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in Dörfern ansässig in der Nähe des Kulturlands oder auf sandigen Strichen innerhalb desselben. Mit den Beduinen gleicher Abstammung sind die in den Städten seßhaften Araber. Der Osmane ist in Ägypten derselbe wie allenthalben, in stolzem, gravitätischem Genuß der Herrschaft träger Ruhe hingegeben. Die Mamelucken kamen seit dem 13. Jahrh. ursprünglich als Sklaven von den Kaukasusländern herein, bildeten dann die Truppenmacht und nahmen nach und nach als Beis die Zügel der Herrschaft in die Hand, bis sie von Mehemed Ali 1811 auf der Citadelle zu Kairo vernichtet wurden. Vorherrschend bei der ganzen Bevölkerung ist die arabische Sprache; die Regierung verkehrt in dieser mit ihren Unterthanen, in französischer Sprache mit den Fremden, in türkischer mit der Pforte. Im sogen. ägyptischen Sudân bilden echte afrikanische Neger die Hauptbevölkerung, in Nubien die Berâbra.
Staatsverwaltung. Finanzen. Armee.
Ägypten ist ein türkischer Vasallenstaat, dessen Verwaltung auf Grund des von England, Rußland, Preußen und Österreich abgeschlossenen Vertrags und des großherrlichen Hattischerifs vom stets einem vom Sultan gewählten Gliede der Familie Mehemed Alis auf Lebenszeit gegen einen jährlichen Tribut von 678,397 Pfd. Sterl. garantiert ward. Der tributpflichtige Statthalter, welcher seit 1867 offiziell die Titel »Hoheit« und »Chedive« (Vizekönig) führt, hat 1866 nach jahrelangen Anstrengungen die direkte Erbfolge nach dem Prinzip der Erstgeburt und der Linearsuccession endlich zugestanden erhalten.
Neuerdings ist das Verhältnis zwischen Ägypten und der Pforte durch den Ferman des Großsultans vom geregelt worden. (Weiteres s. unter Geschichte.) Zur obersten Führung der Geschäfte hatte bereits Mehemed Ali eine Art Ministerium gebildet, welches jetzt aus den Ministerien des Innern, des Äußern, des Kriegs, der Finanzen, des Handels, des Unterrichts, des Kultus, der öffentlichen Arbeiten, der Justiz und des Sudân besteht. Seit 1882 von den Engländern okkupiert, harrt Ägypten einer neuen staatlichen Organisation.
Eingeteilt wird in das eigentliche Ägypten (vom Mittelmeer bis zum Wadi Halfa) als das Hauptland und in die Besitzungen außerhalb des eigentlichen Ägypten als dessen Dependenzen. Diese Besitzungen umfassen die Landschaften Kordofan, Dar Fur, die Äquatorialprovinzen u. a., welche man insgesamt als ägyptischen Sudân bezeichnet. Den Namen Nubien, worunter man die Landschaft von den ersten Katarakten bis Chartum verstand, kennt man im Land nicht; Nubien ist heute nur ein geographischer Begriff, namentlich seitdem durch Verlegung der Südgrenze des eigentlichen von Assuân nach Wadi Halfa ein großer Teil des nubischen Gebiets zu Oberägypten gezogen wurde.
Das eigentliche Ägypten (Beled Misr) teilt man herkömmlich in Ober-, Mittel- und Unterägypten, Bezeichnungen, die indes nur eine geographische, keineswegs eine administrative Bedeutung haben. Administrativ zerfällt das Land in Gouvernorate oder Mohafzas und Provinzen oder Mudiriehs. Die Einteilung nach Gouvernoraten besteht nur für die größern Städte, welche in ihrer Verwaltung von der des übrigen Ägypten völlig unabhängig sind; die Einteilung der oberägyptischen, noch mehr der sudânischen Provinzen ist häufigen Schwankungen unterworfen, indem bald mehrere unter einem Generalgouverneur vereinigt und dann wieder getrennt, bald einer Kommission des Ministeriums des Innern untergeordnet werden. Die vom ägyptischen Generalstab angestellten Berechnungen ergaben für Areal und Bevölkerung nachstehende Ziffern:
Gouvernorate und Provinzen | Areal QKilom. | Davon nutzbar u. vermessen | Bevölkerung 1877 |
---|---|---|---|
Gouvernorate (Mohafzas): | |||
Kairo | - | - | 327462 |
Alexandria bis Siwah | 88202 | 93 | 165752 |
Rosette | 123 | 16243 | |
Damiette | 904 | 32730 | |
Port Said | 6238 | 3854 | |
Ismailia | 1897 | ||
Suez | 11327 | ||
El Arisch und Wüste im O. des Suezkanals und des Roten Meers bis El Wisch | 86079 | 2506 | |
Provinzen (Mudiriehs): | |||
Behera | 10780 | 1085 | 238590 |
Gizeh | 24716 | 873 | 270072 |
Kaliubieh | 842 | 814 | 205380 |
Scharkieh | 4368 | 2182 | 414470 |
Menufieh | 1583 | 1564 | 484550 |
Gharbieh | 3092 | 5639 | 678979 |
Dakahlieh | 2061 | 2141 | 531954 |
Unterägypten: | 223988 | 14991 | 3385766 |
Provinzen (Mudiriehs): | |||
Beni Suef | 50430 | 920 | 140848 |
Fayûm | 1233 | 173655 | |
Minia | 110901 | 1812 | 338616 |
Mittelägypten: | 161331 | 3965 | 653119 |
Assiut | 128700 | 1806 | 461679 |
Ghirga | 15703 | 1491 | 617869 |
Kenneh mit Kosseir | 87075 | 1285 | 310257 |
Esneh | 404557 | 657 | 281593 |
636035 | 5239 | 1471398 | |
Stadt Massaua | - | - | 2744 |
" Suakin | - | - | 4600 |
Eigentliches Ägypten: | 1021354 | 24195 | 5517627 |
Hierzu kommen nun die Besitzungen außerhalb des eigentlichen der ägyptische Sudân mit Kordofan, Dar Fur und den Äquatorialprovinzen. Diese umfassen 1,965,560 qkm mit 10,800,000 Einw. und zwar:
QKilom. | Bewohner | |
---|---|---|
Kordofan | 108280 | 278740 |
Dar Fur | 451980 | 4000000 |
Andre Länder des Sudân und Äquatorialprovinzen | 1405300 | 6500000 |
Somit berechnet sich das Areal Ägyptens auf 2,986,900 qkm (54,246 QM.) mit einer Bevölkerung von 16,300,000 Seelen. An der Spitze jeder Provinz steht der Mudir, ihm zur Seite ein Diwan höherer Beamten als Staatskollegium. Unter dem Mudir stehen die Kreisverwalter (Kâschif) und die Kantonverwalter (Nazir el kism), von denen die Ortsvorsteher oder Dorfschulzen (Schêch) ressortieren. Der Mudir verwaltet die Provinz in administrativer, finanzieller und politischer Beziehung und entscheidet auch in allen Rechtssachen, welche nicht in die Kompetenz des religiösen Gerichts, dem ein Kadi vorsteht, fallen. Eine der wichtigsten Obliegenheiten des Mudirs ist die Eintreibung der Steuern. Der Sitz aller Zentralbehörden sowie die gewöhnliche, nur periodisch mit Alexandria wechselnde Residenz des Chedive ist Kairo. Seit 1866 besitzt Ägypten, wiewohl nur nominell, eine Art von Volksvertretung in einer aus 75 Abgeordneten bestehenden Kammer (Madschliß el Nuab), zu welcher die Vertreter in den verschiedenen Distrikten je nach
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deren Volksdichtigkeit auf drei Jahre in geheimer Abstimmung gewählt werden.
Die Finanzwirtschaft Ägyptens ist eine übelberüchtigte. Nur den unerschöpflichen Reichtümern des Landes ist es zu danken, daß bei der herrschenden Wirtschaft und dem übergroßen Luxus des Chedive Ismail Pascha die Zustände nicht noch elender sind, als sie erscheinen. Dies hat das Eingreifen der europäischen Mächte, die Absetzung Ismails und die Bestellung von europäischen Finanzkontrolleuren zur Folge gehabt. Die Staatseinnahmen betrugen 1881: 9,012,010, die Ausgaben 7,677,806 Pfd. Sterl.;
der so erzielte Überschuß ist aber durch die Kosten der englischen Okkupation, den Aufstand im Sudân in ein Defizit verwandelt worden.
Die Staatsschuld belief sich auf 97,161,220 Pfd. Sterl., wozu noch die Mukabalahschuld kommt, eine Entschädigung in Gestalt von jährlichen Zinsen an Besitzer von Landgütern, welche im voraus eine Summe bezahlt haben, um den steuerfreien Besitz ihres Landes zu erlangen, im Betrag von 150,000 Pfd. Sterl. 50 Jahre lang zahlbar, und die Zinsen der 1875 von England gekauften Suezkanalaktien im Betrag von 193,858 Pfd. Sterl. Die Einkünfte fließen hauptsächlich aus der Grundsteuer (Scharâg), der Einkommensteuer und der Marktsteuer.
Die Grundsteuer wird nicht erhoben von den im Privateigentum des Chedive befindlichen Gütern (ein Viertel des ganzen Kulturbodens), in ermäßigter Weise von solchem Lande, das der Chedive mit vollem Eigentumsrecht an Private zur Urbarmachung verlieh; diese Ländereien sind drei Jahre steuerfrei und zahlen später 3 Proz. Hauptsächlich lastet sie auf den sogen. Regierungsgrundstücken, die jedes Jahr neu abgeschätzt und danach in drei Klassen geteilt werden.
Diese Steuer wird monatlich durch den Rendanten (Serraf) der Provinz eingehoben; sie beträgt bis 20 Proz. und soll in barem Geld gezahlt werden, was freilich nicht immer möglich ist. Etwa 1,400,000 Hektar sind durchschnittlich mit 10 Schill. pro Hektar und 532,000 Hektar mit 4,4 Schill. pro Hektar besteuert. Letztere Kategorie findet sich hauptsächlich im Besitz der Domänen, der Daira und der reichen Paschas. Die Einkommensteuer für Handwerker, Bazarinhaber und Kaufleute beträgt 4-20 Proz.; die Marktsteuer betrifft die auf die städtischen Märkte gebrachten Landesprodukte und beträgt im Durchschnitt 1½ Proz. Außer diesen Abgaben fließen der Regierung noch zahlreiche andre Einkünfte zu von der Verpachtung der Fischerei, von den auf dem Nil gehenden Barken, den Dattelpalmen, den Zöllen der seewärts eingehenden Waren, den Eisenbahnen und Telegraphen u. a. Noch mehr ist der Binnenhandel mit Zöllen belastet, die von den Sudânkarawanen meist zu Siut erhoben werden. Das heillose Finanzsystem stürzte die Fellahs in das tiefste Elend, während es die Familie des Chedive, die höhern Beamten und die bei der Regierung beteiligten Europäer reich machte.
Die Armee, welche der Chedive nach den Verträgen mit der Türkei halten darf, und die durch Konskription ergänzt wird, sollte nach dem Plan Baker Paschas eine Stärke von 10,900 Mann haben (die Hälfte der Stabsoffizierstellen wurde mit Engländern besetzt), zu denen sich nach Bedürfnis in den unruhigen Distrikten des Sudân eine zeitweilig zusammengezogene Armee gesellt. Im Krieg soll sie auf 60,000 ergänzt werden. Die Zahl der Kriegsschiffe beträgt zusammen 13 mehr oder weniger schadhafte Dampfer; der Staat besitzt außerdem 16 gut gebaute Paketboote für den Dienst zwischen den Häfen des Roten und mehreren Häfen des Mittelländischen Meers.
Bildung. Handel und Verkehr.
Die geistige und wissenschaftliche Ausbildung steht noch auf einer sehr niedrigen Stufe. In den nur von Knaben besuchten Elementarschulen (Anhängseln der Moscheen oder Privatunternehmungen) wird notdürftig Lesen und Schreiben und der Koran auswendig gelernt; in der hohen Schule der Moschee El Azhar wird fast nur Religions- und Gesetzeslehre gepflegt. Die eben genannte Universität ist die bedeutendste des Orients und zugleich Hauptsitz des mohammedanischen Fanatismus; sie wird von ca. 10,000 Studenten aus allen Ländern des Islam besucht.
Zwar machte schon Mehemed Ali den Versuch, höhere Lehranstalten nach europäischem Muster zu gründen; aber erst der Chedive Ismail rief eine Reihe von Regierungsschulen ins Leben, in welchen Unterricht und Lebensunterhalt unentgeltlich gewährt werden: Elementarschulen, Sekundärschulen und Spezialschulen. Zu den letzten gehören eine polytechnische Schule, eine Rechtsschule, eine philologische und arithmetische Schule, eine Kunst- und Gewerbeschule, Medizinalschule, Marineschule und eine Schule für Ägyptologen, welche sich auf das ägyptische Museum zu Bulak stützt. Doch kränkeln alle diese Anstalten infolge der allgemeinen zerrütteten Verhältnisse Ägyptens. Als Rechtskodex für die Mohammedaner gilt der Koran. Der Großkadi zu Kairo ist oberster Landesrichter, der in den Provinzen durch Substituten (Naibs) vertreten wird.
Der Kunstfleiß des Landes ist noch nicht weit gediehen. Die besten Handwerker und Künstler finden sich unter den Kopten, Griechen und Armeniern, welche grobe Leinwand, Segeltuch, baumwollene und seidene Zeuge, feine Matten aus Binsen und namentlich in Oberägypten treffliche Geschirre aus ungebranntem Nilschlamm herstellen. Feine Juwelierarbeiten werden in Kairo und andern größern Städten gefertigt. Im Gefolge europäischer Unternehmer sind in den größern Städten einige Fabriken, Baumwollspinnereien, Pulverfabriken, Bierbrauereien entstanden; doch können sie bei dem lebhaften Handel und den verbesserten Verkehrsmitteln mit europäischen Erzeugnissen nicht konkurrieren. Ansehnlich ist noch die Fabrikation von Natron aus den erwähnten Natronseen und ausgedehnt endlich die Produktion junger Hühner mittels Brütöfen.
Einen bedeutenden Aufschwung hat in neuerer Zeit der Handel Ägyptens genommen, seit die Überlandroute von Europa nach Indien mit der Eisenbahn und durch den Suezkanal ihren Weg wieder über Ägypten nimmt und dort zahlreiche europäische Handelshäuser, namentlich in Alexandria, sich niedergelassen haben. Die wichtigsten Handelshäfen für den Verkehr mit Europa sind Alexandria und Port Said; für Indien Suez; für den Verkehr mit dem afrikanischen Binnenland und Arabien Kosseir, Suakin und Massaua.
Die Einfuhr betrug 1883: 732,9, die Ausfuhr 1217,7 Mill. Piaster. Ausfuhrprodukte sind: Baumwolle und Baumwollsamen, Zucker, Bohnen, Mais, Gummi, rohe Häute, Reis, Gemüse und Früchte, Weizen, Elefantenzähne, arabischer Kaffee, Datteln u. a. Im Innern ist trotz des Verbots der Sklavenhandel noch stark im Schwange. Hauptplätze für den Karawanenhandel daselbst sind: Berber, Kassala, Chartum, Senaar, El Obeïd. Einfuhrartikel sind allerlei europäische Fabrikate, namentlich baumwollene Stoffe, Steinkohlen, Kramwaren, Bauholz, Kaffee, Indigo, Weine und Spirituosen, Tabak,
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raffinierter Zucker, Maschinen u. a. Der überwiegende Teil der Einfuhr findet von England her statt, wohin auch weit über die Hälfte der Ausfuhren geht. In zweiter Linie stehen Frankreich und Österreich, dann folgen Rußland, die Türkei und Italien. Der direkte Verkehr nach Deutschland ist sehr gering. Die ägyptische Handelsflotte zählt ca. 600 Schiffe und 40 Dampfer mit 61,000 Ton. Gehalt. Die Handelsflagge ist grün mit einem horizontalen gelben Streifen.
Der Schiffsverkehr der wichtigsten Häfen betrug 1880 im Eingang 8748 Schiffe mit 3,255,674 Ton., davon unter ägypt. Flagge 3579 mit 296,259 T. Landesmünze ist der Piaster, bei dem zu unterscheiden ist der Piaster Tarif (Regierungsgeld) = 20 Pf. und der Piaster Kurant = 10 Pf.; 1 Piaster = 40 Para Kupfer. Bei großen Summen rechnet man nach Beuteln à 500 Piaster = 5 Pfd. Sterl. = 100 Mk. In Kairo und Alexandria kursiert sehr viel gemünztes Geld europäischer Staaten, nur kein deutsches und österreichisches. Es laufen nur Gold und Silber um, auf dem Land auch Kupfer, aber kein Papiergeld. Maße und Gewichte: 1 Pik = 0,67 m, 1 Kassaba = 3,35 m. 1 Feddân = 4200 qkm. 1 Ruba = 7,5 Lit., 4 Ruba = 1 Webe, 6 Webe = 1 Ardeb. 1 Dirhem = 3,93 g. 1 Rotl = 445,46 g, 100 Rotl = 1 Kantar. 1 Akka = 1,237 kg.
Die Verkehrsmittel haben sich in in letzterer Zeit entschieden gehoben. Voran steht der 1869 dem Verkehr übergebene Suezkanal (s. d.), welcher über Zagazig mit dem Nil durch einen nach Suez führenden, schon 1863 vollendeten Süßwasserkanal in Verbindung steht. Eisenbahnen und zwar Staatsbahnen standen 1883: 1518 km in Betrieb. Das Delta ist von zahlreichen Linien durchschnitten, von Kairo geht eine Bahn nach Ismailia und dann längs des Suezkanals nach Suez.
Die Bahn von Kairo nach Suez durch die Wüste ist aufgegeben. In Mittelägypten besteht die von Gizeh nach Siut längs des Nils verlaufende Bahn. In Privathänden ist nur die 8 km lange Bahn Alexandria-Ramle; 1880 wurden 3,093,840 Reisende befördert. Staatstelegraphenlinien verzweigen sich über das Delta und sind seit 1869 bis Chartum und bis Dar Fur geführt worden; ein Draht geht auch von Chartum nach Suakin am Roten Meer. Im J. 1882 betrug die Länge sämtlicher Linien 8645 km, davon ist eine 728 km lange Linie von Kairo nach Suez in englischem Besitz. Die ägyptische Staatspost zeichnet sich durch Pünktlichkeit aus; sie expedierte 1881 in 140 Postämtern 8,414,000 Sendungen. Europäische Postämter unterhalten die Konsulate in den großen Städten.
Überblicken wir nochmals die sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse Ägyptens, wie sie sich unter dem Einfluß der Europäer seit einigen Jahrzehnten entwickelt haben, so finden wir äußerlich wohl einen Fortschritt, im ganzen aber mehr Schein als Wesen. Der geistige und moralische Fortschritt ist fast Null. Was Europa nachgeahmt wurde, besteht in Äußerlichkeiten oder noch Schlimmerem. Europäische Wissenschaft hat nicht eindringen können, wohl aber die europäische Halbwelt, geführt vom Hof, der die Schattenseiten von Paris an den Nil verpflanzte.
In der Religion besteht nach wie vor der finstere Fanatismus; auf die Volksmoral kann das luxuriöse Beispiel des Hofs und der zum großen Teil aus Schwindelelementen bestehenden ansässigen Europäer nur verderblich wirken. In der Justiz herrscht die alte sprichwörtliche Bestechlichkeit, wonach Kadi und Rechtsverkäufer gleichbedeutend sind. Der Unterricht beschränkt sich im wesentlichen auf die alten Koranschulen; was außerdem geschah, ist Karikatur Europas. Im Handel und Wandel herrscht die größte Unsicherheit.
Was endlich die Staatswirtschaft betrifft, so ist sie eins der größten Rätsel, welches die Nationalökonomie des Orients bietet. Eins der reichsten Länder, in welchem der gesamte Bodenertrag Staatseinkommen bildet, in welchem Beamte wie Militärs fast nie bezahlt werden, ist Ägypten ungeheuer mit Schulden belastet. Ordnung und Sparsamkeit sind den Finanzen fremd; es herrscht die schändlichste Verschleuderung des öffentlichen Staatseigentums. »Zivilisation und Humanität«, von der Regierung oft gebrauchte Worte, sind leerer Schall geblieben. Die Mißhandlung des Volks, der armen Fellahs, ist eine arge, und Ägypten wird sich nicht eher heben, bis das Los dieser armen Menschen erleichtert wird.
Alte Kultur Ägyptens.
Die Kultur Ägyptens ist wie die keines Volks ein Abbild der Eigenart des Landes, welches schon den Alten als ein Wunderland galt. Herodot, welcher um 450 v. Chr. besuchte, bemerkt: wie dort Himmel und Strom eine ganz abweichende Art und Natur hätten, so unterschieden sich auch die Bewohner in ihren Sitten weit von andern Völkern, und führt zum Beweis Gebräuche an, bei denen die Geschlechter die Rollen vertauscht zu haben scheinen, sowie eine Reihe andrer Seltsamkeiten, die vielleicht in der Eigentümlichkeit des Landes ihre Erklärung finden.
Die Abstammung der alten Ägypter ist noch dunkel. Ihre Sprache hat sich zwar erhalten in der koptischen; doch verbreitet diese nur wenig Licht über die Abkunft des Volks, welches sie einst gesprochen, da sie zur indogermanischen Sprachfamilie in keiner deutlich erkennbaren, zur semitischen nur in entfernterer Beziehung steht. Die durch die Entzifferung der Hieroglyphen (s. d.) erschlossene altägyptische Sprache verrät dieselbe Stammverwandtschaft mit der semitischen, aber sie ist einfacher und ursprünglicher in ihrem Bau als diese.
Sie bildet mit einigen andern afrikanischen Sprachen den hamitischen Sprachstamm. Was wir über die Körperbildung der alten Bewohner aus Beschreibungen, aus der Betrachtung der Mumien und aus den Abbildungen auf den Monumenten wissen, berechtigt zu der Vermutung, daß die Ägypter nicht einem und demselben Volksstamm angehört haben. Vermutlich hat die Verschiedenheit der Rasse auch auf die bei ihnen übliche Kasteneinteilung Einfluß gehabt. In waren, wie in Indien, die höhern Kasten von einem in der Körperbildung edlern und geistig begabtern Stamm kaukasischer Rasse, während die niedern zwischen dieser und der Negerrasse gestanden zu haben scheinen.
Sicher war auch hier der weißere Stamm der später eingewanderte. Woher die Einwanderung kam, darüber fehlt jede Spur; doch deutet schon die kaukasische Rasse darauf, daß die höhern Volksklassen aus Asien hergezogen sein mögen. Auch manches Übereinstimmende in Einrichtungen, Vorstellungsweisen und Kenntnissen spricht dafür. Insbesondere haben die ägyptische Kasteneinteilung und die Lehre von der Seelenwanderung zu der Vermutung geführt, daß von Indien aus eine Priestereinwanderung geschehen sei, was jedoch wenig wahrscheinlich ist. Schon der Weg, den eine solche Einwanderung genommen haben könnte, bietet große Schwierigkeiten. Daß indische Kolonisten durch Iran etc. zu Lande nach Ägypten
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gelangt sein sollten, ist kaum denkbar. Man hat daher eine vielleicht durch Arabien vermittelte Verbindung zwischen Indien und Äthiopien und eine Übersiedelung der Kultur von Äthiopien nach Ägypten angenommen und in Meroë (s. d.) den Ort erkennen wollen, wohin kaukasische Einwanderer aus Asien zuerst gekommen und von wo sie weiter nach Ägypten gezogen seien. Dem widerspricht aber schon die Angabe Herodots, daß die Äthiopier Sitten und Kultur von zu ihnen entwichenen ägyptischen Kriegern empfangen haben sollen, und die genauere Erforschung der Baudenkmäler spricht für die Priorität der ägyptischen, wie auch der ägyptische Stil in den Bauwerken Nubiens sich einfach durch die Annahme erklärt, daß sie dort von ägyptischen Meistern oder von äthiopischen Schülern derselben aufgeführt worden sind, als Nubien unter der Herrschaft der Pharaonen stand.
Die hieroglyphischen Inschriften haben gelehrt, daß Nubien schon unter der 12. Dynastie Ägypten unterworfen war; ägyptische Statthalter verwalteten das Land bis zur Zeit der 21. Dynastie, und erst danach entstand das Äthiopenreich von Napata oder Noph am Berg Barkal, welches des Pharaonenreichs Kultur in sich aufnahm, im 8. und 7. Jahrh. Ägypten selbst unterjochte und bis in die ersten Jahrhunderte vor unsrer Zeitrechnung blühte. Die Denkmäler Äthiopiens sind also bedeutend jünger als die meisten ägyptischen, deren älteste die Pyramiden von Memphis und die Gräber in deren Umgebung sind. An eine Einwanderung der Kultur von Süden her ist also überhaupt nicht zu denken.
So viel läßt sich erkennen, daß der Zusammenhang der Kultur Ägyptens mit der asiatischen in das höchste Altertum aller Völkerentwickelung zurückreichen muß. Ägyptens Kultur ist so alt wie irgend eine, von der wir Kenntnis haben. Kunde davon geben uns die Nachrichten der Griechen und Hebräer und vor allem jene den Jahrtausenden trotzenden Denkmäler der Bau- und Bildekunst des alten Volks selbst. Man sah früher die Pyramiden von Memphis (s. d.) und die Obelisken (s. d.) bei Heliopolis als die staunenswertesten Zeugen der alten Kultur Ägyptens an und kannte nicht oder übersah die mannigfaltigen Denkmäler Oberägyptens.
Erst die Napoleonische Expedition 1798 hat die Blicke der Altertumsforscher auf diese Bauwunder gelenkt und in ihnen eine neue, bisher so gut wie unbekannte Welt erschlossen, wodurch die Wissenschaft die wesentlichsten Bereicherungen erhalten hat und noch fortwährend erhält. Vor andern haben sich später Champollion, Rosellini, Lepsius und Mariette um die Erforschung des alten Ägypten verdient gemacht; dem Studium seiner Schriftdenkmäler hat sich eine ganze Schule, die ägyptologische, gewidmet.
Unter den Ruinen im oberägyptischen Nilthal sind die merkwürdigsten die von Theben (s. d.), welches in den Zeiten der Machthöhe Ägyptens die Hauptstadt des ganzen Reichs war. Es sind von ihr noch die gewaltigen Trümmermassen der Tempel, Säulengänge, Kolosse etc. übriggeblieben. Sie geben uns ein Bild von der einstigen Pracht und Herrlichkeit der »hundertthorigen« Hauptstadt, anschaulicher und ergreifender, als es die ausführlichsten Berichte der Alten geben könnten; sie eröffnen uns Blicke in eine uralte hohe Kultur und einen ausgebildeten Kunstsinn, gleich großartig im Entwerfen von Plänen wie in den zur Ausführung verwandten Mitteln.
Nach Entzifferung der Hieroglyphen steht es fest, daß die Mehrzahl dieser Bauten, welche die Blüte der ägyptischen Kunst bezeichnen, in der Mitte des 2. Jahrtausends v. Chr. entstanden ist. Es gibt jedoch bedeutend ältere Kunstdenkmäler als die Tempel Thebens in Ägypten. Den ältesten Pyramiden schreibt man mit gutem Grund ein Alter von über 5000 Jahren zu, ebenso mehreren Gräbern, deren Kammern mit den herrlichsten Skulpturen geschmückt sind. Zwischen diesen schon so vollendeten Kunstwerken und den allerersten Anfängen der Kultur in Ägypten muß aber eine lange Reihe von Jahrhunderten der Entwickelung gelegen haben. Es sind denn auch Denkmäler aus den ersten drei Dynastien kaum erhalten, und vor diese setzen die Ägypter selbst die Zeiten der Heroen (Schesu-Hor), der Halbgötter und der Götter - viele Jahrhunderte.
Kastenwesen, Rechtspflege, häusliches Leben.
Die bürgerlichen Einrichtungen des alten Ägypten beruhen auf dem Kastenwesen. Die Angaben der griechischen Schriftsteller, unsrer einzigen Quelle, weichen zwar voneinander ab, stimmen aber darin überein, daß sie die Priester und die Krieger als die ersten und als gesonderte Kasten aufführen; das Abweichende betrifft bloß die untern Kasten. Während Strabon nämlich diese in Eine Abteilung bringt, unterscheidet Herodot fünf: Rinderhirten, Schweinehirten, Krämer, Dolmetschen, Schiffer;
Diodor drei: Hirten, Ackerbauer und Handwerker.
Die Priester, die höchste und einflußreichste Kaste, gliederten sich nach dem Rang in höhere und niedere, dann nach den Gottheiten, denen sie dienten, und nach den verschiedenen Tempeln sowie nach sonstigen Geschäften; denn die Priester vertraten das gesamte geistige Volksleben, so daß auch Staatsdiener, Richter, Schriftkundige, Ärzte, Baumeister etc. zu ihnen gehörten. Es war ihnen Enthaltsamkeit in Speisen und Getränken auferlegt und die Vielweiberei untersagt.
Sie bildeten den Mittelpunkt und die Seele des ganzen Staatslebens; ihr Grundbesitz war steuerfrei, und ihren Unterhalt trug der Staat. Die Kaste der Krieger, zu Herodots Zeit 410,000 Mann, war auf verschiedene Provinzen verteilt, wo ihre Mitglieder zinsfreie Ländereien besaßen. Da sämtliche Grundstücke im Besitz des Königs und der beiden obersten Stände waren, so können die Ackerbauer nur Pachter gewesen sein, und deshalb wohl führt sie Herodot nicht als besondere Kaste auf.
Städtische Bürger scheinen jedoch auch innerhalb ihrer Orte Grundbesitz gehabt zu haben. In der Kaste der Handwerker waren ohne Zweifel die einzelnen Gewerbe wieder vollständig voneinander geschieden und erbten von den Vätern auf die Söhne. An der Spitze des Volks stand der König, dessen Würde erblich war (s. Tafel »Kostüme I«, [* ] Fig. 1 u. 2). Er gehörte immer der Priesterkaste an. War er auch durch Gesetze und durch peinliche Zeremonialvorschriften beschränkt, so galt er doch dem Volk gegenüber geradezu als Stellvertreter der Götter: daher der große Einfluß der Priesterschaft, wenn man auch von einer eigentlichen Priesterherrschaft in Ägypten nicht sprechen kann.
Ein Gegengewicht dagegen bildete schon die zahlreiche Kriegerkaste, welche auch auf die kriegerische Natur der Ägypter hinweist. Die Kriegskunst war sehr ausgebildet. Außer Bogenschützen, dem Kern der Heere, gab es ein mannigfach ausgerüstetes schweres Fußvolk, welches in der Schlacht zuweilen in gedrängten Massen phalanxartig aufgestellt wurde, ferner Streitwagen, von welchen herab die Vornehmsten kämpften und befehligten, und später auch Reiterei. Bei
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Belagerung fester Städte wandten die alten Ägypter namentlich Untergrabungen an.
Besonders wohlgeordnet war nach Diodors Angabe die Rechtspflege. Das oberste Gericht bestand aus 30 Mitgliedern, je 10 aus den drei angesehensten Städten des Landes, Theben, Memphis und Heliopolis, und zwar ohne Zweifel aus den dortigen Priesterkollegien. Um jede persönliche Beeinflussung abzuschneiden, wurde alles schriftlich verhandelt. Die Gesetze waren uralt und wurden, als von den Göttern gegeben, heilig gehalten. Mit dem Tod wurden nicht nur Mörder (auch von Sklaven), sondern auch solche bedroht, welche einen Menschen hatten umbringen oder sonst Gewalt leiden sehen, ohne ihm zu helfen, obschon es in ihrer Gewalt gestanden; ferner Meineidige und einem spätern Gesetz zufolge auch die, welche bei der Obrigkeit trügerische Angaben über die Art ihres Unterhalts machten oder sonst auf unerlaubten Erwerb ausgingen.
Feige und Flüchtlinge dagegen traf Ehrverlust, der aber für schärfer galt als die Todesstrafe. Es sind uns mehrere altägyptische Prozeßakten in hieratischer Schrift (z. B. Papyrus Abbott) erhalten, aus denen wir das Gerichtsverfahren der Ägypter am deutlichsten erkennen. Danach erfolgte auf die Einreichung der Klage der Zusammentritt des Gerichtshofs, der nach mündlicher Verhandlung über Schuld oder Unschuld urteilte, während die Verhängung der Strafe in einzelnen Fällen dem Pharao anheimgestellt wurde.
Was Diodor von den ägyptischen Dieben erzählt, daß sie eine Art Zunft gebildet und unter einem Diebsobersten gestanden haben, bei welchem die Bestohlenen das Ihrige gegen Erlegung des vierten Teils vom Wert zurückerhalten konnten, steht mit alledem zwar in auffallendem Widerspruch; doch gilt diese seltsame Einrichtung noch in dem heutigen Ägypten. In Kairo bilden die Diebe wirklich eine Innung, die ihren eignen Vorsteher hat, von dem der Bestohlene das Entwendete gegen eine Vergütung zurückerhalten kann.
Der große Reichtum und die hohe Zivilisation Ägyptens mußten einen lebhaften Handel hervorrufen, der zwar mehr zu Lande als zur See und mehr von Fremden nach Ägypten als von Ägyptern nach der Fremde getrieben wurde, aber doch die Produkte weit entlegener Länder nach Ägypten brachte. Bekannt sind die Darstellungen im Tempel von Der el Bahari, aus denen hervorgeht, daß schon eine Königin der 18. Dynastie (Hâtschepsu) eine Expedition nach dem Punaland (Arabien oder Somalland) entsandte, um Erzeugnisse desselben nach Ägypten überzuführen und zu verpflanzen.
Auch das Mittelmeer scheinen die Ägypter schon in jener alten Zeit befahren zu haben, und unter Ramses III. waren sie selbst eine Seemacht, die verschiedene mittelländische oder kleinasiatische Völker mit Glück bekriegte. Schiffahrt fand sonst vornehmlich auf dem Nil und dessen Kanälen statt und war zur Zeit der Überschwemmung das einzige Kommunikationsmittel. Die Arbeiten und Beschäftigungen, überhaupt das ganze häusliche Leben der Ägypter tritt uns aufs anschaulichste in den Malereien der Grabkammern und den darin enthaltenen mannigfachen Geräten entgegen.
Außer dem Ackerbau betrieben die Ägypter besonders Garten-, Wein- und Obstkultur, namentlich auch Viehzucht, indem sie Herden großen und kleinen Viehs, bis zu den Gänsen herab, hielten. Wenn dennoch das Gewerbe des Viehhirten verachtet war, so entsprang dies wohl ihrem Abscheu vor dem Nomadenleben. Lieblingsbeschäftigungen waren Jagd jeder Art mit Bogen und Pfeil, Schlingen und Hunden, sogar mit Löwen, die man zähmte, Vogel- und Fischfang. Auch die städtischen Gewerbe lernen wir aus jenen Darstellungen kennen: die gröbern und feinern Bearbeitungsarten des Holzes, das Behauen und Fortschaffen der Steine, das Weben der Zeuge, die Arbeiten der Goldschmiede und Juweliere, der Maler, Bildhauer etc. Die Höhe des Kunstfleißes beweisen die aufgefundenen Gegenstände.
Die gewebtem Zeuge, namentlich die aus Leinen und Byssus, waren von ungemeiner Feinheit. Namentlich machte man auch von der Papyruspflanze ausgedehnten Gebrauch. Die Wurzel benutzte man als Brenn- und Nutzholz, aus der Pflanze selbst verfertigte man Decken, Kleider, Segel, sogar Fahrzeuge, namentlich auch das in Griechenland und Rom bis ins Mittelalter hinein gebräuchlichste Papier. Früh verstand man sich auf Anfertigung des Glases. Gewisse chemische Kenntnisse beweist die Beschaffenheit der Farben an den erhaltenen Gemälden. Man verstand sogar ein weißes gewebtes Zeug chemisch so zu bearbeiten, daß es, in Farbe getaucht, daraus wie mit den mannigfaltigsten Farben und Figuren bedruckt hervorging. In der Purpurfärberei scheinen selbst die Tyrer von den Ägyptern übertroffen zu sein.
Besonders zahlreich und lehrreich sind die das Hauswesen und das gesellige Leben betreffenden Abbildungen. Sie berichtigen die ehemals herrschende trübe und finstere Vorstellung von dem Leben in Ägypten. Sie zeigen die Häuser der Reichen geräumig, bequem und mannigfach geschmückt; es fand sich darin das verschiedenartigste Hausgerät, Tische, Sessel, Ruhebetten, Vasen etc., vor, oft von geschmackvoller Form und kostbarem Material. Auch liebte man allerlei Erheiterungen und Ergötzlichkeiten, wie Würfel-, Brett- und Ballspiel, und selbst von Stiergefechten finden sich Andeutungen.
Bei Gastmahlen und geselligen Zusammenkünften herrschten Luxus und Üppigkeit; die Gäste wurden von Sklaven gesalbt und bekränzt. Daß die Frauen an solchen Genüssen teilnahmen, beweist, daß das weibliche Geschlecht im alten Ägypten größere Freiheit genoß als bei den meisten andern Völkern des Orient und selbst bei den Griechen. Die oft unmäßig genossenen Tafelfreuden erhöhte man durch Musik, Gesang und Tanz. Wenn aber Herodot erzählt, daß dabei ein hölzernes Totenbild jedem Gast mit den Worten dargereicht worden sei: »Trinke und sei fröhlich, denn wenn du gestorben bist, wirst du sein wie dieser«, so scheint diese Mahnung an die Vergänglichkeit des irdischen Daseins nur in der Absicht gegeben zu sein, um auf die Notwendigkeit einer höhern und dauernden Befriedigung hinzuweisen.
Denn überall walteten bei den alten Ägyptern religiöse Beziehungen. Sie galten daher den Griechen für ein in heiligen Dingen ausnehmend eingeweihtes und kundiges Volk. Uns scheinen ihre religiösen Vorstellungen durch seltsamen Aberglauben entstellt und abschreckend abenteuerlich, zudem ist die ägyptische Götterlehre aus den hieroglyphischen Schriften noch wenig aufgeklärt, und die Angaben der griechischen Schriftsteller sind weder übereinstimmend noch zuverlässig. Auch mischen sich vielfache Mißverständnisse ein, indem man griechische Mythen und Philosopheme mit ägyptischen vermengte. Überdies vermischen sich die Gottheiten vielfach. Im allgemeinen war die ägyptische Religion Naturreligion und zwar Sonnenkultus: die Verehrung der Sonne ist als der frühste Kern