mehr
beharrlichen Einfluß auf die Vorgänge in der Seele ausübt und dadurch vom Moment der Geburt an einen unaustilgbaren Grund zu ihrer künftigen Gestaltung legt, sondern daß auch umgekehrt die innerlichen Vorgänge, durch welche entsprechende äußere (z. B. gewisse Muskelstellungen) hervorgerufen werden, durch häufige Wiederkehr im Organismus eine dauernde Disposition zu denselben (d. h. eine erhöhte Leichtigkeit gewisser Muskel und Gliederbewegungen) erzeugen.
Jene
Beschaffenheit kann angeborne, diese
Disposition erworbene Anlage heißen; beiderlei
Arten sind, da sie ihren Sitz lediglich
im
Organismus haben, fähig, die eine durch
Erbschaft von den elterlichen Organismen empf
angen, die andre durch
Vererbung auf
die gezeugten verpf
lanzt zu werden. Zu erstern ist zu rechnen der bleibende Einfluß, den die organische
Geschlechtlichkeit auf die geschlechtliche (männliche oder weibliche) Sinnesart, die Gesamtbeschaffenheit des leiblichen
Lebens (physisches) auf die Grundstimmung des geistigen und gemütlichen (psychisches
Naturell), das individuelle
Verhältnis
zwischen
Intensität und
Erregbarkeit des
Nervensystems (physisches) auf das beharrliche
Verhältnis zwischen
Menge und
Stärke
[* 2] des Vorstellens, Fühlens und
Strebens (psychisches
Temperament) ausübt, sowie die
Hemmung oder
Förderung, welche durch
die Verkümmerung oder Verfeinerung aller oder bestimmter einzelner Sinneswerkzeuge dem ganzen oder irgend einem besondern
Gebiet der
Sinnlichkeit (der gesamten Anschauungswelt, der
Welt der
Farben und
Formen, der
Welt der
Töne,
Geschmäcke etc.) zu
teil wird (poetische, malerische, musikalische, gastronomische u. dgl.).
Zu den zweitgenannten dagegen gehört die in Künstlergenerationen nicht selten beobachtete überraschende Leichtigkeit,
mit welcher technische Schwierigkeiten
(Pinsel- und Federstrich,
Fingersatz etc.) durch scheinbar »angeborne«
Fertigkeit überwunden werden, und welche am füglichsten als
Vererbung von den Vorgängern erworbener günstiger organischer
Disposition der betreffenden
Nerven- und Muskelapparate (in ähnlicher
Weise wie die sogen.
Kunsttriebe der Tiere)
zu erklären sein dürfte.
In der Medizin bedeutet Anlage zu einer Krankheit eine Mangelhaftigkeit gewisser Organe, z. B. des Herzens oder der Lunge, [* 3] welche an sich zwar keine Krankheit ist, auch nicht mit Notwendigkeit zu einer solchen werden muß, sondern nur einen Schwächezustand darstellt, welcher bei verhältnismäßig geringfügigen äußern Anlässen zu einer Erkrankung zu führen droht. Solche Anlage ist entweder angeboren oder erworben. Im erstern Fall nennt man die Krankheitsanlagen oder die Gesamtheit der mangelhaft gebildeten Organe auch wohl Konstitutionsanomalien.
Früher verband man mit diesem Namen der schlechten, der nervösen, der phlegmatischen, der apoplektischen Konstitution sehr unklare Vorstellungen, und erst, seit man aufgehört hat, die Krankheiten als Wesen zu betrachten, die im Blut und in den Säften ihren Sitz haben, hat auch die »Konstitution« ihre einheitliche Bedeutung verloren und ist eine Vielheit geworden, die auf jedes Organ speziell angewendet werden muß. Es gibt z. B. sehr viele Menschen, welche mit einem schwächern Herzen und einem engern Arteriensystem geboren werden, als es die Norm ist; diese Mangelhaftigkeit ist eine Krankheitsanlage, sie braucht nie zu einer ernstlichen Störung des Wohlbefindens zu führen, sie kann aber zu Bleichsucht werden, die schlechte Ernährung der Gewebe [* 4] kann dann leicht zu chronischen Reizungen der Lymphdrüsen disponieren, diese wiederum einer Tuberkulose zu Grunde liegen, so daß man am Ende nicht von einer angebornen Tuberkulose sprechen kann, sondern nur von einer Tuberkulose, welche auf dem Boden einer Mangelhaftigkeit in der ersten Anlage des Gefäßapparats sich entwickelt hat.
Bleibt beim Embryo, nachdem die Hoden durch den Leistenkanal hindurchgetreten sind, dieser Kanal [* 5] offen, so ist dieser Mangel an sich keine Krankheit, aber eine da ein unbedeutender Hustenstoß einen lebensgefährlichen Leistenbruch zu stande bringen kann. Die mangelhaften Anlagen des Gehirns sind in ihren anatomischen Ursachen so gut wie unbekannt, nur in einzelnen Fällen läßt sich nachweisen, daß das ererbte Leiden [* 6] nicht eine Geisteskrankheit war, sondern ein mangelhaftes Wachstum der Schädelknochen, welches erst in spätern Jahren eine Raumbeschränkung für das Gehirn, [* 7] somit eine wirkliche Krankheit bedingte.
Auch für andre Organe, wie Leber, Nieren und besonders die Gebärmutter, [* 8] gibt es angeborne Anlagen, welche entweder ganz unbemerkt bleiben, oder sich erst spät zu einer Krankheit entwickeln können. Ebenso mannigfaltig sind die erworbenen Anlagen. Wer sich einen Gelenkrheumatismus zuzieht, erwirbt mit ihm die Anlage zu erneuten Anfällen dieser Krankheit und zu Herzleiden. Wer an chronischer Nierenentzündung leidet, hat eine erhöhte Anlage zu Brustfell- und Herzbeutelentzündungen; ein alter Entzündungsherd in der Lungenspitze bleibt immer eine ominöse Anlage zu neuen Lungenentzündungen, alte Narben an den Unterschenkeln sind Anlagen zu neuen Geschwüren, und das Alter selbst bringt hundertfache Anlagen zu Krankheiten, welchen bei gleichen geringfügigen Ursachen eine jugendlich kräftige Konstitution Trotz bieten würde.
Vgl. Virchow, Cellularpathologie (4. Aufl., Berl. 1872), und dessen »Handbuch der Pathologie und Therapie«; Beneke, Die Altersdisposition (Marb. 1879);
Derselbe, Beitrag zur Lehre [* 9] vom Blutdruck, von der Pubertätsentwickelung und Seneszenz (Kass. 1879);
Locher, Über Familienanlage und Erblichkeit (Zur. 1874);
Ribot, Die Erblichkeit (deutsch, Leipz. 1876);
In der bildenden Kunst bezeichnet Anlage die ersten roh geordneten Züge eines Werks, woraus man die künftige Gestalt desselben schon erkennen kann. In ähnlicher Bedeutung spricht man von der Anlage eines dramatischen Stücks oder eines Charakters in demselben.