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allerdings den Ruhm lassen, daß die ersten Anfänge der Buchstabenschrift von ihnen ausgegangen sind und zwar nicht nur ihre phonetischen Hieroglyphen, sondern auch das vollkommnere System des begrenzten und festen und zum Gebrauch weit geeignetern semitischen Alphabets. Die Griechen haben ihr Alphabet von den Phönikern, das ursprüngliche semitische Alphabet aber hatte dasselbe Prinzip mit dem ägyptischen: es wurde nämlich ein Gegenstand abgebildet, dessen Name mit dem Buchstaben anfing, den man hinsetzen wollte;
aus diesen für den Gebrauch abgekürzten Bildern entstanden dann die alphabetischen Lautzeichen.
Die Ableitung der semitischen Buchstabenzeichen aus den entsprechenden hieroglyphischen hat E. de Rougé versucht (vgl. »Sur l'origine égyptienne de l'alphabet phénicien«, Par. 1874). Der Hauptmangel der hieroglyphischen Schrift, die aus Buchstaben, Silben- und Deutezeichen gemischt ist, ist die ungenügende Bezeichnung des Vokals, die indessen durch eine Fülle von sogen. Determinativen einigermaßen ausgeglichen wird (weiteres s. Hieroglyphen). Was die Litteratur anbetrifft, so ist sie zum allergrößten Teil religiöser Art. Der altägyptische Stil ist im allgemeinen weitschweifig und oft dunkel; selbst historische Inschriften umhüllen die Thatsachen mit abstrakten Ausdrücken und weitläufigen Formen. Am verständlichsten erscheinen uns ihre Märchen, deren manche in hieratischen Papyren erhalten sind. Auch für das didaktische Genre scheinen sie eine Vorliebe gehabt zu haben; in der Poesie haben sie sich nur durch Hymnen an die Götter ausgezeichnet.
Musik. Bildende Künste.
In der Tonkunst zeigten die alten Ägypter technische Fertigkeit in der großen Mannigfaltigkeit ihrer musikalischen Instrumente, den verschieden gestalteten Harfen, Lauten, Zithern, Flöten, Doppelflöten, Pfeifen, Tamburinen, Trommeln etc., die sich abgebildet finden; doch sind sie, wie alle orientalischen Völker, über einfache und einförmige Melodien gewiß nicht hinausgekommen.
Dagegen leisteten sie schon früh in der bildenden Kunst Großes. Namentlich tritt in der ägyptischen Baukunst [* 2] ein ungemein kräftiger, fester und ernster Charakter hervor, welcher in Verbindung mit kolossaler Größe auf den Beschauer einen überwältigenden Eindruck macht. Der ägyptische Tempel [* 3] ist nicht ein in sich abgeschlossenes Ganze, sondern besteht aus einzelnen Teilen, welche durch Anbauten willkürlich vermehrt werden konnten. Durch eine Sphinx- oder Widderallee und einige große, frei stehende Thore gelangt man zu einem höchst eigentümlichen Eingangsthor (Pylon genannt), mit welchem das Hauptgebäude beginnt.
Dieses Thor besteht aus zwei turmartigen Gebäuden, in deren Mitte sich eine Thür befindet; davor stehen Obelisken oder Kolosse oder auch beide. Dann folgt ein Vorhof mit Säulenreihen, aus dem man durch einen zweiten Pylon in eine von Mauern umgebene bedeckte Säulenhalle gelangt, die aber auch öfters schon nach dem ersten Pylon folgt und nie fehlt. Zuweilen ist diese Säulenhalle noch durch andre Säle von dem Allerheiligsten getrennt, welches immer eng und dunkel ist. Es war alles darauf berechnet, daß sich der Priester dem Allerheiligsten, das Volk den davor befindlichen heiligen Räumen allmählich fortschreitend nahten, durch die Eindrücke des Erhabenen und Gewaltigen, die sie hier empfingen, auf den Götterdienst, bei welchem die feierliche Prozession eine Hauptrolle spielte, genügend vorbereitet.
Auffallend aber ist es, daß gegenüber der Mannigfaltigkeit im Innern die äußern Mauern jeder Gliederung entbehren. Dort allenthalben die verschiedenartigsten Nachahmungen vegetativer Formen, besonders von Nilpflanzen, die sich indes meist auf zwei Hauptformen, die Frucht oder geschlossene Blüte [* 4] und den geöffneten Kelch, zurückführen lassen; hier die größte Einfachheit der Linien, welche die Einförmigkeit der Landschaft abspiegelt und nur durch Verzierungen mit Bildwerk und einen hellen Farbenanstrich, der sich zum Teil bis auf den heutigen Tag erhalten hat, gemildert wird.
Von ganz andrer Beschaffenheit sind die Pyramiden (s. d.), jene von Bruchsteinen erbauten Massen, die, auf meist quadratischer Basis sich erhebend und im Innern mit nur wenigen engen Gängen, oben in eine Spitze oder kleine Fläche endigen. Die größten und ältesten finden sich bekanntlich bei Memphis, wo sie, einige siebzig an der Zahl, in verschiedenen Gruppen auf Hochebenen der libyschen Bergkette stehen, die drei höchsten, welche den Königen Cheops, Chephren und Mencheres angehören, in der Gruppe von Gizeh.
Der Anblick der ungeheuern Steinmassen, welche hier in der Stille der Wüste zu Kirchturmshöhe aufgebaut sind, und die Erinnerung an das Volk, welches diese gewaltigen Anstrengungen gemacht hat, um seinen Namen durch Jahrtausende fortleben zu lassen, ergreifen den Beschauer mächtig. Was den lange Zeit rätselhaften Zweck dieser Riesenbauten angeht, so ist es nun nicht länger zweifelhaft, daß sie Grabdenkmäler der Könige waren, wofür außer den Überlieferungen des Altertums ihr Inneres spricht, da in allen, in welche man gedrungen, ein Sarkophag [* 5] gefunden ist, sowie ihr Standort mitten in der Totenstadt des alten Memphis unter der Menge andrer Gräber von der verschiedensten Form. Erst 1881 hat man fünf Pyramiden bei Sakkâra geöffnet, deren innere Kammern mit vielen Inschriften ausgestattet sind. Sie gehören Königen der 5. und 6. Dynastie an. (S. Artikel und Tafel III »Baukunst«.)
In inniger Verbindung mit der Baukunst standen Bildhauerei und Malerei bei den Ägyptern, und sie wuchsen sozusagen aus ihr hervor. Hinsichtlich der altägyptischen Kunst ist zunächst zu bemerken: Bewunderungswürdig ist die technische Geschicklichkeit der ägyptischen Bildhauer;
aus Granit, Porphyr und anderm Gestein der härtesten Art sind die Statuen mit meisterhafter Präzision gehauen, auf das sauberste ausgearbeitet und geglättet.
Sie weisen kräftige, im ganzen naturgemäß gestaltete Körperformen auf, nur die Sehnen und Muskeln [* 6] der Glieder [* 7] sind meist weniger richtig angegeben. Die Gesichtsform, welche zwischen der kaukasischen und negerartigen mitten inne steht, ist nicht unedel, der Gesichtsausdruck jedoch starr und meist streng typisch. Die Statuen in sitzender oder schreitender Stellung haben eine sich stets gleichbleibende steife Haltung; die dem Ägypter eigne ernste, feierliche Ruhe ging, auf die Kunst übertragen, ins Leblose über.
Doch hat sich dieser einförmige Typus erst allmählich herausgebildet; die älteste Skulptur zeigt große Lebendigkeit und überraschende Treue. Berühmt sind die polychromen Statuen des Paars aus Meidum, des Dorfschulzen und des Schreibers, im Louvre, welche der ältesten Epoche der ägyptischen Geschichte angehören. Auch die Reliefarbeiten in den ältesten memphitischen Gräbern sind in gleicher Hinsicht bewunderungswürdig. Die spätern erscheinen mangelhafter, da man nicht verstand, ¶
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die körperliche Ausdehnung [* 9] auf der Fläche naturgetreu darzustellen, sowie euch die Gemälde bloße farbige Silhouetten ohne Schatten [* 10] und Licht [* 11] sind und an seltsamen Zeichnungsfehlern leiden, die ebenfalls zum stehenden Typus wurden. Das meiste Leben zeigen noch die Darstellungen von Kriegsszenen, wo öfters sehr verwickelte Situationen gut zur Anschauung gebracht und namentlich auch die verschiedenen nationalen Gesichtszüge treu wiedergegeben sind. Auf andern Darstellungen, welche Szenen aus dem häuslichen und geselligen Leben behandeln, zeigt sich zuweilen ein Hang, durch einzelne spottende, humoristische Züge das Ganze mehr zu beleben.
Glücklicher und freier zeigt sich in Statuen und Reliefs die Gestalt der Tiere aufgefaßt und nachgebildet, natürlich, denn typische Einerleiheit herrscht bei den Tieren in Form und Bewegung vor. Die Götter wurden zum Teil mit Köpfen verschiedener Tiere, des Widders, des Sperbers, des Ibis, der Kuh, des Krokodils, im übrigen in Menschengestalt dargestellt; eine tiefere symbolische Bedeutung hat der Tierkopf in solchen Darstellungen nicht. Die Sphinxgestalten, Löwenleiber mit Menschenköpfen, welche mit der Uräusschlange vor der Stirn geschmückt zu sein pflegen, sind in der Regel Bildnisse von Königen und daher männlichen Geschlechts; man hat bei den Ägyptern nur wenige weibliche Sphinxe gefunden, welche Königinnen darstellen.
Eine Bezeichnung übermenschlicher Kraftfülle ist die kolossale Größe, hinsichtlich deren wir an das Riesenwerk der ägyptischen Skulptur, an die große Sphinx, [* 12] erinnern, welche am Fuß des Pyramidenhügels von Gizeh aus einem natürlichen Felsen gehauen, aber jetzt bis zur halben Höhe mit Sand bedeckt ist. Der Kopf, der einen menschlichen mehr als 30mal an Größe übertrifft, und ein Teil des Halses ragen 12,5 m hoch aus dem Sand hervor; der Löwenleib ist beinahe 28 m lang.
Der Charakter der ägyptischen Kunst ist im allgemeinen der monumentale, d. h. ihr Sinn und Zweck gehen hauptsächlich dahin, durch anschauliche Darstellung die Erinnerung an Thatsächliches festzuhalten und zu überliefern. Der höhere Zweck der Kunst, die sinnliche Erscheinung durch die schöne Darstellung zu veredeln, lag den altägyptischen Künstlern fern. Doch ist schon das künstlerische Geschick, welches sich in den erhaltenen Werken zeigt, als eine bedeutende Vorstufe für eine höhere Entwickelung der Kunst zu betrachten. (S. Artikel und Tafel I »Bildhauerkunst« [* 13] und Tafel »Ornamente [* 14] I«, [* 8] Fig. 6-15.)
Litteratur.
Altertum. Landeskunde. Unter den Werken über Ägypten [* 15] ist vor allen die durch die französische Expedition hervorgerufene »Déscription de l'égypte« zu nennen, welche (in der 2. Ausg. 1820-30) in 26 Bänden Text und 12 Bänden Kupfern das Altertum, den jetzigen Zustand und die Naturgeschichte des Landes behandelt. Hieran schließen sich in Bezug auf Altertumskunde die umfassenden Publikationen der französisch-toscanischen (die »Monumenti dell'Egitto e della Nubia« 3 Bde., von Rosellini, und die »Monuments de l'égypte«, 4 Bde., von Champollion) und der preußischen Expedition (die »Denkmäler aus Ägypten und Äthiopien« von Lepsius, Berl. 1849-1859, 12 Bde.) sowie die Bilderwerke von Gau, Young, Caillaud, Perring, auch die »Monuments égyptiens« des Leidener [* 16] ägyptischen Museums, herausgegeben von C. Leemans (Leid. 1839-76). Die ägyptische Altertumskunde behandelte am eingehendsten Wilkinson in »The manners and customs of the ancient Egyptians« (2. Aufl. von S. Birch, Lond. 1878, 3 Bde.) und in dem »Popular account« (2. Aufl., das. 1871).
Vgl. ferner Pierret, Dictionnaire d'archéologie égyptienne (Par. 1875);
über die ägyptische Kunst jeder Art Prisse d'Avennes, Histoire de l'art égyptien (das. 1878), und Perrot, Histoire de l'art dans l'antiquité, Bd. 1 (das. 1882; deutsch von Pietschmann, Leipz. 1883).
Der philologisch-historischen Durchforschung der ägyptischen Schriftdenkmäler hat sich seit der Entzifferung der Hieroglyphen durch Champollion die ganze ägyptologische Schule seiner Nachfolger gewidmet (s. Hieroglyphen). Eine Zeitschrift für ägyptische Sprache [* 17] und Altertumskunde, herausgegeben von Brugsch und Lepsius, erscheint seit 1863 in Leipzig; [* 18] ähnliche Fachzeitschriften erscheinen auch in Frankreich und England. Durch Ausgrabungen und Forschungen in Ägypten hat sich besonders Mariette verdient gemacht; in der Direktion des ägyptischen Museums zu Bulak bei Kairo [* 19] ist ihm G. Maspero gefolgt.
Außerdem sind zu nennen die Schriften von Perizonius, Zoega, E. Quatremère, Champollion-Figeac, Letronne, Prichard, Sharpe, Gliddon, Ideler, Ritter, Böckh, Beauregard u. a. sowie die Reisewerke von Pococke, Norden, [* 20] Niebuhr, Denon, Salt, Burckhardt, Belzoni, v. Minutoli, Ehrenberg, Parthey, Prokesch, Rüppell, Lepsius, Brugsch, Russegger, Scherer u. a. -
Die Naturgeschichte des Landes ist vornehmlich in den großen Werken von Ehrenberg und Rüppell und in einer kleinen Schrift Pruners (»Ägyptens Naturgeschichte und Anthropologie«, Münch. 1848) sowie von R. Hartmann (»Naturgeschichtliche Skizze der Nilländer«, Berl. 1866),
die geologischen Verhältnisse neuerdings von Fraas (»Aus dem Orient«, Stuttg. 1867) behandelt worden. - Über die heutigen Verhältnisse Ägyptens vgl. Lane, Manners and customs of the modern Egyptians (5. Aufl., Lond. 1871, 2 Bde.);
v. Kremer, Ägypten, Forschungen über Land und Volk (Leipz. 1862, 2 Bde.);
H. Stephan, Das heutige Ägypten, ein Abriß seiner physischen, politischen, wirtschaftlichen und Kulturzustände (das. 1872);
Lüttke, Ägyptens neue Zeit (das. 1873, 2 Bde.);
Klunzinger, Bilder aus Oberägypten (Stuttg. 1877);
Ebers, in Bild und Wort (das. 1880);
die Reisehandbücher von Meyer (Leipz. 1881) und Bädeker (das. 1877);
Amici, Essai de statistique générale de l'Égypte (Kairo 1879, 2 Bde.). - Die besten Karten sind außer dem großen Atlas [* 21] in der »Description de l'Égypte« von d'Anville, Jomard, Caillaud, Leake, Ritter, Rüppell, Arrowsmith, Russegger, Kiepert und Linant de Bellefonds.
Vgl. Jolowicz, Bibliotheca aegyptiaca, Repertorium über die bis 1857 in Bezug auf Ägypten erschienenen Schriften (Leipz. 1858, Supplement 1861).
Geschichte Ägyptens.
Ägyptens Bewohner sind das älteste geschichtliche Volk der Erde, und sie selbst hielten sich auch dafür, indem sie ihre Geschichte bis auf 8-10,000 Jahre zurückrechneten. Der Unvollständigkeit der Quellen der altägyptischen Geschichte und ihrer Widersprüche wegen lassen sich weder genaue Königslisten noch sichere chronologische Daten über die älteste Zeit feststellen. Das Werk, welches der heliopolitanische Oberpriester Manetho (s. d.) auf Befehl des Königs Ptolemäos Philadelphos über die Geschichte seines Volks in griechischer Sprache abfaßte, aus den alten Annalen und Geschichtsbüchern der Tempelarchive schöpfend, ist leider bis auf wenige ¶