Äthiopien
(grch. Aithiopia, in der Bibel [* 2] Kusch genannt), alte geogr. Bezeichnung, unter der man in weiterm, gänzlich unbestimmtem Sinne alles dasjenige Südland verstand, das man von dem Volke der Äthiopier bewohnt dachte, im engern Sinne (Aethiopia supra Aegyptum) aber das südlich von Philä am Nil aufwärts gelegene, im O. vom Arabischen Meerbusen begrenzte, im SO. bis zu den Küsten des Arabischen Meers reichende Land, also ungefähr das jetzige Nubien, Abessinien, Adal- und Somalland.
Den
Namen Äthiopien
übertrugen speciell die christl. Abessinier auf ihr
Reich, das sonst nach der Hauptstadt
Axum auch Axumitisches
Reich genannt wurde. Seine Entstehung und älteste Geschichte ist in Dunkel gehüllt. Die einheimischen
Nachrichten haben keinen
Anspruch auf geschichtliche Wahrheit. Sie knüpfen den
Stammbaum des axumitischen Königsgeschlechts
an den israel. König Salomo an, indem sie die axumitische Königin Makeda (als Königin von Saba,
1 Kön. 10). zu Salomo
reisen und diesem einen Sohn, Ebna
Hakim (auch Menilehek genannt), den Ahnherrn der axumitischen Könige,
gebären lassen.
Eine Liste von über 20 Königen führt von da an das Geschlecht herunter bis auf König Bazen, der zur Zeit Christi geherrscht haben soll; eine weitere Liste von bald 31, bald 10, bald 14 Namen führt bis auf die Brüder-Könige Ela-Abreha und Atzbeha, unter deren Regierung Abba-Salâma (Frumentius) das Christentum gebracht haben soll. und die nach einigen Axum bauten. Für die Zeit von Abreha und Atzbeha an sind wieder verschiedene, nur in einzelnen Namen zusammenstimmende lange Listen von Königen in Umlauf, welche bis auf die Zâguédynastie, etwa im 10. Jahrh., reichen. Glaubwürdiger als diese ältern Listen sind die freilich spärlichen auswärtigen Nachrichten (namentlich im «Periplus maris Erythraei»),
sowie die durch Münzen [* 3] und mehrere Inschriften gegebenen Anhaltspunkte. Das Reich stand in den ersten Jahrhunderten unserer Zeitrechnung unter den Einflüssen der griech. Kultur, wie auch die ältesten Landesmünzen griech. Legenden haben. Früh ¶
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32 hatten die Könige bereits auch in Südarabien festen Fuß gefaßt. Die Oberherrschaft über Südwestarabien wurde, mehr oder weniger bestritten, bis um die Mitte des 6. Jahrh, aufrecht erhalten. Das Christentum fand seit Mitte des 4. Jahrh. im Reiche Eingang, größere Fortschritte machte es aber erst in der zweiten Hälfte des 5. Jahrh. (s. Abessinische Kirche). Jedenfalls waren von etwa 500 n.Chr. an das Königshaus und der Hauptteil des Reichs christlich. 525 fand der berühmte Krieg des christl. Abessinierkönigs gegen den jüd. König Dhu-Nuwâs von Himjar (s. Himjariten) statt.
Bald darauf scheint sich die Abhängigkeit Südarabiens gelockert und allmählich aufgehört zu haben. Im übrigen ist über diese lange Periode des Axumitischen Reichs fast nichts überliefert. Als letzter König der Reihe wird in den Listen Delnaod genannt. Ihm sei das Reich von dem nichtsalomonischen Hause Zâguê geraubt und die bisherige Dynastie bis auf einen Prinzen, der in Schoa Zuflucht fand, ausgerottet worden; dieser habe das Geschlecht fortgeführt und von ihm stamme im achten Geschlecht der spätere König Jekunô-Amlâk ab. Die Dauer der Regierung derer von Zâguê (nach den meisten Berichten 11 Könige) wird auf 330 bis 376 Jahre angegeben. Aus diesem Hause erstanden mehrere durch ihren Eifer für das Christentum ausgezeichnete Herrscher, wie Jemrehana-Christos, Lalibalâ, Naakuetô-Laab; besonders der heil. Lalibalâ ist durch die vielen kunstvollen, schönen Kirchen, die er angeblich durch ägypt. Werkmeister ganz in Felsen lebendigen Gesteins aushauen ließ, berühmt geworden.
Im J. 1270 kam in Jekunô-Amlâk die alte Dynastie wieder auf den Thron [* 5] und blieb nun in ununterbrochenem Besitz. Von Jekunô-Amlâk an werden die Nachrichten etwas sicherer und zusammenhängender, obgleich erst mit dem bedeutenden Herrscher Zar'a-Jacob (1434–67) die ausführlichen Annalen beginnen. Von seinen Vorgängern ist aus einheimischen Berichten Ausführlicheres nur bekannt über Amda-Zion (erste Hälfte des 14. Jahrh.) und seine Kriege gegen die Mohammedaner. Die dritthalb Jahrhunderte von Jekunô-Amlâk bis auf Zar'a-Jacobs Sohn Baëda-Marjam (1468–78) und Enkel Alexander (1478–94) bilden die zweite Blütezeit des Reichs. Die Könige wußten in diesem Zeitraume ihr Ansehen und die christl. Herrschaft zu wahren, blieben in ihren Kämpfen mit den umliegenden kleinern Reichen und Stämmen, namentlich auch mit dem moslem. Adal, siegreich und machten manche von diesen sich zinsbar.
Von König David (Lebna-Dengel, 1508–40) an beginnt das Reich zu sinken. Zu diesem Verfalle wirkten der Reihe nach die Moslems, die heidn. Gallavölker und die portug.-röm. Bekehrungsversuche zusammen. Die alten Feinde der Abessinier, die Moslems von Adal, bekamen durch die Hilfe der Türken und deren bessere Schießwaffen in der ersten Hälfte des 16. Jahrh, das Übergewicht über die Abessinier. Namentlich war es Achmed, genannt Granje, Sultan von Adal, der unter Lebna-Dengel die abessin. Provinzen der Reihe nach eroberte, Kirchen, Klöster und Dörfer, besonders in Tigre, verwüstete, Schätze raubte, so daß der König nur noch in unzugänglichen Schlupfwinkeln Zuflucht fand.
Gegen diesen Feind schickte auf die Bitte Davids der König von Portugal [* 6] Christoph de Gama mit 450 Musketieren und einigen Geschützen zu Hilfe. Sie trafen unter Davids Nachfolger Claudius (Atznâf-Sagad, 1540–59) ein, und mit ihrer Hilfe gelang es nach und nach, sich des Vordringens der Moslems und des Sultans Granje zu erwehren (1543). Doch alle Provinzen konnten auf die Dauer nicht geschützt werden, und einige Punkte der östl. Grenze, namentlich Häfen, gingen bald ganz an die Türken verloren.
Noch mehr aber als diese Kriege trugen zur Schwächung des Reichs bei die räuberischen Einfälle der Nomaden vom Gallavolk aus dem Süden her. Während der Kriege mit den Moslems waren sie schon gefährlich geworden; ihre Einfälle begannen in bedeutenderm Maßstabe in der zweiten Hälfte des 16. Jahrh., besonders von König Sartza-Dengel (Malak-Sagad 1563–97) an. Dem Andrang dieser Gallastämme war der Süden des Reichs bis tief in das Innere hinein nun über ein Jahrhundert lang ausgesetzt, und wie ein Stamm von ihnen das Reich Adal zu Grunde richtete, so überschwemmten andere allmählich die schönsten und reichsten Provinzen Abessiniens und nahmen sie in Besitz.
Erst am Anfang des 18. Jahrh. wurde ihre Kraft [* 7] gebrochen, so daß Galla in abessin. Provinzen zum Teil wieder dem Könige zinsbar wurden, teilweise sich mit der christl. Bevölkerung [* 8] vermischten. Endlich kamen dazu noch die innern kirchlichen Streitigkeiten und Bürgerkriege infolge der wiederholten Bekehrungsversuche der röm. Kurie. Schon unter Lebna-Dengel, der die Portugiesen zu Hilfe rief, nahm die röm. Kirche Anlaß, ihre Missionare dorthin zu schicken. Zwar die erste größere jesuitische Mission, mit Nonius [* 9] Barretus und Andreas Oviedus an der Spitze, die 1556 dorthin abging, konnte unter den Königen Claudius, Minas (1559–63) und Sartza-Dengel keinen rechten Boden gewinnen und war am Ende des 16. Jahrh. ganz fehlgeschlagen.
Erst unter König Susneus (1607–32) gelang es den Jesuiten, festen Fuß zu fassen. Susneus unterwarf sich dem röm. Stuhle, nahm Alfons Mendez als röm. Patriarchen von Abessinien bei sich auf und suchte mit Gewalt die einheimische Religion zu unterdrücken und das röm. Bekenntnis einzuführen. Doch sah selbst er durch den offenen Aufstand seines Volks sich schließlich genötigt, die Religionsübung wenigstens freizugeben, und unter seinem Nachfolger Fasiladas (1632–67) wurden die Jesuiten mit ihrem Anhange aus dem Lande geschafft und der röm. Kirche dort ein Ende gemacht.
Die Geschichte der Könige des folgenden Jahrhunderts: Johannes (1667–82), Jasus I. (1682–1706), Takla-Haimanôt I. (1706–8), Theophilus (1708–11), Justus (1711–16), David III. (1716–21), Bakafa (1721–30), Jasus II. (1730–55), bietet wenig Bemerkenswertes. Am Ende dieses Zeitraums, unter Joas (1755–69), waren nicht bloß schon einzelne Provinzen ganz abgerissen, sondern auch die Macht des Königs über die übrigen ganz gesunken, und ein Ras Michael (ursprünglich Statthalter von Tigre) hatte thatsächlich die wirkliche Königsmacht an sich gerissen, die er auch unter dem folgenden Könige Johannes II. (1769) und eine Zeit lang unter Takla-Haimanôt II. (1769–77) behauptete. Die Könige waren nur noch Namenkönige und Spielbälle in der Hand [* 10] der Ras (Häuptlinge), die sich um die Oberherrschaft und Bevormundung des Königs stritten. Die Hauptprovinzen wurden meist selbständig und unabhängig voneinander, und die Geschichte des Reichs verlief sich in eine Reihe von fortwährenden blutigen Bürgerkriegen, bis es 1854 dem Häuptling Kâsa als ¶
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33 Kaiser Theodor II. gelang, die Hauptprovinzen sich zu unterwerfen. Über das Weitere s. Abessinien. Die Könige Ä.s führten den Titel Negús (auch Nagâsi) oder Negûsa-Nagast (König der Könige). Außer ihren Eigennamen hatten sie noch einen oder mehrere Reichsnamen, die sie sich bei ihrer Thronbesteigung beilegten. Ihre Residenz war in ältester Zeit zu Axum, von Jekunô-Amlâk an eine Zeit lang zu Tegulet in Schoa, später zu Gondar in Dembea, obwohl Axum noch lange die Krönungsstadt blieb.
Doch residierten die Könige wenigstens in den geschichtlich bekannten Zeiten fast nie in den Städten, sondern in mobilen Lagern, unter Zelten, und wechselten den Ort je nach Bedürfnis. Die Einkünfte des Königs bestanden in Naturalien, wie Gold, [* 12] Pferde, [* 13] Maultiere, Rinder, [* 14] Herdenvieh, Getreide, [* 15] Häute, Zeugen und andern Fabrikaten, so daß jede Provinz jährlich ein bestimmtes Quantum davon zu liefern hatte. Die Einkünfte der Zölle und Wegegelder dagegen wurden meist an die Beamten der einzelnen Provinzen und Distrikte abgegeben. Im Grunde aber war der König der Herr und Eigentümer des ganzen Landes; er konnte nach Belieben jedem Manne seinen Grund und Boden nehmen und ihn einem andern schenken.
Nur Kirchen und Klöster haben gewisse liegende Güter als ewige Schenkungen zum Eigentum, und einzelne Familien einzelne Distrikte zum erblichen Besitz innerhalb der Familie. Die Macht des Königs war durchaus uneingeschränkt; nur über gewisse, durch jahrhundertelange Sitte geheiligte Grundordnungen wagte auch er sich nicht wegzusetzen. Auch in der Kirche war er wie Schützer so höchster Herr. Die Statthalter der einzelnen Provinzen und Distrikte scheinen immer verhältnismäßig sehr selbständig gestellt gewesen zu sein (obgleich jederzeit durch den König absetzbar), und Beispiele, daß sie sich empörten, weist die Geschichte in Menge aus.
Das Gericht war von der Verwaltung nicht geschieden. Bei Hofe war eine Anzahl gelehrter Männer (Wonbar oder Liq hieß ein solcher), die zusammen den obersten Gerichtshof bildeten, und mit deren Hilfe schwierige Fälle entschieden wurden. Seit dem 13. oder 14. Jahrh. hatten sie auch ein geschriebenes Gesetzbuch (Fetcha Nagast), das weltliches und kanonisches Recht umfaßte, in Ägypten [* 16] verfaßt und zum Teil aus griech. und röm. Rechtsquellen geschöpft, in Abessinien aber mannigfach interpoliert und verändert worden war.
Über die ältere und neuere Geschichte Ä.s vgl., außer Ludolf, die Reisewerke von Bruce und Rüppell, sowie Dillmann in der «Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft» (Bd. 7, Lpz. 1852) und in den «Abbandlungen» der Berliner [* 17] Akademie der Wissenschaften (1878, 1880 u. 1884);
Basset, Études sur l’historie de l’Ethiope (Par. 1882);
Perruchon, Histoire des guerres d’Amda Syon (im «Journal asiatique», 1889);