Arbeit.
Im Sinn der Nationalökonomie ist Arbeit jede auf Wertschaffung gerichtete menschliche Thätigkeit; im gewöhnlichen Leben wird mit dem Wort Arbeit nicht allein der Akt der Leistung, sondern oft auch das Resultat derselben bezeichnet. Für den Begriff sind Art und Erfolg der Thätigkeit gleichgültig, insbesondere ist es nicht nötig, daß die Thätigkeit für die Gesellschaft nützlich sei oder von derselben als zulässig erklärt werde; es gibt auch schlechte Arbeiten und Arbeiten der Zerstörung, welche einem gewollten, wenn auch nicht gerade für andre dienlichen Zweck entsprechen können.
Den Begriff auf das Gebiet der körperlichen Thätigkeiten oder Handarbeiten zu beschränken, scheitert praktisch schon an der Unmöglichkeit, die geistige und physische Arbeit überhaupt scharf voneinander zu trennen. Die einfachste Handarbeit bedarf einer wenn auch nicht sehr anstrengenden geistigen Überlegung, und die Kopfarbeit, welche, wenn sie nachhaltig nützlich wirken soll, sich äußerlich immerhin objektivieren muß, kann den Körper ebensosehr und selbst stärker angreifen als schwere Handarbeit.
Jedoch ist es üblich geworden, den Begriff Arbeiter etwas enger zu fassen, als es obiger Definition entsprechen würde, indem man unter denselben die Klasse der Lohnarbeiter im Gegensatz zu den selbständigen wirtschaftlichen Existenzen, insbesondere zu den Unternehmern und Kapitalisten, zu verstehen pflegt. In diesem Sinn wird das Wort »Arbeiter« von Sozialisten genommen, deshalb ist es verfehlt, ihre Forderungen mit dem Einwand bekämpfen zu wollen, daß andre Mitglieder der Gesellschaft ebenfalls arbeiteten. Jede Arbeit ist mit mehr oder weniger Mühe verbunden. Teils hierdurch unterscheidet sich die Arbeit vom Spiel, teils dadurch, daß letzteres nicht ernster Wertschaffung, sondern der Erheiterung und angenehmen Zerstreuung dient.
Die Bedeutung der Arbeit ist eine doppelte. Zunächst ist sie ein wichtiger Faktor der Produktion und damit auch aller menschlichen Kultur. Was uns die Natur mühelos bietet, reicht nicht aus zur Fristung der bescheidensten physischen Existenz. Es bedarf der stufenweise fortschreitenden Arbeit vieler Generationen, von denen die vorhergehende der folgenden die unentbehrlichen geistigen und materiellen Hilfsmittel für weitere Vervollkommnung überliefert, um Zustände höherer gesellschaftlicher Entwickelung zu erzielen.
Nicht nur sind die brauchbaren Naturstoffe zu gewinnen, sondern die Rohstoffe sind umzuwandeln in Genußgüter und Hilfsmittel der Arbeit. Dazu kommen Schutzarbeiten, Arbeiten der Versendung, der zeitlichen und örtlichen Verteilung, der Erziehung, Erfindung, Entdeckung, die in den mannigfachsten Gestaltungen auf den verschiedensten Gebieten (Staats-, Gemeindeverwaltung, Privatwirtschaft etc.) dazu dienen, positiv unser Wohlbefinden zu erhöhen oder dasselbe gegen drohende Widerwärtigkeiten zu schützen.
Aber die Arbeit schafft uns nicht allein nutzbare Werte, sie übt auch einen wohlthätigen Einfluß auf den Menschen selbst aus, indem sie als Mittel physischer Vervollkommnung, Stählung und Abhärtung des Körpers und geistig-sittlicher Veredelung dient. Genuß ohne Arbeit führt erfahrungsgemäß zur Erschlaffung, zu Blasiertheit und zum Überdruß. Erst die Arbeit, welche sich immer neue Aufgaben setzt und zu lösen sucht, ermöglicht eine nachhaltige dauernde Befriedigung.
Darum versuchte Fourier (s. d.), sie als Bestimmung des menschlichen Glücks und als Ziel menschlicher Vollendung zu erfassen, und ein deutscher Philosoph meinte, für einen noch einigermaßen willenskräftigen Menschen werde die Verdammung zur Arbeitslosigkeit die härteste aller Strafen sein, und es würde der Mensch, wenn ihn nicht das Leben schon zu Kräftereibungen zwänge, sich die Bewältigung von Hindernissen im Interesse voller Befriedigung suchen müssen.
Jener gute Einfluß der Arbeit wird freilich nicht bedingungslos erfüllt, sondern nur unter der Voraussetzung, daß die in quantitativer und qualitativer Beziehung gewisse Grenzen [* 2] nicht überschreite. Überarbeitung, zumal erzwungene, welche den Menschen zum Lasttier herabdrückt, führt zu geistiger und körperlicher Abstumpfung und Verkümmerung; ebenso kann die ununterbrochene, eintönige Arbeit, welche für den Geist keine Nahrung bietet oder einzelne Organe angreift, die menschliche Entwickelung bedenklich gefährden. Ruhepausen sind darum unerläßlich zur Erholung, Zerstreuung, Bildung, für allseitige Erregung der Geistes- und Körpervermögen und ein gedeihliches, segensreiches Familienleben. Darum hat auch neben der Nachtruhe die Sonntagsheiligung eine eminent wirtschaftliche Bedeutung. Je eintöniger die um so größer das Bedürfnis nach Unterbrechungen.
Der Erfolg der Arbeit und zwar der Arbeit des Einzelnen wie der Gesamtheit wird bedingt teils durch Kräfte und Triebe des Arbeiters selbst, teils durch äußere Umstände, wie Beschaffenheit der anzuwendenden Hilfsmittel, soziale Verhältnisse etc. Er ist insbesondere abhängig vom Trieb zur Arbeit Derselbe ist um so größer, je mannigfaltiger und zahlreicher die Bedürfnisse sind, welche nur durch Arbeit befriedigt werden können. Wo die Natur verhältnismäßig viel bietet und außerdem wenig Aufwand zur Ernährung und zum Schutz gegen die Unbilden der Witterung nötig ist, verfällt der Mensch leicht der Gefahr der Erschlaffung.
Die harte Notwendigkeit, durch angestrengte Arbeit die ersten Lebensbedingungen zu schaffen, weckt Eifer und Rührigkeit; die steigende Kultur mit ihren wachsenden Bedürfnissen bildet einen weitern gewaltig wirkenden Sporn zur Arbeit. Dazu kommt, daß mit zunehmender Kultur und Bildung auch die Arbeit an und für sich einen größern Reiz bietet. Sie wird mehr geachtet und geehrt, während früher einzelne bevorrechtete Stände (Freie, Adel) es ihrer für unwürdig hielten, zu arbeiten. In dieser Beziehung übt auch einen vorteilhaften Einfluß aus die Möglichkeit der freien Wahl der unter den gegebenen Umständen der eignen Kraft [* 3] und Neigung am meisten zusagenden Beschäftigung, um in der Arbeit selbst einen Genuß zu finden. Je mehr die Arbeit mit Beschwerden und Unannehmlichkeiten verbunden ist, um so geringer der Trieb zu derselben; dagegen wird der letztere um so kräftiger wirken, je günstiger die Aussicht auf eine angemessene Vergeltung ist.
Zwar fördert übergroße Leichtigkeit reichlichen Erfolgs die Sorglosigkeit; doch wird die Arbeitslust verkümmert, und der Mensch wird mutlos, wenn Ungunst der Natur und Rechtsunsicherheit unzureichende Resultate in Aussicht stellen, oder wenn die Früchte eigner Arbeit andern in den Schoß fallen. Je größer die Hoffnung, durch Arbeit seine Lage zu verbessern, je größer die Furcht, daß dieselbe ohne Arbeit sich verschlechtere, um so schärfer auch der Sporn zur schaffenden Thätigkeit. Aus diesen Gründen ist auch von hoher Wichtigkeit das System der Auslohnung. Bei gezwungener und nicht genügend vergoltener Arbeit, wie bei derjenigen des Sklaven und des Leibeignen, sind Eifer und Reiz, sich größere Geschicklichkeit zu erwerben, an Stoffen und Geräten zu sparen und dieselben schonend zu behandeln, nicht groß. Es können deshalb nur einfachere Arbeiten verrichtet werden, welche Aufsicht ¶
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und Kontrolle hinreichend gestatten und Mehrleistungen wirklich erzwingen lassen. Qualifizierte Arbeiten sind nur in bescheidenem Grade durch Zwang zu erzielen, sie sind echte Kinder der Freiheit. Bei dem freien Arbeitsvertrag wird der Trieb zur Arbeit ein verschiedener sein je nach der Art des Lohnsystems. Je mehr sich der Lohn nach der Leistung richtet, um so größer der Fleiß und der Trieb, sich Fertigkeiten anzueignen, die besten Arbeitsmethoden und Instrumente in Anwendung zu bringen. Durch Stücklohn, wo er angängig ist, werden deshalb größere Erfolge erzielt als durch Zeitlohn, welcher innerhalb gewisser Grenzen feststeht und durch die Einzelleistung nicht bedingt wird. Und wo das Interesse durch Beteiligung am Gewinn des Geschäfts eng an das letztere gefesselt wird, da wird nicht allein der Reiz groß sein, durch positive Leistungen, sondern auch negativ durch Ersparungen das Geschäftsresultat zu erhöhen.
Nun ist der Trieb zur Arbeit für sich allein nicht genügend. Demselben muß auch entsprechen ein hinreichender Fonds von Arbeitskraft und zwar nicht allein der rohen Körperkraft, der mechanischen Geschicklichkeit, Beweglichkeit und Fertigkeit, sondern auch der intellektuellen und moralischen Eigenschaften. Umsicht, Raschheit der Auffassung, Kombinationsgabe, Fähigkeit, eine richtige Arbeitsdisposition zu treffen, Vielseitigkeit, Akkommodationsvermögen, ein hohes Maß positiven Wissens sind für schwierigere, qualifizierte Arbeiten unentbehrlich, aber auch für die einfachern von großem Vorteil.
Nicht minder wichtig sind die sittlichen Eigenschaften. Mäßigkeit erhält die Arbeitskraft, unregelmäßiges Schwanken von einem Extrem zum andern, ausschweifendes Leben zerrütten dieselbe, Ausdauer, Eifer und Fleiß erhöhen ihre Wirkung. Viele Arbeitsarten (Arzt, Advokat) erheischen ein hohes Maß von Vertrauenswürdigkeit; aber auch in allen andern Fällen spielen Treue, Redlichkeit, Zuverlässigkeit, Gewissenhaftigkeit eine sehr große Rolle. Unser heutiges ganzes soziales Leben, Tauschgetriebe und Kreditsystem stellen hohe Anforderungen an diese Eigenschaften.
Und wo denselben nicht genügt oder eine Gefahr durch Unredlichkeit oder Mangel echt humaner Gesinnung befürchtet wird, da treten wirtschaftliche Störungen mit weittragenden materiellen und immateriellen Schädigungen ein, oder es werden kolossale Aufwendungen für Kontrolle, Aufsicht und Abwehr nötig (Militär, Polizei, Rechtspflege, Schutz und Kontrolle im Finanzwesen wie in allen privaten Produktionszweigen). Die Arbeitskraft des einzelnen Menschen ist bedingt durch den Stand der Gesamtkultur, dann aber auch durch alle konkreten Einflüsse, unter denen er sich entwickelt hat, und zwar spielen hier nicht allein die natürlichen Anlagen, welche der Mensch von Geburt aus mitbringt, sondern auch die während seines Lebens auf ihn statthabenden Einwirkungen in Schule und Haus wie überhaupt alle äußern Einflüsse, materielle und immaterielle, eine wichtige Rolle. Klima, [* 5] religiöse Anschauungen, Rassenangehörigkeit, welche den einen oder den andern Grundzug im Charakter bald vorwiegen, bald mehr zurücktreten läßt, wie Energie, Zähigkeit, Pünktlichkeit, Geschmack, Sauberkeit etc., dann die Art der Beschäftigung, der Ernährung, Wohnung wie die ganze Lebensweise sind für Erhaltung und Steigerung der Arbeitskraft bald mehr, bald weniger günstig.
Die gesamte Leistungsfähigkeit eines Volks ist außerdem abhängig von der Altersklassenverteilung, Mortalität, Morbilität und Verteilung der Geschlechter. Im Leben des Menschen lassen sich drei Perioden unterscheiden: a) die Periode der Bildung und Erziehung, b) die der Invalidität, c) die der vollen Arbeitskraft. Was in der letztern erworben wird, muß zureichen, um den Unterhaltsbedarf während des ganzen Lebens zu decken, oder mit andere Worten, es müssen jeweilig die Arbeitsfähigen so viel erarbeiten, daß außer ihnen auch der andre Teil der Bevölkerung [* 6] erhalten werden kann.
Die erwerbslose Periode der Erziehung und Ausbildung dauert bei manchen Ständen bis über das 20. Jahr hinaus, bei andern bis zum 12. und 15.; die der Invalidität beginnt mit dem 60. und 70. Lebensjahr. Im Alter zwischen 20 und 60 Jahren stehen von 100 Personen in England und Wales 46,9, in Deutschland [* 7] 48, in Österreich [* 8] 50,2 und in Franko reich 62,8, und im Alter zwischen 15 und 70 je 61,1, 62,6, 64,3 und 68,6 Proz. Frankreich ist also in dieser Beziehung am günstigsten gestellt, was eine Folge verhältnismäßig kleiner Geburts- und Sterblichkeitsziffer ist.
Für Deutschland dürfen wir 50-60, rund 55 Proz. der Bevölkerung als im arbeitskräftigen Alter stehend betrachten. Hiervon geht ab die Zahl der durch Krankheit zur Arbeit. Unfähigen. Die Morbilität ist ein Produkt mannigfaltiger und zahlreicher Faktoren, wie Alter, Geschlecht, Beruf, Art und Dauer der Arbeit, Wohnort, Lebenslage, Lebensweise etc. Nach den Erhebungen verschiedener englischer Hilfskassen macht ein Mensch vom 15. bis zum 70. Lebensjahr im Durchschnitt 790 Krankheitstage durch.
Hiernach wäre anzunehmen, daß etwa 4, nach andern gar bis zu 6 Proz. der entsprechenden Bevölkerung ständig krank sind, also von 55 Arbeitsfähigen etwa 2-3 Personen. Hierzu kommen noch Geisteskranke und mit organischen Fehlern Behaftete, welche sich nicht selbst zu erhalten vermögen. An erstern, deren Statistik freilich keine sehr scharfe ist, soll im Durchschnitt für ganz Europa [* 9] eine Person auf 478 arbeitsfähige Erwachsene entfallen, also auf 55 etwas über 0,1. An Taubstummen, die in den jüngern Altersklassen verhältnismäßig am zahlreichsten sind, an Blinden, deren Relativzahl bei ältern Leuten größer ist, und an sonstigen ganz oder teilweise Arbeitsunfähigen kann man nach verschiedenen Angaben in Deutschland 0,5-0,9 auf 55 Erwachsene rechnen.
Hierzu kommt noch die stets unter den Waffen [* 10] stehende Armee mit 1 Proz. der ganzen Bevölkerung. So blieben denn rund 50 Personen übrig, welche sich und die übrigen 50 zu erhalten haben. Thatsächlich ist aber die Zahl der wirklichen und erwerbenden Arbeiter nicht so groß, insbesondere aber ist weit kleiner die Zahl derjenigen Personen, welche mit solchen Arbeiten beschäftigt sind, deren Ergebnis zum Unterhalt der Gesamtheit und zur direkten Steigerung ihrer Wohlfahrt dient. So würde als sich nicht mit positivem Erwerb befassend ein großer Teil des weiblichen Geschlechts in Abzug kommen.
Die Zahl der Frauen überwiegt fast in ganz Europa die der Männer, trotzdem daß bei der Geburt im Durchschnitt 106 Knaben auf 100 Mädchen kommen. Berücksichtigen wir, daß viele Männer unverehelicht bleiben, daß die Ehemänner durchschnittlich älter sind als die Frauen, daß die Sterblichkeit des weiblichen Geschlechts gerade in der Zeit der Geburten sehr groß ist, so folgt, daß viele Frauen ihren Beruf in der Ehe nicht finden können und für einen großen Teil dieser »Überzähligen« die Eröffnung von Erwerbsquellen eine Notwendigkeit und auch ein sittlicher Segen ist. Nun sind auch viele Mädchen vor der Verheiratung und viele Frauen ¶