Letztere werden bei den meisten
Stämmen durch die Gjobars ersetzt, welche das Strafgeld (Gjobe, in Vieh entrichtet) bei
Verurteilungen
einzuziehen haben; sie werden aus den tapfersten und kühnsten Leuten erwählt. Nach ihnen folgen die
Dovrans oder
Bürgen, die dem
Wali für das gute Verhalten des
Stammes haften müssen.
Alle diese Würdenträger gehören zu
den Plektje,
Ältesten, welche den
Rat (Pletschenia) bilden und über alle
Dinge von nicht allgemeiner Wichtigkeit entscheiden.
Übrigens liegen die
»Ältesten«, weil deren
Würde erblich, oft noch in den Windeln. Barjaktars und
Woiwoden
sind im allgemeinen mit der
Regierung betraut, doch dürfen sie keine Neuerungen einführen und müssen sich nach dem alten
Herkommen (Adet) richten. Angelegenheiten, die das
Wohl des ganzen
Stammes betreffen:
Entscheidung über
Krieg und
Frieden,
Erlaß
oder Aufhebung eines
Gesetzes, Änderung alter
Gebräuche, können nur von der
Volksversammlung (Kuvent)
entschieden werden, zu der jedes
Haus einen Vertreter sendet.
Zwei solcher Versammlungen finden jährlich, im
Frühling und im
Herbste, statt, um über die Zeit zu entscheiden, wenn die
Herden ausgetrieben und wieder heimgeführt werden sollen.
Verletzungen des Herkommens werden mit
Geldstrafen
oder Viehkonfiskation gestraft. Von dem Erträgnis der
Strafen werden
Feste abgehalten. Privatstreitigkeiten schlichten gewählte
Schiedsrichter.
Diebstahl kommt nur zur Bestrafung, wenn er im Inland verübt wird; jener im
Ausland wird gebilligt, da
er den
Nationalwohlstand bereichert.
Während des Blutrachekriegs haben die feindlichen
Stämme jederzeit plötzliche
Angriffe zu befürchten.
Sieg und
Ruhm hängen
von der Zahl der Erschlagenen ab. Ist genug des
Bluts geflossen, und tritt
Abspannung ein, so vermittelt
der türkische
Gouverneur den
Frieden. In Mittelalbanien kam nach
Gopčević in den 50er
Jahren, wo die
Blutrache besonders stark
wütete, auf je zehn
Häuser ein Erschlagener, und in
Skutari allein lebten 500
vor derBlutrache dorthin
geflüchtete Albanesen.
In der
Familie ist der Mann der
Herr, dem alle Familienglieder unterthan sind. Das
Weib teilt oft in verwilderter
Weise die männliche
Thätigkeit, indem es mit in den Fehdekampf zieht und den
Gefallenen die
Köpfe abschneidet. Verlobung,
Hochzeit,
Ehe zeigen
noch viele
Spuren altbarbarischer
Gebräuche,
wie Brautkauf und Brautraub.
In den religiösen
Anschauungen
aller
Stämme, gleichviel welchem
Glauben sie huldigen, hat sich noch sehr viel
Heidnisches erhalten.
Das geräumige
Gehöft ist mit Schilfrohr umhegt und umfaßt
Wohnhaus
[* 3] und die Gebäude für Vieh und
Landwirtschaft.
Holz
[* 4] und
Lehm bilden das Baumaterial; der
Herd liegt auf dem Lehmboden;
Kamin und beweglicher Zimmerhausrat fehlen.
Decken dienen
statt der
Betten. Die
Dörfer sind klein und liegen zerstreut im
Gebirge. Bei aller Roheit ist ein naturwüchsiger alteinheimischer
Kunstsinn den Albanesen eigen. Sie singen (besonders in Dardanien) viel und gut; es gibt unter
ihnen Erzähler,
Sänger,
Spieler auf der
Mandoline; das
Volkslied ist in der
Regel elegisch.
Der
Tanz ist die Albanitika, verwandt der griechischen Rhomaika.
Sprache
[* 8] und Litteratur. Die albanesische Sprache wird in einer großen Anzahl von
Mundarten gesprochen, welche sich am passendsten in die gegischen und die toskischen einteilen lassen. Im eigentlichen
Albanien bildet der
Fluß Schkumb die
Grenze zwischen beiden; die
Dialekte der im
KönigreichGriechenland
[* 9] und in
Italien
[* 10] lebenden
Albanesen tragen den toskischen
Charakter. Im allgemeinen sind die gegischen
Mundarten die altertümlichern,
wenn sie auch von türkischen
Lehnwörtern wimmeln; so haben sie z. B. das ältere n da bewahrt, wo die toskischen
es haben in r übergehen lassen.
Indessen auch die toskischen haben hier und da größere Altertümlichkeiten. Die albanesische Sprache hat 7
Vokale (a,
e,
o, i, u, ü und den unbestimmten
Vokal e), die alle auch lang und (besonders im Gegischen) nasaliert vorkommen, 4 Liquidä
(ein einfaches und ein stark gerolltes r, mouilliertes
l und einen dem polnischen l ähnlichen
Laut), 4
Nasale (gutturales n,
mouilliertes
n, n und m), 8 Explosivlaute
(k g, kj gj, t d,
p b) und 12
Spiranten (h, χ γ, j, š ž, s
z, θ δ, f v). Die Schreibung derselben ist bei dem Mangel einer Schriftsprache eine sehr schwankende; die
Tosken wenden
meist griechische, die Gegen lateinische
Buchstaben an; in der Druckerei der
Propaganda werden überdies einige besonders erfundene
Zeichen verwendet. Die albanesische Sprache ist zweifellos eine indogermanische. Verfehlt war der
Versuch von
FranzBopp (Ȇber
das Albanesische«, Berl. 1855),
es am nächsten an das
Sanskrit anzuschließen, ebenso der von Camarda (»Saggio di grammatologia
comparata sulla lingua albanese«,
Livorno
[* 11] 1864), es als eine Art urgriechischen
Dialekts zu erweisen. Es
scheint, daß das Lettoslawische den meisten Anspruch auf nähere
Verwandtschaft hat (vgl.
¶
mehr
G. Meyer, Die Stellung des Albanesischen im Kreis
[* 13] der indogermanischen Sprachen, in Bezzenbergers »Beiträgen zur Kunde der indogermanischen
Sprachen«, Bd. 8, S. 185 ff.).
Die Untersuchung des Albanesischen wird wesentlich erschwert durch die zahlreichen Lehnwörter, welche aus dem Latein, den
romanischen und slawischen Sprachen (die türkischen sind leicht erkennbar) eingedrungen sind; um ihre
Ausscheidung hat sich besonders Miklosich (»Albanische Forschungen«, Wien 1870-71, 3 Hefte) verdient gemacht.
Auch das Neugriechische hat beigesteuert, besonders in den toskischen Dialekten. Die Flexion ist stark degeneriert, doch ist
der arische Typus unverkennbar. Das Nomen kann einen nachgestellten Artikel annehmen, wie im Rumänischen und Bulgarischen, in
welche Sprachen diese Eigentümlichkeit vielleicht von dem Albanesischen eingedrungen ist. Das Verbum hat von einfachen Zeiten
ein PräsensIndikativ, Imperfekt, Perfekt (mit Aoristbedeutung), Optativ und Formen des Imperativs und Konjunktivs; das Futur wird
durch Umschreibung gebildet. Eine eigne Passivbildung existiert ebenfalls. Die Zahlwörter für 100 und 1000 sind lateinische
Lehnwörter, auch von den Einern ist vielleicht einer oder der andre entlehnt; alle sind aber sicher indogermanisch,
wenn auch stark entstellt.
Von Litteratur kann höchstens bei den AlbanesenItaliens
[* 14] die Rede sein, die, von italienischer Kultur angeregt, mehrfach versucht
haben, die Muttersprache dichterischer Produktion dienstbar zu machen. Berühmt, aber fast verschollen
ist das »Leben der JungfrauMaria« von Varibobba (Rom
[* 15] 1762); aus dem 19. Jahrh. ist vor allem zu nennen Gerolamo de Rada, der
als Dichter (»Poesie albanesi«, Corigliano-Calabro 1872-84) und als Sammler von Volksliedern (»Rapsodie di
un poema albanese«, Flor. 1866) der ruhmvollen Vergangenheit seines Volks sein Leben geweiht hat und seit
kurzem eine albanesische Zeitschrift: »Fiamuri Arberit« (»Die FahneAlbaniens«),
und G. Stier, Die Albanesen in Italien und ihre Litteratur (in der »Allgemeinen
Monatsschrift« 1853, S. 864 ff.).
Die römische Propaganda hat eine Anzahl Erbauungsschriften in den Skutariner Dialekt übersetzen lassen,
so schon 1664 Bellarmins »Dottrina cristiana« und zuletzt (1881)
die »Nachfolge Christi«. Aus dem eigentlichen Albanien, wo einige turkisierende Poeten, wie Nezim Bei, gewirkt haben, sind Volkslieder
und Märchen gesammelt worden in den Werken von Hahn, Dozon (der auch eine Übersetzung veröffentlicht hat: »Contes albanais«,
Par. 1881) und in der »Ἀλβανικὴ
μέλισσα« von Mitkos (Alex. 1878),