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und 1794 von den Franzosen ausgebrochen und nach Paris [* 2] entführt wurden, sind 1815 beim Friedensschluß, wenn auch nicht vollständig (die kostbarsten, namentlich zwei rote Porphyrsäulen, bilden noch heute einen vorzüglichen Schmuck der Antikengalerie des Louvre), zurückgegeben und 1846 auf Kosten des Königs Friedrich Wilhelm IV. von Preußen [* 3] an ihrer alten Stelle wieder aufgestellt und ergänzt worden. Westlich vor dem Oktogon steht ein Glockenturm, durch eine Steinbrücke mit jenem verbunden und flankiert von zwei runden (karolingischen) Treppentürmen, die nach den Reliquienkammern führen.
Die ehemalige rechtwinkelige Altarnische an der Ostseite des Oktogons wurde später durch das angebaute hohe Chor verdrängt, welches, der zweitälteste Teil des Doms, 1353-1413 im gotischen Stil Aufgeführt wurde, 34,5 m hoch, 25 m lang und 12,5 m breit ist und insbesondere durch die prachtvollen modernen Glasgemälde seiner 13 großen Fenster (26,7 m hoch, 5 m breit) die Aufmerksamkeit fesselt. Auch zu beiden Seiten des Achtecks und des Chors wurden im 15. Jahrh. noch einige reichdekorierte gotische Kapellen angefügt, unter denen sich namentlich außer der Karlskapelle, die wie die übrigen im Innern restauriert ist, die Annakapelle durch ihre zierliche Form auszeichnet.
Eine dritte Bauperiode, in die 30er Jahre des vorigen Jahrhunderts fallend, verunstaltete das damals schon planlos erweiterte Gebäude durch Anbau einer neuen Kapelle im Zopfstil (neben dem Eingangsturm), der Ungarischen, die jetzt den Domschatz birgt, sowie durch geschmacklose Rokokostukkatur und verschiedene Übermalungen im Innern. Die Entfernung dieser entstellenden Zuthaten und die Herstellung der Kirche in ihrer reinen und ursprünglichen Gestalt hat sich der 1849 gegründete Karlsverein zur Aufgabe gestellt.
In der Mitte des Oktogons bezeichnet am Boden eine flache Steinplatte mit der Metallinschrift »Carolo Magno« die Stelle, unter welcher die Gebeine des Kaisers angeblich ruhten. Karls erstes Grab ist noch nicht gefunden; seit 1215 ruhen seine Gebeine im schönen Karlsschrein (vgl. Käntzeler, Karls d. Gr. Behälter, Aach. 1858, und in den Bonner »Jahrbüchern«, Heft 33). Außer Karl d. Gr. fand auch Kaiser Otto. III. seine Ruhestätte im Münster. [* 4] Über Karls angeblicher Gruft hängt ein kolossaler Kronleuchter von vergoldetem Kupfer [* 5] in Ringform (4 m im Durchmesser) für 48 Kerzen, eine kunstvolle Arbeit des Meisters Wibertus und von Kaiser Friedrich I. geschenkt.
Die großen Heiligtümer des Münsters, welche alle sieben Jahre von der Turmgalerie vom 10. bis 24. Juli (zuletzt 1881) dem Volk gezeigt werden, sind: ein Unterkleid der Mutter Gottes von gelblichweißer Leinwand (eine Art Byssus), die Windeln des Christuskinds, das Lendentuch Christi und das Leintuch, auf welchem Johannes der Täufer enthauptet wurde. Ein interessanter Teil des kostbaren Münsterschatzes ist das angebliche Hifthorn Karls d. Gr. Auf der Empore des Oktogons (dem sogen. Hochmünster) ist der weißmarmorne, später mit Gold [* 6] plattierte Kaiserstuhl [* 7] aufgestellt, auf welchem Karl d. Gr. angeblich im Grab saß, und der dann vor und nach der Krönung von den spätern Kaisern im vollen Ornat eingenommen ward, eigentlich aber das Archisolium (der Erzthron) ist.
Endlich ist noch die prachtvolle Evangelienkanzel in dem Chor zu erwähnen, die, bei feierlichen Messen zum Absingen des Evangeliums dienend, mit Goldblech überzogen und mit kostbaren Gemmen, [* 8] merkwürdigen Elfenbeinreliefs und emaillierten Darstellungen geschmückt ist, ein Geschenk Kaiser Heinrichs II.
Vgl. Quix, Historische Beschreibung der Münsterkirche zu Aachen [* 9] (Aach. 1825);
Debey, Die Münsterkirche zu Aachen und ihre Wiederherstellung (das. 1851);
Schervier, Die Münsterkirche zu Aachen und deren Reliquien (das. 1853);
Floß, Geschichtliche Nachrichten über die Aachener Heiligtümer (das. 1855);
Bock, [* 10] Karls d. Gr. Pfalzkapelle und ihre Kunstschätze (Köln [* 11] 1866-67);
Kessel, Geschichtliche Mitteilungen über die Heiligtümer der Stiftskirche zu Aachen (Aach. 1874).
Außer dem Münster besitzt Aachen noch 27 Gotteshäuser, darunter 8 Pfarrkirchen, eine evangelische Kirche und eine neue Synagoge im maurischen Stil. Nur drei dieser Kirchen sind mittelalterlichen Ursprungs: die St. Foilans-Pfarrkirche (aus dem Anfang des 12. Jahrh.), die spätgotische Kirche zu St. Paul (mit einer Himmelfahrt von Schadow) und die Nikolauskirche. Unter den übrigen sind die gotische Marienkirche und die im romanischen Stil erbaute Redemptoristenkirche als Perlen moderner Baukunst [* 12] sowie die Michaelskirche (1628 geweiht) wegen ihres berühmten Altarbilds (einer Pietà von Honthorst) und die neue Jakobskirche im Übergangsstil hervorzuheben.
Das historisch wichtigste profane Bauwerk Aachens, das im 14. Jahrh. erbaute gotische
Rathaus, am
Markt, an der
Stelle der karolingischen
Kaiserpfalz, nimmt sich besonders in der dem
Markt zugekehrten Nordfronte majestätisch aus. An beiden Seiten erhoben sich
bis zur Vernichtung ihres hohen Dachwerks durch die Feuersbrunst von 1883 zwei
Türme, von denen der eine
(östliche), der gewaltige Granusturm, aus dem 13. Jahrh. stammte (vgl.
Kessel, Das
Rathaus zu Aachen, 1884). Im obern
Geschoß
[* 13] enthält das
Rathaus den schönen, 51 m langen und 19 m breiten Kaisersaal,
der einst zur Abhaltung der Krönung
sfestlichkeiten diente und jetzt vollständig restauriert ist.
Von den übrigen öffentlichen Gebäuden sind zu nennen: das Kurhaus mit großem Konzertsaal, daneben die sogen. Alte Redoute [* 14] (mit dem Suermondt-Museum und der Stadtbibliothek), der in griechischem Stil ausgeführte Elisenbrunnen (1822-24 von Schinkel erbaut und nach der damaligen Kronprinzessin Elisabeth benannt), das Präsidialgebäude, das Theater [* 15] (1822 von Cremer erbaut), das Regierungsgebäude, das gotische Karlshaus, das schloßähnliche Bürgerspital Mariahilf (1848 bis 1865 erbaut), das 1870 vollendete Polytechnikum (im italienischen Renaissancestil, von Cremer Sohn erbaut), das neue Gefangenhaus und großartige Fabrikbauten.
Auf dem Platz, wo die drei Monarchen beim Kongreß 1818 Gott für den Frieden dankten, wurde 1844 ein Monument errichtet; ein Kriegerdenkmal (von Fr. Drake) steht vor dem Rheinischen Bahnhof. Merkwürdig ist noch das sogen. Gras, das ältere Bürgerhaus und ehemalige Gefängnis aus der Zeit Richards von Cornwallis, und die sogen. Aachener Masse, jetzt in der Technischen Hochschule, ein 3700 kg schwerer, vor dem Kaiserbad 1815 ausgegrabener Eisenblock, der die bei einem Brand zusammengeschmolzene Reiterstatue des Königs Theoderich I., nach andern (wohl richtiger) ein Meteorstein sein soll. - Eine großartige Wasserleitung, [* 16] zu welcher das Wasser aus dem etwa 4 km entfernten Kohlenkalkgebirge mittels einer Stollenanlage gewonnen wird, und eine Pferdebahn sind jetzt vollendet.
Die Zahl der Einwohner, welche 1799: 23,699; 1825: 35,428 und 1867: 67,923 betrug, belief sich bei der Zählung von 1880 mit Einschluß der Garnison (2 Bat. Nr. 53) auf 85,551 Seelen (darunter 5396 Protestanten und 1091 Juden). Im September 1884 wurde die Gesamtbevölkerung auf 89,710 Personen berechnet. ¶
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Der schon im Mittelalter blühende Gewerbfleiß Aachens hat sich in neuerer Zeit, begünstigt durch die reichen, erst seit wenigen Jahren erschlossenen Steinkohlenlager in der Nähe (Ausbeute 1882: 1,325,556 Ton.), noch bedeutend gehoben. Im J. 1879 waren in 294 Fabrikanlagen 14,592 Arbeiter, die an der Unterstützungskasse teilnahmen. Unter den Industriezweigen nimmt die Wollspinnerei, welche jährlich an 100,000 metr. Ztr. Garn aus meist überseeischer Wolle (aus dem Kapland und von Buenos Ayres) [* 18] erzeugt, und die Fabrikation von Tuch und andern Woll- und Halbwollstoffen die erste Stelle ein.
Der Tuchindustrie dienen in Aachen und Burtscheid über 80 größere Fabriken, die mit einer gleichen Anzahl von Dampfmaschinen [* 19] von zusammen 3000 Pferdekräften und ca. 10,000 Arbeitern jährlich gegen 200,000 Stück Tuch im Wert von 36 Mill. Mk. produzieren. Eine große Anzahl von Tuch-Engrosgeschäften bewirkt den Verkauf der Fabrikate nach allen Gebieten des Weltmarktes. Nächstdem bildet die Fabrikation von Kratzen (die bedeutendste des Kontinents: 16 Etablissements mit 750 Maschinen) und besonders Näh-, Nähmaschinen- und Häkelnadeln Hauptzweige der Aachener Industrie. Zu den Nadeln, [* 20] deren Fabrikation seit 1550 in Aachen blüht, und von denen 1882 in 25 Anstalten über 17,000 Mill. Stück aus etwa 5800 Ztr. Eisen [* 21] erzeugt wurden, wird der erforderliche Stahldraht aus englischem Gußstahl in Altena [* 22] und Iserlohn [* 23] hergestellt; der Absatz geht besonders nach Spanien, [* 24] Portugal, Italien [* 25] und Österreich. [* 26]
Von Bedeutung ist ferner die Fabrikation von Glasknöpfen (410 Mill. Stück), Maschinen und Dampfkesseln, Luxus- und Eisenbahnwagen, Tabak, [* 27] Zigarren, Chemikalien. Für letztere ist die Fabrik der Gesellschaft Rhenania im nahen Stollberg [* 28] besonders wichtig. Ferner besitzt Aachen Fabriken für Steck-, Strick- und Vorstecknadeln (mit Glas- und Stahlköpfen), für Samt-, Leinen- und Posamentierwaren, Farben, Handschuhe, Messer, [* 29] Regenschirme, feuerfeste Steine, Thonwaren, [* 30] Zement, Steingutwaren, optische, physikalische und andre Instrumente, Knöpfe, Glocken, Mineralwässer, Papiertapeten, Feuerspritzen; [* 31] zahlreiche Eisengießereien, Ziegeleien, Seifensiedereien, große Brauereien und Brennereien etc. Als Hauptstation der Belgisch-Rheinischen Eisenbahn, die hier mit der Bergisch-Märkischen und der Maastrichter Bahn zusammentrifft, ist Aachen zu einem wichtigen Stapelplatz des preußischen Handels geworden und hat außer den Erzeugnissen seiner Fabriken namentlich in Wolle, Getreide, [* 32] Wein, Steinkohlen, Metallen, Leder, Holz [* 33] etc. bedeutenden Verkehr. Aachen ist Sitz der Aachen-Münchener Feuerversicherungsgesellschaft (1825 von Hansemann gegründet), der Rückversicherungsgesellschaft, der Aachen-Höngener Bergwerksgesellschaft und der Aktiengesellschaft für Bergbau, [* 34] Blei- und Zinkfabrikation zu Stollberg und in Westfalen. [* 35] Den Geldverkehr vermitteln die Reichsbankstelle, Diskontogesellschaft, Bank für Handel und Gewerbe etc.
Als Wohlthätigkeitsanstalten sind zu nennen: das Mariahilfspital (mit 262 Betten, unter Leitung von Elisabethinerinnen), die Alexianer-Irrenanstalt, das Vinzenzspital für Unheilbare, die Mariannen-Entbindungsanstalt, die Annunciatenanstalt für weibliche Irre (Mariabrunn), das von Mitgliedern der evangelischen Gemeinde gegründete Luisenhospital, ein Armen- und Waisenhaus etc. An Bildungsanstalten besitzt Aachen ein katholisches Gymnasium (ein paritätisches Staatsgymnasium wird gebaut), die Rheinisch-Westfälische technische Hochschule (im Oktober 1870 eröffnet, im Winter 1883/84 mit 38 Lehrern und 200 Studierenden), ein Realgymnasium, eine Realschule mit gewerblichen Fachklassen, eine höhere Webschule, eine Handwerkerfortbildungsschule, die Stiftsschule, zwei höhere Töchterschulen, eine Taubstummenbildungsanstalt. Daneben bestehen sechs öffentliche Bibliotheken und zahlreiche Kunst- und naturhistorische Privatsammlungen. Zwölf Zeitungen und periodische Blätter erschienen 1884 in Aachen. Das Stadtwappen (s. Abbildung, S. 2) ist ein im goldenen Feld ausgebreiteter schwarzer Adler [* 36] mit ausgestreckter roter Zunge; die Farben Aachens sind Schwarz und Gelb.
Die Aachener Mineralquellen (Aquae Granenses) gehören zur Klasse der alkalisch-muriatischen Schwefelthermen und sind als solche Heilquellen ersten Ranges. Ihren Wärmegraden nach können sie sich mit den Schwefelthermen der Pyrenäen messen, ihrem Gehalt an Salzen nach kommen sie den Quellen von Wiesbaden, [* 37] Baden-Baden [* 38] und Karlsbad gleich. Sie entspringen auf dem an Thermen und Säuerlingen reichen Übergangsgebirge, welches ganz in der Nähe und selbst unterhalb der Stadt als Grauwackenschiefer und Übergangskalkstein zu Tage tritt, und befinden sich sämtlich innerhalb der Stadt.
Man unterscheidet zwei Quellgruppen, die aus zahlreichen, nicht sämtlich benannten, ja mehrfach unterdrückten Adern bestehen, welche am Abhang der das Rathaus tragenden Höhe auf der Hof- und Büchelstraße (obere Gruppe) und der Komphausbadstraße (untere Gruppe) hervorbrechen. In der obern Gruppe ist die mächtigste und heißeste (44° R.), die Kaiserquelle im Gebäude des Kaiserbades (daselbst Reste eines Römerbades), so wasserreich, daß sie außer den eignen Bädern und dem Elisenbrunnen auch das Bad [* 39] Zur Königin von Ungarn [* 40] und das Neubad speist; bei dem Neubau des erstern in der Büchelstraße sind die Fundamente eines großen, von der 6. römischen Legion etwa in den Jahren 69-120 n. Chr. in der Nähe der Kaiserquelle errichteten Badegebäudes ausgegraben worden. Im Badehaus Zur Königin von Ungarn befindet sich ein Elektrisierheilapparat und im Kaiserbad für Brustkranke ein eigner Inhalationssaal. Zu der obern Quellgruppe zählt die Quirinusquelle (fast 40° R.), die mit zwei reichen Nebenquellen das gleichnamige Bad versieht. Zu der untern Quellgruppe auf der Komphausbadstraße gehört die aus vielen Adern zusammenfließende, von allen Thermen Aachens wasserreichste, das Rosenbad und das für Unbemittelte bestimmte Komphausbad versehende Rosenquelle (38° R.); sehr wasserreich ist auch hier die Corneliusquelle (36° R.), die das Cornelius- und Karlsbad speist. Alle Badehäuser sind gegenwärtig Eigentum der Stadt. Nach Analyse von Liebig sind in 10,000 g Wasser der Kaiserquelle enthalten:
Chlornatrium (Kochsalz) | 26,161 |
---|---|
Bromnatrium | 0.036 |
Jodnatrium | 0.005 |
Schwefelnatrium | 0.136 |
Schwefelsaures Natron | 2,836 |
Schwefelsaures Kali | 1,527 |
Kohlensaures Natron | 6,449 |
Kohlensaures Lithion | 0.029 |
Kohlensaure Magnesia | 0.506 |
Kohlensaurer Kalk | 1,579 |
Kohlensaurer Strontian | 0.002 |
Kohlensaures Eisenoxydul | 0.095 |
Kieselerde | 0.661 |
Organische Materie | 0.769 |
Zusammen: | 40,791 |
Freie Kohlensäure | 5 |
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