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Der schon im Mittelalter blühende Gewerbfleiß Aachens hat sich in neuerer Zeit, begünstigt durch die reichen, erst seit wenigen Jahren erschlossenen Steinkohlenlager in der Nähe (Ausbeute 1882: 1,325,556 Ton.), noch bedeutend gehoben. Im J. 1879 waren in 294 Fabrikanlagen 14,592 Arbeiter, die an der Unterstützungskasse teilnahmen. Unter den Industriezweigen nimmt die Wollspinnerei, welche jährlich an 100,000 metr. Ztr. Garn aus meist überseeischer Wolle (aus dem Kapland und von Buenos Ayres) [* 2] erzeugt, und die Fabrikation von Tuch und andern Woll- und Halbwollstoffen die erste Stelle ein.
Der Tuchindustrie dienen in Aachen [* 3] und Burtscheid über 80 größere Fabriken, die mit einer gleichen Anzahl von Dampfmaschinen [* 4] von zusammen 3000 Pferdekräften und ca. 10,000 Arbeitern jährlich gegen 200,000 Stück Tuch im Wert von 36 Mill. Mk. produzieren. Eine große Anzahl von Tuch-Engrosgeschäften bewirkt den Verkauf der Fabrikate nach allen Gebieten des Weltmarktes. Nächstdem bildet die Fabrikation von Kratzen (die bedeutendste des Kontinents: 16 Etablissements mit 750 Maschinen) und besonders Näh-, Nähmaschinen- und Häkelnadeln Hauptzweige der Aachener Industrie. Zu den Nadeln, [* 5] deren Fabrikation seit 1550 in Aachen blüht, und von denen 1882 in 25 Anstalten über 17,000 Mill. Stück aus etwa 5800 Ztr. Eisen [* 6] erzeugt wurden, wird der erforderliche Stahldraht aus englischem Gußstahl in Altena [* 7] und Iserlohn [* 8] hergestellt; der Absatz geht besonders nach Spanien, [* 9] Portugal, Italien [* 10] und Österreich. [* 11]
Von Bedeutung ist ferner die Fabrikation von Glasknöpfen (410 Mill. Stück), Maschinen und Dampfkesseln, Luxus- und Eisenbahnwagen, Tabak, [* 12] Zigarren, Chemikalien. Für letztere ist die Fabrik der Gesellschaft Rhenania im nahen Stollberg [* 13] besonders wichtig. Ferner besitzt Aachen Fabriken für Steck-, Strick- und Vorstecknadeln (mit Glas- und Stahlköpfen), für Samt-, Leinen- und Posamentierwaren, Farben, Handschuhe, Messer, [* 14] Regenschirme, feuerfeste Steine, Thonwaren, [* 15] Zement, Steingutwaren, optische, physikalische und andre Instrumente, Knöpfe, Glocken, Mineralwässer, Papiertapeten, Feuerspritzen; [* 16] zahlreiche Eisengießereien, Ziegeleien, Seifensiedereien, große Brauereien und Brennereien etc. Als Hauptstation der Belgisch-Rheinischen Eisenbahn, die hier mit der Bergisch-Märkischen und der Maastrichter Bahn zusammentrifft, ist Aachen zu einem wichtigen Stapelplatz des preußischen Handels geworden und hat außer den Erzeugnissen seiner Fabriken namentlich in Wolle, Getreide, [* 17] Wein, Steinkohlen, Metallen, Leder, Holz [* 18] etc. bedeutenden Verkehr. Aachen ist Sitz der Aachen-Münchener Feuerversicherungsgesellschaft (1825 von Hansemann gegründet), der Rückversicherungsgesellschaft, der Aachen-Höngener Bergwerksgesellschaft und der Aktiengesellschaft für Bergbau, [* 19] Blei- und Zinkfabrikation zu Stollberg und in Westfalen. [* 20] Den Geldverkehr vermitteln die Reichsbankstelle, Diskontogesellschaft, Bank für Handel und Gewerbe etc.
Als Wohlthätigkeitsanstalten sind zu nennen: das Mariahilfspital (mit 262 Betten, unter Leitung von Elisabethinerinnen), die Alexianer-Irrenanstalt, das Vinzenzspital für Unheilbare, die Mariannen-Entbindungsanstalt, die Annunciatenanstalt für weibliche Irre (Mariabrunn), das von Mitgliedern der evangelischen Gemeinde gegründete Luisenhospital, ein Armen- und Waisenhaus etc. An Bildungsanstalten besitzt Aachen ein katholisches Gymnasium (ein paritätisches Staatsgymnasium wird gebaut), die Rheinisch-Westfälische technische Hochschule (im Oktober 1870 eröffnet, im Winter 1883/84 mit 38 Lehrern und 200 Studierenden), ein Realgymnasium, eine Realschule mit gewerblichen Fachklassen, eine höhere Webschule, eine Handwerkerfortbildungsschule, die Stiftsschule, zwei höhere Töchterschulen, eine Taubstummenbildungsanstalt. Daneben bestehen sechs öffentliche Bibliotheken und zahlreiche Kunst- und naturhistorische Privatsammlungen. Zwölf Zeitungen und periodische Blätter erschienen 1884 in Aachen. Das Stadtwappen (s. Abbildung, S. 2) ist ein im goldenen Feld ausgebreiteter schwarzer Adler [* 21] mit ausgestreckter roter Zunge; die Farben Aachens sind Schwarz und Gelb.
Die Aachener Mineralquellen (Aquae Granenses) gehören zur Klasse der alkalisch-muriatischen Schwefelthermen und sind als solche Heilquellen ersten Ranges. Ihren Wärmegraden nach können sie sich mit den Schwefelthermen der Pyrenäen messen, ihrem Gehalt an Salzen nach kommen sie den Quellen von Wiesbaden, [* 22] Baden-Baden [* 23] und Karlsbad gleich. Sie entspringen auf dem an Thermen und Säuerlingen reichen Übergangsgebirge, welches ganz in der Nähe und selbst unterhalb der Stadt als Grauwackenschiefer und Übergangskalkstein zu Tage tritt, und befinden sich sämtlich innerhalb der Stadt.
Man unterscheidet zwei Quellgruppen, die aus zahlreichen, nicht sämtlich benannten, ja mehrfach unterdrückten Adern bestehen, welche am Abhang der das Rathaus tragenden Höhe auf der Hof- und Büchelstraße (obere Gruppe) und der Komphausbadstraße (untere Gruppe) hervorbrechen. In der obern Gruppe ist die mächtigste und heißeste (44° R.), die Kaiserquelle im Gebäude des Kaiserbades (daselbst Reste eines Römerbades), so wasserreich, daß sie außer den eignen Bädern und dem Elisenbrunnen auch das Bad [* 24] Zur Königin von Ungarn [* 25] und das Neubad speist; bei dem Neubau des erstern in der Büchelstraße sind die Fundamente eines großen, von der 6. römischen Legion etwa in den Jahren 69-120 n. Chr. in der Nähe der Kaiserquelle errichteten Badegebäudes ausgegraben worden. Im Badehaus Zur Königin von Ungarn befindet sich ein Elektrisierheilapparat und im Kaiserbad für Brustkranke ein eigner Inhalationssaal. Zu der obern Quellgruppe zählt die Quirinusquelle (fast 40° R.), die mit zwei reichen Nebenquellen das gleichnamige Bad versieht. Zu der untern Quellgruppe auf der Komphausbadstraße gehört die aus vielen Adern zusammenfließende, von allen Thermen Aachens wasserreichste, das Rosenbad und das für Unbemittelte bestimmte Komphausbad versehende Rosenquelle (38° R.); sehr wasserreich ist auch hier die Corneliusquelle (36° R.), die das Cornelius- und Karlsbad speist. Alle Badehäuser sind gegenwärtig Eigentum der Stadt. Nach Analyse von Liebig sind in 10,000 g Wasser der Kaiserquelle enthalten:
Chlornatrium (Kochsalz) | 26,161 |
---|---|
Bromnatrium | 0.036 |
Jodnatrium | 0.005 |
Schwefelnatrium | 0.136 |
Schwefelsaures Natron | 2,836 |
Schwefelsaures Kali | 1,527 |
Kohlensaures Natron | 6,449 |
Kohlensaures Lithion | 0.029 |
Kohlensaure Magnesia | 0.506 |
Kohlensaurer Kalk | 1,579 |
Kohlensaurer Strontian | 0.002 |
Kohlensaures Eisenoxydul | 0.095 |
Kieselerde | 0.661 |
Organische Materie | 0.769 |
Zusammen: | 40,791 |
Freie Kohlensäure | 5 |
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5 Dazu in unwägbarer Menge: kohlensaures Manganoxydul, Phosphorsäure, Thonerde, Fluorcalcium und (nach Wildenstein) auch Borsäure. An gasförmigen Bestandteilen sind außer Kohlensäure noch Stickstoff, Sauerstoff und etwas Grubengas darin enthalten. Wegen des sehr bedeutenden Schwefelgehalts (der nach neuern Versuchen für die Rosen- und Corneliusquelle der untern Gruppe fast gleich ermittelt worden) ist das Wasser anfangs nicht angenehm zutrinken; doch ist es leicht verdaulich, wie es sich auch als Badewasser durch Weichheit und Milde auszeichnet.
Das Dampfbad ist reich an flüchtigem Schwefel, und die Douche, gewöhnlich mit Reiben (Frottieren) verbunden, wirkt eigentümlich kräftig. Die Wirkung der Aachener Schwefelthermen erstreckt sich hauptsächlich auf die drüsigen Organe sowie auf die Schleimhäute der Atmungs-, Verdauungs- und Geschlechtsorgane. Das Wasser wirkt, indem es leicht erregt, auflösend und wird daher mit Erfolg angewandt gegen Gicht, Rheumatismen, chronische Katarrhe, Unterleibsbeschwerden, Leberleiden, Blasen- und Merkurialkrankheiten, Neuralgien, Krankheiten des lymphatischen Systems, weibliche Krankheiten etc. Zu widerraten ist der Gebrauch dieser Quellen bei Vollblütigkeit, fieberhaften Beschwerden, bedeutender Schwäche innerer wichtiger Organe und großer allgemeiner Aufregung des Nervensystems.
Der seit 1865 begonnene Versand des Wassers der Kaiserquelle ist durch eine neue Füllungsmethode wichtig geworden, da man nun überall sich das natürliche Aachener Schwefelwasser verschaffen kann. Die Sommersaison dauert vom 1. Mai bis Ende Oktober; in neuester Zeit hat auch die Wintersaison großen Aufschwung genommen. Außer den warmen Quellen hat Aachen noch mehrere kalte Eisenquellen, die den Wassern von Pyrmont und Schwalbach nicht nachstehen und meist äußerlich gegen allgemeine Schwäche, Unregelmäßigkeiten der Menstruation, Krämpfe etc. gebraucht werden, sowie eine Molkenkuranstalt.
Vgl. Liebig, Chemische [* 27] Untersuchungen der Schwefelquellen Aachens (Aach. 1851);
Lersch, Geschichte des Bades Aachen (das. 1870);
Derselbe, Die Thermalkur zu Aachen (das. 1872);
Schuster, Verhaltungsmaßregeln etc. (3. Aufl., das. 1876);
Reumont, Die Thermen von Aachen und Burtscheid (4. Aufl., das. 1877);
Derselbe, Über Winterkuren an Schwefelthermen (das. 1877).
Aachen ist Sitz der Regierung, eines Landratsamts, eines Land- und Schwurgerichts sowie einer Handelskammer (mit Burtscheid). Der Landgerichtsbezirk umfaßt die 16 Amtsgerichte zu Aachen, Aldenhoven, Blankenheim, Düren, [* 28] Erkelenz, Eschweiler, [* 29] Eupen, [* 30] Geilenkirchen, Gemünd, Heinsberg, Jülich, Malmedy, Montjoie, St. Vith, Stolberg [* 31] und Wegberg.
Die Umgebungen Aachens sind freundlich. Rings um die Stadt sind vortreffliche Promenaden angelegt, die mit Sorgfalt unterhalten werden (Stadtgarten in Verbindung mit einem botanischen Garten). [* 32] Sehr anziehend ist der Spaziergang nach dem Lousberg, einem 250 m hohen Hügel nördlich von der Stadt, mit herrlicher Aussicht. Vom Lousberg, zugleich einem ergiebigen Fundort für Petrefakten [* 33] der Kreideformation, [* 34] durch einen Einschnitt getrennt, erhebt sich der Salvatorberg, mit Kapelle, 1883-84 nach den ältesten Plänen neu aufgebaut. Ein großartiges neues, im Bau befindliches Stadtviertel, überwiegend auf Burtscheider Gebiet, umgrenzt die neuerdings in ein Gartenrestaurant umgewandelte Frankenburg, den sagenhaften Lieblingsaufenthalt Karls d. Gr. und Fastradas, in parkartiger Umgebung. Zwei neue Badehäuser, das Schloßbad und das Luisenbad (zu Burtscheid gehörig), liegen nahebei in den neuen Straßenanlagen, welche Aachen mit Burtscheid (s. d.) verbindet.
Geschichte. Aachen gehört zu den ältesten Städten Deutschlands. [* 35] Der um das 3. Jahrh. auftretende Name Aquisgranum wird von Apollo Granus hergeleitet, den die Römer [* 36] bei Thermen verehrten. Die Bäder werden zuerst unter Alexander Severus erwähnt. Zu Cäsars Zeit wohnte hier der germanische Stamm der Eburonen. Schon unter König Pippin bestand daselbst um 753 eine königliche Pfalz, auf welcher Karl d. Gr. häufig Hof [* 37] hielt. Im J. 881 wurde von den Normannen geplündert, erhob sich aber seit 966 als Sitz eines Pfalzgrafen zu höherer Bedeutung, bis dann dies Amt im 12. Jahrh. erlosch, da sich daraus die Pfalzgrafschaft bei Rhein entwickelte.
Kaiser Friedrich I. verlieh der Stadt 1166 zwei Messen und ihren Kaufleuten Zollfreiheit durch das Reich, und Wilhelm von Holland erteilte 1250 den vom Rat beschlossenen Statuten seine Zustimmung; doch bestanden als königliche Beamte Vogt und Schultheiß auch weiter fort. Im Mittelalter zählte Aachen mehr als 100,000 Einw. Es hieß »des heiligen römischen Reichs freie Stadt« und spielte im Rheinischen Städtebund eine hervorragende Rolle. Von Ludwig dem Frommen bis auf Ferdinand I. (813-1531) wurden hier 37 Kaiser und deutsche Könige gekrönt. Im J. 1450 erzwangen die Zünfte durch einen Aufstand Anteil am Stadtregiment.
Die Reformation fand zeitig Eingang, ja 1587 wurde der katholische Magistrat verjagt, worauf 1588 die Reichsacht über Aachen ausgesprochen und von dem Kurfürsten Ernst von Köln [* 38] vollstreckt ward. Im J. 1605 wies der Reichshofrat sämtliche Protestanten aus der Stadt, und allwährend des jülichschen Erbstreits durch die Nähe protestantischer Heere die Protestanten abermals die Oberhand gewannen, wurden spanische Truppen unter Spinola aus den Niederlanden herbeigerufen und durch sie 1614 das Edikt des Reichshofrats vollzogen.
Die Verlegung der Krönungen nach Frankfurt, [* 39] die Religionsstreitigkeiten und eine große Feuersbrunst 1656 führten Aachens Verfall herbei. Im J. 1793 und wieder 1794 besetzten die Franzosen die Stadt; 1801 wurde sie durch den Lüneviller Frieden französisch und Hauptstadt des Departements der Roer. Im J. 1815 fiel sie an Preußen. [* 40]
Von Aachen führen zwei Friedensschlüsse den Namen. Der erste Friede von Aachen beendigte den sogen. Devolutionskrieg (s. d.) Ludwigs XIV. gegen Spanien. Ludwig XIV. mußte sich mit einem Teil Flanderns, namentlich den Plätzen Charleroi, Ath, Audenarde, Douai, Tournay und Lille [* 41] begnügen, wogegen Spanien die Franche-Comté zurückerhielt. Der zweite Friede von Aachen, zwischen Österreich, England, Holland und Sardinien [* 42] einerseits und Frankreich, Spanien, dem Herzog von Modena und der Republik Genua [* 43] anderseits abgeschlossen, beendigte den österreichischen Erbfolgekrieg.
Österreich trat in diesem Frieden die italienischen Herzogtümer Parma, [* 44] Piacenza und Guastalla an den spanischen. Infanten Philipp ab und erhielt dafür die von den Franzosen eroberten österreichischen Niederlande [* 45] zurück. Die Pragmatische Sanktion Kaiser Karls VI. ward von allen kontrahierenden Mächten anerkannt. Frankreich erhielt von den Engländern die Insel Cape Breton zurück und erkannte die Thronfolge des Hauses Hannover [* 46] in England an. England erhielt Madras [* 47] zurück, und der Assientotraktat von 1713 (s. Assiento) ward auf vier Jahre verlängert. Sardinien blieb im Besitz der ihm von Österreich 1743 abgetretenen mailändischen Landesteile. Auf dem ¶