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wird, oder infolge eines Parlamentsspruchs kann der
Peer verhaftet werden. Die
Peers werden bei Kriminalvergehen entweder vor
das
Gericht des
Lord-Großhofmeisters
(Lord
High Steward) oder vor das
Oberhaus als Oberparlamentsgericht gezogen und somit nur
von Standesgleichen
, bei geringern
Vergehen (Schmähungen,
Schlägereien u. dgl.) dagegen, wie jeder andre,
vom
Geschwornengericht abgeurteilt. Sie haben das Vorrecht, in
Gerichtshöfen mit bedecktem
Haupt zu sitzen.
Als Geschworne geben sie ihre Aussprüche (verdict) nicht auf Eid, sondern auf ihr Ehrenwort; als Zeugen aber müssen sie den Eid wie andre ablegen. Nach dem Gesetz unterliegt jeder, der Schmähungen gegen einen Peer ausstreut, besondern, durch mehrere Parlamentsakten festgesetzten Strafen. Ein Peer als erblicher Rat des Königs ist befugt, vom König Gehör [* 2] zu verlangen, um ihm auf ehrfurchtsvolle Weise in Angelegenheiten, die von Wichtigkeit scheinen, Vortrag zu halten.
Endlich können Peers ihren Adel nur durch Verurteilung zum bürgerlichen Tod (attainder) oder durch Aussterben verlieren. Der Rang der einzelnen Peers derselben Klasse richtet sich nach dem Alter, wenn nicht amtliche Bestimmungen hinzukommen. Der Erzbischof von Canterbury steht als Lord-Primas von ganz England an der Spitze der Peers. Das wichtigste Privilegium für alle Lords von England aber ist der erbliche Sitz im Oberhaus. Von den schottischen Peers werden 16 auf eine Sitzungszeit des Parlaments, von den irischen 28 auf Lebenszeit gewählt.
Außer den erblichen Lords gibt es noch Lords durch gewisse Ämter; die Erzbischöfe und Bischöfe sind Lords ihrem geistlichen Amt nach und sitzen wie der Lordkanzler im Oberhaus. Auch die höchsten Richter, der erste Beamte mehrerer Städte u. a. führen den Titel Lord. Einen niedern in demselben Sinn wie in Deutschland [* 3] gibt es in England eigentlich nicht; indes kann man für denselben die Gentry gelten lassen, wenigstens die erste Klasse derselben, die Baronets, deren Standeswürde forterbt, während dieselbe bei allen andern nur persönlich ist.
Die Baronets folgen in der Rangtafel den jüngern Söhnen der Barone, haben den Vortritt vor allen Rittern mit Ausnahme derjenigen des Hosenbands und der zum Geheimen Rat Berufenen; sie setzen ihrem Namen das Wort Sir, welches immer mit dem Taufnamen und häufig mit diesem allein, aber niemals mit dem Familiennamen allein verbunden wird, den Namen ihrer Frauen das Wort Lady vor und führen ein Wappen. [* 4] Die Würde wurde von Jakob I. in Großbritannien [* 5] 1611, in Irland 1619 und in Neuschottland von Karl I. 1625 eingeführt.
Jetzt wird sie auch ausgezeichneten Gelehrten, Militärs etc. verliehen. Übrigens hängt die Krëierung neuer Baronets ganz von der Krone ab. Nicht erblich ist die Würde der Knights oder Ritter, von denen die Ritter des Hosenbands im Rang unmittelbar nach den ältesten Söhnen der Barone, die übrigen in verschiedenen Stufen folgen. Die wahrscheinlich von Eduard I. geschaffene Würde des Knight Banneret, welche nur auf dem Schlachtfeld verliehen wurde, stand der aller andern Knights voran; dieselbe ist aber schon seit sehr langer Zeit nicht mehr verliehen worden.
Auch die Knights führen das Wort Sir vor dem Taufnamen und ihre Frauen den Titel Lady. Die nächste Würde, Esquire, gebührt heutzutage von Rechts wegen nur den Abkömmlingen adliger Familien, welche ein Wappen führen, aber keinen Titel haben, ferner gewissen höhern Hofbeamten oder Offizieren vom Hauptmann aufwärts, den Doktoren der Rechte und der Medizin, den Mitgliedern der Royal Academy u. a.; faktisch führt diesen Titel aber jeder Gentleman, d. h. jeder Gebildete, so daß man ihn bei Aufschriften und Adressen immer mit dem Taufnamen oder wenigstens dem Anfangsbuchstaben oder einem Strich an Stelle desselben hinter dem Familiennamen und ohne Mr. (Mister, Herr) findet, also »C. Brown, Esq.« oder »- Green, Esq.«
Was die übrigen europäischen Länder anbetrifft, so gibt es in Holland wie in Belgien [* 6] zwar einen Adelstand, der sich in Grafen, Barone und Ritter teilt, der aber ohne politische Bedeutung ist. In der Schweiz, [* 7] wo zur Zeit der Befreiung von der österreichischen Herrschaft ein Adel ganz in deutscher Weise bestand, gestaltete sich derselbe später in ein Patriziat um, welches, aus reichen Bürgerfamilien sich rekrutierend, in einzelnen Kantonen eine aristokratische Regierungsform begründete, während in andern die demokratische Verfassung unangetastet blieb. In Dänemark [* 8] hat der der aus dem Herzog von Holstein-Glücksburg, einigen Grafen, Baronen und niedern Adligen besteht, noch einzelne Vorrechte (Jagd-, Patronatsrecht etc.). Weit bedeutender sind aber die Prärogativen des Adels in Schweden, [* 9] wo derselbe den ersten Stand ausmacht. Es hat dort ursprünglich keine Unterscheidung des Adels in hohen und niedern bestanden; diese besteht erst, seit Erich XIV. 1561 bei seiner Krönung Grafen und Freiherren krëierte, deren Zahl mit der Zeit bedeutend vermehrt wurde.
Das Gleiche geschah mit dem nunmehrigen niedern Adel; die Königin Christine allein hat über 400 Familien in den Adelstand erhoben. Der schwedische Adel teilt sich in drei Klassen: a) Herrar, Herrenstand, zu dem die Grafen und Freiherren gehören; b) Riddare, Ritterstand, zu dem diejenigen Geschlechter gehören, die erweisen können, daß einer oder mehrere ihrer Vorfahren eine Reichsratsstelle gehabt; c) Swenner, die einfachen Edelleute ohne Titel. König Karl XI. begünstigte die Einwanderung ausländischer, namentlich deutscher, adliger Familien, wodurch er den mißvergnügten alten Adel einschränken zu können glaubte.
Nach Karls XII. Tod riß der Adel fast alle königlichen Rechte an sich, bis der König Gustav III. die Macht desselben brach, was er mit dem Leben büßte. Nach der Thronrevolution von 1809 wuchs die Macht des Adels wieder und ward auch in der Neuzeit nicht geschmälert. Jedes adlige Familienhaupt hat nach erreichtem 24. Lebensjahr Zutritt zum Reichstag. Doch ist der schwedische Adel im allgemeinen arm, weil er es verschmäht, sich an kommerziellen und industriellen Unternehmungen zu beteiligen. In Norwegen ward der Adel durch das Reichsgrundgesetz vom ganz abgeschafft und völlige Gleichheit aller Norweger vor dem Gesetz begründet. In Polen ist der Adel seinem Ursprung nach reiner Kriegsadel.
Daher bestand hier früher kein Unterschied zwischen hohem und niederm Adel Fürsten- und Grafentitel waren von auswärtigen Dynasten verliehen und begründeten durchaus keine Vorrechte. Die Adligen hießen Szlachcicen, welcher Name gegenwärtig aber mehr auf den unbegüterten Adel übergegangen ist. In Rußland war der Adel ursprünglich an Grundbesitz geknüpft. Knjäse und Bojaren bildeten den hohen, die übrigen Adligen den niedern Adel Peter d. Gr. beseitigte diesen alten Adel durch Einführung von Rangklassen, wodurch alle Standesvorzüge lediglich mit kaiserlichen Dienstverhältnissen verbunden wurden. Die niedern Rangklassen geben nur persönlichen, die höhern erblichen Adel. Letzterer wird erworben durch Verleihung von ¶
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seiten des Kaisers, durch Beförderung zum Offiziersrang im Militär- und zur achten Klasse im Zivildienst und durch Dekoration mit einem russischen Orden. [* 11] Persönlichen Adel haben sonstige Zivilbeamte von Offiziersrang (d. h. von der 14.-9 Klasse einschließlich). In Ungarn [* 12] unterschied man früher zwischen Magnaten und gewöhnlichem Adel. Während jene persönlich auf dem Reichstag erschienen, war dieser durch Abgeordnete vertreten. Auf den Komitatsversammlungen hatte jeder adlige Gutsbesitzer Sitz und Stimme; auch war er frei von Steuern, Zöllen und Einquartierungen und legte sich das, was er leistete, selbst als Subsidie auf.
Auch vom gewöhnlichen Kriegsdienst war er befreit und diente nur in der sogen. Insurrektion, wenn zur
Verteidigung des Königs und der Grenzen
[* 13] des Reichs der in Masse aufgerufen ward. Er ward endlich nur von seinesgleichen
gerichtet
und stand nur unter der Oberhoheit des Königs. Doch sind diese Vorrechte jetzt im wesentlichen aufgehoben. Der titulierte
Adel ist in Ungarn sehr spät eingeführt worden (herczeg = Fürst, gróf, báró). Der neukrëierte Adel wurde
häufig mit Lehnsgütern versehen, von welchen er einen Zunamen erhielt; außerdem existiert noch ein geringerer Briefadel
ohne Grundbesitz.
Sind nun auch nach dem Vorstehenden die Vorrechte des Adels allenthalben beschränkt und vermindert worden, so hat derselbe doch auch noch heutzutage eine nicht geringe Bedeutung, welche namentlich darauf beruht, daß ihm (in Deutschland freilich nur dem hohen Adel) eine bevorzugte Stellung in der Volksvertretung eingeräumt ist, daß die höhern Hofchargen eine Prärogative des Adels sind, und daß er durch festes Zusammenwirken seiner Standesgenossen sich fast überall im Besitz der höchsten Staats- und Militärämter zu behaupten gewußt hat.
Aber ebenso gewiß ist es, daß die Ausschließung der Bürgerlichen vom Hofdienst, von den höchsten Staatsämtern und von den höhern Offiziersstellen sowie die mit dem Geist und der Bildung unsrer Zeit nicht vereinbaren adligen Vorurteile die Hauptursachen einer gewissen Abneigung gegen den Adel sind, die man zuweilen bei den übrigen Ständen findet, und die 1848 so scharf hervortrat, daß man fast überall auf eine gänzliche Aufhebung des Adels drang, welche in den sogen. deutschen Grundrechten auch wirklich ausgesprochen wurde.
Während die einen den Adel als einen notwendigen Vermittler zwischen Fürst und Volk auch noch unsrer Zeit empfehlen, sprechen die andern das direkte Gegenteil aus. Doch hat man neuerdings wiederholt auch in Deutschland das Fortbestehen des Adels als wünschenswert bezeichnet, weil ein durch Reichtum und angesehene Stellung von der Regierung unabhängiger Stand den politischen Interessen des Volks besonders zu dienen berufen und befähigt sei, was freilich von einem bloßen Hof- und Dienstadel nicht zu erwarten steht.
Vgl. v. Strantz, Geschichte des deutschen Adels (2. Aufl., Waldenb. 1851, 3 Bde.);
Liebe, Der Grundadel und die neuen Verfassungen (Braunschw. 1844);
v. Maurer, Über das Wesen des ältesten Adels der deutschen Stämme (Münch. 1846);
Eisenhart, Der Beruf des Adels im Staat (Stuttg. 1852);
Gneist, Adel und Ritterschaft in England (Berl. 1853);
Heffter, Die Sonderrechte der souveränen und der mediatisierten Häuser in Deutschland (das. 1871);
Rose, Der Adel Deutschlands [* 14] und seine Stellung im Deutschen Reich (das. 1883).