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Mut (Mutter) hervor, welche dem Ammon [* 2] als weibliches, empfangendes Prinzip zur Seite gestellt ward. Sie findet sich dargestellt mit der hohen Mütze, dem königlichen Kopfschmuck von Oberägypten. Ihr ist der Geier geheiligt, wie sie selbst auch mit dem Geierkopf oder auch selbst als Geier erscheint.
Von den Göttern der 2. Dynastie genügt es, Chensu (Chons), den Gott des Mondes, und Thoth, [* 3] den Schreiber der Himmlischen, hervorzuheben. Der erstere bildet mit Ammon und Mut die Triade von Theben, der letztere heißt »Schreiber der Wahrheit«, »Herr des göttlichen Worts« und trägt die Schreibtafel, den Griffel oder den Palmzweig, auch die Straußfeder als Sinnbild der Wahrheit in den Händen. Als Gott der Weisheit hat er die heiligen Schriften offenbart und aufgezeichnet und ist daher vorzugsweise der Gott der Priester.
Da er die Zeiten aufschreibt und damit regelt, hat er auch eine Beziehung zum Mond [* 4] und wird gleichbedeutend mit dem Mondgott. Er nimmt auch an der Prüfung der Verstorbenen in der Unterwelt teil. Ihm war der erste Monat des ägyptischen Jahrs heilig. Waren so die religiösen Anschauungen der alten Ägypter von dem Gegensatz zwischen Leben und Tod, zwischen den heilbringenden und verderblichen Kräften der Natur beherrscht, so wurden jene Mächte auch als im Kampf miteinander befindlich gedacht, wobei die dem Menschen feindlichen zwar auf kurze Zeit obsiegten, schließlich aber doch unterlagen.
Seb und Nut, der Gott und die Göttin des Himmelsraums, erzeugen den Osiris [* 5] und die Isis [* 6] sowie den bösen Typhon (Seth) und die Nephthys. [* 7] Osiris vermählt sich mit Isis und waltet segensreich über Ägypten, [* 8] wird aber von seinem Bruder Typhon umgebracht, sein Leichnam in einem Kasten in den Nil geworfen. Traurig schweift Isis umher, den Leichnam des Gatten zu suchen, bis sie ihn bei Byblos findet, wo die Wellen [* 9] den Kasten ans Land gespült haben und eine Tamariske darüber emporgewachsen ist.
Isis bringt den Leichnam nach Ägypten zurück und bestattet ihn zu Philä. Horos [* 10] aber, des Osiris und der Isis Sohn, kämpft, herangewachsen, um seinen Vater zu rächen, mit Typhon und erschlägt ihn. Osiris war jedoch nicht dem Tod erlegen, sondern in die Unterwelt hinabgestiegen, wo er fortan herrschte. Dieser Mythus soll den durch die Jahreszeiten [* 11] bedingten Wechsel der Vegetation bedeuten. Nach der fruchtbaren Zeit folgt in Ägypten bis zur Sommersonnenwende und zum Eintritt der Überschwemmung eine Periode austrocknender Hitze und Unfruchtbarkeit. In dieser Zeit hat Typhon Osiris besiegt und mit Hilfe seiner 72 Genossen, welche die 72 Tage der größten Hitze bezeichnen sollen, erschlagen.
Die Entfernung der Leiche des Osiris bedeutet, die schaffende Naturkraft entweiche aus Ägypten, bis Horos den Typhon überwindet, d. h. die Natur sich wieder infolge der Überschwemmung belebt. Der Tod des Osiris ist nur ein Scheintod; der Gott lebt, wie auf der Oberwelt in seinem Sohn, so in der Unterwelt selbst fort, um die Seelen der gestorbenen Menschen zu neuem Leben zu erwecken. Jeder Verstorbene wird zu einem »Osiris«; das Schicksal des Menschen ist ein Abbild des göttlichen, welches das Leben und Absterben der Natur symbolisiert.
Typhon (Seth) ist Personifikation aller schädlichen, dem Menschen feindlichen Naturkräfte, sowohl der Unfruchtbarkeit als auch der Dunkelheit, der Gott des öden, salzigen Meers im Gegensatz zu dem befruchtenden Nilwasser. Ihm gehören alle schädlichen Pflanzen und Tiere an, und von ihm rühren alle verderbenbringenden Ereignisse in der Natur her, wie er auch der Urheber des moralisch Bösen, der Vater der Lüge geworden ist. Seine Farbe war dunkelrot, gleich der brennenden Sonne [* 12] im Staub der Wüste; daher sollen ihm rothaarige Menschen geopfert worden sein.
Horos (Hor), der Rächer seines Vaters Osiris, wird häufig als Kind dargestellt, den Finger am Mund (Harpokrates), aber schon in dieser Gestalt »großer Gott, Rächer seines Vaters« genannt, der herangewachsen den Typhon überwindet. Als »Sonnengott beider Horizonte« (Harmachis) erscheint er mit dem Sperberkopf des Ra, mit den Zeichen der Herrschaft und des Lebens. Ihm wird die Göttin Hathor [* 13] zur Seite gestellt, die Aphrodite [* 14] der Griechen, in den Inschriften »Auge [* 15] der Sonne«, »Herrin der Scherze und des Tanzes« genannt und mit Stricken und dem Tamburin, den Symbolen der Freude und des fesselnden Liebreizes, dargestellt. Vornehmlich aber personifiziert sie die Naturpotenz des Gebärens. Ihr sind die weiblichen Sperber und die Kühe heilig, wie sie auch selbst mit Kuhhörnern und der Sonnenscheibe [* 16] dazwischen oder mit dem Kuhkopf, ja selbst als eine Kuh abgebildet wird.
In Osiris und Horos sind alle wohlthätigen Naturkräfte vereinigt und deren siegreiche, das Böse überwindende Macht personifiziert. Osiris ward angerufen als »König des Lebens«, als »Herr von unzähligen Tagen«; aber die Herrschaft über Ägypten hat er dem Horos überlassen und waltet selbst in der Unterwelt. Die immergrüne Tamariske ist sein Baum und der Reiher (Phönix) sein Tier. Isis (Ese),
»große Göttin«, »königliche Gemahlin«, ist die Erde, deren vegetative Kraft [* 17] alljährlich durch Osiris geweckt und befruchtet wird. Die Göttin Mut, alle Göttinnen der Empfängnis und Geburt, Neith von Sais, Pacht und Hathor gehen in die Isis über, indem sie zugleich besondere Gestalten neben ihr bleiben. Osiris und Isis wurden in ganz Ägypten verehrt, namentlich aber zu Abydos und This in Oberägypten und an der Südgrenze, auf der Insel Philä im Nil oberhalb Syene.
Hier ward das von Tamarisken beschattete Grab des Osiris auf einer kleinen Insel, die nur Priester betreten durften, gezeigt, außerdem aber auch bei andern Tempeln des Gottes, das echteste in der Stadt Busiris im Delta, [* 18] wo auch der größte Tempel [* 19] der Isis stand und beiden Gottheiten große Feste gefeiert zu werden pflegten. An dem Tag, an dem die Sonne durch das Zeichen des Skorpions geht, sollte Typhon den Osiris erschlagen haben, und an demselben Tag, von welchem an der Anfang der größten Hitze gerechnet ward, begann das Fest der Trauer um des Osiris Tod.
Diesem Trauerfest folgte, wenn die ersten neuen Keime nach der Überschwemmung sich zeigten, die Feier des zu neuem Leben erwachten Osiris. Die Gestalten des Osiris und der Isis sind allein Gegenstände eines reichen und tiefen Mythus, während die übrigen Götterfiguren bloß Personifikationen von Naturpotenzen oder Lokalgötter sind. Hieraus sowie aus dem Umstand, daß dem Götterkreis des Osiris, der aus diesem selbst sowie aus Horos, Typhon, Isis und Nephthys besteht, die fünf Schalttage des ägyptischen Jahrs, welches ursprünglich nur 360 Tage zählte, geweiht waren, möchte man auf den spätern Ursprung des Osirisdienstes schließen, wenn nicht der das Jahr zu 365 Tagen bestimmende Kalender schon aus älterer Zeit herrührte und Osiris ¶
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Lokalgott von This wäre, von wo die Gründung des alten Reichs von Memphis ausgegangen sein soll.
Im höchsten Grad seltsam und ohnegleichen ist aber der ägyptische Tierdienst. Einige Tierarten, Stier, Hund, Katze, [* 21] Ibis, Storch und einige Fische, [* 22] wurden allgemein, andre, wie Widder, Wolf, Löwe, Spitzmaus, Adler, [* 23] Krokodil, Ichneumon, nur in einzelnen Bezirken verehrt; ja, manche, die hier angebetet wurden, waren dort ein Gegenstand des Abscheus. Wer ein heiliges Tier mit Vorsatz tötete, war des Todes schuldig; wenn es unvorsätzlich geschah, konnte er sich mit einer Geldstrafe lösen.
Wer aber eine Katze oder einen Ibis umbrachte, hatte jedenfalls das Leben verwirkt. Wenn jemand ein heiliges Tier tot erblickte, so blieb er in der Ferne stehen, schrie, wehklagte und beteuerte, daß er es tot gefunden habe. Noch Diodor erzählt, daß ein Römer, [* 24] welcher eine Katze umgebracht hatte, die Todesstrafe erleiden mußte und zwar zu einer Zeit, da des Landes Schicksal in Roms Händen war. Bei einer Feuersbrunst, erzählt Herodot, trugen die Ägypter weit mehr Sorge für die Rettung der Katzen [* 25] als für die Löschung des Brandes, und wenn eine Katze sich in die Flammen stürzte, wurde große Wehklage erhoben.
Starb in einem Haus eine Katze, so schoren sich alle Bewohner desselben die Augenbrauen ab; starb ein Hund, so schor man sich den ganzen Leib und den Kopf kahl. Man balsamierte die heiligen Tiere ein und setzte sie in eignen Gräbern bei. So gab es in Bubastis einen Katzenfriedhof, dessen Stätte man bei dem heutigen Zagâzîg noch deutlich wieder erkannt hat. Gewisse Tierindividuen hielt man auch in heiligen Höfen, badete, salbte, fütterte und schmückte sie mit großem Aufwand und hielt ihnen besondere Wärter, die in hohen Ehren standen.
Von dem Tierdienst scheint die Götterverehrung der Ägypter ausgegangen zu sein; einige blieben einzelnen Göttern heilig, so daß sie selbst mit ihnen wechseln, wie Sperber und Horos, Schakal und Anubis, [* 26] Ibis und Thoth. So hat sich aus dem Fetischismus der Polytheismus entwickelt. Wenn die Göttergestalten teilweise aus Menschen- und Tierleib zusammengesetzt sind, so beruht das nur auf sogen. Hieroglyphismus. Der Gott wird durch diese Form erkennbar und benennbar; Götterdarstellungen sind aus der ältern Zeit bei den Ägyptern überhaupt nicht nachzuweisen.
Daß in dem Apis [* 27] eigentlich Osiris verehrt wurde, sagen die Alten ausdrücklich; die Seele dieses Gottes sollte in dem Stier wohnen und nach dem Tode desselben in den Nachfolger übergehen. Diese Vorstellung hängt mit dem Glauben an Seelenwanderung zusammen, welcher einen uralten Zusammenhang zwischen Ägyptern und Indern vermuten läßt. Nach Herodot glaubten die Ägypter, die Seele des Menschen wandere nach dem Tode des Leibes durch alle Tiere des Landes und des Meers und durch alle Vögel [* 28] und kehre nach 3000 Jahren in einen Menschenleib zurück.
Besser als über diesen Glauben werden wir durch die ägyptischen Schriften über das Totenreich, Amenthes oder Amente, belehrt, wo Osiris herrscht und die Toten richtet. Ein solches Gericht findet sich in Exemplaren des »Totenbuchs« öfters bildlich dargestellt: vor dem auf einem Thron [* 29] sitzenden Osiris werden von dazu bestellten Göttern die Thaten des Hingeschiedenen, die durch das Symbol des Herzens bezeichnet werden, förmlich gewogen. Nach Diodor fand schon auf der Oberwelt ein solches Gericht statt, welches dem schlechten Wandels schuldig befundenen Verstorbenen eine feierliche Bestattung absprach und selbst über Könige aburteilte, denen das ein Antrieb zu gerechter Regierung gewesen sein soll.
Denn die Versagung feierlicher Bestattung mußte gerade in den größten Eindruck machen. Sorgfältigst balsamierte man die Leichname zu Mumien (s. d.) ein, um sie der Verwesung zu entziehen, legte sie dann in mitunter doppelte oder dreifache Särge von Sykomorenholz und diese zuweilen noch in Granitsarkophage, die mit Inschriften und Darstellungen versehen waren, und stellte sie so in den Grabkammern, bisweilen aufrecht, hin. Über die Vorstellungen von dem Leben nach dem Tod gibt das »Totenbuch« die beste Auskunft; es umfaßt alles, was dem Verstorbenen in der andern Welt zu wissen nötig war.
Noch ältere Vorstellungen enthalten die schwierigen Texte, welche man neuerdings in einigen Pyramiden gefunden hat.
Vgl. Pierret, Essai sur la mythologie égyptienne (Par. 1879);
Derselbe, Le [* 30] Panthéon égyptien (das. 1881);
Lanzone, Mitologia egiziana (Tur. 1882);
Renouf, Vorlesungen über Ursprung und Entwickelung der Religion der alten Ägypter (a. d. Engl., Leipz. 1881);
Lieblein, Egyptian religion (Lond. 1884);
Brugsch, Religion und Mythologie der alten Ägypter (Leipz. 1884).
Zeitrechnung, Schrifttum.
Wie hiernach von den religiösen Lehren
[* 31] der Priester vieles dunkel bleibt, so haben wir auch über ihre
wissenschaftlichen Kenntnisse bei dem Mangel einer Volkslitteratur keine größere Klarheit. Der Gott der geistigen Gaben und
Leistungen war Thoth (Taut), der griechische Hermes,
[* 32] der Erfinder der Zahlen, der Rechenkunst, der Meß- und Sternkunde sowie der
Buchstaben. Er soll zuerst Geometrie und Astronomie
[* 33] gelehrt haben, womit sich die ägyptischen Priester,
durch die Natur des Landes veranlaßt, emsig beschäftigten; denn die jährlich wiederkehrende Nilanschwellung leitete auf
Versuche sowohl in der Feldmeßkunst, um die Grenzmarken der Äcker festzustellen, als im Kalender
wesen, wozu Beobachtung der
Gestirne notwendig ist.
Das Jahr der Ägypter bestand aus 12 dreißigtägigen Monaten und 5 Schalttagen. Es war demnach ein sogen. wanderndes Sonnenjahr, dessen Anfang, weil der fast einen Viertelstag betragende Unterschied zwischen seiner Dauer und der des wirklichen Erdumlaufs um die Sonne dabei übersehen wird, allmählich durch alle Jahreszeiten wandert. Mit dem julianischen Jahr von 365¼ Tagen verglichen, beträgt der Unterschied nach 1460 Jahren ein volles Jahr, so daß der Anfang des ägyptischen Jahrs nach diesem Zeitverlauf mit dem des julianischen wieder zusammenfällt.
Bestimmten Zeugnissen der Alten zufolge war den Ägyptern diese große Periode, die Hundsstern- oder Sothisperiode, bekannt, sie müssen also den Mehrbetrag von einem Vierteltag berechnet und gekannt haben. Über das Verhältnis des festen zu dem gebräuchlichen beweglichen Jahr sind eingehende Untersuchungen geführt worden, die aber vollständig gesicherte Ergebnisse noch nicht gehabt haben. Von einer weitern Entwickelung der seit uralter Zeit vorhandenen astronomischen Kenntnisse und Vorstellungen ist nichts zu finden. Die Ägypter blieben auf der einmal erreichten Stufe der Bildung stehen, und ihr gesamtes Wissen und Können beharrte in der festen Form und Regel, die es einmal angenommen hatte.
Wenn sich die Ägypter der Erfindung der Buchstabenschrift rühmten und der Mythus dieselbe dem Gotte Thoth zuschrieb, so dürfen wir ihnen ¶