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Lokalgott von This wäre, von wo die Gründung des alten Reichs von Memphis ausgegangen sein soll.
Im höchsten Grad seltsam und ohnegleichen ist aber der ägyptische Tierdienst. Einige Tierarten, Stier, Hund, Katze, Ibis, Storch und einige Fische, wurden allgemein, andre, wie Widder, Wolf, Löwe, Spitzmaus, Adler, Krokodil, Ichneumon, nur in einzelnen Bezirken verehrt; ja, manche, die hier angebetet wurden, waren dort ein Gegenstand des Abscheus. Wer ein heiliges Tier mit Vorsatz tötete, war des Todes schuldig; wenn es unvorsätzlich geschah, konnte er sich mit einer Geldstrafe lösen.
Wer aber eine Katze oder einen Ibis umbrachte, hatte jedenfalls das Leben verwirkt. Wenn jemand ein heiliges Tier tot erblickte, so blieb er in der Ferne stehen, schrie, wehklagte und beteuerte, daß er es tot gefunden habe. Noch Diodor erzählt, daß ein Römer, welcher eine Katze umgebracht hatte, die Todesstrafe erleiden mußte und zwar zu einer Zeit, da des Landes Schicksal in Roms Händen war. Bei einer Feuersbrunst, erzählt Herodot, trugen die Ägypter weit mehr Sorge für die Rettung der Katzen als für die Löschung des Brandes, und wenn eine Katze sich in die Flammen stürzte, wurde große Wehklage erhoben.
Starb in einem Haus eine Katze, so schoren sich alle Bewohner desselben die Augenbrauen ab; starb ein Hund, so schor man sich den ganzen Leib und den Kopf kahl. Man balsamierte die heiligen Tiere ein und setzte sie in eignen Gräbern bei. So gab es in Bubastis einen Katzenfriedhof, dessen Stätte man bei dem heutigen Zagâzîg noch deutlich wieder erkannt hat. Gewisse Tierindividuen hielt man auch in heiligen Höfen, badete, salbte, fütterte und schmückte sie mit großem Aufwand und hielt ihnen besondere Wärter, die in hohen Ehren standen.
Von dem Tierdienst scheint die Götterverehrung der Ägypter ausgegangen zu sein; einige blieben einzelnen Göttern heilig, so daß sie selbst mit ihnen wechseln, wie Sperber und Horos, Schakal und Anubis, Ibis und Thoth. So hat sich aus dem Fetischismus der Polytheismus entwickelt. Wenn die Göttergestalten teilweise aus Menschen- und Tierleib zusammengesetzt sind, so beruht das nur auf sogen. Hieroglyphismus. Der Gott wird durch diese Form erkennbar und benennbar; Götterdarstellungen sind aus der ältern Zeit bei den Ägyptern überhaupt nicht nachzuweisen.
Daß in dem Apis eigentlich Osiris verehrt wurde, sagen die Alten ausdrücklich; die Seele dieses Gottes sollte in dem Stier wohnen und nach dem Tode desselben in den Nachfolger übergehen. Diese Vorstellung hängt mit dem Glauben an Seelenwanderung zusammen, welcher einen uralten Zusammenhang zwischen Ägyptern und Indern vermuten läßt. Nach Herodot glaubten die Ägypter, die Seele des Menschen wandere nach dem Tode des Leibes durch alle Tiere des Landes und des Meers und durch alle Vögel und kehre nach 3000 Jahren in einen Menschenleib zurück.
Besser als über diesen Glauben werden wir durch die ägyptischen Schriften über das Totenreich, Amenthes oder Amente, belehrt, wo Osiris herrscht und die Toten richtet. Ein solches Gericht findet sich in Exemplaren des »Totenbuchs« öfters bildlich dargestellt: vor dem auf einem Thron sitzenden Osiris werden von dazu bestellten Göttern die Thaten des Hingeschiedenen, die durch das Symbol des Herzens bezeichnet werden, förmlich gewogen. Nach Diodor fand schon auf der Oberwelt ein solches Gericht statt, welches dem schlechten Wandels schuldig befundenen Verstorbenen eine feierliche Bestattung absprach und selbst über Könige aburteilte, denen das ein Antrieb zu gerechter Regierung gewesen sein soll.
Denn die Versagung feierlicher Bestattung mußte gerade in den größten Eindruck machen. Sorgfältigst balsamierte man die Leichname zu Mumien (s. d.) ein, um sie der Verwesung zu entziehen, legte sie dann in mitunter doppelte oder dreifache Särge von Sykomorenholz und diese zuweilen noch in Granitsarkophage, die mit Inschriften und Darstellungen versehen waren, und stellte sie so in den Grabkammern, bisweilen aufrecht, hin. Über die Vorstellungen von dem Leben nach dem Tod gibt das »Totenbuch« die beste Auskunft; es umfaßt alles, was dem Verstorbenen in der andern Welt zu wissen nötig war.
Noch ältere Vorstellungen enthalten die schwierigen Texte, welche man neuerdings in einigen Pyramiden gefunden hat.
Vgl. Pierret, Essai sur la mythologie égyptienne (Par. 1879);
Derselbe, Le Panthéon égyptien (das. 1881);
Lanzone, Mitologia egiziana (Tur. 1882);
Renouf, Vorlesungen über Ursprung und Entwickelung der Religion der alten Ägypter (a. d. Engl., Leipz. 1881);
Lieblein, Egyptian religion (Lond. 1884);
Brugsch, Religion und Mythologie der alten Ägypter (Leipz. 1884).
Zeitrechnung, Schrifttum.
Wie hiernach von den religiösen Lehren der Priester vieles dunkel bleibt, so haben wir auch über ihre wissenschaftlichen Kenntnisse bei dem Mangel einer Volkslitteratur keine größere Klarheit. Der Gott der geistigen Gaben und Leistungen war Thoth (Taut), der griechische Hermes, der Erfinder der Zahlen, der Rechenkunst, der Meß- und Sternkunde sowie der Buchstaben. Er soll zuerst Geometrie und Astronomie gelehrt haben, womit sich die ägyptischen Priester, durch die Natur des Landes veranlaßt, emsig beschäftigten; denn die jährlich wiederkehrende Nilanschwellung leitete auf Versuche sowohl in der Feldmeßkunst, um die Grenzmarken der Äcker festzustellen, als im Kalenderwesen, wozu Beobachtung der Gestirne notwendig ist.
Das Jahr der Ägypter bestand aus 12 dreißigtägigen Monaten und 5 Schalttagen. Es war demnach ein sogen. wanderndes Sonnenjahr, dessen Anfang, weil der fast einen Viertelstag betragende Unterschied zwischen seiner Dauer und der des wirklichen Erdumlaufs um die Sonne dabei übersehen wird, allmählich durch alle Jahreszeiten wandert. Mit dem julianischen Jahr von 365¼ Tagen verglichen, beträgt der Unterschied nach 1460 Jahren ein volles Jahr, so daß der Anfang des ägyptischen Jahrs nach diesem Zeitverlauf mit dem des julianischen wieder zusammenfällt.
Bestimmten Zeugnissen der Alten zufolge war den Ägyptern diese große Periode, die Hundsstern- oder Sothisperiode, bekannt, sie müssen also den Mehrbetrag von einem Vierteltag berechnet und gekannt haben. Über das Verhältnis des festen zu dem gebräuchlichen beweglichen Jahr sind eingehende Untersuchungen geführt worden, die aber vollständig gesicherte Ergebnisse noch nicht gehabt haben. Von einer weitern Entwickelung der seit uralter Zeit vorhandenen astronomischen Kenntnisse und Vorstellungen ist nichts zu finden. Die Ägypter blieben auf der einmal erreichten Stufe der Bildung stehen, und ihr gesamtes Wissen und Können beharrte in der festen Form und Regel, die es einmal angenommen hatte.
Wenn sich die Ägypter der Erfindung der Buchstabenschrift rühmten und der Mythus dieselbe dem Gotte Thoth zuschrieb, so dürfen wir ihnen
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allerdings den Ruhm lassen, daß die ersten Anfänge der Buchstabenschrift von ihnen ausgegangen sind und zwar nicht nur ihre phonetischen Hieroglyphen, sondern auch das vollkommnere System des begrenzten und festen und zum Gebrauch weit geeignetern semitischen Alphabets. Die Griechen haben ihr Alphabet von den Phönikern, das ursprüngliche semitische Alphabet aber hatte dasselbe Prinzip mit dem ägyptischen: es wurde nämlich ein Gegenstand abgebildet, dessen Name mit dem Buchstaben anfing, den man hinsetzen wollte;
aus diesen für den Gebrauch abgekürzten Bildern entstanden dann die alphabetischen Lautzeichen.
Die Ableitung der semitischen Buchstabenzeichen aus den entsprechenden hieroglyphischen hat E. de Rougé versucht (vgl. »Sur l'origine égyptienne de l'alphabet phénicien«, Par. 1874). Der Hauptmangel der hieroglyphischen Schrift, die aus Buchstaben, Silben- und Deutezeichen gemischt ist, ist die ungenügende Bezeichnung des Vokals, die indessen durch eine Fülle von sogen. Determinativen einigermaßen ausgeglichen wird (weiteres s. Hieroglyphen). Was die Litteratur anbetrifft, so ist sie zum allergrößten Teil religiöser Art. Der altägyptische Stil ist im allgemeinen weitschweifig und oft dunkel; selbst historische Inschriften umhüllen die Thatsachen mit abstrakten Ausdrücken und weitläufigen Formen. Am verständlichsten erscheinen uns ihre Märchen, deren manche in hieratischen Papyren erhalten sind. Auch für das didaktische Genre scheinen sie eine Vorliebe gehabt zu haben; in der Poesie haben sie sich nur durch Hymnen an die Götter ausgezeichnet.
Musik. Bildende Künste.
In der Tonkunst zeigten die alten Ägypter technische Fertigkeit in der großen Mannigfaltigkeit ihrer musikalischen Instrumente, den verschieden gestalteten Harfen, Lauten, Zithern, Flöten, Doppelflöten, Pfeifen, Tamburinen, Trommeln etc., die sich abgebildet finden; doch sind sie, wie alle orientalischen Völker, über einfache und einförmige Melodien gewiß nicht hinausgekommen.
Dagegen leisteten sie schon früh in der bildenden Kunst Großes. Namentlich tritt in der ägyptischen Baukunst ein ungemein kräftiger, fester und ernster Charakter hervor, welcher in Verbindung mit kolossaler Größe auf den Beschauer einen überwältigenden Eindruck macht. Der ägyptische Tempel ist nicht ein in sich abgeschlossenes Ganze, sondern besteht aus einzelnen Teilen, welche durch Anbauten willkürlich vermehrt werden konnten. Durch eine Sphinx- oder Widderallee und einige große, frei stehende Thore gelangt man zu einem höchst eigentümlichen Eingangsthor (Pylon genannt), mit welchem das Hauptgebäude beginnt.
Dieses Thor besteht aus zwei turmartigen Gebäuden, in deren Mitte sich eine Thür befindet; davor stehen Obelisken oder Kolosse oder auch beide. Dann folgt ein Vorhof mit Säulenreihen, aus dem man durch einen zweiten Pylon in eine von Mauern umgebene bedeckte Säulenhalle gelangt, die aber auch öfters schon nach dem ersten Pylon folgt und nie fehlt. Zuweilen ist diese Säulenhalle noch durch andre Säle von dem Allerheiligsten getrennt, welches immer eng und dunkel ist. Es war alles darauf berechnet, daß sich der Priester dem Allerheiligsten, das Volk den davor befindlichen heiligen Räumen allmählich fortschreitend nahten, durch die Eindrücke des Erhabenen und Gewaltigen, die sie hier empfingen, auf den Götterdienst, bei welchem die feierliche Prozession eine Hauptrolle spielte, genügend vorbereitet.
Auffallend aber ist es, daß gegenüber der Mannigfaltigkeit im Innern die äußern Mauern jeder Gliederung entbehren. Dort allenthalben die verschiedenartigsten Nachahmungen vegetativer Formen, besonders von Nilpflanzen, die sich indes meist auf zwei Hauptformen, die Frucht oder geschlossene Blüte und den geöffneten Kelch, zurückführen lassen; hier die größte Einfachheit der Linien, welche die Einförmigkeit der Landschaft abspiegelt und nur durch Verzierungen mit Bildwerk und einen hellen Farbenanstrich, der sich zum Teil bis auf den heutigen Tag erhalten hat, gemildert wird.
Von ganz andrer Beschaffenheit sind die Pyramiden (s. d.), jene von Bruchsteinen erbauten Massen, die, auf meist quadratischer Basis sich erhebend und im Innern mit nur wenigen engen Gängen, oben in eine Spitze oder kleine Fläche endigen. Die größten und ältesten finden sich bekanntlich bei Memphis, wo sie, einige siebzig an der Zahl, in verschiedenen Gruppen auf Hochebenen der libyschen Bergkette stehen, die drei höchsten, welche den Königen Cheops, Chephren und Mencheres angehören, in der Gruppe von Gizeh.
Der Anblick der ungeheuern Steinmassen, welche hier in der Stille der Wüste zu Kirchturmshöhe aufgebaut sind, und die Erinnerung an das Volk, welches diese gewaltigen Anstrengungen gemacht hat, um seinen Namen durch Jahrtausende fortleben zu lassen, ergreifen den Beschauer mächtig. Was den lange Zeit rätselhaften Zweck dieser Riesenbauten angeht, so ist es nun nicht länger zweifelhaft, daß sie Grabdenkmäler der Könige waren, wofür außer den Überlieferungen des Altertums ihr Inneres spricht, da in allen, in welche man gedrungen, ein Sarkophag gefunden ist, sowie ihr Standort mitten in der Totenstadt des alten Memphis unter der Menge andrer Gräber von der verschiedensten Form. Erst 1881 hat man fünf Pyramiden bei Sakkâra geöffnet, deren innere Kammern mit vielen Inschriften ausgestattet sind. Sie gehören Königen der 5. und 6. Dynastie an. (S. Artikel und Tafel III »Baukunst«.)
In inniger Verbindung mit der Baukunst standen Bildhauerei und Malerei bei den Ägyptern, und sie wuchsen sozusagen aus ihr hervor. Hinsichtlich der altägyptischen Kunst ist zunächst zu bemerken: Bewunderungswürdig ist die technische Geschicklichkeit der ägyptischen Bildhauer;
aus Granit, Porphyr und anderm Gestein der härtesten Art sind die Statuen mit meisterhafter Präzision gehauen, auf das sauberste ausgearbeitet und geglättet.
Sie weisen kräftige, im ganzen naturgemäß gestaltete Körperformen auf, nur die Sehnen und Muskeln der Glieder sind meist weniger richtig angegeben. Die Gesichtsform, welche zwischen der kaukasischen und negerartigen mitten inne steht, ist nicht unedel, der Gesichtsausdruck jedoch starr und meist streng typisch. Die Statuen in sitzender oder schreitender Stellung haben eine sich stets gleichbleibende steife Haltung; die dem Ägypter eigne ernste, feierliche Ruhe ging, auf die Kunst übertragen, ins Leblose über.
Doch hat sich dieser einförmige Typus erst allmählich herausgebildet; die älteste Skulptur zeigt große Lebendigkeit und überraschende Treue. Berühmt sind die polychromen Statuen des Paars aus Meidum, des Dorfschulzen und des Schreibers, im Louvre, welche der ältesten Epoche der ägyptischen Geschichte angehören. Auch die Reliefarbeiten in den ältesten memphitischen Gräbern sind in gleicher Hinsicht bewunderungswürdig. Die spätern erscheinen mangelhafter, da man nicht verstand,
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die körperliche Ausdehnung auf der Fläche naturgetreu darzustellen, sowie euch die Gemälde bloße farbige Silhouetten ohne Schatten und Licht sind und an seltsamen Zeichnungsfehlern leiden, die ebenfalls zum stehenden Typus wurden. Das meiste Leben zeigen noch die Darstellungen von Kriegsszenen, wo öfters sehr verwickelte Situationen gut zur Anschauung gebracht und namentlich auch die verschiedenen nationalen Gesichtszüge treu wiedergegeben sind. Auf andern Darstellungen, welche Szenen aus dem häuslichen und geselligen Leben behandeln, zeigt sich zuweilen ein Hang, durch einzelne spottende, humoristische Züge das Ganze mehr zu beleben.
Glücklicher und freier zeigt sich in Statuen und Reliefs die Gestalt der Tiere aufgefaßt und nachgebildet, natürlich, denn typische Einerleiheit herrscht bei den Tieren in Form und Bewegung vor. Die Götter wurden zum Teil mit Köpfen verschiedener Tiere, des Widders, des Sperbers, des Ibis, der Kuh, des Krokodils, im übrigen in Menschengestalt dargestellt; eine tiefere symbolische Bedeutung hat der Tierkopf in solchen Darstellungen nicht. Die Sphinxgestalten, Löwenleiber mit Menschenköpfen, welche mit der Uräusschlange vor der Stirn geschmückt zu sein pflegen, sind in der Regel Bildnisse von Königen und daher männlichen Geschlechts; man hat bei den Ägyptern nur wenige weibliche Sphinxe gefunden, welche Königinnen darstellen.
Eine Bezeichnung übermenschlicher Kraftfülle ist die kolossale Größe, hinsichtlich deren wir an das Riesenwerk der ägyptischen Skulptur, an die große Sphinx, erinnern, welche am Fuß des Pyramidenhügels von Gizeh aus einem natürlichen Felsen gehauen, aber jetzt bis zur halben Höhe mit Sand bedeckt ist. Der Kopf, der einen menschlichen mehr als 30mal an Größe übertrifft, und ein Teil des Halses ragen 12,5 m hoch aus dem Sand hervor; der Löwenleib ist beinahe 28 m lang.
Der Charakter der ägyptischen Kunst ist im allgemeinen der monumentale, d. h. ihr Sinn und Zweck gehen hauptsächlich dahin, durch anschauliche Darstellung die Erinnerung an Thatsächliches festzuhalten und zu überliefern. Der höhere Zweck der Kunst, die sinnliche Erscheinung durch die schöne Darstellung zu veredeln, lag den altägyptischen Künstlern fern. Doch ist schon das künstlerische Geschick, welches sich in den erhaltenen Werken zeigt, als eine bedeutende Vorstufe für eine höhere Entwickelung der Kunst zu betrachten. (S. Artikel und Tafel I »Bildhauerkunst« und Tafel »Ornamente I«, [* ] Fig. 6-15.)
Litteratur.
Altertum. Landeskunde. Unter den Werken über Ägypten ist vor allen die durch die französische Expedition hervorgerufene »Déscription de l'égypte« zu nennen, welche (in der 2. Ausg. 1820-30) in 26 Bänden Text und 12 Bänden Kupfern das Altertum, den jetzigen Zustand und die Naturgeschichte des Landes behandelt. Hieran schließen sich in Bezug auf Altertumskunde die umfassenden Publikationen der französisch-toscanischen (die »Monumenti dell'Egitto e della Nubia« 3 Bde., von Rosellini, und die »Monuments de l'égypte«, 4 Bde., von Champollion) und der preußischen Expedition (die »Denkmäler aus Ägypten und Äthiopien« von Lepsius, Berl. 1849-1859, 12 Bde.) sowie die Bilderwerke von Gau, Young, Caillaud, Perring, auch die »Monuments égyptiens« des Leidener ägyptischen Museums, herausgegeben von C. Leemans (Leid. 1839-76). Die ägyptische Altertumskunde behandelte am eingehendsten Wilkinson in »The manners and customs of the ancient Egyptians« (2. Aufl. von S. Birch, Lond. 1878, 3 Bde.) und in dem »Popular account« (2. Aufl., das. 1871).
Vgl. ferner Pierret, Dictionnaire d'archéologie égyptienne (Par. 1875);
über die ägyptische Kunst jeder Art Prisse d'Avennes, Histoire de l'art égyptien (das. 1878), und Perrot, Histoire de l'art dans l'antiquité, Bd. 1 (das. 1882; deutsch von Pietschmann, Leipz. 1883).
Der philologisch-historischen Durchforschung der ägyptischen Schriftdenkmäler hat sich seit der Entzifferung der Hieroglyphen durch Champollion die ganze ägyptologische Schule seiner Nachfolger gewidmet (s. Hieroglyphen). Eine Zeitschrift für ägyptische Sprache und Altertumskunde, herausgegeben von Brugsch und Lepsius, erscheint seit 1863 in Leipzig; ähnliche Fachzeitschriften erscheinen auch in Frankreich und England. Durch Ausgrabungen und Forschungen in Ägypten hat sich besonders Mariette verdient gemacht; in der Direktion des ägyptischen Museums zu Bulak bei Kairo ist ihm G. Maspero gefolgt.
Außerdem sind zu nennen die Schriften von Perizonius, Zoega, E. Quatremère, Champollion-Figeac, Letronne, Prichard, Sharpe, Gliddon, Ideler, Ritter, Böckh, Beauregard u. a. sowie die Reisewerke von Pococke, Norden, Niebuhr, Denon, Salt, Burckhardt, Belzoni, v. Minutoli, Ehrenberg, Parthey, Prokesch, Rüppell, Lepsius, Brugsch, Russegger, Scherer u. a. -
Die Naturgeschichte des Landes ist vornehmlich in den großen Werken von Ehrenberg und Rüppell und in einer kleinen Schrift Pruners (»Ägyptens Naturgeschichte und Anthropologie«, Münch. 1848) sowie von R. Hartmann (»Naturgeschichtliche Skizze der Nilländer«, Berl. 1866),
die geologischen Verhältnisse neuerdings von Fraas (»Aus dem Orient«, Stuttg. 1867) behandelt worden. - Über die heutigen Verhältnisse Ägyptens vgl. Lane, Manners and customs of the modern Egyptians (5. Aufl., Lond. 1871, 2 Bde.);
v. Kremer, Ägypten, Forschungen über Land und Volk (Leipz. 1862, 2 Bde.);
H. Stephan, Das heutige Ägypten, ein Abriß seiner physischen, politischen, wirtschaftlichen und Kulturzustände (das. 1872);
Lüttke, Ägyptens neue Zeit (das. 1873, 2 Bde.);
Klunzinger, Bilder aus Oberägypten (Stuttg. 1877);
Ebers, in Bild und Wort (das. 1880);
die Reisehandbücher von Meyer (Leipz. 1881) und Bädeker (das. 1877);
Amici, Essai de statistique générale de l'Égypte (Kairo 1879, 2 Bde.). - Die besten Karten sind außer dem großen Atlas in der »Description de l'Égypte« von d'Anville, Jomard, Caillaud, Leake, Ritter, Rüppell, Arrowsmith, Russegger, Kiepert und Linant de Bellefonds.
Vgl. Jolowicz, Bibliotheca aegyptiaca, Repertorium über die bis 1857 in Bezug auf Ägypten erschienenen Schriften (Leipz. 1858, Supplement 1861).
Geschichte Ägyptens.
Ägyptens Bewohner sind das älteste geschichtliche Volk der Erde, und sie selbst hielten sich auch dafür, indem sie ihre Geschichte bis auf 8-10,000 Jahre zurückrechneten. Der Unvollständigkeit der Quellen der altägyptischen Geschichte und ihrer Widersprüche wegen lassen sich weder genaue Königslisten noch sichere chronologische Daten über die älteste Zeit feststellen. Das Werk, welches der heliopolitanische Oberpriester Manetho (s. d.) auf Befehl des Königs Ptolemäos Philadelphos über die Geschichte seines Volks in griechischer Sprache abfaßte, aus den alten Annalen und Geschichtsbüchern der Tempelarchive schöpfend, ist leider bis auf wenige
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Fragmente verloren. Erhalten sind davon bloße Namensverzeichnisse von 31 Königsreihen oder Dynastien mit Angabe ihrer Regierungsdauer, und auch diese sind erst von zwei spätern Schriftstellern mit so erheblichen Abweichungen in Namen und Zahlen aufgezeichnet, daß sie keine sichere Grundlage für die Chronologie abgeben können. Auch die ägyptischen Königslisten, von denen uns Bruchstücke im Papyrus von Turin erhalten sind, vermögen die Lücken nicht auszufüllen und lassen sich mit den Namen und Angaben der Inschriften, so wertvoll diese auch sind, nicht immer in Einklang bringen.
Und selbst dies beiseite gelassen, walten über den chronologischen Anfangspunkt der ägyptischen Geschichte verschiedene Ansichten ob, je nachdem man mit Böckh die von Manetho verzeichneten Dynastien als hintereinander fortlaufende annimmt oder mit Lepsius sie zum Teil gleichzeitig in geteilten Reichen regieren läßt. In ersterm Fall ergibt sich als erstes Jahr des ältesten Königs, Menes, 5702 v. Chr., in letzterm bald 3643, bald 3892. Andre (Duncker) setzen die durch den Namen Menes bezeichneten Anfänge der ägyptischen Kultur erst in die Zeit um 3000. Nach der Meinung der Ägypter ging den menschlichen Dynastien eine Götterregierung in drei Dynastien vorher.
Die erste bestand aus ihren 7 obersten Göttern, dem höchsten Nationalgott, dem Ra oder Sonnengott, und der Götterfamilie des Osiris, des Lokalgottes ihrer ältesten Königsresidenz, This in Oberägypten. Auf diese folgte eine zweite Dynastie von 12 Göttern, an deren Spitze der Mondgott Thoth stand, und endlich eine dritte aus 30 Halbgöttern. Zwischen dem Ende der Götterherrschaft und ihrem ersten geschichtlichen König, Menes, nahmen die Ägypter noch eine vorhistorische Dynastie sogen. Manes (Nekyes) an, deren Königssitz in This, der Vaterstadt des Menes, war.
Die Zeit der Pharaonen.
Soweit unsre Kunde hinaufreicht, war Ägypten wie die Küste von Nordafrika von Völkern weißer Rasse bewohnt, deren Sprachen dem semitischen Sprachstamm verwandt waren. Durch die vorteilhaften geographischen Verhältnisse des Landes (s. o.) wurden die Ägypter früh zur Entwickelung einer Kultur und zu politischen Organisationen angeregt. Menes ist der erste geschichtliche König (Pharao). Er stammte aus This und gründete an einer günstig gelegenen Stelle des Nilthals Memphis, nachdem er das Land dazu durch Abdämmung des Nils gegen Osten gewonnen hatte.
Menes' Sohn Athotis gründete die Königsburg von Memphis. Dessen zweiter Nachfolger, Ünephes, erbaute die ersten Pyramiden (Königsgräber) auf dem Plateau von Dahschur. Seinem Beispiel folgten fortan alle Könige von Memphis. Die Erbauer der drei größten erhaltenen Pyramiden heißen in den Inschriften Chufu (griech. Cheops), Chafra (Chephren) und Menkera (Mykerinos), alle drei Könige der 4. Dynastie. Der zweite erbaute auch einen Tempel des Horos, dessen kolossales Sphinxbild nebst einigen Tempelresten erhalten ist. Der Gebrauch nicht bloß der hieroglyphischen, sondern auch der hieratischen Schriftzeichen in der Pyramide des Chufu und den umgebenden Gräbern, die Bilder des häuslichen und wirtschaftlichen Lebens in denselben zeigen uns ebenso wie die kunstvolle Bauart, der strenge, edle Stil, die gefälligen Ornamente ein seit langem bestehendes und hochentwickeltes Kulturleben.
Unter dem Geschlecht eines Königs Pepi (der 6. Dynastie) ward der Mittelpunkt des Reichs von Memphis nach Mittelägypten, unter einem spätern Königshaus (der 12. Dynastie) nach Theben in Oberägypten verlegt. Der erste König dieses Hauses, welches als »Herren der beiden Länder« über Ober- und Unterägypten gebot, ist Amenemha I. (2380-71), von dem eine kolossale Bildsäule aus rotem Granit in Tanis (San) in Unterägypten aufgefunden wurde. Er unterwarf auch einen Teil Nubiens.
Sein Nachfolger Usertesen (Sesortosis) I. (2371-25) erbaute dem Gott Ammon in Theben einen Tempel und errichtete in Unterägypten mehrere Obelisken, von denen der in Heliopolis der älteste uns erhaltene Obelisk ist. Er wie seine Nachfolger Amenemha II. und Usertesen III. setzten die Eroberungszüge in Nubien mit Erfolg fort, und Usertesen III. vollendete die Unterwerfung des untern Nubien. Amenemha III. (2221-2179) machte sich besonders berühmt durch die Anlage des Sees Möris in der Oase Fayûm, welcher dazu bestimmt war, durch Ableitung eines Teils der Wassermenge die Überschwemmung des Nils zu regulieren, den Abfluß des Wassers zu verzögern und die höher gelegnen Acker zu bewässern.
Inschriften in Nubien an den Felswänden des Nils, welche die Höhe der Überschwemmung unter Amenemha bezeichnen, sind ein Zeugnis, wie die Überschwemmungsfrage studiert wurde. Am See Möris erbaute er eine Pyramide und einen großen Reichstempel (das Labyrinth), in welchem alle Bezirke Ober- und Unterägyptens ihre Gottheiten in besondern Tempeln und Höfen verehren konnten. Diese Anlagen sowie die bildlichen Darstellungen in den Felsengräbern von Beni Hassam, Berscheh und Siut beweisen, daß Ägypten damals einen hohen Kulturstand erreicht hatte, Ackerbau und Gewerbe blühten und das Volk in Wohlstand lebte.
Bald nach Amenemhas Tod wurde das Reich seiner Macht plötzlich beraubt. Ein bei Josephus erhaltenes Fragment des Manetho berichtet, daß zur Zeit des ägyptischen Königs Amyntimäos um 2100 von Osten her ein fremdes Volk in Ägypten eingebrochen sei, das Land ohne Kampf unterworfen, die Einwohner getötet oder zu Sklaven gemacht, die Städte verbrannt und die Göttertempel zerstört habe. Diese Eroberer führten den Namen Hyksos (Hakuschasu, Hirtenkönige), und eine Reihe von Herrschern aus ihrer Mitte regierte in Ägypten etwa 500 Jahre.
Die Hyksos waren vermutlich semitische Stämme. Von der ersten Verwüstung abgesehen, blieb das alte Ägypten auch unter den Hyksos in Sprache und Zivilisation unversehrt; ja, diese lebten sich allmählich in die Sitten und Gewohnheiten des von ihnen unterjochten gebildeten Volks ein. In Oberägypten behaupteten sich einheimische, wenn auch tributpflichtige Fürsten. Von ihnen ging die Befreiung aus. König Amosis von Theben (1684-59) vertrieb die Hyksos aus Mittel- und Oberägypten und drängte sie in das östliche Delta zurück, wo sie sich in der von ihnen erbauten Festung Avaris noch längere Zeit behaupteten, bis sie endlich gezwungen wurden, auch von hier abzuziehen und in die Syrische Wüste zurückzukehren.
Mit der Vertreibung der Hyksos beginnt die glanzvollste Periode des ägyptischen Reichs, dessen Pharaonen (18. und 19. Dynastie) ihren Herrschersitz Theben mit den bewunderungswürdigsten Denkmälern schmückten und ihre Macht und ihren Ruhm weit über die Grenzen ihres Reichs ausbreiteten. In diese Jahrhunderte (vom 17. bis zum 12. v. Chr.) fällt auch die Blütezeit der ägyptischen Kultur. Thutmosis III. und seine ältere Schwester und Vormünderin, die Königin Ramaka, erbauten zur
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Verherrlichung der Siege in Syrien und Mesopotamien einen großen Säulensaal in Theben (Karnak). Amenophis III. (1524-1488), welcher den großen Ammonstempel bei Luksor errichtete, ist in der klingenden Statue von Theben dargestellt, welche von den Griechen die Memnonssäule genannt wurde. Nach Amenophis IV., der die Religion reformieren und den ausschließlichen Sonnenkultus einführen wollte, entstanden langwierige Kämpfe zwischen Prätendenten, denen erst Horemheb ein Ende machte.
Besonders glänzend waren die Regierungen Sethos' I. (1439-1388) und Ramses' II. (1388-28) von der 19. Dynastie, welche von den Griechen unter dem Namen Sesostris vereinigt werden. Ersterer drang bis Syrien und Äthiopien vor. Ramses eroberte Phönikien und den größten Teil Syriens und dehnte auch nach Süden die Grenzen des Reichs am weitesten, bis 700 km südlich von Syene, aus. Kein König hat so zahlreiche großartige Bauten (besonders das Ramesseum) unternommen und so viele Denkmäler hinterlassen wie Ramses II. Er begann auch den Bau eines Kanals, der den Nil mit dem Roten Meer verbinden sollte; derselbe blieb aber unvollendet. Bei dem Bau desselben und der Städte Pithom und Ramses mußten die Israeliten Frondienste leisten. Dieser Bedrückung wegen wanderten sie unter Ramses' Nachfolger Menephta (1322-1302) aus Ägypten aus.
Ramses III., der reiche Rhampsinit des Herodot, machte sieggekrönte Kriegszüge nach Asien, überwand die Anwohner des Roten Meers in Seeschlachten und errichtete stattliche Tempel. Seine Nachfolger, elf Könige mit dem Namen Ramses (1244-1091), kamen ganz in Abhängigkeit von der Priesteraristokratie. Jetzt erlosch auch Thebens Glanz. Unterägyptische Dynastien aus Tanis, Bubastis und Sais bestiegen den Thron, wodurch Memphis wieder zur ersten Residenz des Reichs erhoben ward.
Die Tochter eines Königs dieser Zeit, Psusennes II., führte Salomo von Israel als Gemahlin heim, und zwischen beiden Königen bestand Freundschaft und friedlicher Verkehr. Psusennes' Nachfolger Sisak (Sesonchis) nahm dagegen den flüchtigen Jerobeam auf, überzog 949 Rehabeam mit Krieg und plünderte Jerusalem, worauf sich eine Darstellung auf der äußern Südseite des Tempels von Karnak bezieht. Er hielt aber den Verfall des Reichs nicht auf; Ägypten wurde 730 die Beute des äthiopischen Eroberers Sabako, welcher mit seinen beiden Nachfolgern Sevechos und Tirhaka (Tahraka) bis 672 regierte.
Sabako und Tirhaka suchten der Ausbreitung der assyrischen Macht in Syrien entgegenzutreten. Sabako wurde bei Raphia besiegt; Tirhaka brachte aber 701 dem assyrischen König Sanherib in der Schlacht bei Altaku so große Verluste bei, daß derselbe von der Unterwerfung des Reichs Juda Abstand nehmen mußte. Jedoch 672 fiel der assyrische König Assarhaddon nach völliger Unterjochung Syriens in Ägypten ein und stürzte die Herrschaft der äthiopischen Könige. Ein Versuch Tirhakas, Ägypten wiederzuerobern, mißlang.
Ägypten wurde von den Assyrern unter 20 Statthalter verteilt, von denen Necho, Statthalter von Memphis und Sais, der mächtigste war. Dessen Sohn Psammetich I. (655-610) befreite, während der assyrische König Assurbanipal einen Aufstand in Babylonien bekämpfte, mit Hilfe griechischer Söldner aus Kleinasien von der Fremdherrschaft und machte es wieder unabhängig. Da er den fremden Söldnern Ländereien und Vorrechte verlieh, so wanderte ein großer Teil der Kriegerkaste mißvergnügt nach Äthiopien aus.
Bald mehrte sich die griechische Bevölkerung im Land, nachdem ihr die Häfen geöffnet worden waren. Necho (610-595) begann von neuem den Bau des Kanals zwischen Nil und Rotem Meer und ließ Afrika durch phönikische Seeleute umschiffen. Auch wollte er den Sturz des assyrischen Reichs benutzen, um seine Macht in Syrien auszubreiten. Er landete 609 an der Küste Palästinas, besiegte den König Josias von Juda bei Megiddo, ward aber, weiter ins Innere vordringend, 605 von Nebukadnezar bei Karchemis am Euphrat geschlagen und mußte ganz Syrien räumen.
Sein Enkel Hophra (589-570) unternahm einen Zug nach Palästina, um das Reich Juda zu retten, wurde aber ebenfalls besiegt. Als er 571 die ägyptischen Krieger gegen Kyrene schickte und diese geschlagen wurden, empörten sie sich, erhoben Amasis zum König, und dieser besiegte 570 bei Momemphis Hophra, den die Menge erwürgte. König Amasis (570-526) räumte den Griechen die Seestadt Naukratis ein, die bald einer der wichtigsten Handelsplätze wurde. Jetzt öffnete sich endlich Ägypten dem Handelsverkehr, und ungeheure Reichtümer strömten dorthin.
Niemals war der allgemeine Wohlstand in Ägypten größer und die Bevölkerung zahlreicher als gegen das Ende dieser Herrschaft. Die Zahl der Städte stieg unter Amasis auf 20,000. Auch die Kunst blühte wieder, und manche neue Formen kamen auf, wie auch der Stil in den bildlichen Darstellungen ein andrer wurde und namentlich der festgestellte Kanon der Körperproportionen eine wesentliche Änderung erlitt. Aber die Wehrkraft des Reichs erstarkte nicht in gleichem Maß; Amasis versäumte es, der wachsenden persischen Macht rechtzeitig entgegenzutreten. Sein Sohn Psammetich III. (Psammenit) erlag ihr 525 in der Schlacht bei Pelusion. Ägypten wurde persische Provinz.
Ägypten unter der Fremdherrschaft.
Des Kambyses Härte und namentlich die Anfeindung ihrer Religion begründeten den tödlichen Haß der Ägypter gegen die Perser, der sich in stets wiederholten Aufständen entlud. Durch einen solchen gewann das Land 405 seine Unabhängigkeit wieder und stand nun nochmals unter einheimischen Dynastien, bis es 340 zum zweitenmal von den Persern unter Ochos erobert wurde. Im J. 332 vertauschte es die persische Herrschaft mit der Alexanders d. Gr. und blieb bis 305 unter makedonischer Oberhoheit.
Damals nahm der makedonische Statthalter Ptolemäos, des Lagos Sohn, den Königstitel an, und es begann damit die griechische Herrschaft der Ptolemäer (s. d.). Das altägyptische Wesen ging seitdem schnell seinem Verfall entgegen. Vieles von seinem Geistesleben nahm der Hellenismus in sich auf. Alexandria wurde der Mittelpunkt griechischer Gelehrsamkeit, aber auch Hauptsitz eines maßlos gesteigerten Luxus. Unter den Künsten blühte besonders die Baukunst fort, und großartige Bauten in Denderah, Theben, Philä etc. zeigen, daß man auch damals noch dem altägyptischen Baustil möglichst treu blieb.
Die Sittenlosigkeit der Herrscherfamilie beschleunigte den Verfall des Staats, und durch Kleopatras Ränke erreichte diese letzte Epoche äußerlicher Unabhängigkeit Ägyptens ihr Ende. Die Schlacht bei Aktion (31 v. Chr.) entschied die Einverleibung Ägyptens in das römische Reich (30 v. Chr.). Augustus behandelte das als »Kornkammer« wichtige Ägypten wie eine Domäne und stellte es unter eine besonders sorgfältige Ausnahmeverwaltung. Noch einige Male während
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der Kaiserzeit versuchten die Ägypter, ihre Unabhängigkeit wiederzuerringen, mußten aber meist hart dafür büßen, besonders als nach Besiegung der Königin Zenobia von Palmyra, die auch Alexandria einige Zeit innegehabt, ein reicher Kaufmann, Firmus, sich zum Herrn des Landes gemacht, von Aurelian aber unterworfen worden war, und wieder, als Diokletian nach Unterdrückung des Usurpators Achilles nur durch grausame Maßregeln die Ägypter beugen und einschüchtern zu können glaubte.
Das Christentum fand schon im 1. Jahrh. unsrer Zeitrechnung in Ägypten Eingang, angeblich durch den Evangelisten Markus, den Stifter des Bistums Alexandria; doch wurde der alte Götterkult nicht sofort verdrängt und z. B. der Isiskult in Philä erst um die Mitte des 6. Jahrh. unter Justinian aufgehoben. In Ägypten kam unter dem Einfluß der Landesnatur das Einsiedler- und Klosterleben durch den heil. Antonius von Theben auf. Auch die christlich-theologische Gelehrsamkeit wurde mit Eifer gepflegt und Alexandria bald ein Hauptschauplatz der über das Verhältnis der göttlichen und menschlichen Natur in Christo sich entspinnenden dogmatischen Kämpfe.
Aber eben in diesen subtilen Streitigkeiten und in der asketischen Übertreibung rieb sich die Kraft der sich die rechtgläubige nennenden Partei auf, und es wurde die für ketzerisch erklärte Partei der Monophysiten die überwiegende, welche sich einen eignen Patriarchen wählte, während der vom byzantinischen Hof ernannte orthodoxe Patriarch seinen Sitz in Alexandria behielt. Die echt ägyptische (häretische) Kirche nannte sich die koptische (d. h. ägyptische) und verachtete die Orthodoxen als Malchiten oder Kaiserchristen. Durch deren Verfolgungssucht steigerte sich der feindliche Gegensatz zwischen beiden Kirchen so weit, daß die Kopten den Mohammedanern zur Eroberung Ägyptens geradezu Vorschub leisteten.
Seit der Teilung des römischen Reichs im J. 395 eine Provinz Ostroms, teilte den Verfall dieses Reichs. Raubzügen von Äthiopien und Arabien aus machtlos preisgegeben, wurde es durch die Perser unter dem Sassaniden Chosroes II. bis an die Südgrenze durchzogen (616). Wenige Jahre nach ihrem erkauften Abzug (641) wurde es von Amru, dem Feldherrn des Kalifen Omar, zu einer Provinz des Reichs der Kalifen gemacht. Mit den Arabern erhielt der Islam bald das Übergewicht über das Christentum.
Jeder Gewaltthat preisgegeben, sank die koptische Bevölkerung in völlige Ohnmacht. Die Statthalter Ägyptens versuchten bald, sich von der Obergewalt der Kalifen zu befreien, so Achmed, mit dem 868 die Dynastie der Tuluniden auf den Thron Ägyptens kam. Nachdem 905 der Kalif von Bagdad sich wieder zum Oberherrn des Landes gemacht, stiftete Abubekr Mohammed, der Ikschide, 935 eine neue Dynastie unabhängiger Herrscher Ägyptens; aber schon 969 eroberte Moez Eddin Allah, der erste fatimidische Kalif, das Land und gründete die Stadt Masr el Kahira (die Siegreiche), das heutige Kairo, das er zur Hauptstadt erhob.
Der glanzvollen Herrschaft der Fatimiden in Ägypten wurde 1171 durch den Kurden Saladin ein Ende gemacht, der sich zum Sultan von Ägypten und Syrien aufschwang und als solcher eine neue Dynastie, die der Ejubiden, gründete, unter der das Land sich aus seinem tiefen Verfall etwas hob und namentlich Alexandria eine der blühendsten Städte des Orients wurde, deren Handel sich von Spanien bis Indien erstreckte. Die ersten Kalifen hatten das Land an arabische Pflanzer verpachtet, der Ejubide Nedschem Eddin aber verteilte es unter seine aus gekauften Sklaven bestehende Leibwache, die Mamelucken (s. d.), als Lehen, und von diesen wurden die Bewohner des flachen Landes völlig zu Leibeignen herabgedrückt.
Aber dieselbe übermütige Miliz machte auch der Herrschaft der Ejubiden selbst ein Ende; denn als Nedschems Sohn Moadham mit dem gefangenen König Ludwig IX. von Frankreich einen Vertrag abschloß, ohne die Mamelucken dabei zu Rate zu ziehen, ermordeten ihn diese (1250) und erhoben aus ihrer Mitte Moez Ibegh zum Sultan. Mit diesem begann die Herrschaft der mameluckischen Dynastie oder der Bahariden. Unter ihr versank das Land in den traurigsten Zustand; den ungezügelten Begierden einer wilden Prätorianerschar preisgegeben, wurde es überdies durch die Zwistigkeiten der Mameluckenemire, von denen die Sultane abhängig waren, zerrissen.
Kräftigere Herrscher waren Bibars I. (gest. 1277), welcher der um sich greifenden Anarchie Einhalt that und seine Herrschaft über die südlichen Grenzlande sowie über Syrien und einen Teil Arabiens ausdehnte, und Mohammed I. (gest. 1341), welcher durch Begünstigung des Ackerbaus, Verminderung der Abgaben und Anlegung von Kanälen sich um das Land große Verdienste erwarb. Der Übermut der aus Cirkassiern sich ergänzenden Mamelucken stieg aber immer höher, und 1382 gelang es wieder einem ihrer Obern, Barkok Dhaher, sich zum Sultanat emporzuschwingen.
Mit ihm bestieg die zweite mameluckische Dynastie, die cirkassische oder die der Bordschiten, den Thron. Ihre Geschichte bietet eine ununterbrochene Reihe von Empörungen, Gewaltthaten und Greueln aller Art. Sultan Barsebai eroberte Cypern 1426, infolgedessen die dortigen Könige zu ägyptischen Statthaltern erniedrigt wurden. Aber im Innern wurde die Zerrüttung immer größer; die Mamelucken setzten Sultane ein und ab und übten den furchtbarsten Druck aus, bis endlich der Osmanensultan Selim I. 1517 das Land eroberte und in eine türkische Provinz verwandelte.
Als solche wurde es zwar von Paschas regiert, blieb aber doch in einer gewissen Unabhängigkeit. Unter dem Pascha bestanden nämlich 14 Mameluckenbeis fort, an deren Zustimmung die Paschas hinsichtlich ihrer Maßregeln gebunden waren, daher diese bald zu willenlosen Werkzeugen der tyrannischen Willkür jener herabsanken. Die Mameluckenbeis befehligten die Miliz, erhoben die reichen Staatseinkünfte und zahlten nur einen Tribut an den Pascha So stand Ägypten, statt unter einem, unter vielen Tyrannen, die fortwährend einander bekämpften und das Land vollständig ruinierten.
Ägypten sank zu völliger Bedeutungslosigkeit herab. 1763 machte sich Ali Bei von der Pforte fast ganz unabhängig und unterwarf einen Teil von Arabien und Syrien. Er wurde von seinem Schwiegersohn Mohammed Abudhabad gestürzt, der sich 1773 von der Pforte als Pascha von Ägypten bestätigen ließ. Nach ihm teilten die Beis Murad und Ibrahim die Herrschaft unter sich und machten sich von der Pforte fast ganz unabhängig. Unter ihnen landete General Bonaparte mit einem französischen Heer 1798 in Ägypten und schlug die Mamelucken bei den Pyramiden (s. Ägyptische Expedition der Franzosen). Bonapartes Plan, sich Ägyptens, dieses Schlüssels zum Orient, zu bemächtigen, schlug zwar fehl; aber die Augen der europäischen Mächte waren wieder auf Ägypten gelenkt und die Schwäche der Türkei bloßgelegt. Die Mamelucken suchten, von den Briten, die Alexandria bis März
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1803 besetzt hielten, unterstützt, ihre alte Macht wiederzugewinnen. Durch den Abzug der Engländer verloren sie ihre Hauptstütze, boten aber dennoch der Pforte Trotz und ermordeten deren Statthalter Aali Pascha, wurden aber von den Albanesen aus Kairo vertrieben. Chosrew Pascha, der, als Privatmann zu Alexandria lebend, hierbei sehr thätig gewesen war, erhielt darauf 1804 die Statthalterschaft, wurde aber bald durch die Ränke Mehemed Alis, des Befehlshabers des Albanesenkorps, verdrängt.
Neueste Zeit.
Mit der Wirksamkeit Mehemed Alis (s. d.) als Statthalters (1805) beginnt eine neue Epoche in der Geschichte Ägyptens. Seine erste erfolgreiche That war die Vernichtung der Mamelucken, seine zweite die Organisation eines regelmäßigen Heers und die Herstellung einer Flotte zur Durchführung seiner ehrgeizigen Pläne. Dem entsprechend verfolgte eigentlich seine ganze Regierung die eine Tendenz, durch Anwendung europäischer Regierungskünste den Despotismus auf das höchste zu steigern.
Nachdem er fast sämtliche Ländereien des Nilthals in seinen Besitz gebracht hatte, konnte er die Landbauern nach Gutdünken ausbeuten. Gegen die unglücklichen Fellahs brachte er ein geregeltes System der Aussaugung in Anwendung und unterwarf sie der rücksichtslosesten Konskription für das Heer. Maßlos war auch der Steuerdruck. Bis auf den trocknen Kuhmist und das Stroh, das kümmerliche Brennmaterial des Fellahs, herab wurde alles besteuert; von jedem Palmbaum mußte eine bestimmte Abgabe entrichtet werden.
Besteuert wurden auch alle Fabrikate von den Palmen, die Barken, das Vieh jeder Art. Die Kopfsteuer betrug jährlich 700,000 Beutel, etwa 8¼ Mill. Mk., und zwar war durch das System der Solidarität der Steuerzahler der Regierung stets der volle Betrag dieser Steuern gesichert. Zu diesem allen kam nun noch das Handels- und Monopolsystem. Dasselbe ging aus der altorientalischen Gewohnheit hervor, die Steuern durch Naturallieferungen zu ersetzen, und wurde bis 1833 in solchem Umfange geübt, daß die Regierung dem Fellah seine ganze Ernte um von ihr selbst festgesetzte Preise abkaufte und ihm dann um höhern Preis so viel wieder verkaufte, als er zum Lebensunterhalt und zur Aussaat brauchte.
Seit 1833 nahm die Regierung nur noch so viel, als die Steuern betrugen; doch wurde nun, abgesehen von der noch fortbestehenden Willkür bei Bestimmung des Preises, dem Fellah von der Regierung vorgeschrieben, wieviel Getreide, Baumwolle etc. er bauen sollte. Der größte Teil seiner Felder war für den Indigo- und Baumwollbau bestimmt, wofür die Regierung sich ein Monopol ausbedungen hatte, und die ganze Ernte mußte eingeliefert werden, um dann vom Pascha zu von ihm selbst festgesetzten Preisen verkauft zu werden.
Sind auch die Verdienste Mehemed Alis um die Fabrikation von Seide, Baumwolle und Indigo nur zweifelhafter Natur, so blieben doch seine umfangreichen Damm- und Kanalbauten ein Geschenk von höchstem Wert für Ägypten Als er 1805 die Zügel der Regierung ergriff, hatte Ägypten nicht mehr als 2,500,000 Morgen (Feddans) urbares Land, 1840 aber bereits 6,500,000 Morgen. Gleich groß war die Sorge des Paschas für Ordnung und Sicherheit im Innern. Mehemed Ali setzte sich ferner über die gewohnte Intoleranz hinweg; er berief Christen zu den höchsten Stellen, schickte junge Araber und Türken zur Ausbildung nach Europa und gründete Schulen und Institute aller Art. Hierauf schritt er zu einer durchgreifenden Reform der öffentlichen Verwaltung.
Eine Notabelnversammlung wurde 1829 nach Kairo berufen, um Vorschläge der Regierung über die Verwaltung zu beraten. Zu den Maßregeln, die durch diese Versammlung hervorgerufen wurden, gehörte namentlich die Einführung von Verwaltungsräten in den 16 Provinzen, welche aus öffentlichen Beamten bestanden und über die Angelegenheiten des gemeinen Wohls sich zu beraten hatten. Durch die neue Ordnung wurde einiges System in das Verwaltungswesen gebracht.
Auch nach außen wuchs Ägyptens Macht. Durch glückliche Expeditionen seines Adoptivsohns Ibrahim Pascha machte sich Mehemed Ali seit 1816 einen Teil von Arabien (die Landschaft Hidschas mit den heiligen Städten Mekka und Medina) sowie die Länder am obern Nil (Nubien, Senaar, Kordofan) zinspflichtig. Im Kampf gegen das aufständische Griechenland wurde die ägyptische Flotte bei Navarino vernichtet. Um eine neue imposante Seemacht herzustellen, mußte das Land seine letzten Kräfte aufbieten.
Händel mit dem Pascha von Akka gaben dem Pascha willkommene Veranlassung, mit Heeresmacht in Syrien einzurücken, und im Lauf eines Jahrs eroberte Ibrahim Pascha (1831) die ganze Provinz. Durch die Intervention Rußlands zu gunsten des Sultans mußte aber Mehemed Ali in den Frieden von Kutahia willigen, der ihm zwar nicht volle Unabhängigkeit, aber doch den erblichen Besitz Ägyptens und den lebenslänglichen Syriens gab. In einem neuen Krieg (1839) sah sich Mehemed Ali nach dem Sieg von Nisib (24. Juni) und dem Übergang der türkischen Flotte zur ägyptischen am Ziel seiner ehrgeizigen Bestrebungen. Aber Rußland und England brachten die Londoner Quadrupelallianz vom zu stande, in der sich die beiden genannten Mächte mit Österreich und Preußen zur gemeinschaftlichen Intervention zu gunsten des Sultans verpflichteten. Frankreich beobachtete eine dem Pascha günstige Politik, welche Absonderung einen europäischen Krieg in Aussicht stellte. Inzwischen erschien ein britisch-österreichisch-türkisches Geschwader an der syrischen Küste und begann die Beschießung der dortigen festen Plätze. Von Frankreich im Stiche gelassen und plötzlich von Kleinmut befallen, zog Mehemed Ali seine Kriegsmacht, ohne daß ein entscheidender Kampf stattgefunden, aus Syrien zurück und unterwarf sich dem Sultan völlig. Durch einen unter Vermittelung der Großmächte im Februar 1841 zwischen dem Sultan und Mehemed Ali abgeschlossenen Vertrag wurde das Verhältnis Ägyptens zur Pforte neu geregelt. Hiernach sollte den männlichen Deszendenten des Paschas nach dem Rechte der Erstgeburt die erbliche Herrschaft über Ägypten mit Einschluß der Erwerbungen am obern Nil verbleiben; doch sollten die Administrativgesetze des Landes mit denen der übrigen Provinzen in Einklang gebracht, die Abgaben im Namen und unter Zustimmung des Sultans erhoben, sämtliche von der Pforte mit dem Ausland geschlossenen Traktate auch für Ägypten gültig sein und der von dem Pascha jährlich zu entrichtende Tribut (vorläufig ein Dritteil der Jahreseinkünfte) pünktlich bezahlt werden. Auch mußte sich der Pascha zu einer Reduktion seines Heers auf 18,000 Mann verstehen, die Ernennung der höhern Offiziere vom Obersten an dem Sultan überlassen und versprechen, zur Vermehrung des Heers sowie zum Bau von Kriegsschiffen die Genehmigung des Sultans einzuholen.
Nach der syrischen Katastrophe warf sich Mehemed Ali mit ganzer Energie auf die Landeskultur und
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führte ein riesiges Unternehmen, den Bau eines großen Nildamms, der den Flußlauf korrigierte und dem Ackerbau viele Tausend Acker Landes gewann, durch. Seine letzte Thätigkeit bezog sich auf die englische Überlandstraße und die Durchstechung des Isthmus von Suez (s. Suezkanal). Aber die Anzeichen von Geisteszerrüttung, die schon früher hervorgetreten, nahmen immer mehr überhand, so daß sein Adoptivsohn Ibrahim Pascha ihn von allem Verkehr abschloß und mit Genehmigung der Pforte (Juli 1848) die Regierung übernahm. Trotz seiner Schwäche überlebte der Vater den Sohn, der der Lungenschwindsucht erlag. Am folgte ihm der alte Pascha ins Grab nach, schmerzlich betrauert von den Bewohnern der Hauptstadt und allen, die unter seinem Aussaugungssystem nicht gelitten oder sich wohl gar bereichert hatten.
Nach der Erbfolgeordnung folgte der älteste männliche Sproß des Hauses, Abbas Pascha, Mehemed Alis Enkel, als Pascha. Er reduzierte die Marine auf das gebührende Maß, setzte die unverhältnismäßigen Gehalte der hohen Beamten auf ein Drittteil herab, beseitigte das Monopolwesen, legte den großen Grundpachtern das Handwerk und befreite dadurch die Masse der Landbebauer von willkürlichen Erpressungen und den Staatsschatz von indirekter Beraubung. Er suchte auf dem Weg friedlichen Verkehrs mit den innerafrikanischen Territorien die materielle und geistige Macht des Landes zu erweitern.
Mit der Pforte stand er sehr gut und erhielt bei Beginn des Krimkriegs mehrere bisher verweigerte Forderungen bewilligt, wie das Recht über Leben und Tod in seinem Land auf Lebenszeit und die unbeschränkte Autorität über alle Glieder der Familie Mehemed Alis. Seitdem erwies er sich der Pforte stets gefällig, wie er namentlich den Sultan in dem bald darauf beginnenden Kriege gegen Rußland mit Truppen, Schiffen und Getreidelieferungen wirksam unterstützte. Als er plötzlich starb, folgte ihm nach der Senioratsordnung Said Pascha, der sechste Sohn Mehemed Alis.
Dem ihm vorausgehenden Ruf eines der europäischen Bildung warm zugethanen, wohlwollenden und aufgeklärten Mannes entsprachen Regierungsmaßregeln wie die Freigebung des Baumwoll- und Getreidehandels und das Verbot des Sklavenhandels. Für die Finanzverwaltung führte er eine Kontrolle ein, und seine persönlichen Ausgaben schied er von denen der Staatsverwaltung. Der Verwirklichung des Suezkanal-Projektes wandte er trotz der Anstrengungen Englands zur Vereitelung dieses Unternehmens und der Verweigerung der Zustimmung von seiten der Pforte eifriges Interesse und eine Teilnahme zu, welche seine finanziellen Kräfte überstieg.
Dadurch sowie durch seine Baulust, seine kostspieligen Reisen in die Hauptstädte Europas und seine maßlose Freigebigkeit belastete er das Land mit drückenden Schulden. Er starb und hatte seinen Neffen Ismail Pascha, einen Sohn Ibrahim Paschas, zum Nachfolger. Im allgemeinen bekannte sich dieser zu den Grundsätzen seines Vorgängers. Mit Eifer betrieb er den Bau des Suezkanals, der bei der von England beeinflußten Pforte auf Schwierigkeiten stieß.
Endlich rief er Napoleons III. Vermittelung an. Dieser trat im August 1864 mit einer Entscheidung hervor, welche die dringendsten Beschwerden der Pforte abstellte, auch den Forderungen Ägyptens der Kanalgesellschaft gegenüber mehrfach zur Anerkennung verhalf, anderseits aber den Fortgang des Kanalbaus sicherte, Ägypten freilich mit enormen Geldopfern belastete. Zu deren Aufbringung gedachte der Pascha sich eines Scheinkonstitutionalismus zu bedienen. Am trat wiederum eine ägyptische Notabelnversammlung, aus 75 Mitgliedern aller Nationen bestehend, zusammen, um über Reform des Gerichtswesens, der Fronen etc. zu beraten, natürlich eine ganz wertlose Form.
Mit großen Opfern erlangte Ismail Pascha von der Pforte eine Änderung der Thronfolgeordnung, wonach die Herrschaft in direkter Linie forterben sollte, so daß die Brüder Ismail Paschas, namentlich der ihm verhaßte Fazyl Pascha, ihres Rechts beraubt und sein Sohn Tewfik Pascha präsumtiver Nachfolger wurde. Die Bedrängnis der Pforte durch den anfangs glücklichen Aufstand Kretas 1867 benutzte der Pascha, um derselben neue Zugeständnisse abzunötigen, namentlich eine Erhöhung seines Ranges, insofern er nicht mehr Wali, d. h. Statthalter, sondern Chedive, d. h. Vizekönig, heißen sollte.
Unabhängigkeitspläne waren unverkennbar, das zeigten das Wachstum der Flotte und die Vermehrung des Heers. Damit stand auch die Reise Ismail Paschas nach Europa und sein Besuch an den Höfen von Paris, London, Wien und Brüssel in Zusammenhang, angeblich, um die Fürsten Europas persönlich zu der bevorstehenden Eröffnung des Suezkanals einzuladen. Gegen dieses selbständige Verfahren sowie gegen die mit den Großmächten angeknüpften Verhandlungen über Aufhebung der Konsulargerichtsbarkeit und Neutralisierung des Suezkanals schritt aber die Pforte 1869 ein und erlangte die Auslieferung der Panzerschiffe und Zündnadelgewehre sowie die Reduktion des Heers auf 30,000 Mann.
Ferner sollte der Chedive keine neuen Steuern ausschreiben, die Steuern überhaupt nur im Namen des Sultans erheben, ohne dessen Zustimmung keine Anleihen aufnehmen und sich des selbständigen Verkehrs mit den auswärtigen Mächten enthalten; die Antwort des Chedive (7. Nov.) fiel ungenügend aus, aber die gerade stattfindende feierliche Eröffnung des Suezkanals (16.-18. Nov.) und die Anwesenheit vieler fremder Fürstlichkeiten in Ägypten hielten den drohenden Bruch noch etwas hin.
Trotz der Vermittelungsversuche Englands und Frankreichs erklärte die Pforte (29. Nov.), daß Ismail Pascha, wenn er nicht gehorche, als abgesetzt anzusehen sei. Zu einem Krieg aber hatte der Chedive um so weniger Lust, als er von keiner Seite, selbst von Frankreich nicht, Hilfe hoffen durfte; so erklärte er denn, daß er fernerhin ohne Erlaubnis der Pforte keine neuen Steuern auflegen, keine Anleihen abschließen, sein Heer nicht über die vertragsmäßig festgesetzte Zahl vermehren, die Panzerschiffe ausliefern und keine selbständige Vertretung im Ausland halten wolle. Am wurde der diese Satzungen verkündende großherrliche Ferman in Kairo verkündet.
Nach dem Tode des Großwesirs Aali Pascha des entschiedensten Gegners Ismails, erlangte dieser bei einem Besuch in Konstantinopel (Juni 1872) durch Bestechung die Zustimmung der Pforte zur Abschaffung der Konsulargerichtsbarkeit und zur Justizreform nach europäischem Muster sowie einen neuen Ferman vom worin ihm sämtliche Privilegien des Fermans vom welche 1869 suspendiert worden waren, aufs neue gewährt, die Erlaubnis, ohne vorhergehendes Ansuchen Anleihen machen zu dürfen, erteilt und noch andre Zugeständnisse
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gemacht wurden. Ja, 1873 verschaffte er sich von dem geldbedürftigen Sultan Abd ul Asis, der bei seiner unsinnigen Verschwendung für Geldbeisteuern sehr empfänglich war und gleichfalls mit einer Änderung der Thronfolgeordnung umging, einen neuen Ferman, welcher alle frühern an günstigen Bestimmungen übertraf. Durch denselben wurde die direkte Erbfolge nach dem Prinzip der Erstgeburt und der Linearsuccession aufrecht erhalten, völlige Unabhängigkeit der Verwaltung und Justiz sowie das Recht, Verträge mit fremden Staaten abzuschließen, Anleihen aufzunehmen, Münzen zu prägen, die Stärke der Armee zu bestimmen, Kriegsschiffe (außer Panzerschiffen) anzuschaffen, zugestanden.
Für alle diese Rechte und als Beweis seiner Anerkennung der Oberhoheit des Sultans sollte er an letztern einen jährlichen Tribut von 150,000 Beuteln (3 Mill. Mk.) bezahlen. Hiermit schien die völlige Unabhängigkeit Ägyptens von der Pforte begründet zu sein, und Ismail Pascha ging nun daran, sein Reich zu vergrößern. Die im Juli 1872 unternommene Expedition nach Abessinien, an deren Spitze der Schweizer Munzinger, Gouverneur von Massaua, gestellt wurde, hatte die Annexion der nördlichen Teile Abessiniens zur Folge. Im Süden eröffnete sich 1874 dem Chedive eine neue Gelegenheit zur Erweiterung seines Gebiets.
Der Sultan von Dar Fur war in die ägyptische Provinz Kordofan eingefallen, um Sklaven einzufangen. Ein kleines, aber europäisch ausgerüstetes Heer rückte darauf gegen den Sultan vor, schlug ihn in mehreren Gefechten (28. Jan., 17. Juni und 3. Juli), drang in Dar Fur selbst ein und nahm dasselbe, nachdem der Sultan gefallen, in Besitz. Darauf wurden Dar Fertit, die Somalstädte Zeila, Berbera u. a. und das Land Harar erobert. Sofort wurden die alten Straßen und Brunnen in der Wüste wiederhergestellt, um das Land mit in bessere Verbindung zu bringen. Am traten auch die nach langen Verhandlungen mit den europäischen Mächten eingesetzten Gerichtshöfe, an der Spitze ein oberstes Gericht zu Alexandria, ins Leben, um an Stelle der bisherigen Konsulargerichtsbarkeit die Streitigkeiten der Einheimischen mit den Fremden und dieser unter sich zu entscheiden; wurden die betreffenden Gesetze publiziert.
Nun trat aber ein bisher durch große Anleihen und allerlei Blendwerk verhüllter Krebsschade in der ägyptischen Verwaltung hervor, nämlich ein ungeheures Defizit in den Finanzen, welches hauptsächlich durch die unsinnige Verschwendung des Chedive verursacht war. Um augenblickliche Hilfe zu schaffen, verkaufte dieser seine 176,602 Suezkanalaktien für 4 Mill. Pfd. Sterl. an England und erbat sich zugleich von demselben einen tüchtigen Finanzmann, um die ägyptischen Finanzen zu ordnen.
Das englische Ministerium schickte auch 13. Dez. den Generalzahlmeister Cave zu diesem Zweck nach Ägypten ab. Obwohl dieser auch durch französische und italienische Financiers unterstützt wurde, vermochte er doch nicht, in das Chaos Ordnung zu bringen, da der Chedive vor allem nicht mit Ersparnissen in seinem luxuriösen Hofhalt beginnen wollte. Sowohl für die Staatsschuld als für die Privatschuld des Chedive wurde im Mai 1876 die Zahlung der Zinsen suspendiert, und zur Entschädigung wurden die verschiedenen Anleihen zu einer mit 7 Proz. zu verzinsenden Schuld unifiziert, auch für die schwebende Schuld 7 Proz. Obligationen mit 80 Proz. des Nominalwerts ausgegeben, endlich eine Oberfinanzkommission zur Überwachung der Obligationen eingesetzt.
Zwar wurden die Steuern doppelt erhoben, den Beamten kein Gehalt, den Lieferanten keine Rechnungen bezahlt; trotzdem mußte schließlich England mit einem Vorschuß für Bezahlung der Zinskoupons an die meistens englischen Gläubiger eintreten. Zu dieser Zerrüttung der Finanzen kamen der unglückliche Ausgang des Kriegs mit Abessinien (s. d.) und 1877 ein Aufstand in Dar Fur. Als der russisch-türkische Krieg ausbrach, schickte Ismail Pascha, seinen Vasallenpflichten getreu, 6000 Mann unter seinem in Berlin militärisch gebildeten Sohn Hassan Pascha der Türkei zu Hilfe.
Dieselben wurden der Armee im Festungsviereck zugeteilt, leisteten aber wenig. Im August 1878 kam es endlich in der Finanzfrage zu einer Vereinbarung mit den Westmächten, indem Nubar Pascha wieder zum leitenden Minister ernannt und zu durchgreifenden Reformen ermächtigt wurde; der Engländer Wilson trat ihm als Finanzminister, der Franzose Blignières als Bautenminister zur Seite. Der Chedive und seine Familie mußten ihren Privatgrundbesitz, die sogen. Daira, zur Verzinsung und Tilgung der Schulden hergeben. Durch eine Revolte der in großer Menge entlassenen Offiziere entledigte sich zwar der Chedive wieder Nubars und setzte im April auch Wilson und Blignières ab; ja, er verweigerte die Zinszahlung der unifizierten Schuld und suspendierte die Tilgung derselben.
Die Mächte verlangten aber nun von ihm die Abdankung, und als er sie verweigerte, ward er auf deren Betrieb vom Sultan abgesetzt und sein Sohn Mehemed Tewfik Pascha an seiner Stelle zum Chedive ernannt. Der Ferman von 1873 wurde aufgehoben und der von 1841 hergestellt; doch gestattete der Sultan die Abschließung von Zoll- und Handelsverträgen, die selbständige Verwaltung der Finanzen und die Errichtung eines Heers von 18,000 Mann gegen einen jährlichen Tribut von 75,000 türk. Pfd.
Die Regelung der Finanzen wurde einem französischen und einem englischen Kommissar übertragen, welche auch die Zahlung der Zinsen ermöglichten und das Budget ins Gleichgewicht brachten, freilich nicht ohne harte Bedrückung der mit Steuern belasteten Einwohner und nicht ohne scharfe Maßregeln gegen die sich selbst bereichernden Beamten; auch wurden zahlreiche Offiziere entlassen, ohne daß ihnen der rückständige Sold ausgezahlt wurde. Die hierdurch veranlaßte Unzufriedenheit benutzte die Militärpartei unter dem Obersten Achmed Arabi, welche eine Vermehrung der Armee erstrebte, bereits 1881 zu einigen Revolten, durch welche sie den schwachen Chedive zwang, den Premierminister Riaz Pascha, der sich der Vermehrung widersetzte, zu entlassen, die Erfüllung ihrer Wünsche zu versprechen und eine Notabelnkammer zu berufen.
Diese Erfolge ermutigten Arabi Pascha, der im Februar 1882 zum Kriegsminister ernannt wurde, die Abschaffung der europäischen Finanzkontrolle und überhaupt die Beseitigung der europäischen Beamten zu fordern. Da der Chedive sich ganz haltlos zeigte und der Sultan nicht rechtzeitig einschritt, so riß Arabi Pascha alle Gewalt an sich, proklamierte sich als Haupt der Nationalpartei, die das Volk von allem Druck befreien werde, und reizte den Pöbel so gegen die Fremden auf, daß es 11. Juni Alexandria zu blutigen Exzessen gegen diese kam. Da die Übelthäter nicht bestraft wurden und Arabi die Forts von Alexandria neu befestigte und armierte, schritt die englische Flotte unter Admiral Seymour 11. Juli zum Bombardement derselben. Das Feuer der Ägypter wurde zum
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Schweigen gebracht, die Forts besetzt, zugleich aber ein Teil der Stadt zerstört und von den erbitterten Soldaten und Einwohnern ein furchtbares Blutbad unter den Europäern angerichtet, deren Häuser meist in Brand gesteckt wurden. Die englische Regierung sah sich daher genötigt, ein Landheer unter Wolseley nach Ägypten zu schicken, das zunächst Alexandria besetzte, dann das ägyptische Heer unter Arabi, der den Widerstand fortsetzte, vom Suezkanal aus 13. Sept. bei Tell el Kebir angriff und vollständig in die Flucht schlug.
Die Empörer wurden in die Verbannung geschickt. Tewfik Pascha wurde darauf wieder in die Herrschaft eingesetzt, doch hatte er alles Ansehen verloren und behauptete sich nur mit Hilfe der englischen Truppen, welche Ägypten besetzt hielten. Englische Beamte und Offiziere machten zwar Versuche, dem Land eine neue, bessere Verfassung und Verwaltung zu geben sowie das Heer zu reorganisieren, doch ohne Erfolg. Die Ausfälle in den Einkünften während der Empörung und die erheblichen Kosten der englischen Okkupation hatten ein solches Defizit zur Folge, daß weder die Entschädigungen an die durch die Ereignisse von Alexandria betroffenen Europäer noch die Zinsen der Staatsschuld gezahlt werden konnten.
Der Versuch, den England auf der Londoner Konferenz 1884 machte, die Zustimmung der Mächte zu einer Zinsreduktion zu erlangen, scheiterte an seiner Weigerung, die frühere internationale Finanzkontrolle herzustellen. Dazu kam der Aufstand des Mahdi im Sudân, wo die ägyptischen Truppen mehrere Niederlagen erlitten, die den Abfall des ganzen Landes von zur Folge hatten. Auch die Besitzungen am Roten Meer und in Harar gingen verloren. So wurden durch die Rebellion Arabi Paschas und die englische Intervention die innern und äußern Erfolge früherer Jahre wieder vernichtet.
Aus der neuern geschichtlichen Litteratur sind hervorzuheben: Bunsen, Ägyptens Stellung in der Weltgeschichte (Hamb. 1844-57, 5 Bde.);
Lepsius, Königsbuch der alten Ägypter (Berl. 1858);
Brugsch, Geschichte Ägyptens unter den Pharaonen (Leipz. 1877);
Maspero, Geschichte der morgenländischen Völker (deutsch, das. 1877);
Dümichen, Geschichte des alten Ägypten (Berl. 1878-82, 3 Lfgn.);
Wiedemann, Ägyptische Geschichte (Gotha 1883 ff.);
Lumbroso, L'Egitto al tempo dei Greci e dei Romani (Tur. 1882);
Weil, Geschichte des Abbasidenkalifats in Ägypten (Stuttg. 1860, 2 Bde.);
Quatremère, Histoire des Sultans Mameloucks (Par. 1837-41, 2 Bde.);
Paton, History of Egyptian revolution from the period of the Mamelukes to the death of Mohammed Ali (2. Aufl., Lond. 1870, 2 Bde.);
Cusieri, Storia fisica e politica dell' Egitto dalle prime memorie de suoi abitanti al 1842 (Flor. 1862, 3 Bde.);
über die Regierung Mehemed Alis die Werke von Mengin und Jomard (1839), Mouriez (1855-58, 4 Bde.);
über die Zustände unter Ismail die Schriften von Sacré und Outrebon (1865), Lesseps (s. d.);
über die neueste Zeit Malortie, Egypt, native rulers and foreign interference (2. Aufl., Lond. 1883);
H. Vogt, Die kriegerischen Ereignisse in Ägypten 1882 (Leipz. 1882).