auch zu
Abweichungen von jenem
Grundsatz sowie zu Einrichtungen, welche bei andern
Versicherungen nicht nötig sind. Eine vollständige
Individualisierung der
Risikos scheitert zunächst an den Schwierigkeiten der Bemessung. Man wird sich, wenigstens solange
noch keine genügenden statistischen
Daten vorliegen, mit
Annäherungen begnügen müssen. Dazu kommt, daß in Arbeiterkreisen
vielfach mit
Zähigkeit an dem
Grundsatz festgehalten wird, daß alle gleichviel zahlen sollen.
Jedenfalls ist die Beitragszahlung derart zu regeln, daß ihr durch den
Lohn genügt werden kann.
Kleine Ratenzahlungen, welche
allenfalls nur kurze
Stundungen nötig machen, sind, auch wenn dadurch mehr
Kosten der
Erhebung erwachsen, der Entrichtung großer
Beträge vorzuziehen. Streng genommen, müßte der
Lohn so hoch stehen, daß er zu allen Beitragszahlungen
(mit wenigen Ausnahmen) ausreicht. Alsdann sollten auch die
Arbeiter allein für die Beiträge aufkommen, die Arbeitgeber
aber nur so viel zahlen, daß sie dadurch der ihnen obliegenden
Haftpflicht enthoben werden.
Vielen Arbeitern ist dies deswegen erwünscht, weil damit die
Notwendigkeit einer Beteiligung der Unternehmer
an der Kassenverwaltung entfällt. Erweist sich der
Lohn als nicht zureichend, so könnten die Arbeitgeber von dem
Gesichtspunkt
aus zugezogen werden, daß sie in ihren Beiträgen nur unumgängliche Lohnteile entrichten.
Gemeinde und
Staat würden durch
Neueinrichtung solcher
Versicherungen von manchen
Lasten befreit, welche sie seither zu tragen hatten.
Waren auch diese
Lasten auf falsche
Schultern gelegt, so können immerhin vorübergehend gewährte Beiträge aus öffentlichen
Kassen insbesondere dann auch als gerechtfertigt erscheinen, wenn durch die der
Industrie neue
Lasten aufgelegt werden (Altersversorgung,
frühere Geltendmachung der
Invalidität etc.), welche sie in den ersten
Zeiten nicht zu ertragen vermag.
Die
Entschädigung ist in den meisten
Fällen in Rentenform zu gewähren, da nur hierdurch der
Zweck dauernder Sicherstellung
erreicht wird.
Dagegen ist bei der Begräbnisversicherung Kapitalzahlung am Platz, welche auch sonst in hierzu geeigneten Ausnahmefällen
gewährt werden sollte.
Große Schwierigkeiten macht die
Frage der
Organisation der Arbeiterversicherung, sobald dieselbe
sich auf alle
Arbeiter erstrecken, der Unternehmer sich beteiligen und die
Freizügigkeit nicht gehemmt werden soll. Von der
früher besonders bei Staatsunternehmungen vorgekommenen patriarchalischen Einrichtung, bei welcher der
Arbeiter zahlte, ohne
Rechte zu haben, und seiner Ansprüche, besonders als
Strafe, leicht verlustig gehen konnte, muß heute abgesehen werden.
Den Arbeitern es überlassen, sich bei beliebigen
Kassen, auch Prämiengesellschaften, zu versichern, würde mit einem auszuübenden
Zwang nicht verträglich sein, da derselbe vollständige Sicherstellung des Arbeiters erheischt. So bleibt denn, wenn
der
Arbeiter zur
Versicherung gezwungen wird, nur übrig die
Zwangskasse, d. h. die unter
Kontrolle zu stellende, allenfalls
nur durch öffentliche
Organe zu verwaltende
Kasse, welcher der in einem bestimmten
Bezirk wohnende oder
einem bestimmten
Beruf angehörige
Arbeiter beitreten muß, dann der
Kassenzwang, welcher die
Arbeiter überhaupt nur verpflichtet,
einer
Kasse beizutreten, welche nach gewissen Normativbedingungen eingerichtet sein und verwaltet werden muß.
Eine genossenschaftliche, auf Gegenseitigkeit beruhende
Kasse würde den Vorteil guter
Kontrolle und Überwachung
bieten; doch würde dieselbe im
Interesse der
Freizügigkeit und der Sicherheit eine Kassenverbindung nötig machen. Am schwierigsten
ist die
wichtige
Arbeitslosigkeitsversicherung. Da bei derselben verschuldete und unverschuldete Arbeitslosigkeit praktisch
nicht voneinander zu scheiden sind, so kann sie nicht zum Gegenstand des
Zwanges gemacht werden und wird
deshalb den
Arbeitervereinen
(Gewerkvereinen) zu überlassen sein.
Infolgedessen wird es aber unmöglich, einen
Zwang vollständig bei allen andern
Versicherungen durchzuführen, bei welchen
durch dauernde
Zahlungen Ansprüche erworben werden
(Invaliden-, Witwenversicherung). Leichter
ist er durchführbar, wo nur
jeweilig durch bestimmt bemessene, in kürzern Zeiträumen erfolgende
Zahlungen entsprechende
Rechte erworben werden
(Unfallversicherung, ein großer Teil der
Krankenversicherung). Vgl. auch
Hilfskassen.
Ein Verzeichnis der wichtigsten Litteratur findet sich in
Schmollers »Jahrbuch für
Gesetzgebung und
Verwaltung«, Bd. 5, S. 278. Hier
mögen hervorgehoben werden: Engel, Der
Preis der
Arbeit (2. Aufl., Berl. 1872);
Da die Gestaltung derWohnung einen tiefgehenden Einfluß auf das Familienleben
und das gesamte Wohlbefinden des
Menschen ausübt, so bildet die
Wohnungsfrage auch einen wichtigen
Bestandteil der ganzen
Arbeiterfrage.
Mit zunehmender
Dichtigkeit der
Bevölkerung
[* 3] in Industriebezirken und in großen
Städten waren die
Arbeiter, welche ihre
Wohnung
nicht allzuweit entfernt von der
Fabrik nehmen können, vielfach gezwungen, bei hohen Mietpreisen mit
kleinen und unbequemen
Wohnungen vorlieb zu nehmen, welche wegen Mangels an
Luft und
Licht,
[* 4] wegen hoher
Lage etc. sich als der
Gesundheit schädlich, wegen allzu gedrängten Zusammenlebens als der
Sittlichkeit gefährlich erwiesen.
Nachdem schon vor längerer Zeit in
England diese Übelstände erkannt worden waren, machte sich bald
eine
Bewegung zur
Reform dahin geltend, daß man suchte, den Arbeitern billige, gesunde und dabei behagliche
Wohnungen zu verschaffen,
welche sie durch kleine ratenweise
Zahlungen allmählich zu eigen erwerben könnten. Dem gegebenen
Beispiel folgte später
das
Festland nach. Eine Besserung kann auf dem genannten Gebiet erzielt werden 1) durch Wohlthätigkeitsvereine,
2) durch die
Arbeiter selbst, 3) durch die Arbeitgeber, 4) durch
Staat und
Gemeinde.
GemeinnützigeGesellschaften, welche der
Wohnungsfrage ihre
Fürsorge widmeten, bildeten sich in größerer Zahl in den 40er
Jahren in
England, so in
London
[* 5] seit 1842 die
Association for improving the dwellings of the industrial classes,
seit 1844 die Society for improving the condition of the labouring classes, die Improved industrial dwellings company limited
u. a. Dieselben bauten neue
Häuser, kauften alte zur Umwandlung, vermieteten
Wohnungen gegen niedrigen Mietpreis, gaben
Darlehen
für
Erbauung von Wohnhäusern und ermöglichten deren allmähliche Erwerbung durch kleine Abzahlungen. Ähnliche
Gesellschaften
bildeten sich auch in andern
Städten und
Ländern. Den gleichen
Zweck können die
Arbeiter selbst durch
Errichtung von
Baugenossenschaften erreichen, indem sie Beiträge zahlen und sammeln,
Darlehen aufnehmen und in gleicher
Weise
wie die
Baugenossenschaften überhaupt (s. d.
¶
mehr
im Art. »Genossenschaften«) Wohnungen erstellen und ihren Mitgliedern zugänglich machen. Legt eine solche Arbeitergesellschaft
durch festes korporatives Zusammenhalten und Sparsamkeit einen Beweis ihrer sittlichen Kraft
[* 7] ab, so wird es ihr auch am nötigen
Kredit nicht fehlen. Meist treffen jedoch nicht alle für Bildung und Bestand solcher Genossenschaften erforderlichen Vorbedingungen
zusammen, wie insbesondere der Besitz der nötigen Mittel, um rasch den Bedürfnissen aller Mitglieder
zu genügen, dauernder Aufenthalt an einem Ort, ohne welchen das Interesse am Wohnungserwerb überhaupt entfällt, etc.
Bessere Erfolge können die Arbeitgeber (Grundeigentümer, Fabrikanten) erzielen, da sie nicht allein die zum Bau vonHäusern
erforderlichen Mittel leichter beschaffen können, sondern auch in der Lage sind, die erstellten Wohnungen
für die Dauer durch Verkauf gegen allmähliche Abzahlung oder durch Vermietung zu verwerten. Dieselben erfüllen damit nicht
allein einen humanen Zweck, sondern sie dienen auch, indem sie dem Arbeiter eine bessere Existenz schaffen, ihrem eignen Vorteil,
da ihnen die Vermietung oder der Verkauf der Wohnung die Heranziehung eines soliden Arbeiterstamms ermöglicht.
Ein solches Vorgehen erscheint insbesondere bei Unternehmungen als zweckmäßig, welche weit von bewohnten Orten entfernt liegen,
und bei denen es dem Arbeiter schwer fällt, eine geeignete Wohnung zu finden. Am Platz ist es allerdings nur bei fest begründeten
Unternehmungen, welche die nötige Sicherheit für den Arbeiter wie für die Verwertung des Baukapitals
bieten. Durch den Erwerb eines Hauses gerät freilich der Arbeiter leicht in größere Abhängigkeit vom Arbeitgeber, wie auch
umgekehrt dem letztern durch eine vertragsmäßige oder auch nur thatsächliche Bindung mancherlei Verdrießlichkeiten und
Verlegenheiten erwachsen können.
Aus diesem Grund ziehen es viele Arbeitgeber vor, die von ihnen erbauten Arbeiterwohnungen nur zu vermieten, während
unzufriedene Arbeiterkreise das System, einen Teil des Lohns durch Gewährung von Wohnungen zu entrichten (in England Kottagesystem
genannt), als ihrer Unabhängigkeit gefährlich überhaupt verwerfen. Die bekanntesten von Arbeitgebern erbauten Arbeiterwohnungen sind
die zu Mülhausen
[* 8] i. E. Hier bildete sich 1853 unter der Leitung von Dollfus eine ursprünglich aus zwölf
Fabrikanten bestehende Aktiengesellschaft, die mit einem Aktienkapital von 300,000 Frank (ebensoviel gab noch Napoleon III.
dazu) bis 1862 bereits 618 Einfamilienhäuser mit je einem Gärtchen in einem besondern Arbeiterquartier (cité ouvrière)
erbaut hatte.
Hiervon waren in 16 Jahren 538 Häuser zum Selbstkostenpreis (2600-3600 Fr.) gegen eine Anzahlung von 300 Fr.
und eine monatliche Abzahlung von 25 Fr. verkauft. Nur ausnahmsweise fand Vermietung statt. Zu der ersten Cité kam bald noch
eine neue hinzu. Gegenwärtig (1884) bestehen etwa 1020 Arbeiterwohnungen mit 7500 Bewohnern,
die sämmtlich verkauft sind. Dieses Beispiel wurde 1858 von Köchlin, Baumgartner u. Komp. in Lörrach nachgeahmt,
welche bis 1884: 140 zweistöckige Arbeiterhäuser mit 4-5 Wohnräumen und Gärtchen erbauten.
Über die innere Einrichtung der Arbeiterwohnungen lassen sich keine allgemein zutreffenden schablonenmäßigen Vorschriften
geben, da für dieselbe auch örtliche Verhältnisse entscheidend sind. Im allgemeinen sollen die Wohnungen
den Anforderungen an Gesundheit, Sittlichkeit, Sicherheit und Behaglichkeit entsprechen und dabei möglichst billig sein. Allen
diesen Anforderungen kann nicht überall gleichzeitig in gleichem Maß entsprochen werden. Wo Grund und Boden nicht teuer und
die Baukosten nicht hoch sind, kann man einstöckige Einfamilienhäuser mit Mansarde und Gärtchen erstellen.
Im entgegengesetzten Fall muß man durch Vereinigung einer größern Zahl von Wohnungen auf kleiner Fläche möglichst zu sparen
suchen.
Ist man aber auch wirklich infolgedessen zur Erbauung von sogen. Arbeiterkasernen (großen Häusern, welche viele Familien unter
einem Dach
[* 14] vereinigen) gezwungen, welche freilich die Durchführung vieler gemeinschaftlich zu benutzender zweckmäßiger
Einrichtungen, wie Heizungs-, Beleuchtungs-, Badeanstalten etc., erleichtern, so sollte man doch darauf bedacht sein,
die Wohnungen der einzelnen Familien möglichst getrennt zu halten, damit nicht durch die schädlichen Nachteile des Zusammenlebens
die erstrebten Vorteile wieder aufgewogen werden.
Kann der einer leistungsfähigen Kasse (Kranken-, Alters- etc. Versicherung) angehörige Arbeiter in einem
behaglichen Heim einer gesicherten Zukunft entgegensehen, so ist für ihn ein Hauptteil der sozialen Frage gelöst.