Angelsächsische Altertümer - Angelsächsische Sprache und Litteratur
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8. Jahrh. stammen. Der eigentliche Gesetzgeber der
Nation aber war
Alfred d. Gr. Seine noch vorhandenen
Gesetze, die sich an
jene ältern Sammlungen anschlossen, gelten für die Grundlage des sogen. gemeinen
Rechts
(common law). Unter den Nachfolgern
Alfreds zeichnete sich
Athelstan (gest. 941) als Gesetzgeber aus. Nach ihm wurde wenig mehr
für die
Gesetzgebung gethan, und in den folgenden
Kämpfen ging die bestehende
Ordnung größtenteils zu
Grunde. Erst
Knut stellte
die Einrichtungen
Alfreds wieder her, und später wird unter dem
NamenEduards des
Bekenners gewöhnlich die Gesamtheit der angelsächsischen
Gesetze zusammengefaßt.
Einen Fortschritt bewirkte das
Christentum. Die
Missionäre (meist italienische
Benediktiner) leiteten das
Volk auch zu einer edlern Befriedigung seiner leiblichen Bedürfnisse an. Sie lehrten die den
Gebrauch des
Pflugs, vervollkommten
die
Kunst des Fischfanges, ermunterten durch ihr
Beispiel zur
Urbarmachung der
Sümpfe und
Wälder etc. Auch zur
Veredelung der
Sitten trug die
christliche Kirche viel bei. Als ein vorzüglicher Wohlthäter seiner
Nation auch in dieser
Hinsicht steht
Alfred da, unter dem die allgemeine Gesittung sich bedeutend hob.
Sprache
[* 16] und Litteratur. Von der Mitte des 5. bis gegen Ende des 6. Jahrh. ergriffen Anwohner
der
Nordsee:
Jüten,
Sachsen,
Angeln,
Friesen, allmählich von dem größten Teil des heutigen
England und dem südlichen
Schottland
dauernd
Besitz. Die
Sprache dieser niederdeutschen
Stämme in ihrer neuen
Heimat bis in das 12. Jahrh. nennt man
die angelsächsische (jetzt häufig auch die altenglische), ohne Rücksicht auf die Verschiedenheit der
Mundarten; nur dem
Dialekt nördlich des
Humber gibt man gewöhnlich eine besondere Bezeichnung: Nordhumbrisch, was durch die Eigenartigkeit seiner
Laut- und Flexionsverhältnisse gerechtfertigt erscheint.
Etwa seit der Mitte des 9. Jahrh. gelangte durch die Übermacht des westsächsischen
Reichs die
Mundart seiner Bewohner zum
Rang einer Schriftsprache; in ihr sind die vorhandenen Litteraturdenkmäler zumeist abgefaßt.
Wie überall, so hat auch auf die
Sprache der
Angelsachsen und Nordhumbrier ihre Berührung mit andern Völkern einen namentlich
in Bezug auf die
Vermehrung des Wortvorrats nicht unbedeutenden Einfluß ausgeübt. Am wenigsten nachweisbar
ist dieser von der
Sprache der von den
Angelsachsen besiegten keltischen Briten, deutlicher von dem
Lateinischen, zumal nach
der Einführung des
Christentums, sowie von dem nahe verwandten
Altnordischen, der
Sprache der Norweger und
Dänen, die seit 787 beständig
Einfälle in
England machten und vorübergehend sogar (1016-42) die Oberherrschaft daselbst erlangten.
Vor Einführung des
Christentums bedienten sich die
Angelsachsen der
Runen
[* 17] als Schriftzeichen, später im allgemeinen des lateinischen
Alphabets;
nur für zwei
Laute (w und hartes th) sah man sich genötigt, die betreffenden Runenzeichen beizubehalten, und weiches
th bezeichnete man durch eine Modifikation des lateinischen
d (đ). Die
Konsonanten entsprechen im ganzen
den gotischen und neuenglischen. Der Vokalismus zeigt, wie das Neuenglische, eine
Menge von unreinen Mischlauten auf, wie
sie durch Trübung,
Brechung,
[* 18]
Umlaut und
Schwächung entstehen; so erscheint z. B. das gotische a als a, ae, o, ea,
e, i, y.
Gegen das
Gotische und
Althochdeutsche gehalten, erscheint die
Nominal- wie die Verbalflexion schon abgeschwächt,
aber im
Vergleich mit dem spätern
Englisch noch in reicher
Fülle und der syntaktischen Hilfsmittel wenig bedürftig.
Von der
Reduplikation haben sich noch deutliche
Spuren erhalten. Der angelsächsische Wortschatz ist bereits sehr bedeutend
und erfährt durch die Herausgabe von bisher ungedruckten Werken noch stets
Bereicherung. Infolge der
EroberungEnglands durch die
Normannen (1066) wurde das angelsächsische
Idiom auf die untern Volksschichten zurückgedrängt,
während die höhern
Kreise
[* 19] und die
Schule sich der
Sprache der Eroberer bedienten. Vgl.
Englische Sprache.
[* 20]
In früherer Zeit haben sich um das
Studium der angelsächsischen
Sprache unter andern die
Engländer Somner, Hickes und
Lye
Verdienste erworben; von dem
DänenRask erschien 1817 eine angelsächsische
Grammatik, eine englische Übersetzung derselben
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lieferte Thorpe (3. Aufl., Lond. 1879). Indessen hat auch auf diesem Gebiet
zuerst J. Grimm die Forschung in eine wissenschaftliche Bahn gelenkt. Im Anschluß an ihn wurde die angelsächsische Grammatik
behandelt von Heyne in seiner »Laut- und Flexionslehre der altgermanischen Sprachstämme«
[* 22] (3. Aufl., Paderb.
1880),
Unter den zahlreich auf uns gekommenen, zum Teil noch ungedruckten Resten der angelsächsischen Litteratur
stehen die Denkmäler der Poesie obenan; sie sind gesammelt von Grein in »Bibliothek der angelsächsischen Poesie« (Kass. 1857-58, 2 Bde.; 2. Aufl. 1883 ff.).
Diese poetischen Denkmäler haben neben ihrem unschätzbaren sprachlichen und kulturhistorischen einen nicht unbedeutenden
ästhetischen Wert. Ihre metrische Form ist die auch bei den übrigen ältern deutschen Dialekten übliche:
zwei Halbverse einer wenigstens aus vier Hebungen bestehenden Langzeile sind durch die Allitteration gebunden.
Auf den Stil bezügliche Eigentümlichkeiten der angelsächsischen Poesie sind: häufige Ersetzung des Pronomens durch verschiedene
Substantiva;
die zu einem Wort gehörige Apposition ist von diesem durch andre Satzglieder getrennt;
Vorwegnahme
des Pronomens und eine oft erst viel später folgende Verdeutlichung desselben durch das betreffende Substantivum;
anstatt
des epischen Nacheinander sprungweise, Zusammengehöriges trennende Darstellung;
sinnliche Umschreibungen (z. B. statt »gehen
wir«: »macht euch auf, vorwärts zu tragen Waffen
[* 24] und Gewand«);
glänzende Schilderungen bei fast gänzlichem Mangel an
Gleichnissen.
Innigkeit des Gefühls und Weichheit der Empfindung bekunden sich überall, selbst in dem Volksepos, wenigstens
in seiner überlieferten Gestalt, eine Erscheinung, die wohl hauptsächlich dem Einfluß des Christentums zuzuschreiben ist.
Unter den epischen Dichtungen, die Stoffe aus der Volkssage behandeln, ist weitaus die wichtigste der »Beowulf« (s. d.); mit
einer Episode in demselben steht in Zusammenhang das Fragment »Der Überfall in Finsburg«. Erhalten sind
ferner noch zwei erst 1860 von G. Stephens aufgefundene Bruchstücke eines Epos, welches die Sage von Walter und Hildegunde behandelt:
»Finsburg und Waldere« (abgedruckt in Greins Separatausgabe des »Beowulf«, 1867),
und das sogen. »Wîdsîthlied« (Lied des
Vielgereisten),
»gleichsam ein versifizierter Katalog der deutschen Heldensage«. Hier seien angereiht ein mehr lyrisch gehaltenes
Siegeslied auf die Schlacht von Brunanburg (938) und ein längeres Bruchstück eines Gedichts auf den Tod des Aldermans Byrhtnoth,
der 991 im Kampf gegen die Dänen fiel. Es gibt mit der epischen Ausführlichkeit des »Beowulf« eine lebendige
Schilderung des Kampfes und bietet ein schönes Beispiel
dar für jenes von Tacitus hervorgehobene Verhältnis gegenseitiger
Treue und Ergebenheit, wie es bei den alten Deutschen zwischen Fürst und Gefolge bestand.
Der »Crist«, mit mehr lyrisch-didaktischem Charakter, hat die dreifache Ankunft Christi, die »Elene« die BekehrungKonstantins
und die Auffindung des heiligen Kreuzes in teilweise sehr lebendiger Schilderung zum Gegenstand. Ebenso wird auch die Bearbeitung
der Legenden von »Andreas«, »Guthlac« u. a.
dem Kynewulf beigelegt. Mehr lyrischer Natur ist die Bearbeitung der Sage von dem VogelPhönix, in anmutiger Sprache und mit herrlichen
Naturschilderungen. Unter den lyrischen Stücken sind die vorzüglichsten: die nur verstümmelt überlieferte Klage über eine
Burgruine und deren gefallene Bewohner;
der »Wanderer«, der, seit dem Tod seines Herrn ohne bleibende Stätte,
über die Mühseligkeiten des menschlichen Lebens jammert;
die »Klage der Frau«, die, von den Verwandten ihres Mannes verleumdet
und daraufhin von dem letztern verstoßen, ihr Leben einsam in einer Waldeshöhle vertrauert;
Didaktischer Natur ist unter andern das »Runenlied«,
das die Namen eines jeden dabeistehenden Runenzeichens poetisch beschreibt. Anziehend durch den Reiz der Sprache, treffliche
Schilderungen und dichterische Belebung der Natur, dabei von Wichtigkeit für die Kenntnis des alten deutschen
Lebens sind die »Rätsel« des Kynewulf. Als einziges Beispiel weltlicher Unterhaltungsprosa sei hier die Übersetzung der Geschichte
des »Apollonius von Tyrus« aus dem Lateinischen erwähnt. Alle genannten poetischen Stücke sind allitterierend übersetzt von
Grein (»Dichtungen der Angelsachsen«, Kass. 1858-59).
Unter den Schriftdenkmälern in Prosa sind die ältesten und neben der gleich zu nennenden Chronik wichtigsten
die Gesetze von dem kentischen König Äthelbyrht (560-616) an bis auf die in angelsächsischer Sprache publizierten Knuts.
Die ältesten Gesetzsammlungen bis auf König Alfred sind jedoch der Sprache nach nicht in ihrer ursprünglichen Form, sondern
in einer spätern Rezension erhalten (Ausgaben unter andern von Thorpe, »Laws and institutes of the Anglo-Saxon
kings«, Lond. 1840, und Schmid, »Gesetze der Angelsachsen«, 2. Aufl., Leipz. 1858, mit Übersetzung und
Glossar).
Die seit der Mitte des 8. Jahrh. in angelsächsischer Sprache reichlich vorhandenen Urkunden sind nebst den lateinischen gesammelt
in Kembles »Codex diplomaticus« (1838 ff., 6 Bde.)
und in Thorpes »Diplomatarium anglicanum« (1865). Die angelsächsische Chronik reicht von der InvasionCäsars
bis auf 1154; die Einträge der Zeit vor Alfred sind jedoch zumeist erst unter dessen Regierung zugefügt (beste Ausgabe mit
Übersetzung von Thorpe, 1861, 2 Bde.; die von
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