Titel
Österreich
,
[* 2] Kaisertum. Der Flächeninhalt der österreich
isch-ungarischen
Monarchie, welcher zuletzt offiziell (im
»Statistischen Handbuch der österreich
isch-ungarischen
Monarchie«, Jahrg. 1888) mit 622,309,65 qkm angegeben wurde,
stellt sich nach neuern Ermittelungen namentlich für das ungarische Staatsgebiet höher heraus. Mit Zugrundelegung der Ergebnisse
der Grundsteuerregulierung erhält man 625,031,58 qkm, und der Geograph Strelbitsky
gelangte sogar zu einem Ausmaß von 625,623,4 qkm. Neuestens
hat
Professor A. Penck in
Wien
[* 3] mit
Hilfe der Spezialkarte der
Monarchie
(Maßstab
[* 4] 1:75,000) die
Fläche derselben berechnet. Hiernach
beträgt der Flächenraum der
Monarchie 625,556,77 qkm, also um 3247,12 qkm mehr als nach der
jüngsten offiziellen Angabe. Die
Differenz bezog sich hauptsächlich auf
Ungarn,
[* 5] welches nach Pencks Messung um 3054,02 qkm
größer ist, als bisher offiziell angenommen wurde (vgl. A. Penck, Der Flächeninhalt der
österreich
isch-ungarischen
Monarchie,
Wien 1889).
[Bevölkerung.]
Am
Schlusse des
Jahres 1890 wurde in Österreich
eine
Volkszählung, die dritte auf
Grund des
Gesetzes
vom vorgenommen. Nach den vorläufigen Ergebnissen derselben belief sich die
Bevölkerung
[* 6] der einzelnen
Kronländer
im
Vergleich zum Jahr 1880 folgendermaßen:
Kronland | Bevölkerung | Zunahme | ||
---|---|---|---|---|
1880 | 1890 | Seelen | Proz. | |
Niederösterreich | 2330621 | 2651530 | 320909 | 13.8 |
Oberösterreich | 759620 | 783576 | 23956 | 3.2 |
Salzburg | 163570 | 173872 | 10302 | 6.3 |
Steiermark | 1213597 | 1281023 | 67426 | 5.6 |
Kärnten | 348730 | 360443 | 11713 | 3.4 |
Krain | 481243 | 498390 | 17147 | 3.6 |
Küstenland | 647934 | 695853 | 47919 | 7.4 |
Tirol und Vorarlberg | 912549 | 928920 | 16371 | 1.8 |
Böhmen | 5560819 | 5837603 | 276784 | 5.0 |
Mähren | 2153407 | 2272856 | 119449 | 5.5 |
Schlesien | 565475 | 602117 | 36642 | 6.5 |
Galizien | 5958907 | 6578364 | 619457 | 10.4 |
Bukowina | 571671 | 646607 | 74936 | 13.1 |
Dalmatien | 476101 | 524107 | 18006 | 10.1 |
Zusammen: | 22144244 | 23835261 | 1691017 | 7.6 |
Im Jahrzehnt 1880-90 hat sich demnach die Bevölkerung Österreichs um 1,691,017 oder 7,6 Proz., d. h. pro Jahr um 0,76 Proz., vermehrt, ein Zuwachsverhältnis, welches gegenüber dem der vorausgegangenen Periode 1869-80 mit jährlich 0,78 Proz. nur eine geringe Verlangsamung in dem ziemlich stetigen Entwickelungsgang zeigt. Von den einzelnen Kronländern stehen hinsichtlich des Bevölkerungszuwachses Niederösterreich (13,8 Proz.), Bukowina (13,1 Proz.), Galizien (10,4 Proz.) und Dalmatien (10,1 Proz.) ¶
mehr
obenan. Erheblich nachgelassen hat die Bevölkerungsvermehrung in den Sudetenländern Böhmen
[* 8] (5 Proz.), Mähren (5,5 Proz.),
Schlesien
[* 9] (6,5 Proz.). Hier ist mit Rücksicht auf die wirtschaftlichen
Verhältnisse gleichsam der Sättigungspunkt hinsichtlich der Dichtigkeit der Bevölkerung erreicht worden, mit dessen Überschreitung
zugleich ein langsamerer Gang
[* 10] der Volksvermehrung eintritt, während in Ländern, welche wie Galizien und
die Bukowina gewissermaßen den Charakter von Kolonialland aufweisen, eine Beschränkung im Bevölkerungszuwachs noch nicht
eingetreten ist. Am geringsten ist der Zuwachs auch diesmal in den Alpenländern, insbesondere in Tirol
[* 11] mit Vorarlberg (1,8
Proz., Tirol allein 0,9, Vorarlberg dagegen 8,2 Proz.), Oberösterreich (3,2 Proz.), Kärnten (3,4 Proz.), Krain
[* 12] (3,6 Proz.), Steiermark
[* 13] (5,6 Proz.). Die Dichtigkeit der Bevölkerung Österreichs beträgt pro QKilometer 79 Einw. (gegen 74 im
J. 1880). Zwei Faktoren sind es, welche die Entwickelung der Bevölkerung bestimmen, das Verhältnis der Lebendgebornen zu den
Sterbefällen und das der Ein- zur Auswanderung. In dem Dezennium 1880-90 wurden in Österreich
1,994,987 Personen
mehr lebend geboren, als in dieser Zeit gestorben sind. Da die Bevölkerungsvermehrung nach der Volkszählung gegenüber dieser
Ziffer 329,054 Personen weniger beträgt, so ist diese letztere Zahl auf Rechnung des Überschusses der österreich
ischen Auswanderung
über die Einwanderung zu setzen.
Die Bewegung der Bevölkerung charakterisierte sich im J. 1889 durch Rückgang der Eheschließungen, Konstanz [* 14] der Geburten und bedeutende Abnahme der Sterbefälle. Es wurden nämlich verzeichnet:
Anzahl im Jahre | Auf je 1000 Einwohner | |||
---|---|---|---|---|
1888 | 1889 | 1888 | 1889 | |
Trauungen | 185991 | 177771 | 7.92 | 7.49 |
Lebendgeborne | 889901 | 898350 | 37.89 | 37.85 |
Sterbefälle | 686573 | 646787 | 29.23 | 27.25 |
Gegen das Vorjahr haben die Trauungen um 4,4 Proz., die Sterbefälle um 5,8 Proz. abgenommen, während bei den Lebendgebornen eine Zunahme um 0,95 Proz. eingetreten ist. Für die Eheschließungen des Jahres 1889 ist die bei beiden Geschlechtern wiederkehrende stärkere Vertretung der obern Altersklassen charakteristisch, welche mit der relativ gesteigerten Häufigkeit der Wiederverheiratung parallel geht und auch die Erhöhung des durchschnittlichen Alters bei der Trauung mit sich bringt. Auf je 100 Geborne entfielen 85 ehelich und 15 unehelich Geborne, auf je 1000 geborne Mädchen 1064 Knaben. Von den Sterbefällen kamen 48,26 Proz. auf Kinder bis zu 5 Jahren. Der Geburtenüberschuß betrug 251,563 (gegen 203,328 im Vorjahr).
[Bildungswesen.]
Im Schuljahr 1889/90 bestanden in Österreich
an Mittelschulen 172 Gymnasien und 84 Realschulen, darunter 142, bez. 63 vollständige.
Die größte Zahl von Mittelschulen weist Böhmen mit 76 (53 Gymnasien, 23 Realschulen) auf, ihm folgt Niederösterreich mit 25 Gymnasien
und 17 Realschulen. Durch den Staat werden 122 Gymnasien und 53 Realschulen erhalten. Die Unterrichtssprache
war an 154 Mittelschulen deutsch, an 57 Mittelschulen tschechisch, an 28 polnisch, an 7 italienisch, an 4 serbokroatisch, an
einer ruthenisch und an 5 utraquistisch. Der Besuch der Mittelschulen bezifferte sich wie folgt:
1888/89 | 1889/90 | |
---|---|---|
Gymnasien und Realgymnasien | 55089 | 55160 |
Realschulen | 18860 | 19673 |
Zusammen: | 73949 | 74833 |
Bezüglich der höhern
Lehranstalten hat sich keine wesentliche Veränderung ergeben. Zu erwähnen ist nur die Errichtung
eines österreich
ischen Instituts für Geschichtsforschung in Rom,
[* 15] welches die Aufgabe hat, die von Papst Leo XIII. den wissenschaftlichen
Kreisen zugänglich gemachten Archive des Vatikans und die sonstigen Geschichtsquellen der Ewigen Stadt zu
durchforschen und unter der Leitung des Hofrats Professor v. Sickel im Herbst 1890 seine Thätigkeit begonnen hat.
Für den Elementarunterricht bestanden 1888: 18,079 Schulen, und zwar 16,688 allgemeine Volksschulen, 415 Bürgerschulen und 976 Privatvolksschulen. Von den allgemeinen Volksschulen waren 88 Proz. für beide Geschlechter, 6,8 nur für Knaben und 5,2 nur für Mädchen bestimmt. Von den 16,688 Volksschulen waren 8490 einklassig und 3916 zweiklassig; die übrigen 4282 waren mehrklassig. An den öffentlichen Schulen wirkten 44,838 Lehrer und 13,913 Lehrerinnen; auf je einen Lehrer entfallen durchschnittlich 72,4 Schüler.
Von den Lehrern hatten 83,7 Proz. das Zeugnis der Lehrbefähigung, 11 Proz. das Reifezeugnis u.
5,3 Proz. gar kein Zeugnis. In Tirol hatten sogar 27,3 Proz. der Lehrer kein Zeugnis. Österreich
zählt 3,335,674 schulpflichtige Kinder;
von diesen blieben jedoch 21,895 Kinder wegen Gebrechen ohne Unterricht, während 365,593 Kinder sich der Schulpflicht gänzlich
entzogen; allerdings sind es nur fünf Kronländer, wo die Fahnenflucht der schulpflichtigen Kinder eine
ständige Erscheinung ist, nämlich in Krain, wo 17 Proz. der schulpflichtigen Kinder, in Dalmatien, wo 23,2 Proz., im Küstenland,
wo 30,5 Proz., in Galizien, wo 40,6 Proz., und in der Bukowina, wo sogar 52,1 Proz. der schulpflichtigen Kinder die Schule nicht
besuchten. Zur Durchführung des Schulzwanges wurden nicht weniger als 185,464 Straferkenntnisse gefällt,
von welchen 68,590 in Form von Arrest- und 116,874 in Form von Geldstrafen vollzogen wurden.
[Landwirtschaft.]
Während die Ernte [* 16] Österreich-Ungarns im J. 1889 eine der schlechtesten im letzten Jahrzehnt war und nur zur Deckung des heimischen Bedarfs hinreichte, gestaltete sie sich im J. 1890 um so befriedigender. Ihr Ertrag wird im Vergleich zu einer Mittelernte (= 100 angenommen) geschätzt:
Österreich | Ungarn | Österreich | Ungarn | ||
---|---|---|---|---|---|
bei Weizen auf | 100 | 127 | bei Gerste auf | 111 | 124 |
- Roggen - | 107 | 138 | - Hafer - | 119 | 98 |
Die Förderung der Bodenmelioration durch die Staatsverwaltung ist in Österreich
durch das Gesetz vom geregelt
worden. Hiernach können zur Förderung von Unternehmungen, welche den Schutz des Grundeigentums gegen Wasserverheerungen oder
die Erhöhung der Ertragsfähigkeit der Grundstücke durch Entwässerung oder Bewässerung zum Zwecke haben, sofern deren Ausführung
im öffentlichen Interesse liegt, von der Staatsverwaltung Unterstützungen gewährt werden. Zu diesem
Behuf wurde ein besonderer Fonds gebildet, welchem als Dotation zunächst in den Jahren 1885-94 je 500,000 Gulden aus Staatsmitteln
zugewiesen werden.
Bedingung ist, daß sich an dem Meliorationsunternehmen auch die übrigen Interessenten (Land, Bezirk, Gemeinde, Wassergenossenschaften) finanziell beteiligen. Der Fonds besaß Ende 1888 außer seiner Jahresdotation noch ein Aktivvermögen von 735,429 Guld. Aus dem Meliorationsfonds (3,494,582 Guld.), dann von den Ländern (3,503,212 Guld.) und den übrigen Interessenten (2,243,266 Guld.) sind in den Jahren 1885-89 für Meliorationszwecke folgende Beiträge (Subventionen) geleistet worden: ¶
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für Flußregulierungen | 7020125 Gulden |
für Wildbachverbauungen | 1010095 " |
für Bewässerungen | 956000 " |
für Entwässerungen | 254840 " |
Zusammen: | 9241060 Gulden. |
Für die österreich
ische Agrarpolitik der neuesten Zeit ist das Höfegesetz vom von besonderer Bedeutung. Die Bestimmungen
desselben lassen sich kurz dahin zusammenfassen, daß im Falle eines Intestaterbfalls das Bauerngut ungeteilt
auf einen der Erben (den Anerben) übergehen soll. Vom 15. Mai bis fand in Wien eine allgemeine land- und forstwirtschaftliche
Ausstellung statt, welche zum Teil einen internationalen Charakter trug. In Verbindung mit derselben wurde im September 1890 ein
land- und forstwirtschaftlicher Kongreß abgehalten.
Die Seefischerei in den österreich
ischen Küstengebieten hat in dem zwölfmonatlichen Zeitraum April
1888/89 eine Ausbeute von 5,9 Mill. Stück oder 84,618 metr. Ztr. im Werte von 2,3 Mill. Guld. geliefert, wovon 3,6 Mill. Stück
oder 57,684 metr. Ztr. auf den örtlichen Verbrauch entfielen, während
der Rest exportiert wurde. Die Gesamtzahl der bei dieser Fischerei
[* 18] beschäftigten Fischer betrug im Sommerhalbjahr
11,311, darunter 666 Italiener, im Winterhalbjahr 10,082, darunter 863 Italiener.
Von denselben wurden im Sommerhalbjahr 3036 Boote, im Winterhalbjahr 2682 Boote benutzt. Unter den Fischgattungen der Adria
nimmt die Sardelle den ersten Platz ein, indem über 30 Proz. der gesamten Fischausbeute und
mehr als 70 Proz. der ganzen Fischausfuhr Österreich-Ungarns auf dieselbe entfallen. Es ist deshalb von großer Bedeutung,
daß nach dem Muster der französischen Sardinenfabrikation diese bis auf die neueste Zeit an der Adria unbekannte Industrie
eingeführt worden ist. Heute bestehen schon mehrere derartige Fabriken in den österreich
ischen Küstenländern, insbesondere
zu Isola und Grado, welche zusammen etwa 250 Männer und gegen 700 Frauen und Kinder beschäftigen und im
Durchschnitt der letzten Jahre 1,820,000 Büchsen Sardinen erzeugen, wovon ungefähr die Hälfte im Inland verbleibt, die andre
Hälfte exportiert wird.
[Bergbau.]
Der Gesamtwert der Bergwerksproduktion Österreichs, welcher im J. 1887 (nach Abzug des Wertes der verhütteten Erze) 66,07 und im J. 1888 72,26 Mill. Guld. betragen hatte, hat sich im J. 1889 wieder erheblich (um 6,54 Mill. Guld. oder 9,06 Proz.) gesteigert und betrug 78,806,679 Guld. Die Produktionsmenge belief sich in den Hauptartikel:
Gold | 13 Kilogr. |
Silber | 35435 Kilogr. |
Quecksilber | 5666 metr. Ztr. |
Kupfer | 8629 metr. Ztr. |
Frischroheisen | 5550080 metr. Ztr. |
Gußroheisen | 615038 metr. Ztr. |
Blei | 82178 metr. Ztr. |
Glätte | 23019 metr. Ztr. |
Zink | 48402 metr. Ztr. |
Graphit | 223361 metr. Ztr. |
Braunkohle | 138458629 metr. Ztr. |
Steinkohle | 85928760 metr. Ztr. |
Die Steigerung der Produktion ist abermals auf die erhöhte Eisen- und Kohlenproduktion zurückzuführen. Dieselbe betrug bei Roheisen 308,904 metr. Ztr., bei Braunkohlen 9,856,076, bei Steinkohlen 3,184,151 metr. Ztr. Die Zahl der beim Bergbau [* 19] und Hüttenbetrieb beschäftigten Arbeiter bezifferte sich 1889 auf 113,958 (1888: 108,703). Der Salinenbetrieb, dessen Ergebnisse in den obigen Ziffern nicht mit enthalten sind, weist eine Produktion von 2,829,625 metr. Ztr. (gegen das Vorjahr um 29,902 metr. Ztr. mehr) im Werte von 21,6 Mill. Guld. auf. Hierbei waren 10,005 Arbeiter beschäftigt.
[Industrie.]
Im J. 1889 hat sich die Großindustrie in Österreich günstig entwickelt und in ihren hervorragendsten Zweigen, wie in der Eisen- und Maschinenfabrikation, der chemischen Industrie, der Spinnerei, Weberei [* 20] und Appretur, teils unter gedeihlichen Verhältnissen fortgearbeitet, teils, wie in der Zuckerindustrie, sich zu erholen und aufzuschwingen vermocht. Nähere statistische Daten liegen nur über einzelne staatlich kontrollierte Industriezweige vor. So zeigt die Nachweisung der im J. 1889 bei den Punzierungsämtern behandelten Gold- und Silberwaren, daß die schon im J. 1888 wahrgenommene Besserung der Industrie auch im J. 1889 angehalten hat. Es wurden nämlich 3039,6 kg Gold- und 35,704,4 kg Silberwaren nebst 2625,4 kg vergoldetem und versilbertem Draht, [* 21] d. h. um 309,4 kg Gold- und um 3653,7 kg Silberwaren, dann um 109,6 kg Gold- und Silberdraht mehr als im Vorjahr zur Punzierung gebracht. Dabei ist auch die Einfuhr von ausländischen Gold- und Silberwaren, insbesondere von Uhren, [* 22] gestiegen; es wurden nämlich 63,303 Stück goldene und 230,967 silberne Uhren, gegen das Vorjahr um 4739 Stück goldene und 40,161 Stück silberne Uhren mehr, nach Österreich eingeführt.
Von den niederösterreichischen und Wiener Industriellen, welche mehrfach mit verschlechterten Absatzverhältnissen bei verteuerter Erzeugung zu kämpfen haben, wird über die Geschäftslage auch in dem günstigen Wirtsschaftsjahr 1889 Klage erhoben. In manchen Fällen ist dies darauf zurückzuführen, daß Wien als Erzeugungsstätte wegen der hohen Produktionskosten ungeeignet ist. Im übrigen hängt die Stagnation in einigen Zweigen der Wiener Industrie mit den handelspolitischen Verhältnissen, welche gerade den Wiener Exportindustrien wertvolle Absatzgebiete ganz oder teilweise entzogen haben, und mit der in den letzten Jahren eingetretenen Stockung der baulichen und materiellen Entwickelung Wiens zusammen. Zu den Industrien, welche durch die handelspolitischen Verhältnisse beeinträchtigt erscheinen, gehört unter andern die Perlmutterknopfindustrie, welche in Wien und den Vororten 566 Meister mit 5000 Gehilfen beschäftigt und Produkte im Werte von über 4½ Mill. Guld. hauptsächlich nach Nordamerika [* 23] exportiert, ein Absatzgebiet, welches durch die Mac Kinley-Bill nunmehr ernstlich gefährdet ist.
Was die Stagnation der Wiener Erwerbsverhältnisse betrifft, so dürften sich allerdings durch die Vereinigung der Hauptstadt mit den Vororten für die Wiener Industrie in Zukunft wieder günstigere Aussichten eröffnen. In Böhmen trat Ende Januar 1890 bei der Gablonzer Glaskurzwarenindustrie eine Notlage ein, welche namentlich durch die Einführung des Maschinenbetriebes in der Glasperlenerzeugung verschärft wurde und zu Tumulten führte, welche durch militärisches Aufgebot niedergedrückt werden mußten.
Das Kartellwesen hat auch in Österreich Fortschritte gemacht. Insbesondere auf dem Gebiete des Kohlenbergbaues, der Metallindustrie, der Spinnerei und Weberei, der keramischen Produktion, der Zucker-, Spiritus-, Papierindustrie etc. sind die bereits bestehenden Kartelle erneuert, bez. neue abgeschlossen worden. Von viel weittragenderer Bedeutung als die Koalition des Kapitals ist der von seiten der Arbeiter mittels Massenstreiks geführte, bisher ziemlich erfolglose Kampf um die Lohnhöhe und die Arbeitsbedingungen. Von einzelnen, das Gebiet der Industrie berührenden ¶