mehr
Naturalien. Kriegsdienstpflichtig sind alle Männer zwischen 18 und 60 Jahren; sie werden so häufig einberufen, daß hauptsächlich deshalb die Feldarbeit den Frauen zur Last fällt. Die präsente Mannschaft dient jedoch nicht bloß als Soldaten, sondern wird zu den mannigfachsten Staatsverrichtungen verwendet, zu Bauten, als Schiffer, Diener der höhern Beamten etc. Als Soldaten taugen die Anamiten sehr wenig, als Schützen gar nichts. Das Heer zählt nominell 150,000 Mann und besteht aus 6 Armeekorps von je 25,000 Mann, darunter ein Gardekorps; jedes Armeekorps hat 5 Regimenter von 12 Kompanien. Die Flotte zählt 7 Korvetten, 300 große und kleine Dschonken, 1 alten Dampfer und einige 1876 von Frankreich überlassene Schiffe. [* 2] Reichshauptstadt und Hauptort von Kochinchina ist Fu-Thua-Thien oder Huë (s. d.).
Geschichtliches.
Tongking [* 3] und Kochinchina wurden 214 v. Chr. von dem chinesischen Fürsten Tsinschihoangti erobert und mit chinesischen Kolonisten besetzt. Von Indien ist über Ceylon [* 4] der Buddhismus ins Land gekommen. Um 263 n. Chr. empörte sich einer der Großen in Kochinchina und bildete dann vorübergehend ein selbständiges eignes Reich. Tongking riß sich 939 von China [* 5] los, ward dann eine Beute einheimischer Großen, welche den Titel Kung Vang (»Könige zweiten Ranges«) führten und von China als solche anerkannt wurden, und verfiel in Anarchie.
Die drei abenteuerlichen Feldzüge (1280-87) des Mongolenkaisers Kublai Chan gegen Tongking endeten mit einem für dieses günstigen Frieden. Im J. 1403 begann der Krieg, der 1428 mit Erringung der Unabhängigkeit Anams von China endete, obschon letzteres seine wenn auch nur nominelle Oberherrschaft aufrecht erhielt. 1517 kamen die Portugiesen ins Land, später errichteten die Holländer eine Handelsniederlassung in der Hauptstadt Hanoi. Tongking ward Hauptmacht; Kochinchina bekam einheimische Unterkönige aus der Familie Nguyên (seit 1579), welche in Huë residierten, litt aber sehr unter dem Druck der tongkingesischen Herrscher.
In der ersten Hälfte des 17. Jahrh. machten sich die Nguyên unabhängig. König Ghialung, 1777 durch die Taysonsrebellion vertrieben, setzte sich auf der Insel Phucuoy fest und schloß zu Versailles [* 6] ein Schutz- und Trutzbündnis mit Frankreich, welches ihm gegen Abtretung der Halbinsel Turon und zweier benachbarter kleiner Inseln 20 Schiffe, 5 Regimenter, ½ Mill. span. Thlr. Kriegsbedarf etc. zusagte. Im J. 1789 kam der Bischof von Adran als Bevollmächtigter Ludwigs XVI. mit einem französischen Geschwader in Kochinchina an und verhalf in dem danach beginnenden Krieg um die Thronfolge (1792-99) seinem Schützling zum Sieg.
Dieser ließ sich darauf als Kaiser von Anam ausrufen und vereinigte Tongking und Kochinchina in einer Hand. [* 7] Unter seinem Nachfolger Minhmang und dessen Sohn Thieoutri (1841) begann, durch die politischen Umtriebe der zahlreichen französischen und spanischen Missionäre mißtrauisch gemacht, eine blutige Verfolgung der Christen. Eine im April 1847 vor Turon erschienene französische Flotte erreichte keine Duldung der Andersgläubigen, worauf die anamitische Flotte vernichtet wurde; aber nach ihrem Abzug ordnete der inzwischen auf den Thron [* 8] gelangte Tüdüc (»tugendhafte Vergangenheit«) eine neue Christenverfolgung an, die sich 1851 wiederholte. Im September 1856 sandte Frankreich ein amtliches Schreiben an den Kaiser; da die Mandarinen dies anzunehmen sich weigerten, landeten die Truppen und erstürmten die Citadelle von Turon, zogen aber wieder ab. Als die Anamiten die angeknüpften Unterhandlungen hinauszogen, beschloß die französische Regierung im Einvernehmen mit der spanischen eine Expedition nach Kochinchina, und Ende August 1858 erschien ein spanisch-französisches Geschwader unter Rigault de Genouilly vor Turon, das 1. Sept. im Sturm erobert ward. Im Februar 1859 fiel auch Saigon. Im Februar 1861 wurde das befestigte Lager [* 9] der Anamiten in der Nähe von Saigon gesprengt, und damit fiel die ganze Provinz Saigon den Franzosen zu. Vom Dezember 1861 bis März 1862 wurden weitere Provinzen besetzt und der Kaiser dadurch zur Annahme des Vertrags von Saigon oder Huë bewogen, durch welchen die Eroberungen an Frankreich abgetreten wurden.
Letztere wurden darauf als »Cochinchine française« nach französischem Muster organisiert und 1867 die frühern Erwerbungen durch Vertrag noch bedeutend erweitert. Man hatte bisher in dem Glauben gehandelt, daß der Mekhong eine bequeme Verkehrsader nach dem Innern des östlichen Hinterindien [* 10] sei. Man fand aber bald heraus, daß Stromschnellen bereits kurz jenseit Kambodscha die Schiffahrt unmöglich machen; nun richtete man die Blicke nach der Nordprovinz Anams, nach Tongking. Ein unternehmender Abenteurer, Dupuis, fuhr 1870 den Songka hinauf bis Jünnan und ging dann nach Frankreich, die Hilfe der Regierung nachzusuchen, die aber durch den Krieg mit Deutschland [* 11] verhindert wurde, ihn zu unterstützen. Erst 1873 segelte Dupuis mit Soldtruppen und 100 französischen Soldaten den Songka hinauf und nahm die Befestigungen von Hanoi. Darauf kam ein Handelsvertrag (ratifiziert zwischen Frankreich und Anam zu stande, wonach den Franzosen das Recht zuerkannt wurde, das Mündungsgebiet des Songka in ihre Gewalt zu bringen und von Piraten zu säubern. Zu diesem Zweck wurde im März 1882 der Major Rivière abgesandt, welcher sich der Citadelle Hanois bemächtigte, aber nun von den gelben und schwarzen Flaggen, [* 12] chinesischen Kriegerbanden, Resten der Taipingrebellen, welche über die chinesische Südgrenze gedrängt worden waren, eingeschlossen wurde.
Zugleich erhob China Protest gegen Frankreichs Vorgehen und ließ, als es vom Kaiser von Anam, Tüdüc, um Schutz angerufen wurde, 10,000 Mann in Tongking einrücken. Einem durch den Gesandten Bourrée am Hofe von Peking [* 13] vereinbarten Ausgleich, wonach Frankreich auf die Okkupation der erzreichen Gebirgslandschaften von Tongking verzichtet haben würde, konnte Frankreich nicht zustimmen; doch entschied man sich auch nicht für energische Maßregeln, bis in Paris [* 14] die Kunde von dem Fall Rivières anlangte, der inzwischen die Citadelle von Namdinh erstürmt und dem Feind mehrere Niederlagen beigebracht hatte.
Jetzt wurde General Bouet mit dem Oberbefehl über die sofort abgesandten Verstärkungen betraut und an Stelle des abberufenen Bourrée Tricou mit kategorischen Forderungen nach China abgeschickt, welche indes von der dortigen Regierung abgelehnt wurden. Inzwischen starb Tüdüc ihm folgte sein Neffe Dücdüc unter dem Namen Phüdak, der aber auf Betrieb der katholischen Bischöfe schon nach zwei Tagen vom Triendinh (Hof [* 15] der Zensoren) abgesetzt wurde, worauf der franzosenfreundliche Hiephoa (»Eintracht und Friede«) den Thron einnahm. Nun begab sich Admiral Courbet mit einem Geschwader nach Huë, dessen Uferforts er zerstörte, wobei an 1200 Anamiten niedergeschossen wurden. Es kam 25. Aug. zu einem Vertrag, in welchem Anam die Schutzherrschaft Frankreichs mit allen Konsequenzen anerkannte, so daß Frankreich die Beziehungen der ¶
mehr
anamitischen Regierung zu allen auswärtigen Regierungen, China eingeschlossen, zu leiten hatte und in Tongking völlig freie Hand bekam. Hier wurde nun schnell ein fester Platz nach dem andern genommen; Haidzuong, Sontai und Bacninh wurden mit geringen Verlusten erobert, und damit war der Besitz des Delta [* 17] des Roten Flusses gesichert, ohne daß sich die französische Regierung in ihren Maßnahmen durch die Proteste und Vorschläge des chinesischen Gesandten Marquis Tseng hätte stören lassen.
Auch der Thronwechsel in Anam änderte nichts an Frankreichs Stellung. Der Nachfolger Hiephoas, der sich vergiften mußte, sein 15jähriger Neffe Kienphüc, blieb dem Vertrag treu; für Ausschreitungen gegen christliche Anamiten mußte ein Prinz mit dem Tod büßen. Auch Kienphüc wurde beseitigt. Der neue Kaiser wurde 3. Aug. gekrönt, nachdem er den Vertrag mit Frankreich feierlich beschworen hatte. Die Citadelle der Hauptstadt wurde den Franzosen für immer eingeräumt.
Weiteres s. Tongking.
Vgl. Benfey, Indien (in Ersch' und Grubers »Encyklopädie«);
Aubaret, Code annamite (Par. 1864);
Bastian, Die Völker des östlichen Asien, [* 18] Bd. 1. (Leipz. 1866);
Scherzer, Berichte über die österreichisch-ungarische Mission nach Siam etc. (Stuttg. 1872);
Bouillevaux, L'Annam et le Cambodge (Par. 1875);
Luro, Le [* 19] pays d'Annam (das. 1877);
Dutreuil de Rhins, Le royaume d'Annam (das. 1879);
Hellwald, Hinterindische Länder und Völker (2. Aufl., Leipz. 1880);
Devéria, Histoire des relations de la Chine avec Annam (Par. 1880);
Lemire, Cochinchine française (3. Aufl., das. 1884);
Launay, Histoire ancienne et moderne d'Annam (das. 1884).