mehr
die vorgedachten Erfordernisse besitzen, nicht zur Klasse der meistbesteuerten Grundbesitzer oder Handel- und Gewerbtreibenden gehören und zur Zeit der Aufstellung der Wahllisten ihren Wohnsitz innerhalb des Wahlbezirks haben. Wählbar, bez. landtagsfähig ist jeder, welcher die oben gedachten allgemeinen Erfordernisse besitzt und derjenigen Wählerklasse angehört, von welcher die Wahl erfolgt. Alle Wahlen erfolgen in geheimer Abstimmung durch Stimmzettel und nach absoluter Majorität der abgegebenen Stimmen. Zum Zweck der Wahlen der Abgeordneten für die Städte und das platte Land wählen die Wahlberechtigten aus ihrer Mitte Wahlmänner dergestalt, daß auf eine Zahl von 150 bis 200 Seelen ein Wahlmann entfällt. Die Abgeordneten werden von den Wahlmännern gewählt. Die Wahl erfolgt auf eine sechsjährige Landtagsperiode. Die Gemeinden sowie die Religionsgesellschaften verwalten ihre Angelegenheiten selbständig.
Oberste Behörde des Herzogtums ist das Staatsministerium, dessen sämtliche früher getrennte Departements seit 1870 unter Einem Staatsminister vereinigt sind, und welchem die Finanzdirektion, die Regierung, Abteilung des Innern, das Konsistorium (für evangelische Kirchensachen) und das Statistische Büreau, sämtlich zu Dessau, [* 2] unterstellt sind. Als Immediatbehörde besteht neben dem Staatsministerium die Staatsschuldenverwaltung, deren Mitglieder zur Hälfte der Herzog, zur Hälfte der Landtag ernennt.
Eine früher in Köthen [* 3] bestehende Generalkommission ist aufgelöst, die von derselben ressortierenden Separations- und Ablösungssachen sind durch Staatsvertrag vom an die Generalkommission in Merseburg [* 4] übergegangen. Von der Regierung hängen ab die Kreisdirektionen in den fünf Kreishauptstädten, unter deren Aufsicht die Ortspolizei durch die Amtsvorsteher besorgt wird; nur die Ortspolizeiverwaltungen zu Dessau, Köthen, Zerbst [* 5] und Bernburg [* 6] stehen unmittelbar unter der Regierung. Für die Rechtspflege bestehen als erste Instanz elf Amtsgerichte, die zweite Instanz bildet das Landgericht zu Dessau, in letzter Instanz entscheidet das Oberlandesgericht zu Naumburg. [* 7] - Die Finanzen des Herzogtums befinden sich in geordnetem Zustand. Während 1861 die Einnahmen der beiden Herzogtümer Anhalt-Dessau-Köthen und Anhalt-Bernburg 3,083,078 Thlr. betrugen, denen 3,077,313 Thlr. Ausgaben gegenüberstanden, ergab das Budget für 1. Juli 1884/85 für Einnahme wie für Ausgabe 17,948,000 Mk. Hauptposten sind:
Einnahmen: | Mark | Mark | |
---|---|---|---|
Domänen | 2946847 | Kultus | 145843 |
Steuern | 1631433 | Inneres | 2253971 |
Bergwerke | 3067740 | davon Unterricht etc. | 1549384 |
Sporteln | 1005964 | Justiz | 669045 |
Finanzen | 2572121 | ||
Ausgaben: | Bauwesen | 572121 | |
Staatsverwaltung | 519737 | Pensionen | 515725 |
Staatsschulden-Verw. | 329000 | Renten | 343478 |
Die für das Reich vereinnahmten und an dasselbe abgeführten Steuern betrugen 9,100,000 Mk. Die früher an das herzogliche Haus gezahlte Rente aus dem Domanialeinkommen, die 1871: 295,570 Thlr. betrug, ist seit 1872 in Wegfall gekommen, da mit diesem Jahr die Auseinandersetzung des herzoglichen Hauses mit dem Land hinsichtlich des Domaniums in Kraft [* 8] getreten ist. Die Staatsschuld belief sich ultimo Juni 1883 auf 5,125,646 Mk. (davon 772,604 Mk. unverzinslich), denen 4,087,737 Mk. Aktiva gegenüberstehen, so daß die Netto-Passivmasse 1,037,909 Mk. beträgt. 81,000 Mk. nicht eingelieferte Kassenanweisungen entfallen auf die unverzinsliche Schuld. - Im Militärwesen ist Anhalt [* 9] bereits seit 1867 ganz mit Preußen [* 10] verschmolzen.
Nach der Konvention vom 28. Juni d. J. wurde aus dem Kontingent von Anhalt das anhaltische Infanterieregiment Nr. 93 gebildet, welches die preußische Normalstärke (pro Bataillon 532 Mann mit 18 Offizieren im Frieden und 1034 Mann mit 22 Offizieren im Krieg) erhielt und der 7. Division des 4. Armeekorps zugeteilt ist. Das Landeswappen (s. Tafel »Wappen«) [* 11] ist ein zweimal gespaltener und dreimal quergeteilter Schild [* 12] und enthält somit zwölf Felder, von denen das zweite der zweiten Reihe das anhaltische Stammwappen bildet.
Dasselbe ist gespalten und enthält in der vordere silbernen Hälfte einen aus der Teilungslinie hervorgehenden halben roten Adler [* 13] (Brandenburg), [* 14] die hintere Hälfte des Mittelschilds ist von Schwarz und Gold [* 15] zehnmal quergestreift mit einem schrägrechts darüber gezogenen grünen Rautenkranz [* 16] (Sachsen). [* 17] Die Landesfarben sind Rot, Grün und Weiß (gewöhnlich aber nur Grün und Weiß); die Militärkokarden nur grün. Als einziger Orden [* 18] besteht der Orden Albrechts des Bären, gestiftet (s. Tafel »Orden«). Hauptstadt des Herzogtums ist Dessau.
Geschichte.
Das Herzogtum Anhalt, dessen Bevölkerung [* 19] im Westen der Saale deutscher, im Osten dieses Flusses dagegen slawischer Herkunft ist, bildete seit den Zeiten Karls d. Gr. einen Bestandteil des fränkischen, später ostfränkischen Reichs. Es war in mehrere Gaue, wie Schwabengau, Nordthüringer Gau, eingeteilt und stand unter dem Befehl einer größern Zahl von Grafen. Das Christentum fand im westlichen Teil von Anhalt bald Eingang, nur bei der slawischen Bevölkerung im Osten behauptete sich bis zur Mitte des 12. Jahrh. das Heidentum.
Die erste umfassende Herrschaft hat in diesen Gegenden Markgraf Gero (s. d.), der Gründer des Stifts Gernrode, um die Mitte des 10. Jahrh. ausgeübt. Um 1020 wird als Abkömmling von dessen Schwester Hidda Graf Esiko von Ballenstedt, der Ahnherr des spätern anhaltischen Fürstenhauses und der Askanier, genannt. Er hatte von seiner Mutter sehr ansehnliche Allodien zwischen der Elbe und Saale ererbt. Sein Enkel Otto nannte sich zuerst Graf von Askanien und besaß außer seinen Stammbesitzungen, Ballenstedt und Aschersleben, [* 20] als Erbteil seiner Gemahlin Eilike, der jüngern Tochter des Herzogs Magnus von Sachsen, mit welchem der Mannesstamm der Billunger 1106 erlosch, einen Teil der Allodialgüter dieses Hauses.
Ottos Sohn Albrecht der Bär (1123-70), der erste Markgraf von Brandenburg, erweiterte seine anhaltischen Besitzungen durch Erwerbung des Plötzgaus und durch Unterwerfung der am rechten Elbufer im Zerbstischen wohnenden Slawen. Erbe dieser Gebiete war sein Sohn Bernhard (1170-1212, s. Bernhard 1), der, mit einem Teil der Heinrich dem Löwen [* 21] 1180 entzogenen Reichslehen bedacht, sich Herzog von Sachsen nannte. Seine Länder wurden unter seine Söhne so geteilt, daß der ältere, Heinrich, Aschersleben und die anhaltischen Besitzungen, der jüngere, Albrecht, Sachsen und Lauenburg [* 22] erhielt. Mit jenem, Heinrich I. (1212-1251), beginnt die eigentliche Geschichte Anhalts als eines selbständigen, reichsunmittelbaren Territoriums. Heinrich hinterließ 1251 sieben Söhne, von denen vier in den geistlichen Stand traten, die andern drei sich aber in die väterlichen Lande teilten, wodurch Heinrich II. Aschersleben und den Harz, Bernhard I. Bernburg und Ballenstedt, Siegfried I. ¶
mehr
Dessau, Köthen, Koswig und Roßlau erhielt. Es entstanden so die Ascherslebensche, die ältere Bernburger und die ältere Zerbster Linie. Die Ascherslebensche Linie erlosch schon 1315 mit Otto II., dem Enkel Heinrichs I., und ihre Besitzungen fielen an die Bernburger Linie, deren Gründer Bernhard I. (1252-86) sich Graf von Anhalt nannte. Sein Sohn Bernhard II. (1286-1318) erlangte eine Erweiterung seines Besitzes durch die Ascherslebensche Erbschaft, von der er den Titel eines Grafen von Askanien und Fürsten in Anhalt annahm, obwohl sein Bruder Albrecht, Bischof von Halberstadt, [* 24] Ansprüche auf Aschersleben erhob.
Die Streitigkeiten darüber dauerten unter Bernhard III. (1318-48) fort und führten sogar 1324 und 1340 zu Fehden, die das Bistum im faktischen Besitz von Aschersleben ließen. Nach Bernhard IV. (1348-54) und Heinrich IV. (1354-74) regierte Bernhard V. mit seinem Oheim Otto III. und später mit dessen Sohn Otto IV. gemeinschaftlich (1374-1410). Der letzte Fürst aus der Linie, Bernhard VI., versuchte 1439 vergebens, Aschersleben wiederzuerobern, u. starb 1468 kinderlos.
Die Zerbster Linie, von Siegfried I. (1251-1290 oder 1298) gestiftet, besaß anfangs Zerbst, Koswig, Dessau und einen Teil von Köthen. Unter Siegfrieds Sohn und Nachfolger Albrecht I. (1298-1316) wurde die Stadt Zerbst erworben. Albrechts Söhne Albrecht II. (1316-62) und Waldemar I. (1316-62) erhoben 1320 vergeblich Ansprüche auf die Mark Brandenburg. Johann I., Albrechts Sohn (1367-82), erwarb für Anhalt durch ein Darlehen 1370 die Grafschaft Lindau. [* 25] Seine drei Söhne regierten zunächst gemeinschaftlich.
Als Waldemar III. 1391 starb, teilten die beiden andern 1396 nochmals ihre Besitzungen, so daß jetzt aus der alten Zerbster Linie zwei neue entstanden. Der Stifter der einen, der Albrechtschen Linie, war Albrecht III. (1396 bis 1423), Johanns I. zweiter Sohn, unter dessen Regierung der bis 1407 von allen anhaltischen Fürsten geführte Krieg mit dem Erzbischof Günther von Magdeburg [* 26] die schönsten Landesteile von Köthen bis Dessau zur Wüste machte. Albrechts Söhne Waldemar V. (gest. 1435), Adolf I. (gest. 1473) und Albrecht IV. (gest. 1475), welche seit 1424 gemeinschaftlich regierten, gerieten in Händel mit ihrem Vetter, dem Fürsten Georg von Dessau, und der Stadt Zerbst. Kurfürst Friedrich I. von Brandenburg als Schiedsrichter brachte einen Vergleich zu stande, in welchem Zerbst sein Vorrecht, stets dem Ältesten der Linie anzugehören, verlor. Adolfs Söhne Magnus I. und Adolf V. regierten ebenfalls gemeinschaftlich. Im J. 1508 überließen beide Brüder ihre Gebiete der andern Zerbster Linie und traten in den geistlichen Stand.
Die jetzt den Anteil der alten Zerbster Linie wieder ganz besitzende Siegmundsche war 1396 von Siegmund I. (1396-1405), dem ältesten Sohn Johanns I., gestiftet worden. Von Siegmunds Söhnen erlangte Georg I., der allein das Geschlecht fortsetzte, die Regierung über Köthen und Dessau, welche Besitzungen er nach dem Vergleich von 1413 mit Albrecht III. statt des Zerbster Teils übernehmen mußte. Vergebens erhob er mit seinen Brüdern und dem Herzog von Lauenburg Ansprüche auf Sachsen, wo 1422 der letzte askanische Kurfürst, Albrecht III., gestorben war.
Die Streitigkeiten Georgs mit seinen Vettern von Zerbst wurden 1460 durch einen Vergleich geschlichtet, nach welchem unter anderm auch die bernburgischen Länder an Siegmunds Nachkommen fallen sollten, was 1468 mit dem Ableben Bernhards VI. von Bernburg wirklich eintrat. Georg nahm 1473 eine neue Teilung seiner Länder zwischen seinen Söhnen Waldemar VI. und Ernst I. vor, wodurch jener Köthen, Harzgerode, Sandersleben, Freileben, Hecklingen, dieser (Stifter der Ernestinischen oder ältern Dessauer Linie) Dessau und andre Orte erhielt.
Die Harzer etc. Bergwerke, Plötzkau und einiges andre blieben gemeinschaftlich. Waldemar VI. (1473-1508), welcher so der Stifter der nach ihm benannten Waldemarschen oder ältern Köthenschen Linie wurde, erhielt 1498 Bernburg und hob den Bergbau [* 27] im Harz. Er starb 1508 zu Köthen. Sein Sohn Wolfgang (1508-62, s. d.) vermehrte seinen Länderbesitz 1508, nach Abdankung der Zerbster Fürsten, durch Dornburg, Koswig und andre zerbstische Orte, 1525 durch das Stift Ballenstedt, 1526 durch das Stift Mehringen.
Da er als eifriger Freund und Beförderer der Reformation, die er 1522 in seinem Land einführte, den Zorn des Kaisers auf sich gezogen hatte, so wurden nach der unglücklichen Schlacht bei Mühlberg 1547 Bernburg und Köthen von den Kaiserlichen besetzt und das ganze Land Wolfgangs, der in die Acht erklärt worden war, dem kaiserlichen Höfling Siegmund von Ladrona gegeben, der es an Heinrich von Reuß, [* 28] Burggrafen zu Meißen, [* 29] für 32,000 Thlr. verkaufte. Für diese Summe löste es Wolfgang 1552 nach dem Passauer Vertrag wieder ein. Wolfgang überließ, da er keine Kinder hatte, sein Land 1562 der von allen anhaltischen Linien allein noch bestehenden Dessauischen, die 1473 mit Ernst I. ihren Anfang genommen hatte.
Ernst I. (1473-1516), im Besitz der oben erwähnten Länder, erwarb sich um die Kultur derselben sowie um die Stadt Dessau große Verdienste. Seine drei Söhne regierten anfangs gemeinschaftlich und erhielten nach dem Aussterben der von Albrecht III. gestifteten Zerbster Linie in einem Vergleich 1542 mit dem Fürsten Wolfgang von der Köthenschen Linie die Stadt Zerbst und die Hälfte des Zerbster Landes sowie 1546 Harzgerode und Günthersberge nebst dem Harzteil.
Sie führten 1533 in ihrem Lande die Reformation ein, traten 1536 zu dem Schmalkaldischen Bund, nahmen aber an dem Krieg keinen thätigen Anteil. Im J. 1546 teilten sie, wobei Johann II. Zerbst mit den auf dem rechten Elbufer liegenden Gebieten, Georg III. Plötzkau, Warmsdorf, Güsten und den Harzdistrikt, Joachim I. Dessau, Raguhn, Lippehne, Jeßnitz, Wörlitz und Zubehör erhielt. Da Georg III. 1553 und Joachim I., Luthers und Melanchthons Freund, 1561 unvermählt starben, so fielen ihre Länder an die Söhne Johanns IV. welcher bereits 1551 gestorben war.
Von diesen starb Karl I. schon 1561, seine Brüder Bernhard VII., ein Pate Luthers, und Joachim II. Ernst erbten daher Karls und Joachims I. Länder und beherrschten seit 1562, nach Wolfgangs Abdankung, ganz Anhalt. Da Bernhard 1570 kinderlos starb, so fiel das ganze Land an Joachim II. Ernst (1570-86), welcher 1572 die mit Zuziehung der Stände verfaßte Anhaltische Landesordnung erließ. Nach ihm regierten seine Söhne 17 Jahre gemeinschaftlich. Die wichtigste Begebenheit dieser Zeit war die Einführung der reformierten Lehre [* 30] (1596), wozu die Streitigkeiten wegen der Konkordienformel die erste Veranlassung gaben. Am vereinigten sich die Fürsten über eine Teilung des Landes, wodurch Johann Georg I. Dessau, Christian I. Bernburg, Rudolf Zerbst, Ludwig Köthen erhielt. Ein fünfter Bruder, August, ward mit Geld abgefunden, bekam aber später ¶