(Ackerbauchemie), die
Lehre
[* 10] von den
Naturgesetzen des
Feldbaus oder in weiterm und gebräuchlichem
Sinn
die
Lehre von den physischen
Erscheinungen, welche für das Gedeihen der landwirtschaftlich wichtigen Organismen in Betracht
kommen. Der
Name der
Wissenschaft stammt aus einer Zeit, wo man alles
Heil für die
Landwirtschaft von der
Chemie erwartete; man hat aber bald eingesehen, daß die
Chemie zur
Lösung der Aufgabe allein nicht ausreicht, und die im
Interesse
der
Landwirtschaft unternommenen naturwissenschaftlichen
Arbeiten erstrecken sich jetzt gleichmäßig auch auf
Physik,
Mineralogie,
Pflanzen- und Tierphysiologie. So ist die Agrikulturchemie eine
Verbindung naturwissenschaftlicher
Disziplinen imInteresse
der
Landwirtschaft. Die Agrikulturchemie zerfällt in einen rein theoretischen Teil: die Ernährungslehre der von
dem Landwirt gezogenen und kultivierten Organismen, und in einen praktischen Teil: die
Lehre von den realen
Bedingungen, unter
welchen in der landwirtschaftlichen
Technik die zweckentsprechende
Entwickelung der Organismen erreicht wird.
Die Geschichte der Agrikulturchemie fällt in ihren Anfängen mit der Geschichte der genannten
Wissenschaften zusammen, und die großen pflanzenphysiologischen
Arbeiten von
Hales (1727),
Senebier (1783), Ingenhouß (1784)
u. besonders von
Saussure
(»Recherches chimiques sur la végétation«, 1804) bilden die
Basis der Agrikulturchemie, welche durch Humphry
Davy
(»Elements of agricultural chemistry«, Lond. 1813; deutsch 1814) zu einer
selbständigen
Wissenschaft erhoben wurde. Gazzeri untersuchte die chemischen und physikalischen Verhältnisse des
Düngers
und gab eine
»NeueTheorie des
Düngers« (deutsch 1823), dann folgten die
Arbeiten von
Hermbstädt, welcher ebenso wie die rationellen
Landwirte
Thaer,
Schwerz,
Burger, Schönleitner,
Fellenberg u. a. auf dem
Boden der
Humustheorie stand.
Sie nahmen an, daß die
Pflanze ihre
Nährstoffe jener braunen
Masse entnehme, welche sich beim Verwesen
vegetabilischer
Substanz bildet und allgemein als
Humus bezeichnet wird.
Sprengel lieferte zwar 1828 wichtige Untersuchungen
über den
Humus und wies nach, daß derselbe nur eine Vermittlerrolle spiele und gleichsam das
Reservoir für den Ammoniakgehalt
des
Bodens bilde; auch
Schübler lieferte 1820-30 bedeutende
Arbeiten über die physikalischen Verhältnisse
des
Bodens; aber ein Umschwung vollzog sich erst 1840, als
Wiegmann und Polstorf endgültig feststellten, daß alle im Pflanzenkörper
vorhandenen
Elemente auf natürlichem Weg von außen aufgenommen werden müssen.
Gleichzeitig erschien
Liebigs
»OrganischeChemie in ihrer Anwendung auf
Agrikultur undPhysiologie«, und von
diesem Werk datiert die neue
Epoche der Agrikulturchemie und der
Landwirtschaft.
Liebig betonte vor allem die
Bedeutung der für die
Ernährung
der
Pflanzen wichtigen Mineralstoffe, welche im
Boden nur in beschränkter
Menge vorhanden sind und offenbar endlich erschöpft
werden müssen, wenn nicht vollständiger
Ersatz für die in den geernteten
Früchten dem
Boden entzogenen
Stoffe stattfindet. Er warnte vor solchem
»Raubbau« und verwies auf die rationelle Bodenkultur der
Japaner.
Liebig fand mit seiner neuen
Theorie sehr viele Gegner, und namentlich wollte eine
Reihe von Chemikern dem
Stickstoff, als wesentlicher
Pflanzennahrung, höhern Wert beilegen als den Mineralstoffen. Die
Versuche von
Lawes und
Gilbert zu Rothamstead
in
England schienen für die
Stickstofftheorie zu sprechen; allein
Liebig zeigte, daß dieselben nur zur Bestätigung seiner
Lehren
[* 11] dienten. Die ganze Zeit des
Kampfes hat eine große
Fülle der wertvollsten
Arbeiten geliefert
(Wiegmann und Polstorf,
Salm-Horstmar,
Knop etc.), und namentlich hat
Boussingault, welcher eineMusterwirtschaft in Bechelbronn
im Elsaß leitete, sehr viel zum
Ausbau der Agrikulturchemie gethan. So erreichte die
Wissenschaft in kurzer Zeit eine hohe Vollendung; durch
Liebigs glänzende
Beleuchtung
[* 12] der naturwissenschaftlichen Forschungsmethode wurden aber zugleich die Landwirte für die Agrikulturchemie gewonnen,
welche dadurch erst ihre jetzige eminente Bedeutung erhielt.
Die praktische
Landwirtschaft, welche sich zuerst ablehnend gegen die Agrikulturchemie verhielt, hat deren Wert mehr und
mehr erkannt, und die landwirtschaftlichen Lehranstalten, besonders auch die
Versuchsstationen, haben glücklich zwischen
Wissenschaft und
Praxis vermittelt. Die letztere hat durch ihre Erfolge die Richtigkeit der
Theorie dargethan, und überall
ist man gegenwärtig bemüht, das Lehrgebäude weiter auszubauen.