mehr
raffinierter Zucker, [* 2] Maschinen u. a. Der überwiegende Teil der Einfuhr findet von England her statt, wohin auch weit über die Hälfte der Ausfuhren geht. In zweiter Linie stehen Frankreich und Österreich, [* 3] dann folgen Rußland, die Türkei [* 4] und Italien. [* 5] Der direkte Verkehr nach Deutschland [* 6] ist sehr gering. Die ägyptische Handelsflotte zählt ca. 600 Schiffe [* 7] und 40 Dampfer mit 61,000 Ton. Gehalt. Die Handelsflagge ist grün mit einem horizontalen gelben Streifen.
Der Schiffsverkehr der wichtigsten Häfen betrug 1880 im Eingang 8748 Schiffe mit 3,255,674 Ton., davon unter ägypt. Flagge 3579 mit 296,259 T. Landesmünze ist der Piaster, bei dem zu unterscheiden ist der Piaster Tarif (Regierungsgeld) = 20 Pf. und der Piaster Kurant = 10 Pf.; 1 Piaster = 40 Para Kupfer. [* 8] Bei großen Summen rechnet man nach Beuteln à 500 Piaster = 5 Pfd. Sterl. = 100 Mk. In Kairo [* 9] und Alexandria kursiert sehr viel gemünztes Geld europäischer Staaten, nur kein deutsches und österreichisches. Es laufen nur Gold [* 10] und Silber um, auf dem Land auch Kupfer, aber kein Papiergeld. Maße und Gewichte: 1 Pik = 0,67 m, 1 Kassaba = 3,35 m. 1 Feddân = 4200 qkm. 1 Ruba = 7,5 Lit., 4 Ruba = 1 Webe, 6 Webe = 1 Ardeb. 1 Dirhem = 3,93 g. 1 Rotl = 445,46 g, 100 Rotl = 1 Kantar. 1 Akka = 1,237 kg.
Die Verkehrsmittel haben sich in [* 11] in letzterer Zeit entschieden gehoben. Voran steht der 1869 dem Verkehr übergebene Suezkanal (s. d.), welcher über Zagazig mit dem Nil durch einen nach Suez führenden, schon 1863 vollendeten Süßwasserkanal in Verbindung steht. Eisenbahnen und zwar Staatsbahnen [* 12] standen 1883: 1518 km in Betrieb. Das Delta [* 13] ist von zahlreichen Linien durchschnitten, von Kairo geht eine Bahn nach Ismailia und dann längs des Suezkanals nach Suez.
Die Bahn von Kairo nach Suez durch die Wüste ist aufgegeben. In Mittelägypten besteht die von Gizeh nach Siut längs des Nils verlaufende Bahn. In Privathänden ist nur die 8 km lange Bahn Alexandria-Ramle; 1880 wurden 3,093,840 Reisende befördert. Staatstelegraphenlinien verzweigen sich über das Delta und sind seit 1869 bis Chartum und bis Dar Fur [* 14] geführt worden; ein Draht [* 15] geht auch von Chartum nach Suakin am Roten Meer. Im J. 1882 betrug die Länge sämtlicher Linien 8645 km, davon ist eine 728 km lange Linie von Kairo nach Suez in englischem Besitz. Die ägyptische Staatspost zeichnet sich durch Pünktlichkeit aus; sie expedierte 1881 in 140 Postämtern 8,414,000 Sendungen. Europäische Postämter unterhalten die Konsulate in den großen Städten.
Überblicken wir nochmals die sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse Ägyptens, wie sie sich unter dem Einfluß der Europäer seit einigen Jahrzehnten entwickelt haben, so finden wir äußerlich wohl einen Fortschritt, im ganzen aber mehr Schein als Wesen. Der geistige und moralische Fortschritt ist fast Null. Was Europa [* 16] nachgeahmt wurde, besteht in Äußerlichkeiten oder noch Schlimmerem. Europäische Wissenschaft hat nicht eindringen können, wohl aber die europäische Halbwelt, geführt vom Hof, [* 17] der die Schattenseiten von Paris an [* 18] den Nil verpflanzte.
In der Religion besteht nach wie vor der finstere Fanatismus; auf die Volksmoral kann das luxuriöse Beispiel des Hofs und der zum großen Teil aus Schwindelelementen bestehenden ansässigen Europäer nur verderblich wirken. In der Justiz herrscht die alte sprichwörtliche Bestechlichkeit, wonach Kadi und Rechtsverkäufer gleichbedeutend sind. Der Unterricht beschränkt sich im wesentlichen auf die alten Koranschulen; was außerdem geschah, ist Karikatur Europas. Im Handel und Wandel herrscht die größte Unsicherheit.
Was endlich die Staatswirtschaft betrifft, so ist sie eins der größten Rätsel, welches die Nationalökonomie des Orients bietet. Eins der reichsten Länder, in welchem der gesamte Bodenertrag Staatseinkommen bildet, in welchem Beamte wie Militärs fast nie bezahlt werden, ist Ägypten ungeheuer mit Schulden belastet. Ordnung und Sparsamkeit sind den Finanzen fremd; es herrscht die schändlichste Verschleuderung des öffentlichen Staatseigentums. »Zivilisation und Humanität«, von der Regierung oft gebrauchte Worte, sind leerer Schall [* 19] geblieben. Die Mißhandlung des Volks, der armen Fellahs, ist eine arge, und Ägypten wird sich nicht eher heben, bis das Los dieser armen Menschen erleichtert wird.
Alte Kultur Ägyptens.
Die Kultur Ägyptens ist wie die keines Volks ein Abbild der Eigenart des Landes, welches schon den Alten als ein Wunderland galt. Herodot, welcher um 450 v. Chr. besuchte, bemerkt: wie dort Himmel [* 20] und Strom eine ganz abweichende Art und Natur hätten, so unterschieden sich auch die Bewohner in ihren Sitten weit von andern Völkern, und führt zum Beweis Gebräuche an, bei denen die Geschlechter die Rollen [* 21] vertauscht zu haben scheinen, sowie eine Reihe andrer Seltsamkeiten, die vielleicht in der Eigentümlichkeit des Landes ihre Erklärung finden.
Die Abstammung der alten Ägypter ist noch dunkel. Ihre Sprache [* 22] hat sich zwar erhalten in der koptischen; doch verbreitet diese nur wenig Licht [* 23] über die Abkunft des Volks, welches sie einst gesprochen, da sie zur indogermanischen Sprachfamilie in keiner deutlich erkennbaren, zur semitischen nur in entfernterer Beziehung steht. Die durch die Entzifferung der Hieroglyphen (s. d.) erschlossene altägyptische Sprache verrät dieselbe Stammverwandtschaft mit der semitischen, aber sie ist einfacher und ursprünglicher in ihrem Bau als diese.
Sie bildet mit einigen andern afrikanischen
Sprachen den hamitischen Sprachstamm.
[* 24] Was wir über die Körperbildung der alten
Bewohner aus
Beschreibungen, aus der Betrachtung der
Mumien und aus den Abbildungen auf den
Monumenten wissen, berechtigt zu
der
Vermutung, daß die Ägypter nicht einem und demselben Volksstamm angehört haben. Vermutlich hat
die Verschiedenheit der
Rasse auch auf die bei ihnen übliche Kasteneinteilung Einfluß gehabt. In waren, wie in
Indien, die
höhern
Kasten von einem in der Körperbildung edlern und geistig begabtern
Stamm kaukasischer
Rasse, während die niedern zwischen
dieser und der Negerrasse
gestanden zu haben scheinen.
Sicher war auch hier der weißere Stamm der später eingewanderte. Woher die Einwanderung kam, darüber fehlt jede Spur; doch deutet schon die kaukasische Rasse darauf, daß die höhern Volksklassen aus Asien [* 25] hergezogen sein mögen. Auch manches Übereinstimmende in Einrichtungen, Vorstellungsweisen und Kenntnissen spricht dafür. Insbesondere haben die ägyptische Kasteneinteilung und die Lehre [* 26] von der Seelenwanderung zu der Vermutung geführt, daß von Indien aus eine Priestereinwanderung geschehen sei, was jedoch wenig wahrscheinlich ist. Schon der Weg, den eine solche Einwanderung genommen haben könnte, bietet große Schwierigkeiten. Daß indische Kolonisten durch Iran etc. zu Lande nach Ägypten ¶
mehr
gelangt sein sollten, ist kaum denkbar. Man hat daher eine vielleicht durch Arabien vermittelte Verbindung zwischen Indien und
Äthiopien und eine Übersiedelung der Kultur von Äthiopien nach Ägypten angenommen und in Meroë (s. d.) den Ort erkennen wollen,
wohin kaukasische
Einwanderer aus Asien zuerst gekommen und von wo sie weiter nach Ägypten gezogen seien.
Dem widerspricht aber schon die Angabe Herodots, daß die Äthiopier Sitten und Kultur von zu ihnen entwichenen ägyptischen
Kriegern empfangen haben sollen, und die genauere Erforschung der Baudenkmäler spricht für die Priorität der ägyptischen,
wie auch der ägyptische Stil in den Bauwerken Nubiens sich einfach durch die Annahme erklärt, daß sie
dort von ägyptischen Meistern oder von äthiopischen Schülern derselben aufgeführt worden sind, als Nubien unter der Herrschaft
der Pharaonen stand.
Die hieroglyphischen Inschriften haben gelehrt, daß Nubien schon unter der 12. Dynastie Ägypten unterworfen war; ägyptische Statthalter verwalteten das Land bis zur Zeit der 21. Dynastie, und erst danach entstand das Äthiopenreich von Napata oder Noph am Berg Barkal, welches des Pharaonenreichs Kultur in sich aufnahm, im 8. und 7. Jahrh. Ägypten selbst unterjochte und bis in die ersten Jahrhunderte vor unsrer Zeitrechnung blühte. Die Denkmäler Äthiopiens sind also bedeutend jünger als die meisten ägyptischen, deren älteste die Pyramiden von Memphis und die Gräber in deren Umgebung sind. An eine Einwanderung der Kultur von Süden her ist also überhaupt nicht zu denken.
So viel läßt sich erkennen, daß der Zusammenhang der Kultur Ägyptens mit der asiatischen in das höchste Altertum aller Völkerentwickelung zurückreichen muß. Ägyptens Kultur ist so alt wie irgend eine, von der wir Kenntnis haben. Kunde davon geben uns die Nachrichten der Griechen und Hebräer und vor allem jene den Jahrtausenden trotzenden Denkmäler der Bau- und Bildekunst des alten Volks selbst. Man sah früher die Pyramiden von Memphis (s. d.) und die Obelisken (s. d.) bei Heliopolis als die staunenswertesten Zeugen der alten Kultur Ägyptens an und kannte nicht oder übersah die mannigfaltigen Denkmäler Oberägyptens.
Erst die Napoleonische Expedition 1798 hat die Blicke der Altertumsforscher auf diese Bauwunder gelenkt und in ihnen eine neue, bisher so gut wie unbekannte Welt erschlossen, wodurch die Wissenschaft die wesentlichsten Bereicherungen erhalten hat und noch fortwährend erhält. Vor andern haben sich später Champollion, Rosellini, Lepsius und Mariette um die Erforschung des alten Ägypten verdient gemacht; dem Studium seiner Schriftdenkmäler hat sich eine ganze Schule, die ägyptologische, gewidmet.
Unter den Ruinen im oberägyptischen Nilthal sind die merkwürdigsten die von Theben (s. d.), welches in den Zeiten der Machthöhe Ägyptens die Hauptstadt des ganzen Reichs war. Es sind von ihr noch die gewaltigen Trümmermassen der Tempel, [* 28] Säulengänge, Kolosse etc. übriggeblieben. Sie geben uns ein Bild von der einstigen Pracht und Herrlichkeit der »hundertthorigen« Hauptstadt, anschaulicher und ergreifender, als es die ausführlichsten Berichte der Alten geben könnten; sie eröffnen uns Blicke in eine uralte hohe Kultur und einen ausgebildeten Kunstsinn, gleich großartig im Entwerfen von Plänen wie in den zur Ausführung verwandten Mitteln.
Nach Entzifferung der Hieroglyphen steht es fest, daß die Mehrzahl dieser Bauten, welche die Blüte [* 29] der ägyptischen Kunst bezeichnen, in der Mitte des 2. Jahrtausends v. Chr. entstanden ist. Es gibt jedoch bedeutend ältere Kunstdenkmäler als die Tempel Thebens in Ägypten. Den ältesten Pyramiden schreibt man mit gutem Grund ein Alter von über 5000 Jahren zu, ebenso mehreren Gräbern, deren Kammern mit den herrlichsten Skulpturen geschmückt sind. Zwischen diesen schon so vollendeten Kunstwerken und den allerersten Anfängen der Kultur in Ägypten muß aber eine lange Reihe von Jahrhunderten der Entwickelung gelegen haben. Es sind denn auch Denkmäler aus den ersten drei Dynastien kaum erhalten, und vor diese setzen die Ägypter selbst die Zeiten der Heroen (Schesu-Hor), der Halbgötter und der Götter - viele Jahrhunderte.
Kastenwesen, Rechtspflege, häusliches Leben.
Die bürgerlichen Einrichtungen des alten Ägypten beruhen auf dem Kastenwesen. Die Angaben der griechischen Schriftsteller, unsrer einzigen Quelle, [* 30] weichen zwar voneinander ab, stimmen aber darin überein, daß sie die Priester und die Krieger als die ersten und als gesonderte Kasten aufführen; das Abweichende betrifft bloß die untern Kasten. Während Strabon nämlich diese in Eine Abteilung bringt, unterscheidet Herodot fünf: Rinderhirten, Schweinehirten, Krämer, Dolmetschen, Schiffer;
Diodor drei: Hirten, Ackerbauer und Handwerker.
Die Priester, die höchste und einflußreichste Kaste, gliederten sich nach dem Rang in höhere und niedere, dann nach den Gottheiten, denen sie dienten, und nach den verschiedenen Tempeln sowie nach sonstigen Geschäften; denn die Priester vertraten das gesamte geistige Volksleben, so daß auch Staatsdiener, Richter, Schriftkundige, Ärzte, Baumeister etc. zu ihnen gehörten. Es war ihnen Enthaltsamkeit in Speisen und Getränken auferlegt und die Vielweiberei untersagt.
Sie bildeten den Mittelpunkt und die Seele des ganzen Staatslebens; ihr Grundbesitz war steuerfrei, und ihren Unterhalt trug der Staat. Die Kaste der Krieger, zu Herodots Zeit 410,000 Mann, war auf verschiedene Provinzen verteilt, wo ihre Mitglieder zinsfreie Ländereien besaßen. Da sämtliche Grundstücke im Besitz des Königs und der beiden obersten Stände waren, so können die Ackerbauer nur Pachter gewesen sein, und deshalb wohl führt sie Herodot nicht als besondere Kaste auf.
Städtische Bürger scheinen jedoch auch innerhalb ihrer Orte Grundbesitz gehabt zu haben. In der Kaste der Handwerker waren ohne Zweifel die einzelnen Gewerbe wieder vollständig voneinander geschieden und erbten von den Vätern auf die Söhne. An der Spitze des Volks stand der König, dessen Würde erblich war (s. Tafel »Kostüme [* 31] I«, [* 32] Fig. 1 u. 2). Er gehörte immer der Priesterkaste an. War er auch durch Gesetze und durch peinliche Zeremonialvorschriften beschränkt, so galt er doch dem Volk gegenüber geradezu als Stellvertreter der Götter: daher der große Einfluß der Priesterschaft, wenn man auch von einer eigentlichen Priesterherrschaft in Ägypten nicht sprechen kann.
Ein Gegengewicht dagegen bildete schon die zahlreiche Kriegerkaste, welche auch auf die kriegerische Natur der Ägypter hinweist. Die Kriegskunst war sehr ausgebildet. Außer Bogenschützen, dem Kern der Heere, gab es ein mannigfach ausgerüstetes schweres Fußvolk, welches in der Schlacht zuweilen in gedrängten Massen phalanxartig aufgestellt wurde, ferner Streitwagen, [* 33] von welchen herab die Vornehmsten kämpften und befehligten, und später auch Reiterei. Bei ¶