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Land das mit dem politischen Absolutismus verbundene Prälatentum in Willkür und Despotismus ausartete und durch ein ausgebildetes Zeremonienwesen Anstoß gab, rief der Versuch, die bischöfliche Kirche in Schottland einzuführen, dort 1637 eine Empörung hervor. Auch in England wurde 1643 der Presbyterianismus zur herrschenden Kirche bis zur Wiederherstellung der Staatskirche durch die neue Uniformitätsakte von 1662 (s. Dissenters).
Die innere Verfassung der anglikanischen Kirche ist eine rein hierarchische. Die Geistlichkeit besteht aus Bischöfen, Priestern und Diakonen (deacons). Unter den beiden Erzbischöfen von Canterbury (Primas von ganz England und Metropolit) und von York (Primas von England) stehen 31 Bischöfe, von denen indes nur 26 im Herrenhaus Sitz und Stimme haben. Jedem Bischof steht ein Kapitel (chapter) zur Seite, zu welchem außer dem Dekan (dean) auch noch Chorherren (canons), Domherren (prebendaries), Archidiakonen (archdeacons) und andre Würdenträger einschließlich eines rechtsgelehrten Vicar gehören.
Die Bischöfe, die meisten Dekane und viele der andern Würdenträger werden von der Krone ernannt. Die Bischöfe beziehen einen Gehalt von 2000-15,000 Pfd. Sterl. jährlich, die Dekane durchschnittlich 715 (350-1250) Pfd. Sterl. Die Pfarreien (benefices, livings) werden von Patronatsherren besetzt. Dieses Besetzungsrecht (advowson) wird in den meisten Fällen von Privatpersonen ausgeübt, doch wird der Kandidat nur dann vom Bischof in sein Amt eingeführt, wenn er die nötige Qualifikation besitzt.
Die Pfründner (incumbents) sind entweder rectors, wenn sie im Vollgenuß des Zehnten und des Ertrags des Pfarrlandes (glebe) stehen, Vicars, wenn sie nur den »kleinen« Zehnten beziehen, oder perpetual curates, die in dotierten Filialkirchen den Dienst versehen. In größern Gemeinden wird der Pfarrherr durch Hilfsgeistliche (stipendiary curates) unterstützt. Die Gesetzgebung sorgt dafür, daß die Pfründner wenigstens einen Teil des Jahrs selbst den Gottesdienst versehen.
Auch die früher übliche Vereinigung von vielen Pfründen in einer Hand [* 2] (plurality) ist eingeschränkt worden. Daß indes bei obwaltenden Verhältnissen das Recht der Besetzung (noch bei Lebzeiten eines Pfründners) an den Meistbietenden versteigert werden kann, und daß viele reichdotierte Pfarreien als Ausstattung in den Besitz der jüngern Söhne der großen Gutsherren und der bischöflichen Verwandten gelangen, ist wohl selbstverständlich. Die sämtlichen 13,728 Pfründen haben einen Jahreswert von 4,525,395 Pfd. Sterl. Das Besetzungsrecht üben in 960 Fällen die Krone, in 3465 Fällen die Bischöfe und ihr Kapitel, in 882 Fällen die Universitäten und die Kollegien von Eton und Winchester und in 8521 Fällen Privatpersonen oder Korporationen von Laien aus. Den Bischöfen liegt die gesamte innere Verwaltung der Kirche ob, auch stehen ihnen die Disziplin und die Gerichtsbarkeit zu. Jedes der beiden Erzbistümer hat sein House of Convocation, in welchem die Bischöfe, die Dekane und Vertreter der Kapitel und niedern Geistlichkeit (proctors) Sitz und Stimme haben. Das Laienelement ist ausgeschlossen. Für Bildung der Geistlichkeit sorgen außer den Universitäten noch 18 theologische Seminare.
Man schätzt die Gesamteinnahme der anglikanischen Kirche auf 8 Mill. Pfd. Sterl. Dieselbe entspringt dem Zehnten (wobei zu bemerken, daß ein großer Teil des Landes zehntfrei ist), liegenden Gütern, angelegtem Kapital, Stolgebühren, Kirchstuhlmieten und freiwilligen Gaben. Die Kirchensteuer (church rate) ist seit 1868 abgeschafft. Die Dotierung der Bischöfe und Kapitel wird durch eine 1842 ernannte Ecclesiastical Commission verwaltet, in welcher neben den Bischöfen noch 5 Staatsminister, 3 Richter, 3 Dekane und 12 Laien Sitz und Stimme haben.
Der
Ertrag übersteigt 1 Mill. Pfd. Sterl., und die Überschüsse, die sich nach
Zahlung der vom
Parlament festgesetzten
Gehalte
etc. ergeben, werden für allgemeine Kirchenzwecke verwendet. Auch die
Annaten (first fruits) werden von der
Krone verwaltet
und dienen namentlich dazu, um als
Queen
Anne's Bounty (weil diese Bestimmung zur Zeit der
Königin
Anna
getroffen
wurde) die
Einnahmen gering dotierter
Pfründen zu erhöhen. Der
Zehnte ist seit 1836 in einen
Erbzins verwandelt worden,
dessen Betrag von sieben zu sieben
Jahren festgesetzt wird. Sehr bedeutend sind auch die freiwilligen
Beisteuern zu kirchlichen
Zwecken. So haben die 24
Gesellschaften für äußere
Mission eine Jahreseinnahme von über 500,000
Pfd. Sterl.
Der Gottesdienst ist durch das allgemeine Gebetbuch (s. Common Prayer Book) genau geregelt und zeichnet sich durch liturgischen Reichtum unter allen evangelischen Kulten aus. Die Predigt tritt hinter der Liturgie zurück. Dem Katholizismus nahestehend in Verfassung und Ritus, ist die in der anglikanische Kirchein der Lehre [* 3] durchaus protestantisch; denn die 39 Artikel, das eigentliche Glaubenssymbol, auf welches alle Geistlichen verpflichtet werden, stimmen zum Teil wörtlich mit den deutschen evangelischen, insbesondere reformierten, Bekenntnisschriften überein.
Die rein juristische formelle Anwendung der 39 Artikel bei der Bemessung der Lehrfreiheit der Geistlichen hindert aber nicht, daß auch in der anglikanischen Kirche die verschiedensten Richtungen sich geltend machen und der Streit zwischen diesen so weit geht, daß sie sich gegenseitig die Anerkennung verweigern. Man pflegt drei Parteien zu unterscheiden: Die hochkirchliche Partei (High Church party) hält vor allem an der Verfassung und dem allgemeinen Gebetbuch fest.
Aus ihr sind hervorgegangen die Puseyiten oder Traktarianer, auch Anglokatholiken oder Ritualisten genannt, welche, Pusey (s. d.) folgend, im Ritus und im Dogma sich sehr dem Katholizismus nähern und ihren Anhang vornehmlich in der vornehmen Welt haben. Die niederkirchliche Partei (Low Church oder Evangelical party) legt weniger Wert auf Ritus und Verfassung als auf thätiges Christentum in innerer und äußerer Mission. Aus dieser Partei ging die 1846 gestiftete Evangelische Allianz (s. d.) hervor.
In der
Partei der sogen. Breitkirchlichen
(Broad
Church party) ringt eine freiere, von deutscher
Wissenschaft angeregte
Theologie
nach kirchlicher
Anerkennung; zu ihr gehörten
Männer wie
Arnold,
Colenso, P.
Stanley.
Die a. K. beschränkt
sich als Staatskirche nur auf
England,
Wales und die
Insel Man; doch sind aus derselben mehrere Tochterkirchen hervorgegangen.
Die protestantisch-bischöfliche
Kirche von
Irland, 1800 mit der anglikanischen
Kirche als
United
Church of
England and Ireland
vereinigt, ist seit 1871 unabhängig und hat die 39
Artikel in wesentlichen
Punkten abgeändert. Sie steht
unter 12
Bischöfen und hat eine
Synode, in welcher neben den
Bischöfen und 208 Vertretern der
Geistlichkeit auch 416
Laien Sitz
und
Stimme haben. Die Episcopal
Church in Scotland sowohl als die American Episcopal
Church in
Amerika
[* 4] sind
gleichfalls Tochterkirchen, aber mit vollkommen selbständiger
Verwaltung. Dahingegen stehen die 60
Bischöfe in den
Kolonien, 12 sogen.
Missionsbischöfe in Heidenländern und etwa
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90 unabhängige Gemeinden im Ausland noch in einigem Zusammenhang mit der Mutterkirche, welche ihnen bedeutende Unterstützungen gewährt. Doch ist in keiner der Kolonien die anglikanische Kirche Staatskirche und betreffs ihrer Erhaltung fast lediglich auf die Beisteuer der Gemeindemitglieder angewiesen.
Vgl. Bailey, Jurisdiction and mission of
the Anglican episcopate (Oxf. 1871);
in historischer Beziehung namentlich G. Weber, Geschichte der Kirchenreformation in Großbritannien [* 6] (neue Ausg., Leipz. 1856, 2 Bde.);
Ranke, Englische [* 7] Geschichte im 16. und 17. Jahrhundert (4. Aufl., das. 1877 ff., 9 Bde.);
Maurenbrecher, England im Reformationszeitalter (Düsseld. 1866);
Weingarten, Die Revolutionskirchen Englands (Leipz. 1868);
Stoughton, Ecclesiastical history of
England (Lond. 1867-1874, 5 Bde.);
Gladstone, Ritualism and the Church of
England (1875);
Lee, The Church under Queen Elizabeth (1880, 2 Bde.);
Dixon, History of
the
Church of
England from the abolition of
the Roman jurisdiction (1878-80, 2 Bde.).