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Sitz eines deutschen Konsuls und zugleich einer der wichtigsten Punkte für Auswanderung; die Zahl der Auswanderer über Antwerpen [* 2] betrug 1882: 35,120 Personen, die der deutschen Auswanderer in den 9 Jahren 1875 bis 1883: 97,678 Personen.
An Anstalten für Wissenschaften und Kunst besitzt Antwerpen ein königliches Athenäum, eine höhere Knabenschule, Industrieschule, Navigationsschule, ein Lehrerinnenseminar, ein Institut für Taubstumme und Blinde, zahlreiche wissenschaftliche Gesellschaften, eine Schule für praktische Medizin und Chirurgie, einen botanischen Garten [* 3] (mit hübschem Palmenhaus und dem Standbild des Botanikers Coudenberg), einen großartigen zoologischen Garten (seit 1843), der an Reichhaltigkeit nur dem Amsterdamer nachsteht, eine öffentliche Bibliothek und eine berühmte Akademie der bildenden Künste (mit 16 Professoren), die im 14. Jahrh. als Brüderschaft von St. Lukas entstand und in der Geschichte der niederländischen Kunst eine hochwichtige Stelle einnimmt.
Aus ihr gingen die berühmtesten Maler der flandrischen Schule hervor, von denen viele geborne Antwerpener sind, wie van Dyck, Calvaert, die beiden Teniers, Seghers, Crayer, Floris und Bril (vgl. Rooses, Geschichte der Malerschule Antwerpens, deutsch, Münch. 1880). Die Akademie hat ihren Sitz im Gebäude des Museums (ehemaliges Kloster), das zugleich die hervorragendste Gemäldesammlung Belgiens enthält. Dieselbe stammt aus den jetzt aufgehobenen Klöstern, wurde durch die wertvolle van Ertbornsche Privatsammlung wie durch Ankäufe und Schenkungen verstärkt und umfaßt jetzt ca. 650 Nummern, darunter Meisterwerke von Rubens (Christus am Kreuz, [* 4] der ungläubige Thomas, Kommunion des heil. Franziskus, eine Pietà, heilige Familie etc.), Quintin Massys (Bestattung Christi), van Dyck (Grablegung, Christus am Kreuz), Jordaens (Anbetung der Hirten), Rembrandt, van de Velde, Teniers, Ruisdael, van Eyck (heil. Barbara, Madonna) und andern Meistern der flandrischen Schule.
Von öffentlichen Denkmälern sind außer den genannten noch anzuführen: die Kolossalstatue des Boduognatus, des Häuptlings der Belgier in den Kämpfen gegen Cäsar (1861 errichtet);
die Statue Schoonbekes, eines patriotischen Bürgers aus dem 15. Jahrh., in der Vorstadt Berchem;
das Standbild Carnots, in der Vorstadt Borgerhout;
das Reiterstandbild Leopolds I. (von J. ^[Joseph] Geefs, 1868 errichtet) am ehemaligen Mechelner Thor;
das Sandsteindenkmal des Dichters Ryswyck (1864 errichtet) und die Bronzestatue von D. Teniers (seit 1867).
Auch der sogen. Quintin-Massys-Brunnen mit einem Dach [* 5] von geschmiedetem Eisen [* 6] und einer Statue des Salvius Brabo verdient Erwähnung. - Finanzen 1882: Das Budget war in Einnahme und Ausgabe auf 26,853,706 Fr. veranschlagt. Von den ordentlichen Ausgaben, die sich auf 11,051,097 Fr. beliefen, erforderte die Verwaltung 2,6 Mill., der öffentliche Unterricht 2,3 Mill., die Straßenbeleuchtung 2,7 Mill. Fr., unter den außerordentlichen die städtische Schuld 9,6 Mill., die öffentlichen Arbeiten 5,8 Mill. Fr. Gegenüber, am linken Scheldeufer, liegt der Vlaamsch Hoofd (Tete de Flandre), von wo man einen guten Überblick über die im Halbkreis lang sich hinstreckende Stadt genießt.
Geschichte. Antwerpen (Aen't Werf, »Am Werft«) wird zuerst im 8. Jahrh. erwähnt. Als Hafen- und Handelsort erscheint es schon im 10. und 11. Jahrh., und Anfang des 12. Jahrh. waren Antwerpener Tücher in Frankreich und Deutschland [* 7] ein gesuchter Handelsartikel. In der Periode der Kreuzzüge war Antwerpen nächst Brügge und Gent [* 8] die reichste Stadt Flanderns. Die höchste Blüte [* 9] aber erreichte Antwerpen Mitte des 15. Jahrh., wo Gent und Brügge durch unglückliche Fehden sanken. Die Hansa, durch Brügge beleidigt, verlegte zu Anfang des 16. Jahrh. ihre Magazine nach Antwerpen, worauf 1516 alle fremden Kaufleute mit Ausnahme der Spanier von Brügge und Gent nach Antwerpen wanderten.
In den folgenden Jahrzehnten erreichte Antwerpen seinen Höhepunkt. Eine vielseitige Industrie, namentlich Webereien von Woll-, Seiden- und Leinenwaren, Tapeten und Waffen, [* 10] Glas- und Goldwaren, wurde damals begründet; zugleich erlangte der Geldhandel hohe Bedeutung, an der Börse Antwerpens (dem Muster für die spätere Londoner) schlossen im 16. Jahrh. die Fürsten Europas ihre Anleihen ab. Zugleich blühten Künste und Wissenschaften, die berühmtesten Baumeister und Maler (Rubens, van Dyck, Massys u. a.) schmückten die Stadt mit ihren Werken.
Unter Karl V. war Antwerpen die herrlichste Stadt der ganzen christlichen Welt, von wo aus die Produkte des flandrischen und brabantischen Fleißes sich bis Arabien, Persien [* 11] und Indien verbreiteten. Als der portugiesisch-ostindische Handel den levantischen überflügelte, richteten die Portugiesen in Antwerpen ihren Stapel auf. Dies zog die berühmtesten Handelshäuser von Florenz, [* 12] Pisa [* 13] und Genua, [* 14] aus Augsburg [* 15] die Fugger und Welser nach Antwerpen. Damals zählte die Stadt über 240,000 Einw. 200-250 Seeschiffe lagen öfters auf einmal vor ihren Kais, über 2000 Frachtwagen langten in jeder Woche aus Deutschland, Frankreich und Lothringen an. Der auswärtige Verkehr beschäftigte ein Gesamtkapital von 500 Mill. Goldgulden. Antwerpen hatte 4500 eigne Schiffe [* 16] in See, und es galt das Sprichwort: »Die Welt ist ein Ring und der Diamant [* 17] darin«.
Diese Blüte wurde durch den Abfall der Niederlande [* 18] vernichtet. Bei der Wichtigkeit der Stadt, in welcher die Reformation zahlreiche Anhänger zählte, suchte bereits 1566 die Statthalterin Margareta von Parma [* 19] durch Verstärkung [* 20] der Besatzung bei Gelegenheit des Bildersturms, während dessen nur Wilhelm von Oranien ein gräßliches Blutbad verhinderte, sich Antwerpens zu versichern. Zu den Festungswerken, die Karl V. 1546 durch einen deutschen Ingenieur, Franz, hatte anlegen lassen, ließ dann Alba [* 21] durch den Italiener Paciotto 1567-72 die starke Citadelle mit einem Aufwand von 1,400,000 Thlr., wovon Antwerpen selbst ein Drittel tragen mußte, erbauen.
Zweimal versuchte 1574 Wilhelm von Oranien vergeblich, die Citadelle zu nehmen. Die spanischen Söldner, welche ihren Lohn nicht empfingen, verübten von der Citadelle aus Bedrückungen aller Art und richteten ein furchtbares Blutbad (die »spanische Furie«) in Antwerpen an, wobei das Rathaus und 600 Bürgerwohnungen in Flammen aufgingen und über 10,000 Bürger ersäuft oder erstochen wurden. Am endlich gelang es den Antwerpenern, durch Zahlung des rückständigen Soldes und ungeheurer Summen an die Befehlshaber die spanische Besatzung zur Räumung der Citadelle zu bewegen und alle Truppen aus der Stadt zu entfernen.
Einen der glänzendsten Akte in dem Heldenkampf der Niederländer zu Gewinnung ihrer Freiheit bildet die berühmte 14monatliche Verteidigung Antwerpens gegen Alexander von Parma, bei welcher beide Teile sich in genialer Erfindung neuer Angriffs- und Abwehrmittel überboten, schließlich aber die Stadt doch kapitulieren und sich dem Feind ergeben mußte (16./17. Aug. 1585). Dies entschied zugleich den Sieg des Katholizismus und den Untergang der Handelsblüte von Antwerpen. In Antwerpen wurde der zwölfjährige Waffenstillstand geschlossen, durch welchen Spanien [* 22] die Unabhängigkeit der nördlichem ¶
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Provinzen anerkannte. Durch die 1648 im Westfälischen Frieden geschehene Abtretung der Scheldemündungen an die Holländer, welche dieselben sperrten, wurde von der See abgeschnitten und sein Handel vollends zu Grunde gerichtet. Die Stadt teilte fortan das Geschick der übrigen spanischen Niederlande. Im spanischen Erbfolgekrieg hielten (1702) die Franzosen Antwerpen besetzt; durch den Frieden von Utrecht [* 24] kam es an Österreich. [* 25] In Antwerpen wurde zwischen Kaiser Karl VI. und den Generalstaaten von Holland unter Englands Vermittelung der sogen. Barrieretraktat (s. d.) abgeschlossen.
Während des österreichischen Erbfolgekriegs (1746) wurde die Citadelle von Antwerpen durch die Franzosen unter dem Marschall Moritz von Sachsen [* 26] belagert und nach siebentägiger Verteidigung den Kaiserlichen entrissen. Nach der Schlacht bei Jemappes öffnete den Truppen der französischen Republik seine Thore nur die österreichische Besatzung der Citadelle hielt eine dreiwöchentliche Belagerung (bis zum 30. Nov.) aus, worauf sie kapitulierte. Im J. 1793 setzten sich die Österreicher zwar nochmals in den Besitz von Antwerpen, allein 1794 nahm Pichegru nach der Schlacht bei Fleurus den Platz von neuem, und nun blieb Antwerpen bis zum Sturz des Kaiserreichs mit Frankreich vereinigt, und die fast 200 Jahre verschlossene Schelde wurde seinem Handel wieder geöffnet. Alsbald regte sich in Antwerpen neues Leben. Im J. 1807 klarierten trotz der fortdauernden Kriegsstürme bereits 1800 Schiffe in dem Antwerpener Hafen. Napoleon I. wollte Antwerpen seinen frühern Glanz zurückgeben und es zum ersten Handels- und Waffenplatz seines Reichs machen. Im Februar 1814 erhielt Carnot den Oberbefehl in der Festung [* 27] und übergab sie erst 5. Mai nach der Restauration des bourbonischen Königtums den Verbündeten. Durch den Wiener Kongreß wurde Antwerpen dem neugeschaffenen Königreich der Niederlande einverleibt, und seitdem nahm sein Verkehr wieder einen kraftvollern Aufschwung, so daß schon 1815 wieder 4400 See- und Fluß- etc. Fahrzeuge einliefen. Antwerpens auswärtiger Verkehr hatte an Größe bald den von Amsterdam [* 28] erreicht, den von Rotterdam [* 29] überflügelt; sein Markt rangierte wieder unter den Märkten erster Ordnung, als die Revolution von 1830 auch über Antwerpen hereinbrach. Die revolutionäre Partei bemächtigte sich der Stadt. Der Kommandant, Generalleutnant Chassé, zog sich in die Citadelle zurück und gewährte einen Waffenstillstand. Wegen des Bruches desselben durch die Insurgenten ließ Chassé das Stadtviertel St. Andreas als angeblichen Hauptsitz des Aufstandes sieben Stunden lang bombardieren wodurch das große Lagerhaus nebst 30 andern Häusern und dem Arsenal in Asche gelegt ward.
Ein neuer Waffenstillstand ließ die Citadelle in den Händen der Holländer, und Chassé erklärte, sie gegen jegliche Angriffe behaupten zu wollen. Nachdem Frankreich und Großbritannien [* 30] sich dem König der Belgier verpflichtet hatten, die Räumung aller dem neuen Königreich von den Großmächten zuerkannten Orte und namentlich auch Antwerpens von seiten der Holländer zu bewirken, erschien ein französisches Heer von 50,000 Mann unter Marschall Gérard vor Antwerpen. Die Belagerung der Citadelle und der dazu gehörigen Forts leitete der General Haxo. Im Dezember begann die Beschießung der Citadelle.
Nachdem die Franzosen das in einen Trümmerhaufen verwandelte Fort St.-Laurent (14. Dez.) im Sturm genommen und dann die Citadelle selbst durch Breschbatterien fast zur Ruine zusammengeschossen hatten, kapitulierte Chassé 23. Dez., worauf die Franzosen am 24. die Citadelle besetzten. Seit Antwerpens Losreißung von Holland wendete sich der bedeutende Handel, den es nach dem Sturz des französischen Kaiserreichs mit den holländischen Kolonien trieb, nach Amsterdam und Rotterdam, bis die völlige Wiedereröffnung der Schelde dem Handel von neuem einen gewaltigen Aufschwung gab und Antwerpen zum größten Seehafen des Kontinents machte. Die Notwendigkeit einer neuen Citadelle an der Nordseite der Stadt, deren Bau in Angriff genommen ward, sowie die Errichtung einer Reihe von Forts in der Nähe der Stadt, durch die Antwerpen zu einer Festung ersten Ranges erhoben ward, wurden von deren Bewohnern, namentlich seit 1858, heftig bestritten, was ein anhaltendes Zerwürfnis zwischen dem Gemeinderat und der belgischen Regierung zur Folge hatte. Im J. 1874 wurde die alte Citadelle abgetragen und der so gewonnene weite Raum zur Vergrößerung und Verschönerung der Stadt verwendet (s. oben).
Vgl. Le Poittevin, [* 31] Histoire physique, politique et monumentale de la ville d'Anvers (Antwerp. 1847);