauptstadt, welche den einzigen Hafen bildete, alle Zölle einnahm und Handel und Verkehr beherrschte, nichts bedeuteten. Die einzelnen unter einer Union sich vereinigenden Föderativstaaten waren nun: Buenos Ayres, Entre Rios, Corrientes, Gran Chaco [* 27] (freie Indianer), Salta, Tucuman, Rioja, Santiago de Estero, Cordova, Santa Fé, San Juan della Frontera, Mendoza und San Luis. Am bestimmte ein vorläufiges Grundgesetz die Verhältnisse der Konföderation genauer;
Buenos Ayres ward mit der Leitung der auswärtigen Angelegenheiten beauftragt.
Den Unitariern gelang es, die Konstitution vom zu stande zu bringen, durch welche eine starke Zentralregierung eingesetzt wurde und Rivadavia als Generalkapitän von Buenos Ayres zur Präsidentschaft der Föderation gelangte. Da aber die Unruhen im Innern fortdauerten, indem mehrere Provinzen sich weigerten, dem ¶