Äginetische
Kunst.
Die
Insel
Ägina ist schon in den Anfängen der griech. Bildkunst
durch einen
Bildschnitzer (Verfertiger von Xoana, d. h.
hölzernen Götterbildern)
Namens Smilis vertreten. Seit dem Ende des 6. Jahrh.
v. Chr. bis zum
Untergange der Selbständigkeit
Äginas (s. d.) blühte dann hier eine Künstlerschule, die besonders den
Erzguß pflegte. Die bekanntesten
Vertreter derselben sind Kallon und Onatas. Von ihrer Kunstart
kann
man sich eine
Vorstellung machen nach den erhaltenen Giebelgruppen
(Ägineten genannt) des Athenetempels von
Ägina, die 1811 aufgefunden, 1812 vom
damaligen Kronprinzen
Ludwig von
Bayern
[* 2] erworben, nach
Thorwaldsens Modellen stilgetreu ergänzt und jetzt in der
Glyptothek
zu
München
[* 3] aufgestellt sind.
Sie gehören zu dem Bedeutendsten, was aus der ältern griech. Kunst
erhalten
ist. Es sind zehn fast lebensgroße
[* 1]
Figuren aus dem Westgiebel und fünf aus dem Ostgiebel, außerdem
zahlreiche Fragmente der
[* 1]
Figuren, welche nicht hergestellt werden konnten, und zwei kleinere weibliche
Gestalten (Akroterien,
[* 4] s. d.), sämtlich aus parischem Marmor mit
Spuren von Bemalung und von ehemals angefügten Ornamenten,
Waffen
[* 5]
u. dgl. in
Bronze.
[* 6] Die beiden Gruppen zeigen in der
Komposition eine strenge
Symmetrie: den Mittelpunkt
beider bildete die in steifer Haltung stehende Gestalt der Göttin
Athene;
[* 7]
vor ihr befand sich ein verwundet niedergesunkener Krieger, rechts und links je ein vorwärts gebückter Freund und Feind, nach dem Gefallenen und seinen Waffen greifend, sodann folgten auf jeder Seite entsprechend ein stehender (nach Lange zwei) und ein kniender Lanzenkämpfer, dann ein Bogenschütz, endlich in jeder Ecke ein Verwundeter am Boden liegend.
In der stilistischen Durchbildung sind die [* 1] Figuren des West- und Ostgiebels verschieden. Jene sind deutlich in einem altertümlichern strengern Stil ausgeführt, die Körper sind mager und knapp, die Bewegungen noch gebunden, die Gesichter haben eine stereotype Freundlichkeit des Ausdrucks, während in den [* 1] Figuren des Ostgiebels schon ein freieres Leben sich entfaltet. (S. Tafel: Griechische Kunst II, [* 1] Fig. 1.) Die Entstehung dieser beiden Gruppen fällt wahrscheinlich noch vor die Zeit der Perserkriege.
Bei Erfindung der ganzen
Komposition wurde der Künstler jedenfalls von dem
Gedanken geleitet, durch
Darstellung
mythischer Heldenthaten, bei welchen äginetische
Helden eine hervorragende Rolle spielen, den Kriegsruhm seiner
Heimat zu
verherrlichen; er stellte daher (nach allerdings nicht unbestrittener Deutung) im Westgiebel den Kampf der Griechen unter
Aias, dem
Sohne des
Telamon, gegen die Troer um den
Leichnam des
Patroklos oder des
Achilleus, im Ostgiebel
den Kampf des
Telamon und Herakles
[* 8] gegen den troischen Herrscher Laomedon um den Körper eines schwerverwundeten Griechen
dar. -
Vgl. J. M.
Wagner,
Bericht über die äginetischen
Bildwerke, hg. von Schelling (Tüb. 1817);
H.
Brunn,
Über das
Alter
der äginetischen
Bildwerke
(Münch. 1867);
ders.,
Über die
Komposition der äginetischen
Giebelgruppen (ebd. 1869);
Prachov, La composition des groupes du temple d'Egine (in den «Annali» des Archäologischen Instituts, Rom [* 9] 1873);
K. Lange, Die Komposition der Ägineten (in den «Verhandlungen der königl. Sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften zu Leipzig», [* 10] 1878).