steht nichts im Weg, dergleichen mit über dem
Menschen stehenden
Wesen unverträgliche Gemütseigenschaften auf unter demselben
stehende, z. B. auf die
Tiere, zu
übertragen und denselben, ohne ihre äußere Gestalt aufzuheben, Fühlen und
Sprache
[* 2] des
Menschen beizulegen, wie es im Tierepos
(»Reineke Fuchs«) und in der Tierfabel (des Äsop) geschieht.
(griech.,
»Menschenfresserei«, auch Kannibalismus, abgeleitet von dem menschenfressenden
Stamm der
Kariben,
span. Canibals), die das natürliche
Gefühl empörende
Sitte mancher wilder
Völker (nicht immer der rohesten), das
Fleisch
ihrer Nebenmenschen zu verzehren, wobei die verschiedenartigsten
Beweggründe: Feinschmeckerei, religiöse
Gründe, vorzüglich
aber der
Glaube, daß sie nur
so den Feind ganz vernichten und seine
Kräfte erben können,
Haß, Rachsucht
etc., mitwirkend sind.
Die
Oger und Menschenfresser unsrer
Märchen können noch als ein dumpfer Nachklang der vorhistorischen Anthropophagen betrachtet
werden, welche von der Forschung unzweifelhaft durch die Knochenfunde in verschiedenen
HöhlenItaliens,
[* 3]
Belgiens,
Frankreichs
nachgewiesen wurden.
Spring hat gezeigt, daß sämtliche menschliche markhaltige
Knochen
[* 4] der
Höhle von
Chauvaux bei
Namur
[* 5] künstlich geöffnet waren. Auch die ältesten
Urkunden erwähnen der Menschenfresser, die in der
Bibel,
[* 6] der
Odyssee (Polyphem) etc. eine
Rolle spielen.
Die alten Griechen beschuldigten die
Inder,
Skythen und verschiedene äthiopische
Völker der Anthropophagie. Der heil.
Hieronymus (4. Jahrh.)
schildert ein kannibalisches
Volk in
Gallien. Gegenwärtig ist die zeitweilig und ohne jeglichen
Grund überhaupt
abgeleugnete Anthropophagie noch in
Afrika,
[* 7]
Asien,
[* 8]
Amerika,
[* 9]
Australien
[* 10] und auf den Südseeinseln im Schwange, wenn sie auch in geschichtlicher
Zeit bei manchen Völkern schon verschwunden ist. In
Asien sind die malaiischen
Batta auf der
InselSumatra das einzige
nachweisbare anthropophage
Volk, dessen Kannibalismus bereits
Marco Polo erwähnt.
Sie sind ein sehr intelligenter
Stamm, der eine eigne Litteratur besitzt. Die Anthropophagie ist bei ihnen durch das
Gesetz sanktioniert
und findet gewissen
Verbrechen gegenüber statt. In
Afrika erscheint dagegen die Anthropophagie, wenigstens an der Westküste von
Sierra Leone
bis zum Nigerdelta, als die scheußlichste Barbarei, als reiner Ausfluß
[* 11] tierischen
Wesens, da dort das
Fleisch der
Menschen (von Gefangenen, Sklaven) gleich jedem andern
Fleisch verzehrt wird, namentlich in Kalabar, wie aus
Hutchinsons
Schilderungen hervorgeht.
Unzweifelhaft sind auch, wie wir durch
Du Chaillu u. a. wissen, die
Fan oder
Pahuin, ein aus dem Innern
gekommenes
Volk, Menschenfresser. Im Zusammenhang mit ihnen scheinen die
Manjuema zu stehen, die
Livingstone 1870 zuerst besuchte
und (die
Männer wenigstens) als Erzkannibalen schildert. Nördlich von ihnen, im äquatorialen Innerafrika, wohnen die
Monbuttu
und
Niam-Niam, über deren in großartigem
Maßstab
[* 12] betriebene
Menschenfresserei haarsträubende Einzelheiten durch G.
Schweinfurth
berichtet werden.
Aus Südafrika
[* 13] wissen wir durch
John Beddoe u. a., daß unter dem Kaffernstamm der
Basuto wenigstens zeitweilig Anthropophagie herrschte.
In
Amerika fanden die ersten Entdecker auf den
Antillen das verhältnismäßig zivilisierte, aber menschenfressende, heute
dort ausgestorbene
Volk der
Kariben; die alten
Azteken in
Mexiko
[* 14] brachten
Menschenopfer dar und verzehrten bei festlichen
Gelegenheiten Menschenfleisch. Dasselbe wissen wir von den hochgebildeten Inkaperuanern, und im
Norden
[* 15] waren verschiedene
Indianerstämme, vor allen
Irokesen
und
Algonkin, unzweifelhaft Anthropophagen.
Gelegentlich kommt noch jetzt bei einigen
Stämmen der
Odschibwä die Anthropophagie vor. Weit verbreitet war die Anthropophagie bei allen Tupivölkern
in
Südamerika,
[* 16] wo
Rache das
Motiv war, und noch jetzt herrscht sie ganz entschieden bei einzelnen wilden
Stämmen im Gebiet des
Amazonenstroms, den Kaschibo am Pachitea, den
Miranha und Mesanya am Japure und
Amazonas.
Alle Reisenden
stimmen überein, daß die
Schwarzen des australischen
Kontinents noch
Kannibalen sind, und daß unter den
Südseeinsulanern
sowohl Melanesier als
Polynesier der Anthropophagie huldigen.
Sie ist verbreitet über einen Teil
Neuguineas, die Luisiaden, war früher stark auf
Neukaledonien
[* 17] und den
Fidschiinseln,
[* 18] wo
noch 1867 der
MissionärBaker vom Navosastamm verzehrt wurde. Auf den
Fidschiinseln fand
Seemann die Anthropophagie zu einer solchen Feinschmeckerei
entwickelt, daß man besondere
Gewürzpflanzen,
[* 19] den Malawi (Trophis anthropophagorum) und die Borodina
(Solanum anthropophagorum), im Umkreis der »Freudenhäuser«, in denen
die Menschenschmäuse stattfanden, anbaute, welche nur zum Menschenfleisch genossen wurden und für unentbehrlich galten.
Man benutzte dazu besondere drei- bis vierzinkige
Gabeln aus Kasuarineenholz (während der
Gebrauch der
Gabel in
Europa
[* 20] erst
wenige
Jahrhunderte alt ist) und zwar für diese Menschenfleischgelage ausschließlich. Die der
Maori auf
Neuseeland war sprichwörtlich geworden, sie war dort nach
HochstettersErklärung erst aufgekommen, als die
Moas, die großen
Riesenvögel, auf der säugetierlosen
Insel verschwunden waren und andre Fleischnahrung dem
Volk sich nicht darbot.
Der letzte
Fall wurde 1843 beobachtet. Von den
Markesas- und Samoainseln sind gleichfalls kannibalische
Gewohnheiten der dortigen
Polynesier bekannt geworden. Einzelne Anthropophagen fanden sich allezeit auch in zivilisierten
Staaten:
es sind Menschenfleischfresser aus unbezwinglichem, krankhaftem, zuweilen erblichem
Gelüst. Das mehr oder minder starke Eintreten
eines solchen ist nicht selten bei schwangern Weibern der
Fall. Bisweilen führte auch Wut oder Verzweiflung zurMenschenfresserei.
Das schrecklichste
Beispiel einer fast allgemeinen Anthropophagie gab
Ägypten
[* 21] bei der großen
Hungersnot 1200 und 1201, wo viele
TausendMenschen von ihren Mitbrüdern geschlachtet und gegessen wurden; die
Gewohnheit machte die bestialische Fresserei zuletzt zur
Liebhaberei, der nur durch die härtesten
Strafen Einhalt gethan werden konnte. Der letzte unzweifelhaft dokumentierte
Fall, daß in
Deutschland
[* 22] jemand aus
Geschmack für Menschenfleisch wiederholt mordete, ist ein
Hirt in
Berka bei
Weimar
[* 23] um 1770.
Weltanschauung, die ältere, meist durch religiöse
Systeme gestützte Weltanschauung, welche den
Menschen als den
Mittelpunkt der
Welt betrachtete und das
All nur zu seinem Nutzen und
Vergnügen erschaffen glaubte, also
die
Gestirne, um ihm zu leuchten, die
Tiere, um von ihm gejagt und verspeist zu werden, die
Blumen, um ihn zu erfreuen etc.
¶
mehr
In dieser Anschauungsweise mußte sein Wohnort, die Erde, als Mittelpunkt der Welt betrachtet werden. Die danach genannte geozentrische Weltanschauung
wurde aber schon durch Kopernikus gestürzt, während die a. W. erst durch Darwin wirklich erschüttert worden ist.